Einleitung
Der vorliegende Beitrag widmet sich der Auslegeordnung zum Impfschadensrecht der Länder Deutschland, Schweiz und Österreich. Treten Impfkomplikationen nach einer Schutzimpfung auf, stellt sich bei einem Impfschaden die Frage nach Haftungssubjekten. Aus haftpflichtrechtlicher Sicht lässt es die Schlussfolgerung zu, dass die grundsätzliche haftungsrechtliche Beurteilung in allen drei Ländern auf analoge Parameter abstellt. In allen drei Ländern kommen bei einem Impfschaden aus haftungsrechtlicher Sicht unterschiedlich potenzielle Haftungssubjekte in Betracht. Die gesetzlichen Grundlagen sind unterschiedlich, aber letztendlich sind die möglichen Haftungssubjekte gemäß dem Arzthaftungsrecht, dem Produktehaftpflichtgesetz und den innerstaatlich in Kraft gesetzten Gesetzesgrundlagen zu prüfen.
Schutzimpfungen, medikamentöse Prophylaxe, passive Immunisierung
Die Prävention von Infektionskrankheiten, die Verlangsamung des Krankheitsverlaufs und die Unterbrechung der Krankheit sind die Ziele von
Impfungen und medikamentösen Behandlungen. Impfungen gehören zweifelsohne zu den bedeutendsten und wirksamsten Präventionsmaßnahmen der heutigen Medizin. Die Pockenimpfung ermöglichte die weltweite Ausrottung der Krankheit. Im Gegensatz zu anderen Ländern gab es in Deutschland nach Ende der Pockenschutzimpfpflicht in 1976 über Jahre keine Impfpflicht mehr. Mit dem Masernschutzgesetz (§ 20(8 ff) Infektionsschutzgesetz, IfSG), das am 1. März 2020 in Kraft getreten ist, haben alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr beim Eintritt in die Schule oder den Kindergarten die von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Masernimpfungen vorzuweisen. Dasselbe gilt für Mitarbeiter in Gemeinschaftseinrichtungen oder medizinischen Einrichtungen wie Erzieher, Lehrer, Tagespflegepersonen und medizinisches Personal (wenn sie nach 1970 geboren sind). Auch Asylbewerber und Flüchtlinge müssen den Impfschutz vier Wochen nach Aufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft aufweisen. Ziel ist, die Quote von mindestens 95 % vollständiger Impfung zu erreichen, um die von der WHO angestrebte weltweite Eradikation der Masern zu ermöglichen.
Beschäftigte von Kliniken, Pflegeheimen und ähnlichen Einrichtungen mussten gemäß § 20a IfSG ab 16. März 2022 bis 1. Januar 2023 einen Nachweis über eine vollständige Impfung gegen oder Genesung von Covid-19 nachweisen.
Gemäß § 20i SGB V bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seinen Richtlinien nach § 92 SGB V auf der Grundlage der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim
Robert Koch-Institut gemäß § 20 Abs. 2 des
Infektionsschutzgesetzes unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung der Schutzimpfungen für die öffentliche Gesundheit Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Impfleistungen. Bisher scheint der G-BA den Empfehlungen der STIKO ohne Einschränkungen gefolgt zu sein. Die Kosten der
Impfungen wie auch etwaiger Impfschäden, soweit es sich um Behandlungskosten handelt, gehen also zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Gesetzgeber hat damit das logische Prinzip, wonach Primärprävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt und folglich aus Steuergeldern zu finanzieren wäre, aus fiskalischem Kalkül außer Kraft gesetzt. In der
privaten Krankenversicherung schließt der Schutz diese Primärprävention formal nicht ein, wenn auch in der Praxis Kosten für von der STIKO für Deutschland empfohlene
Impfungen erstattet werden, wobei aber etwaige Selbstbehalte und Verlust der Beitragsrückerstattung zu berücksichtigen sind.
Auf der Grundlage der jeweiligen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission sollen, gemäß § 20 Abs. 3 IfSG, die obersten Landesgesundheitsbehörden die öffentliche Empfehlungen für Schutzimpfungen und auch andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe aussprechen.
