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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 11.11.2022

Krankheiten der Atmungsorgane: Traumatische Thoraxverletzungen

Verfasst von: Henrike Rohlfing und Norman Schöffel
Traumatische Verletzungen des Brustkorbs und der Lunge entstehen vorrangig durch stumpfe oder spitze Gewalteinwirkung. Gehäuft treten sie bei polytraumatisierten Patienten im Rahmen von Verkehrs- oder Arbeitsunfällen auf. Hierbei ist nicht nur die Schwere der Verletzung, sondern auch die umgehende Einleitung von Therapiemaßnahmen entscheidend für Morbidität und Mortalität des Betroffenen. Während isolierte Rippenfrakturen in der Regel folgenlos abheilen, können komplexe und kombinierte Thorax- und/oder Lungenverletzungen zu einer erheblichen akuten als auch chronischen Funktionseinschränkung des Atmungsapparats führen. Abhängig von den daraus resultierenden, unfallabhängigen Funktionsstörungen muss die Minderung der Erwerbsfähigkeit beurteilt werden.

Anatomie und Funktion

Der Atmungsapparat besteht aus der funktionellen Einheit von knöchernem Thorax mit Interkostalmuskulatur, Pleura, Zwerchfell, Lunge und Atemwegen. Der Thorax ist von innen mit der Pleura parietalis ausgekleidet. Die Lunge wird von der Pleura visceralis umspannt. Dazwischen liegt eine Gleitschicht aus seröser Flüssigkeit. Bei der Inspiration wird der Thorax durch Kontraktion bzw. Relaxation der Atemmuskulatur (d. h. Zwerchfell und Interkostalmuskulatur) aktiv vergrößert. Die Lunge wird folgend passiv erweitert bzw. entfaltet, da sie durch Adhäsionskräfte an der Thoraxwand gleitend haftet. Nach Überwindung der initialen Atemwegswiderstände kann so durch Erzeugung eines Unterdrucks Luft in die Lunge aufgenommen werden. Folgend findet in den Alveolen über das dünnschichtige Epithel ein Gasaustausch entsprechend eines Gasdruckgradienten statt. Sauerstoff wird aufgenommen, Kohlendioxid abgegeben. Bei der Exspiration kann die Lunge den Thorax durch passive Rückstellkräfte verkleinern. Die „verbrauchte“ Luft wird abgeatmet (Maclean et al. 2016; Pacheco et al. 2016; Schulz-Drost et al. 2018; Cruces et al. 2017; Chen et al. 2019).
Darüber hinaus gibt es eine Atemhilfsmuskulatur (Bauch-, Brust- und Schultergürtelmuskulatur). Diese unterliegt vorrangig der somatischen Kontrolle und dient bei forcierter Atmung der Unterstützung der Atemmechanik. Bei krankhaften Veränderungen der Lunge oder Verletzungen des Atemapparats können akute und langfristige Einschränkungen des respiratorischen Systems entstehen, die mit einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers einhergehen (Schulz-Drost et al. 2018; Zhang et al. 2016; Ota et al. 2018).

Verletzungen durch stumpfe oder spitze Gewalt

Verletzungen am Atmungsapparat entstehen vorrangig durch stumpfe oder penetrierende Gewalteinwirkung. Diese können als singuläre Verletzung auftreten, aber auch im Rahmen von Mehrfachverletzungen beim Polytrauma. Bei polytraumatisierten Patienten ist das Thoraxtrauma eine der häufigsten Begleitpathologien. Annähernd 50 % der Betroffenen erleiden eine Thoraxverletzung. Morbidität und Mortalität eines polytraumatisierten Patienten sind maßgeblich abhängig von der Schwere des Thoraxtraumas und der umgehenden Therapie (Schulz-Drost et al. 2018; Zhang et al. 2016; Ota et al. 2018; Powell et al. 2019; Schulz-Drost et al. 2016).