Derzeit werden folgende Standardimpfungen
u. a. seitens der STIKO empfohlen:Bei bestimmten Indikationen werden zudem eine Reihe weiteren Impfungen empfohlen (s. www.rki.de für Einzelheiten):-
Cholera: bei Aufenthalten in Infektionsgebieten
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FSME: Personen mit Zeckenexposition in einem Risikogebiet, beruflich gefährdete Personen (Forstarbeiter, in der Landwirtschaft beschäftigte Personen), Reisende in ein Endemiegebiet
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Gelbfieber: entsprechend den Bestimmungen des Ziel- oder Transitlandes
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Hepatitis A: beruflich gefährdete Personen (Beschäftigte im Gesundheitsdienst, Kanalarbeiter, Klärwerker), Reisende in Endemiegebiete
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Meningokokken: Reisende in Endemiegebiete, Pilgerreise (Hadj)
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Tollwut: beruflich gefährdete Personen (Tierärzte, Jäger, Forstpersonal) in Gebieten mit neu aufgetretener Wildtiertollwut, Personen mit beruflichem oder sonstigem engen Kontakt zu Fledermäusen, Reisende in Regionen mit hoher Tollwutgefährdung
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Typhus: Reisende in Endemiegebiete
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BCG-(Bacille-Calmette-Guérin-)Impfung: wird nicht mehr gegen
Tuberkulose empfohlen
Die von der STIKO empfohlenen Impfungen werden in der Regel gut vertragen. Es liegt in der Pflicht des Arztes, der die Impfungen verabreicht, die Patienten über mögliche Nebenwirkungen aufzuklären. Im Allgemeinen können Impfungen selbstlimitierende lokale und ausgedehnte Reaktionen hervorrufen. Zusätzliche Komplikationen können nach Impfungen auftreten, z. B.:-
Diphtherie: sehr selten Erkrankungen des peripheren Nervensystems, Einzelfälle von anaphylaktischem Schock
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FSME: Einzelfälle von Erkrankungen des peripheren Nervensystems wie
Guillain-Barré-Syndrom und allergische Reaktionen
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Gelbfieber: vereinzelte Fälle von multiplem Organversagen durch schwere und sogar tödliche Erkrankungen, vereinzelte Fälle von
Enzephalitis
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Haemophilus influenzae Typ b: selten
Fieberkrämpfe, vereinzelt allergische Reaktionen
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Hepatitis A: selten allergische Hautreaktionen, sehr selten Erythema multiforme
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Hepatitis B: Einzelfälle von anaphylaktischen und allergischen Reaktionen
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Influenza: sehr selten allergische Reaktionen an Haut und Bronchialsystem, Einzelfälle von anaphylaktischem Schock und Guillain-Barré-Syndrom, sehr selten
Vaskulitis oder Thrombopenie
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Masern-Mumps-Röteln: sehr selten allergische Reaktionen oder länger anhaltende Gelenkentzündungen, Einzelfälle von Thrombopenien
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Meningokokken-Impfstoff (Serogruppe C, Konjugat): sehr selten allergische Reaktionen, in Einzelfällen Fieberkrämpfe bei Säuglingen und Kleinkindern
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Pertussis-Impfstoff: azellulär sehr selten allergische Reaktionen, Einzelfälle von hypoton-hyporesponsiven Episoden
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Pneumokokken-Impfstoff (Polysaccharid): sehr selten Überempfindlichkeiten und Thrombopenien, Einzelfälle von anaphylaktischem Schock
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Pneumokokken-Impfstoff (Konjugat): gelegentlich allergische Reaktionen, Einzelfälle von hypoton-hyporesponsiven Episoden
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Poliomyelitis-Impfstoff inaktiviert: Einzelfälle allergischer Reaktionen
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Tetanus-Impfstoff: selten allergische Reaktionen an Haut oder Atemwege, Einzelfälle von anaphylaktischem Schock oder Erkrankungen des peripheren Nervensystems inkl. des Guillain-Barré-Syndroms
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Tollwut-Impfstoff: selten Serumkrankheit, sehr selten allergische Reaktionen, Einzelfälle von anaphylaktischem Schock
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Varizellen-Impfstoff: sehr selten allergische Reaktionen, Einzelfälle von anaphylaktischem Schock, Herpes Zoster und
Pneumonie
Es gibt keine Beweise für einen Zusammenhang zwischen bestimmten Impfungen, wie denen für Hepatitis B oder MMR, und Krankheiten wie multiple Sklerose oder Autismus. Es gibt jedoch einen seltenen, bekannten Zusammenhang zwischen dem Erhalt des oralen Poliomyelitis-Impfstoffs und der Ansteckung mit Polio, entweder beim Impfstoffempfänger selbst oder in dessen unmittelbarer Nähe. Den Betroffenen steht in diesem Fall eine Entschädigung zu. Der orale Lebendimpfstoff wurde 1998 in Deutschland ausgesetzt und mit dem inaktivierten, sog. Totimpfstoff ersetzt, der keine Poliomyelitis auslösen kann.
Zusätzlich zu Impfempfehlungen gibt die STIKO auch Empfehlungen bezüglich Postexpositionsprophylaxe
, die aus Immunglobulinen oder Antibiotika bestehen kann:In seltenen Fällen kann auch die Postexpositionsprophylaxe gesundheitliche Schäden verursachen. Die Versorgungsansprüche bei Betroffenheit gleichen die der Impfungen. Nähere Informationen zu Schäden durch Impfungen und deren Verantwortlichkeiten finden sich in §§ 60–68 IfSG.
Deutschland
Definition Impfschaden
Laut § 2 Nr. 11 IfSG ist ein Impfschaden „die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung“. Gemäß § 2 Nr. 11 IfSG spricht man auch dann von einem Impfschaden, „wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde“.
Treten Komplikationen auf, die „die übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung“ übersteigern, wird dies ebenfalls unter Impfschaden subsumiert.
Haftung des Arztes
Ärztliche Sorgfaltspflicht
Dem Arzt-Patienten-Verhältnis liegt gemäß dem Patientenrechtegesetz § 630a BGB regelmäßig ein Behandlungsvertrag zugrunde. Der behandelnde Arzt wird dann zum potenziellen Haftpflichtsubjekt, wenn er nicht gemäß dem Stand der medizinischen Wissenschaft im Zeitpunkt der Behandlung die Behandlung durchgeführt hat.
Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) erkennt die STIKO-Empfehlungen als Grundlage für die Beurteilung des ärztlichen Standards an. Die STIKO
orientiert sich bei ihren Impfempfehlungen an den Kriterien der evidenzbasierten Medizin. Ansprüche gegen den impfenden Arzt können entstehen, wenn der Arzt bei der Impfung gegen den Facharztstandard verstößt (§ 630a Abs. 2 BGB). Gemäß § 630a Abs. 2 BGB ist der Arzt gegenüber dem Patienten vertraglich verpflichtet, die Behandlung gemäß Facharztstandard durchzuführen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist. Ein Verstoß gegen entsprechende Standards kommt bei Impfungen z. B. bei fehlerhafter Erhebung der Anamnese, bei vorliegenden Kontraindikationen oder bei falscher Dosierung in Betracht. Um jedoch eine Haftung des Arztes zu bejahen, bedarf es nebst der ärztlichen Sorgfaltspflichtverletzung eine erfüllte Kausalität mit dem erforderlichen Beweismaß zwischen dem Behandlungsfehler und der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Patientin.