Verletzungen des Thorax, der Rippen

Die Fraktur einer Rippe bzw. mehrerer Rippen stellt bzw. stellen die häufigste traumatische Verletzung des Thorax dar. Im akuten Stadium der Verletzung wird durch den Schmerz die Atemmechanik beeinträchtigt. Einzelne Rippenfrakturen bedürfen bei kongruenter Rippenstellung und unverletzter Pleura jedoch keiner weiteren operativen Therapie und heilen in der Regel folgenlos ab. Die Therapie ist konservativ, bestehend aus suffizienter Schmerz- sowie Atemtherapie zur Pneumonieprophylaxe (Dhar et al. 2020; Lyra 2016; D’Souza et al. 2017; Dogrul et al. 2020).
Ausgedehnte Serienbrüche von Rippen, auch ggf. in Kombination mit Klavikula- oder Sternumfrakturen, können zu einem instabilen Thorax führen. Dieser geht im akuten Stadium mit einer schweren Beeinträchtigung der Atemmechanik einher. Zudem kann es infolge der Rippenfrakturen begleitend zu einem Hämato- oder Pneumothorax sowie zu Lungenparenchymverletzungen kommen. In Abhängigkeit vom Ausmaß der Schwere der Verletzung sind dann mitunter eine invasive Beatmung, eine operative Therapie mit osteosynthetischer Versorgung der Rippen- und Begleitfrakturen mit Stabilisierung der Brustwand sowie die Einlage von Thoraxdrainagen notwendig. Aufgrund der längerfristig gestörten Atemmechanik bei schweren Thoraxverletzungen steigt das Risiko für einen komplikativen Verlauf mit potenziell fatalen Folgen. Allgemein gilt, dass das Ausmaß der Verletzung, das Alter des Patienten sowie vorbestehende Lungenerkrankungen dabei direkt mit Morbidität und Mortalität korrelieren. So besteht in der Akutphase ein hohes Risiko für die Ausbildung einer hypostatischen Pneumonie. Dieses erhöht sich zusätzlich bei invasiver Beatmung. Im Rahmen einer Pneumonie oder eines reaktiven Pleuraergusses kann sich die Gesamtfunktion der Lunge bis hin zum akuten Versagen der Lungenfunktion (d. h. ARDS) verschlechtern. Auch langfristig kann hierdurch eine obstruktive oder restriktive Ventilationsstörung verursacht oder aggraviert werden. Bei in Fehlstellung verheilten Rippenfrakturen, mit unter Umständen ausgeprägten Deformitäten des Thorax, kann eine restriktive Ventilationsstörung persistieren. Zudem wird die Entstehung eines chronischen Schmerzsyndroms begünstigt (Dhar et al. 2020; Lyra 2016; Dogrul et al. 2020; Bekker et al. 2018; Kim et al. 2017; Kumar et al. 2017; Lim et al. 2017).