Einwilligung der Patientin und Aufklärungsfehler
Dem impfenden Arzt obliegt es, den Patienten über sämtliche für die
Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Gemäß § 630e BGB gehören dazu „insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie“. Der Behandelnde ist gemäß § 630c Abs. 2 BGB verpflichtet, „dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen“. Damit der Patient seine Zustimmung zum medizinischen Eingriff in Kenntnis der Sachlage wirksam geben kann, muss er umfassend über den medizinischen Eingriff aufgeklärt werden. Diese rechtlichen Anforderungen zur Aufklärung und rechtsgültigen Einwilligung gelten ebenso bei der Verabreichung einer Impfung.
Das Aufklärungsgespräch hat gemäß § 630e BGB mündlich zu erfolgen. Die Aufklärung muss mit klaren und verständlichen Worten so umfassend wie möglich durchgeführt werden. Gemäß Rechtsprechung wird die Schriftlichkeit nicht vorausgesetzt, jedoch muss die Aufklärung in solcher Form erfolgen, dass sich der Patient ein Bild machen kann und nachvollziehen kann, um welchen Eingriff es sich handelt, und ihm müssen die Konsequenzen des Eingriffs bewusst sein. Der Arzt muss über Risiken und Nebenwirkungen aufklären, sodass der Patient in Wahrnehmung seines Selbstbestimmungsrechtes dem körperlichen Eingriff zustimmen kann. Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten „mit klaren und verständlichen Worten so umfassend wie möglich über die Diagnose, die Therapie, die Aussichten, über die Alternativen zur vorgeschlagenen Behandlung, die Risiken der Operation, die Heilungschancen, über eine mögliche spontane Entwicklung der Krankheit“ zu informieren. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Patient auch dann über schwerwiegende Risiken aufzuklären, wenn sie sich nur selten verwirklichen.
1 „Aufklärung ist ein wichtiger Teil der Legitimation der Impfung und ihrer Praxis.“
2 Hart weist in einer aktuellen Publikation zum Thema „Zur Konkurrenz der Impfstoffe gegen
COVID-19: Aufklärung und Auswahl“ darauf hin, dass das
Infektionsschutzgesetz/das Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) und die Coronavirus-Impfverordnung „in ihrer gegenwärtiger Fassung die Patientenselbstbestimmung über die Auswahl zwischen Impfstoffen unterschiedlicher Nutzen“ begrenzen würden.
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Ärztliche Dokumentationspflicht
Ebenso ist im deutschen Patientenrechtegesetz die Dokumentation der Behandlung in § 630 f BGB geregelt. Das Aufklärungsgespräch ist ebenso gemäß § 630 f BGB zu dokumentieren.
Demnach ist der Behandelnde gemäß § 630 f Abs. 1 BGB verpflichtet, „zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen“. Maßgebend für die Ausführlichkeit der Dokumentation ist § 630 f Abs. 2 BGB: „Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen,
Einwilligungen und Aufklärungen.
Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen.“ Ebenso umfasst die Aufklärung auch Behandlungsalternativen, wenn gemäß § 630e Abs. 1 S. 3 BGB „gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können“.
Haftung des Herstellers
Für Hersteller kommen die Bestimmungen des Produkthaftungsgesetzes, des Arzneimittelgesetzes sowie die allgemeinen Haftungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Anwendung. Impfstoffe sind Arzneimittel.
In § 84 Arzneimittelgesetz (AMG) ist eine Gefährdungshaftung für Arzneimittel verankert. § 84 Abs. 1 AMG lautet:
„Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich dieses Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich verletzt, so ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht hat, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzten.“
Haftungsvoraussetzung nach § 84 AMG ist, dass durch den Impfstoff ein Mensch getötet oder sein Körper oder seine Gesundheit nicht unerheblich verletzt wurde. Nach § 84 Abs. 1 AMG ist eine Ersatzpflicht nur dann gegeben, „wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßen Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen oder der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist“. Des Weiteren sieht § 84 Abs. 2 AMG vor, falls das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalles geeignet ist, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist. Die Ersatzpflicht des pharmazeutischen Herstellers ist gemäß § 84 Abs. 3 AMG dann ausgeschlossen, „wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels ihre Ursache nicht im Bereich der Entwicklung und Herstellung haben“.
Voraussetzung für die arzneimittelrechtliche Zulassung ist die Vertretbarkeit der Risiken und Nebenwirkungen im Verhältnis zum Nutzen, also die Vertretbarkeit der Gefährdung. Neu aufgetretene, also nicht in der Fach- und Gebrauchsinformation benannte, erhebliche Risiken können Haftung des Herstellers ebenso gemäß § 84 AMG auslösen.
Zwischen der EU und den Impfstoffherstellern liegen Verträge vor, in denen sie sich verpflichten, die Kosten zu übernehmen, sofern ein Hersteller in die Haftung genommen wird. Des Weiteren ist auf das Europäische Impfinformationsportal in diesem Kontext zu verweisen.
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Amtshaftung
Beim Impfschaden gibt es Versorgungsansprüche in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in Verbindung mit dem
Infektionsschutzgesetz (IfSG). Rechtsgrundlage hierfür ist § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Gemäß § 2 Nr. 11 IfSG ist ein Impfschaden „die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung; ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.“ Dies gilt bei Pflichtimpfungen und von der jeweiligen Landesbehörde empfohlenen
Impfungen.
Schweiz
Das Bundesgericht definiert den Zweck der Impfung wie folgt: „Einen langanhaltenden Schutz des Organismus vor übertragbaren Krankheiten zu erreichen, indem durch Verabreichung von
Antigenen eines Krankheitserregers bei der geimpften Person eine Immunantwort ausgelöst, das heisst die Bildung von
Antikörpern und antigenspezifischen
T-Lymphozyten gegen den Zielerreger provoziert wird“.