Verletzungen der Pleura, Pneumothorax

Die Verletzung des Brustfells (Pleura) mit der Folge eines Pneumothorax oder Hämatothorax ist eine häufige Folge nach einem Thoraxtrauma. Es kommt beim Pneumothorax zu einem mehr oder weniger plötzlichen Kollaps eines Lungenflügels, der dann nur noch stark eingeschränkt am Gasaustausch teilnimmt und darüber hinaus auch die Atemmechanik des gegenüberliegenden Lungenflügels negativ beeinflussen kann. Junge und gesunde Menschen mit hohen respiratorischen und kardiozirkulatorischen Reserven können dies in der Regel problemlos in Ruhe kompensieren. Bei Menschen mit entsprechenden Vorerkrankungen können die Organreserven jedoch in kurzer Zeit ausgeschöpft sein, und es kommt zur respiratorischen bzw. kardiozirkulatorischen Insuffizienz. Zudem kann jeder Pneumothorax zu einem lebensbedrohlichen Spannungspneumothorax werden. Hierbei gelangt Luft über eine Verletzung der Pleura in den Pleuraspalt, ohne aus diesem wieder entweichen zu können. In der Folge kommt es zur intrathorakalen Druckzunahme mit Verdrängung des Mediastinums zur Gegenseite und Verminderung des venösen Blutrückstroms zum Herzen. Unbehandelt kann dies innerhalb von wenigen Minuten zum Tode führen (Schulz-Drost et al. 2018; Ota et al. 2018; Schulz-Drost et al. 2016; Lim und Park 2018; Trinci et al. 2019; Spahn et al. 2019; Majercik und Pieracci 2017).
Ein Hämatothorax entsteht traumatisch bedingt durch Verletzungen der Interkostalgefäße nach Rippenfrakturen als auch durch Blutungen aus Parenchymverletzungen der Lunge. Mitunter kann es zu einem massiven Blutverlust mit Ausbildung eines lebensbedrohlichen hypovolämischen Schocks kommen. Im akuten Stadium muss dann eine Thoraxdrainage umgehend eingelegt werden. Ein hoher Blutverlust mit persistierender Blutung sollte zeitnah operativ versorgt werden. Auch sollte dann die Blutungsursache behandelt werden (Ota et al. 2018; Powell et al. 2019; Schulz-Drost et al. 2016; Lim und Park 2018).
Davon abzugrenzen ist der Spontanpneumothorax, der ohne einen erkennbaren Anlass auftritt. Manchmal kommt es zu einer zeitlichen Koinzidenz mit Bagatelltraumen (z. B. durch Stoß gegen den Thorax, Anheben von Lasten, starkes Pressen oder Husten). Normale Druckschwankungen kann eine gesunde Lunge jedoch problemlos kompensieren. Nur bei erheblichen Traumata kann das Parenchym einreißen. Bestehen jedoch krankhafte Veränderungen der Pleura oder des subpleuralen Lungengewebes wie emphysematöse Veränderungen, Narben oder Fibrosen sind diese die eigentlichen Ursachen des Pneumothorax. Eine Berufskrankheit wie die Silikose oder Asbestose kann aber auch ursächlich für einen spontanen, dann aber sekundären Pneumothorax sein (D’Souza et al. 2017; Kumar et al. 2017; Lim et al. 2017; Filosso et al. 2019; Justin et al. 2017).
Wenn jedoch kein Grundleiden festzustellen ist, spricht man von einem idiopathischen Spontanpneumothorax und geht von einer konstitutionellen „Schwäche“ der Pleura aus. In diesem Zusammenhang sieht man eine familiäre Häufung und wiederholende Ereignisse. Dieses Krankheitsbild kann gutachterlich sehr schwierig zu beurteilen sein. Das im beruflichen Zusammenhang angeschuldigte Ereignis muss gravierend sein, und eine schwere körperliche Überbelastung muss dem vorausgegangen sein, um in Ausnahmefällen eine berufliche Ursache anzuerkennen (Dhar et al. 2020; Lyra 2016; Dogrul et al. 2020; Bekker et al. 2018; Kumar et al. 2017; Justin et al. 2017; Gautam und O’Toole 2016).
Eine gewöhnliche körperliche Belastung oder ein Bagatelltrauma stellen nur einen zufälligen Auslöser des Spontanpneumothorax dar (AWMF 2018).