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Von einem Impfschaden wird dann gesprochen, „wenn eine geimpfte Person eine über das übliche Ausmass einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung erleidet, und die Impfung damit eine eigentliche Körperverletzung bewirkt“, wobei nicht jede bekannte Impfreaktion (z. B. Rötungen, Schwellungen,
Fieber, Gliederschmerzen) oder unerwünschte Nebenwirkung (z. B. Reizbarkeit) aus rechtlicher Sicht einen Impfschaden und damit eine haftungsrechtliche Verantwortung nach sich zieht.
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Seit dem 1. Januar 2016 ist das Epidemiengesetz in Kraft. Das Gesetz wurde vom Bundesrat durch die Epidemienverordnung sowie die Verordnung über mikrobiologische Laboratorien ergänzt. Dazu existiert eine Verordnung des Eidgenössischen Departement des Inneren über die Meldung von Beobachtungen übertragbarer Krankheiten des Menschen. Das Epidemiengesetz sieht die Arbeitsteilung von Bund und Kantonen als Grundprinzip vor (Art. 4 EpG). Der Bund hat die Oberaufsicht des Vollzugs des Epidemiengesetzes und koordiniert falls nötig die kantonalen Maßnahmen.
Wann liegt ein Impfschaden vor?
Es gibt grundsätzlich keine Definition was ein Impfschaden
ist. Wie bereits darauf verwiesen wurde, spricht das Bundesamt für Gesundheit von einem Impfschaden, „wenn eine Person eine über das übliche Ausmass einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung erleidet und die Impfung damit eine eigentliche Körperverletzung (oder gar den Tod) bewirkt“.7
Aus juristischer Sicht wird der Schaden wie folgt definiert: „Schaden ist die ungewollte Verminderung des Reinvermögens. Er kann in einer Verminderung der Aktiven, einer Vermehrung der Passiven oder in entgangenen Gewinn bestehen und entspricht nach allgemeiner Auffassung der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand und dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte.“
8 Nach der Auffassung der Gutachter Kieser und Landolt „umfasst der Impffolgeschaden sämtliche geldwerten Nachteile, die als Folge einer unerwünschten Beeinträchtigung der Gesundheit im Zusammenhang mit der Anwendung oder Wirkung eines Impfserums, das behördlich angeordnet oder empfohlen worden ist, eintreten“.
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Haftpflichtrechtlich wird eine Körperverletzung dann zum Schaden, wenn sich dieser auf die Erwerbsmöglichkeiten auswirkt. Zudem muss aus haftpflichtrechtlicher Sicht ein natürlicher und kausaler Zusammenhang zwischen der ärztlichen Sorgfaltspflichtverletzung und der Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit gegeben sein.
Der medizinische Gutachter hat eine zentrale Stellung inne und hat sich darauf zu beziehen, inwieweit eine ärztliche Sorgfaltspflicht im konkreten Fall verletzt wurde und inwieweit die natürliche Kausalität zwischen einer allfälligen Sorgfaltspflichtverletzung und der gesundheitlichen Beeinträchtigung besteht bzw. welche funktionellen Einschränkungen unter einem Impfschaden zu subsumieren sind.
Aus rechtlicher Sicht kann nicht jede beliebige Impfreaktion oder unerwünschte Nebenwirkung haftungsrechtliche Verantwortlichkeiten nach sich ziehen.
Versicherungsansprüche
Sozialversicherungsrechtliche Ansprüche
Erleidet eine geimpfte Person einen Gesundheitsschaden aufgrund einer Impfung einen Impffolgeschaden, kann sie – je nach Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung und den damit verbundenen funktionellen Leistungsdefiziten – in der Regel kranken- und invalidenversicherungsrechtliche Ansprüche geltend machen. Soweit die kranken- und invalidenversicherungsrechtlichen Ansprüche das sozialversicherungsrechtliche Existenzminimum nicht decken, kann die geschädigte Person Ergänzungsleistungen zusätzlich beanspruchen.
Die Kosten der notwendigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen sind im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gedeckt, während die Invalidenversicherung Eingliederungs- und Rentenleistungen sowie beim Eintritt einer Hilfsbedürftigkeit eine Hilflosenentschädigung und einen Assistenzbeitrag sowie
Hilfsmittel vorsieht.
Je nach Einzelfall sind besondere sozialversicherungsrechtliche Ansprüche denkbar. Die obligatorische Unfallversicherung wird leistungspflichtig, wenn die geimpfte Person als Arbeitnehmerin obligatorisch unfallversichert ist und der Impffolgeschaden entweder als versicherter Unfall oder als Berufskrankheit qualifiziert werden kann.
Privatversicherungsrechtliche Ansprüche
Die sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche werden ergänzt durch allfällige privatversicherungsrechtliche Ansprüche.
Erwerbstätige Personen, die einen Impffolgeschaden erleiden, sind regelmäßig bei ihrem Arbeitgeber taggeldversichert. Der Taggeldanspruch besteht dabei für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, längstens aber während 720 Tagen.
Haftung bei Impfschäden
Impfschäden können zu einer Haftung der impfenden Person, des Impfstoffherstellers oder des Spitals sowie subsidiär zur Haftung des Bundes führen. Maßgebend sind die für den Betreffenden anwendbaren privat- oder öffentlich-rechtlichen Haftungsbestimmungen.
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Haftungsreihenfolge bei Impfschäden
Kommt es nach einer Impfung zu einer dauerhaften bleibenden Arbeitsunfähigkeit und in der Folge einer Erwerbsunfähigkeit, so spricht man in der Folge von einem schweren Gesundheitsschaden. Ist ein Impfschaden vorliegend, stellt sich die Frage nach einem potenziellen Haftpflichtigen. In der Schweiz kommen folgende potenzielle Haftungssubjekte infrage: Haftung des Impfstoffherstellers, Haftung der impfenden Person bzw. Ärztin oder des Spitals und subsidiär die Haftung des Bundes im Rahmen einer sog. Ausfallhaftung.