Verletzungen des Zwerchfells

Eine Verletzung des Zwerchfells kann potenziell durch ein entsprechendes Thoraxtrauma verursacht werden. Zumeist liegt diesem aber ein stumpfes abdominelles Trauma zugrunde (z. B. Verkehrsunfall mit Aufprall des Abdomens auf das Lenkrad). Durch den plötzlichen abdominellen Druckanstieg wird die Grenze der Organelastizität des Zwerchfells überschritten. In der Mehrzahl der Fälle kommt es zur Verletzung der linken Zwerchfellseite, da die Leber eine gewisse Schutzfunktion hat. Beidseitige Zwerchfellrupturen sind äußerst selten. Bei Einrissen des Zwerchfells kommt es häufig zu einer begleitenden Verletzung der Pleura parietalis. Zudem kann es zur Verlagerung von Bauchorganen in den Brustkorb kommen (sog. Enterothorax). Die Symptome bestehen aus einem heftigen, mit dem Trauma zusammenhängenden Schmerz und plötzlicher Atemnot. In der Bildgebung (Computertomografie) zeigen sich dann häufig ein Pneumothorax und ein Enterothorax. Eine umgehende operative Therapie mit Drainage des Thorax und Naht des Zwerchfells ist durchzuführen. Kleinere Einrisse des Zwerchfells können oligosymptomatisch sein und werden daher häufig übersehen oder verspätet entdeckt. Hiervon abzugrenzen sind dann Zwerchfellhernien, die keine traumatische Genese haben. Diese entstehen in Bereichen von angeborenen Zwerchfellschwachstellen. Charakteristisch für Hernien sind ein Bruchsack, der mit Peritoneum ausgekleidet ist, und ein Bruchsackhals (Ota et al. 2018; Powell et al. 2019; Kim et al. 2017; Kumar et al. 2017; Lim et al. 2017; Majercik und Pieracci 2017; Reske et al. 2011).
Langfristig können traumatische Zwerchfellverletzungen durch Zwerchfelllähmung zu einem Zwerchfellhochstand führen, der die Atemmechanik beeinträchtigen kann. Häufig fällt dieser jedoch erst als Zufallsbefund im Rahmen von Röntgendiagnostik in einem anderen Zusammenhang auf (Ota et al. 2018; Powell et al. 2019; Kim et al. 2017; Kumar et al. 2017; Lim et al. 2017; Majercik und Pieracci 2017; Reske et al. 2011).

Verletzungen der Lunge

Eine Lungenkontusion unterschiedlicher Schwere entsteht bei nahezu jedem Thoraxtrauma. Schon eine leichte Prellung oder Erschütterung kann deshalb zu einer traumatischen Pneumonie führen. Ursächlich hierfür ist eine posttraumatische Hypersekretion in den Bronchien. Diese führt durch Verlegung der Atemwege zu Teil-/Atelektasen. In diesen können sich dann vorrangig bakterielle Erreger vermehren. Kleinere Einblutungen ins Lungengewebe, die als Verschattungen in den Röntgenaufnahmen sichtbar sein können, spielen hierbei insbesondere zum Nachweis einer Kontusionspneumonie eine große Rolle. Hiervon abzugrenzen ist die Aspirationspneumonie infolge eines Traumas nach Bewusstlosigkeit oder Verletzungen des Gesichtsschädels. Bleibt ein aspirierter Fremdkörper im Bronchus liegen, kann dieser nicht nur zu einer Pneumonie führen, sondern auch zu Lungenabszessen und rezidivierenden Pneumonien. Auch kann dies der Ausgangspunkt für eine schwere chronisch obstruktive Lungenerkrankung sein (Dhar et al. 2020; Lyra 2016; D’Souza et al. 2017; Bekker et al. 2018; Filosso et al. 2019; Justin et al. 2017).
Bei schweren traumatischen Zerreißungen des Lungengewebes kann eine notfallmäßige, operative Resektion von Lungengewebe notwendig sein. Der Verlust von funktionstüchtigem Lungengewebe kann insbesondere bei einer vorgeschädigten Lunge dazu führen, dass die pulmonale bzw. kardiozirkulatorische Organreserve überschritten wird (Dhar et al. 2020; Lyra 2016; D’Souza et al. 2017; Dogrul et al. 2020; Kumar et al. 2017).
Tracheal- oder Bronchusrupturen sind schwerste Verletzungen mit einer hohen Letalität. Kardinalsymptom ist ein ausgedehntes Mediastinalemphysem. Eine notfallmäßige operative Therapie mit Naht der Verletzung ist indiziert. Mitunter ist eine einseitige Pneumektomie notwendig. Eine begleitende Ösophagusruptur muss stets ausgeschlossen werden (Endoskopie) (Dhar et al. 2020; Lyra 2016; D’Souza et al. 2017; Dogrul et al. 2020; Kim et al. 2017; Kumar et al. 2017; Majercik und Pieracci 2017).