Die erst genannte Haftungskategorie, die Haftung des Impfstoffherstellers, stützt sich auf das Produktehaftpflichtgesetz (PrHG) bei einer Fehlerhaftigkeit des Impfstoffes. Eine Haftung liegt dann nicht vor, wenn die Fehlerhaftigkeit des Impfproduktes nach dem Stand der Wissenschaft und der Technik zum Zeitpunkt, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, nicht erkannt werden konnte.
Die Haftung des Arztes beurteilt sich primär nach dem Auftragsrecht gemäß Obligationenrecht. Analog gelten bei einem öffentlichen Spital kantonal staatshaftungsrechtliche Vorgaben. Gemäß Heilmittelgesetz unterliegen auch Apotheker und Apothekerinnen analog den ärztlichen Sorgfaltspflichten beim Impfen.
11 Eine Haftung ist nur dann gegeben, wenn eine Sorgfaltspflichtverletzung
gegeben ist und die übrigen Haftungsvoraussetzungen ebenso gegeben sind, wie im vertraglichen Verhältnis die Vertragsverletzung, ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang und ein Verschulden. Bei der Staatshaftung wird die Vertragsverletzung durch die erfüllte Widerrechtlichkeit ersetzt.
In der Schweiz kommt die Ausfallhaftung zum Zug, wenn weder der Impfstoffhersteller haftet, noch die impfende Person und die Folgen von Impfschäden nicht oder nicht vollständig durch die Sozial- und Privatversicherungen übernommen werden.
Haftung des Arztes
Allfällige Haftungsansprüche kommen im Einzelfall gegenüber der impfenden Ärztin infrage. Im Gegensatz zu Ärzten von öffentlich-rechtlichen Spitälern oder kantonalen Impfzentren, deren mögliche Haftung basierend auf dem kantonalen Verantwortlichkeitsgesetz in der Schweiz zu prüfen ist, ist die Haftung des privatrechtlich tätigen Arztes gemäß dem Schweizerischen Obligationenrecht zu beurteilen.
Ärztliche Sorgfaltspflicht
Der impfende Arzt haftet bei einer Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht. Der Arzt hat in Rahmen seiner Anamnese,-Untersuchungs- und Diagnosesorgfaltspflicht zu beurteilen, ob auf Grund der konkreten Umstände eine Impfung erforderlich ist bzw. ob die Verabreichung der Impfung lege artis indiziert ist.
Das schweizerische Bundesgericht hat die Anforderungen an die ärztliche Sorgfalt mittels Rechtsprechung ausgearbeitet und präzisiert. So das Bundesgericht: „Nach der Rechtsprechung liegt die Besonderheit der ärztlichen Kunst darin, dass der Arzt mit seinem Wissen und Können auf einen erwünschten Erfolg hinzuwirken hat, diesen aber nicht herbeiführen oder gar garantieren muss. Die Anforderungen an die dem Arzt zuzumutende Sorgfaltspflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalles, namentlich nach der Art des Eingriffs oder der Behandlung, den damit verbundenen Risiken, dem Beurteilungs- und Bewertungsspielraum, der dem Arzt zusteht, sowie den Mitteln und der Dringlichkeit der medizinischen Massnahme. Die zivilrechtliche Haftung des Arztes beschränkt sich dabei nicht auf grobe Verstösse gegen die Regeln der ärztlichen Kunst. Vielmehr hat er Kranke stets fachgerecht zu behandeln, zum Schutze ihres Lebens oder ihrer Gesundheit insbesondere die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt zu beachten, grundsätzlich folglich für jede Pflichtverletzung einzustehen.“
12 Das Bundesgericht präzisiert: „Der Arzt verletzt seine Sorgfaltspflichten nur dort, wo er eine Diagnose stellt bzw. eine Therapie oder ein sonstiges Vorgehen wählt, das nach dem allgemeinen fachlichen Wissensstand nicht mehr als vertretbar erscheint und daher den objektivierten Anforderungen der ärztlichen Kunst nicht genügt.“
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Einwilligungs- und Aufklärungsfehler
Die Impfung, d. h. das Verabreichen des Impfstoffes, ist ein Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten. Es muss entweder eine rechtsgültige
Einwilligung vorliegen oder – sofern ausnahmsweise ein Impfobligatorium besteht – die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Die Einwilligung kann ausdrücklich, konkludent oder nach der Rechtsprechung sogar hypothetisch erfolgen.
Eine
Einwilligung ohne vorgängige rechtsgültige Aufklärung hat die Widerrechtlichkeit des medizinischen Eingriffs zur Folge.
Der impfende Arzt muss nicht nur eine lege artis korrekte Verabreichung der Impfung sicherstellen, sondern die zu impfende Person umfassend aufklären, ihr die vorliegenden Fachinformationen verständlich vermitteln und über mögliche Risiken der Impfung umfassend informieren. Dabei sind alle zugänglichen Informationen zu berücksichtigen, insbesondere über mögliche, noch nicht bekannte Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären.
Der Umfang der
Eingriffsaufklärung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Als Grundregel gilt, dass der Patient über Art und Risiken der in Aussicht genommenen Behandlungsmethode in einem Umfang aufzuklären ist, damit er seine
Einwilligung in Kenntnis der Sachlage geben kann. Ebenso ist der Arzt verpflichtet über einen Off-label-Use aufzuklären und die Risiken aufzuzeigen. Eine Aufklärung darf nur dann unterbleiben, wenn es sich um alltägliche Maßnahmen handelt, die keine besondere Gefahr und keine endgültige oder länger dauernde Beeinträchtigung der körperlichen Integrität mit sich bringen, oder wenn der Patient bei früherer Gelegenheit bereits dieselbe oder eine ähnliche Behandlung erfahren hat.
Das Epidemiengesetz verpflichtet Ärzte und weitere Gesundheitsfachpersonen dazu, im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Umsetzung des nationalen Impfplans beizutragen. Sie informieren die von den Impfempfehlungen betroffenen Personen über den nationalen Impfplan.
Ärztliche Dokumentationspflicht
Gemäß Rechtsprechung soll die Dokumentation die korrekte Behandlung sicherstellen, namentlich auch bei der Behandlung durch mehrere Personen oder bei Arztwechsel.
14 Die ärztliche Sorgfaltspflicht umfasst eine „sogenannte vollständige Krankengeschichte“. Die Krankengeschichte soll so abgefasst sein, „dass über die wirklichen Geschehnisse informiert und Irreführungen oder Missverständnisse vermieden werden.“
15 Aus haftungsrechtlicher Sicht ist die Führung einer korrekten und vollständigen Krankengeschichte ein wichtiges Beweissicherungsmittel, das in einem potenziellen Haftpflichtfall „Schutzwirkung“ zugunsten der Ärztin entfaltet.
Haftung des Herstellers
Die Haftung des Arzneimittelherstellers bzw. -importeurs richtet sich nach dem Bundesgesetz über die Produktehaftpflicht vom 18. Juni 1993. Der Hersteller/Importeur eines Arzneimittels haftet ohne Verschulden für den Personen- oder Sachschaden, der durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht worden ist.
Gestützt auf das Produktehaftpflichtgesetz (PrHG) haftet ein Impfstoffhersteller, wenn der Impfstoff fehlerhaft ist, weil z. B. ein Konstruktions- oder Fabrikationsfehler vorliegend ist, und wenn bei korrekter Anwendung ein Impfschaden kausal verursacht wird.
Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die der Durchschnittskonsument unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist; insbesondere sind zu berücksichtigen:
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Die Art und Weise, in der es dem Publikum präsentiert wird
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Der Gebrauch, mit dem vernünftigerweise gerechnet werden kann
-
Der Zeitpunkt, in dem es in Verkehr gebracht wurde
Die schweizerische Rechtsprechung nimmt zurückhaltend einen Produktefehler an. Ausnahmen von der Haftung gemäß dem Produktehaftpflichtgesetz liegen unter anderem dann vor, wenn der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, in dem der Impfstoff in Verkehr gebracht wurde, nicht hat erkannt werden können (Art. 5 Abs. 1e PrGH).
Ein aktueller Entscheid hat sich im Zusammenhang mit der umstrittenen Frage befasst, ob die Schwangerschaftsverhütungspille im Zeitpunkt der Einnahme fehlerhaft war. Das Bundesgericht unterschied einerseits zwischen rezept- und nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln, und andererseits hob es die Unterscheidung zwischen der Fach- und der Patienteninformation hervor.
16 Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab; denn gemäß dem Produktehaftpflichtgesetz sei ein Produkt nur dann fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit biete, die man unter Berücksichtigung aller Umstände erwarten könne. Ein Fehler liege dann vor, wenn das Produkt nicht mit einer geeigneten Information zu den Risiken für den Konsumenten versehen wird. Bei rezeptpflichtigen Medikamenten sei davon auszugehen, dass der Patient nicht über das ausreichende Fachwissen verfüge. Das Wissen des Arztes sei daher einzubeziehen. Der Arzt habe die Risiken abzuwägen und auch die Chancen im Hinblick auf die konkrete Anwendung. Deshalb sei aus diesem Grunde nicht zu beanstanden, dass auf das allenfalls höhere Risiko einer Embolie im Vergleich zu früheren Produkten nur in der Fachinformation für Ärzte hingewiesen wurde, nicht aber in der Patienteninformation.
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Amtshaftung
Haftung für rechtswidrige Impfobligatorien
Die Kantone können
Impfungen von gefährdeten Bevölkerungsgruppen, von besonders exponierten Personen und von Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären, sofern eine erhebliche Gefahr besteht. Zur Feststellung, ob eine erhebliche Gefahr besteht, beurteilen die zuständigen kantonalen Behörden folgende Faktoren:
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Schweregrad einer möglichen Erkrankung sowie das Risiko einer Weiterverbreitung der Krankheit
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Gefährdung besonders verletzbarer Personen
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Epidemiologische Situation auf kantonaler, nationaler und internationaler Ebene unter Einbezug des BAG
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Zu erwartende Wirksamkeit eines allfälligen Impfobligatoriums
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Eignung und Wirksamkeit anderer Maßnahmen zur Eindämmung der Gesundheitsgefahr
Ein Impfobligatorium
für Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, insbesondere in Gesundheitseinrichtungen, ist auf diejenigen Bereiche zu beschränken, in denen das Risiko einer Weiterverbreitung der Krankheit erhöht ist oder in denen besonders verletzbare Personen gefährdet sind. Ein Impfobligatorium muss sodann zeitlich befristet sein; die Impfung darf schließlich nicht mittels physischem Zwang erfolgen.
Ausfallhaftung
In Art. 64–69 Epidemiengesetz (EpG) ist das Verfahren für Gesuche um finanzielle Entschädigung und Genugtuung bei Schäden aus Impffolgen geregelt. Eine Entschädigung für Impfschäden durch den Bund kommt nur bei
Impfungen in Betracht, die behördlich empfohlen oder angeordnet waren (Art. 64 EpG). Zudem wird eine Entschädigung nur gewährt, wenn der Schaden nicht durch weitere Haftungssubjekte gedeckt wird (subsidiäre Haftung). Das heißt konkret: Eine geschädigte Person hat nur dann Anspruch auf eine Entschädigung, wenn der Schaden nicht bereits durch Dritte gedeckt wurde, z. B. durch eine Ärztin oder einen Arzt (Arzthaftung), den Impfstoffhersteller (Produktehaftung) oder eine Versicherung (Sozial- oder Privatversicherung).