Gutachterliche Bewertung

Umschriebene Lungenverletzungen wie auch einzelne Rippenfrakturen heilen in der Regel folgenlos aus und verursachen keine bleibende Erwerbsminderung oder Invalidität.
Die Folgeerscheinungen von ausgedehnten stumpfen und penetrierenden Thorax- und Lungenverletzungen können jedoch Funktionsverluste bedingen, die vom erfahrenen Lungenfacharzt interpretiert und eingeordnet werden müssen. Diese Funktionsverluste können in restriktiven als auch obstruktiven Ventilationsstörungen resultieren (Maclean et al. 2016; Schulz-Drost et al. 2018; Cruces et al. 2017; Ota et al. 2018; Powell et al. 2019; Schulz-Drost et al. 2016; Majercik und Pieracci 2017; Reske et al. 2011; Swierzy et al. 2014).
Verletzungen der Pleura können zu Pleuraschwarten führen. Hierbei handelt es sich um narbige Veränderungen, die eine Beeinträchtigung der Beweglichkeit der Lunge und somit vorrangig restriktive Ventilationsstörungen bedingen. Im mediastinalen Bereich kann es zur Verziehung der Trachea und der Bronchien kommen. Hierdurch können restriktive als auch obstruktive Veränderungen entstehen. Insbesondere Vernarbungen zwischen Lunge und Zwerchfell können die Lungenbewegung stark behindern. Die Maximalvariante der Pleuraschwarten ist die „gefesselte Lunge“. Hierbei nimmt die betroffene Seite nur noch sehr eingeschränkt an der Atmung teil. Auch ein Zwerchfellhochstand kann durch eine Verschwartung bedingt sein. Objektivieren lassen sich Pleuraschwarten durch eine CT-Untersuchung des Thorax. Funktionell bedarf es einer Lungenfunktionsuntersuchung zur Abschätzung der Ventilationsstörung. Hier ist es wichtig, zwischen unfallabhängigen und unfallunabhängigen Veränderungen zu differenzieren (Ota et al. 2018; Powell et al. 2019; Schulz-Drost et al. 2016; Spahn et al. 2019; Majercik und Pieracci 2017; Reske et al. 2011).
Die Lungenentzündung als unfallbedingte Kontusionspneumonie steht im direkten Zusammenhang mit einem traumatischen Ereignis. Zur Beurteilung möglicher Langzeitfolgen ist es entscheidend, dass etwaige Vorschäden ausgeschlossen werden. Zudem muss es zu einer objektivierbaren Schädigung/Kontusion gekommen sein.
Nachgewiesene Rippenfrakturen sowie kleinere Einblutungen in das Lungengewebe, die in der Röntgenuntersuchung als Verschattungen nachweisbar sind, gelten in diesem Zusammenhang als typische Merkmale.
Der zeitliche Zusammenhang zum Ereignis muss nachvollziehbar sein. Die Pneumonie muss innerhalb eines Zeitraumes von ein bis höchstens 6 Tagen nach dem Trauma auftreten, um eine sichere Korrelation nachweisen zu können.
In der Regel heilt diese folgenlos ab. Es kann aber auch zu komplikativen Verläufen mit Ergussbildung, Empyem und Lungenabszess kommen. Außerdem kann eine schwere Pneumonie Ausgangspunkt für eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung sein (Schulz-Drost et al. 2018; Ota et al. 2018; Schulz-Drost et al. 2016; Spahn et al. 2019; Majercik und Pieracci 2017).
Die gutachterliche Beurteilung eines Pneumothorax kann sich mitunter schwierig gestalten und muss im Einzelfall abgewogen werden. Wichtig ist es, den Kausalzusammenhang zwischen Trauma und Pneumothorax zu berücksichtigen, da eine gesunde Pleura nur bei höhergradiger Gewalteinwirkung einreißt. Wenn sich kein Trauma oder ein Unfallereignis nachweisen lassen, muss man davon ausgehen, dass entweder dem Pneumothorax ein Grundleiden (z. B. Emphysemblasen) oder eine konstitutionelle „Schwäche“ der Pleura zugrunde liegt. Eine gewöhnliche körperliche Belastung, die im beruflichen Alltag auftritt, kann nur als zufälliger Auslöser gewertet werden (Schulz-Drost et al. 2018; Ota et al. 2018; Schulz-Drost et al. 2016; Spahn et al. 2019; Majercik und Pieracci 2017).
Wichtig
Ein Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Pneumothorax kann nur dann anerkannt werden, wenn das Ereignis „wesentlich“ oder „wesentliche Teilursache“ ist. Bei einer bestehenden Krankheitsanlage ist das Ereignis wesentlich, wenn die Krankheitsanlage
  • zur Entstehung krankhafter Veränderungen entweder einer besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung bedurfte und diese im Unfallereignis enthalten ist oder
  • ohne das Unfallereignis zu einem nicht unwesentlichen späteren Zeitpunkt aufgetreten wäre, diese aber durch das Ereignis erheblich zeitlich vorverlegt wurde.

Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit einer Person hängt von ihrem -unfallbedingten – individuellen Gesundheitszustand und den dauerhaft bestehenden Funktionseinschränkungen ab (individuelle Erwerbsfähigkeit). Die Schadensbemessung ist dabei „abstrakt“, d. h. unabhängig davon, ob und in welcher Höhe der betroffenen Person wirtschaftliche Nachteile entstanden sind. Die MdE ist definiert als Umfang der verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Entscheidendes Kriterium ist weniger der entstandene Gesundheitsschaden als vielmehr die daraus resultierenden Funktionseinbußen. Als Orientierungshilfe stehen sog. MdE-Tabellen in der Gutachtenliteratur für die gesetzliche Unfallversicherung zur Verfügung. Diese basieren auf jahrzehntelangen Erfahrungen der Begutachtung, werden regelmäßig angepasst und aktualisiert. Bei den Verletzungen des Atmungsapparats ist die Beurteilung durch die Einschränkung der Lungenfunktion bestimmt. Die Lungenfunktion kann durch einen Lungenfacharzt objektiv gemessen werden. Anhand der Schwere dieser nachgewiesenen Funktionsminderung orientiert sich die MdE (Tab. 1 und 2). Bei der Beurteilung müssen ggf. etwaige unfallunabhängige Vorerkrankungen / Vorschäden der Lunge mitberücksichtigt werden (Maclean et al. 2016; Cruces et al. 2017; Filosso et al. 2019; Gautam und O’Toole 2016; Mehrhoff et al. 2012; Chen et al. 2019; D’Souza et al. 2017; Dogrul et al. 2020; Bekker et al. 2018; Kim et al. 2017; Kumar et al. 2017; Lim et al. 2017; Lim und Park 2018).
Tab. 1
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE): Brustkorb und Brusthöhle (AWMF 2018)
Verletzung an Brustkorb und Brusthöhle
MdE in %
Verheilte Rippenfrakturen ohne Funktionsdefizit
0
Zwerchfellbruch
10–50
Leichte Bronchitis
10–20
Starke Bronchitis
20–60
Verwachsungen des Rippenfells und Verschwartungen (je nach Funktionsverlust)
0–50
Verschwartung des Rippenfells mit Verformungen des Brustkorbs und Rippendefekten und Brustkorbinstabilität
20–60
Reizlos im Lungengewebe eingeheilter Fremdkörper
0
Nicht reizlos ins Lungengewebe eingeheilter Fremdkörper
0–30
Ausfall von Lungengewebe je nach Funktionsbeeinträchtigung
40–100
Tab. 2
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE): Pneumothorax
Einseitiger Pneumothorax
MdE in %
Ohne sonstige traumatische Thoraxschädigung, andere Lunge voll leistungsfähig
In den ersten 6 Monaten
 
0–60
Nach 6 Monaten
Bei geringem Restbefund
0–30
Bei breiter Pleuraverschwielung, eingeschränkter Ventilationsleistung
10–60
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