Es handelt sich nicht um eine sogenannte Billigkeitsdeckung, sondern um eine Deckung für Impfschäden, d. h. für alle schädlichen Folgen, die mit der Impfung im Zusammenhang stehen. Gemäß Art. 64 Abs. 1 EpG leistet der Bund bei Impfschäden eine Entschädigung oder Genugtuung (letztere in der Höhe von höchstens CHF 70.000).
Die Entschädigung durch den Bund will damit die Folgen für Betroffene mildern, wenn Dritte (z. B. impfende Person, Hersteller) nicht haften. Dieser Anspruch auf Entschädigung durch den Bund wird grundsätzlich in jedem Einzelfall geprüft.
Österreich
In Österreich spricht man von einem Impfschaden, „wenn nach einer sachgerechten Impfung eine bleibende Schädigung auftritt“.
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Haftung bei Impfschäden
Haftung des Arztes
Ebenso wie in der Schweiz als auch in Deutschland ist der impfende Arzt bei einem vorliegenden Impfschaden ein potenzielles Haftungssubjekt. Der Arzt und die Patientin schließen einen sog. ärztlichen Behandlungsvertrag ab.
Die lege artis durchgeführte Behandlung, eine ordnungsgemäße Aufklärung und eine ordnungsgemäß geführte Krankengeschichte sind die zu prüfenden haftungsrechtlichen Parameter.
Ärztliche Sorgfaltspflicht
Der Arzt ist verpflichtet, seinen Patienten nach bestem Wissen und Gewissen und unter Beachtung der Verschwiegenheitspflicht zu behandeln. Eine allfällige ärztliche Sorgfaltspflichtverletzung nach einem Impfschaden ist gutachtlich zu klären. Der Arzt ist im Rahmen der Behandlung verpflichtet, den Patienten nach dem Stand der Wissenschaft zu behandeln. „Unter einem
Behandlungsfehler kann allgemein die Außerachtlassung jener Sorgfalt verstanden werden, deren Anwendung im konkreten Fall objektiv geboten gewesen wäre (vgl. § 1299 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, ABGB) und für die der Arzt bei einer deswegen erfolgten Schädigung des Patienten haftet. Der Sorgfaltsmaßstab, der an den Arzt angelegt wird, ergibt sich insbesondere aus § 1299 ABGB und § 49 Abs. 1 Ärztegesetz. Ein Fehlverhalten liegt demnach vor, wenn der Arzt die übliche Sorgfalt eines ordentlichen, pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigt hat oder nicht nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen ist.“
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Einwilligungs- und Aufklärungsfehler
Der Arzt ist im Rahmen der Behandlung verpflichtet, den Patienten über Untersuchungs- und Behandlungsergebnisse zu informieren, ihn über sämtliche Eingriffe und Therapien ausreichend aufzuklären und den Behandlungsablauf inklusive der durchgeführten Aufklärung ordnungsgemäß zu dokumentieren.
Die ärztliche Aufklärung bildet die Grundlage für eine rechtsgültige
Einwilligung des Patienten in die ärztliche Behandlung. Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Erklärung zu überschauen.
20 Die durchgeführte Aufklärung soll die für die Entscheidung der Patientin maßgebenden Kriterien liefern. Nur lege artis aufgeklärte Patienten können in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrecht über ihre Gesundheit frei entscheiden. Findet eine dem Eingriff angemessene Grundaufklärung nicht statt, so kann kein rechtswirksames Einverständnis erteilt werden und der körperliche Eingriff stellt eine Körperverletzung dar.
21 Die Empfehlungen der STIKO am
Robert Koch-Institut (RKI) sind eine Grundlage für die Impfaufklärung. Diese entbinden aber den Arzt nicht davon, den Patienten individuell und entsprechend dem neuesten Stand der Wissenschaft und der aktuellen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aufzuklären.
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Der österreichische Oberste Gerichtshof befasste sich in einem Grundsatzurteil 2008 mit einem Impfschaden. Ein zehnjähriger Knabe erblindete infolge einer Hepatitis-B-Impfung – es war eine Schulimpfung – fast vollständig. Als Ursache für die Erblindung wurde eine
Optikusneuritis erkannt. Diese mögliche Komplikation ist bei der Vornahme von Hepatitis-B-Impfungen bekannt. Eine Aufklärungspflichtverletzung wurde bestätigt, da die Mutter glaubhaft darlegen konnte, dass sie ihr Kind bei ordnungsgemäßer Aufklärung über diese Komplikation nicht impfen hätte lassen.
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Ärztliche Dokumentationspflicht
In Österreich ist die Dokumentationspflicht im Ärztegesetz verankert: „Der Arzt ist verpflichtet, Aufzeichnungen über jede zur Beratung oder Behandlung übernommene Person, insbesondere über den Zustand der Person bei Übernahme der Beratung oder Behandlung, die Vorgeschichte einer Erkrankung, die Diagnose, den Krankheitsverlauf sowie über Art und Umfang der beratenden, diagnostischen oder therapeutischen Leistungen einschließlich der Anwendung von Arzneispezialitäten und der zur Identifizierung dieser Arzneispezialitäten und der jeweiligen Chargen im Sinne des § 26 Abs. 8 des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983, erforderlichen Daten zu führen und hierüber der beratenen oder behandelten oder zu ihrer gesetzlichen Vertretung befugten Person alle Auskünfte zu erteilen. Der Arzt ist verpflichtet, dem Patienten Einsicht in die Dokumentation zu gewähren oder gegen Kostenersatz die Herstellung von Abschriften zu ermöglichen.“
24 Ebenso wie in der Schweiz und Deutschland hat die im Ärztegesetz verankerte ärztliche Dokumentationspflicht in Österreich eine wichtige beweissicherungsrechtliche Funktion in einem potenziellen Haftpflichtfall und dient ebenso der Behandlungssicherheit.
Haftung des Herstellers
Zusätzlich steht als weiterer Haftpflichtiger eine Haftung des Impfstoffherstellers bei einem Impfschaden zur Diskussion. Der Impfstoffhersteller ist wie in der Schweiz und auch in Deutschland gegenüber dem geschädigten Patienten ein potentielles Haftungssubjekt. Die Haftung des Impfstoffherstellers kommt dann zum Tragen, wenn der geltend gemachte Schaden nachweislich auf den Impfstoff zurückzuführen ist und ein Produktfehler vorliegt, für den der Hersteller nach dem Produkthaftungsgesetz haftpflichtig gemacht werden kann.
Der Impfstoffhersteller, der einen Impfstoff in der EU in den Verkehr bringt, hat die Marktzulassung für den Impfstoff bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) einzureichen.
Amtshaftung
In Österreich sind Impfschäden eigens im Impfschadengesetz von 1973 geregelt. Es fällt in den Zuständigkeitsbereich des Bundes gemäß Impfschadengesetz und der dazu gehörenden Verordnung über empfohlene
Impfungen zur Abwehr einer Gefahr für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung im Interesse der Volksgesundheit zu handeln. Der Oberste Sanitätsrat des Bundesministerium für Gesundheit publiziert jährlich einen
Impfkalender mit Impfempfehlungen.
25 In Österreich sind Impfstoffe gemäß dem Arzneimittelgesetz zugelassen.
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Nach dem Impfschadengesetz kann der Bund haftbar gemacht werden. Ob ein Anspruch besteht, wird im konkreten Fall gutachtlich geklärt. Eine Haftung gemäß Impfschadengesetz könnte auch dann gegeben sein, wenn eine Off-Label-Anwendung eines Impfstoffes vom Nationalen Impfgremium empfohlen wurde.
Die entscheidende Rolle spielt die Beurteilung des Gutachters bzw. der Gutachter. Die Gutachter müssen schlüssig darlegen, ob ein plausibler Zusammenhang zwischen Impfung und Schaden gegeben ist. Dabei muss nicht bewiesen werden, dass die Impfung den Schaden tatsächlich verursacht hat. Es muss laut Gesundheitsministerium zumindest „ein wahrscheinlicher Zusammenhang“ bestehen.
27 Man spricht von einer Kausalitätswahrscheinlichkeit
.
Demnach haben Personen, die einen Impfschaden erlitten haben, Anspruch gemäß dem Impfschadengesetz, sofern die im Gesetz verankerten Voraussetzungen erfüllt werden.
Unberührt von der Entschädigung nach dem Impfschadengesetz bestehen Schadenersatzansprüche im Rahmen der Amtshaftung.
Schlussbemerkung
Die Beurteilung und Abwicklung von Impfschäden wird aus rechtsvergleichender Sicht auf die Parameter der Arzthaftung, Haftung des Herstellers und der Haftung des Staates gemäß innerstaatlicher Gesetzesgrundlagen gestellt. Präjudizien zum Thema Impfschaden sind in den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz rar.
Die Thematik Impfschaden ist im europäischen Kontext zu sehen, denn nationale und europäische Gesetzgebung sind eng miteinander verwoben. In diesem Kontext ist auf ein kürzlich ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hinzuweisen. In diesem Grundsatzurteil bezog der EGMR Stellung, inwieweit eine grundrechtliche Schutzpflicht des Staates bei
Impfungen gegeben sei. Gemäß dem EGMR verfolge die Impfpflicht das legitime Ziel des Schutzes der Gesundheit sowie der Rechte und Freiheiten anderer.
Die
Gesundheitspolitik falle in den Ermessensspielraum der innerstaatlichen Behörden. Es liege ein allgemeiner Konsens vor, dass
Impfungen zu den erfolgreichsten und kosteneffizientesten Gesundheitsvorkehrungen zählen würden und dass jeder Staat den höchstmöglichen Grad von Impfungen der Bevölkerung als Ziel anstreben sollte. Hinsichtlich der Mittel sei ein Spektrum von verschiedensten Strategien gegeben. Dies würde von bloßen Empfehlungen reichen bis zu rechtlichen Verpflichtungen. Der Eingriff der Impfung sei demnach verhältnismäßig, da sich die Impfpflicht auf Krankheiten beziehe, bei denen die Wissenschaft diese als wirksam und effizient ansehe, aber die Impfpflicht nicht zwangsweise durchgesetzt werden könne und keine absolute Gültigkeit habe.
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Aus dem fast 100-seitigen Urteil werden abschließend zwei Direktzitate wiedergegeben, aus denen grundlegende Überlegungen des EGMR hervorgehen.
„As for the effectiveness of vaccination, the Court refers once again to the general consensus over the vital importance of this means of protecting populations against diseases that may have severe effects on individual health, and that, in the case of serious outbreaks, may cause disruption to society.“ Des Weiteren, so der EGMR: „The Court accepts that the exclusion of the applicants from preschool meant the loss of an important opportunity for these young children to develop their personalities and to begin to acquire important social and learning skills in a formative pedagogical environment. However, that was the direct consequence of the choice made by their respective parents to decline to comply with a legal duty, the purpose of which is to protect health, in particular in that age group. Moreover, the possibility of attendance at preschool of children who cannot be vaccinated for medical reasons depends on a very high rate of vaccination among other children against contagious diseases. The Court considers that it cannot be regarded as disproportionate for a State to require those for whom vaccination represents a remote risk to health to accept this universally practised protective measure, as a matter of legal duty and in the name of social solidarity, for the sake of the small number of vulnerable children who are unable to benefit from vaccination. In the view of the Court, it was validly and legitimately open to the Czech legislature to make this choice, which is fully consistent with the rationale of protecting the health of the population. The notional availability of less intrusive means to achieve this purpose, as suggested by the applicants, does not detract from this finding.“