Zum Inhalt
Die Ärztliche Begutachtung
Info
Publiziert am: 16.11.2024 Bitte beachten Sie v.a. beim therapeutischen Vorgehen das Erscheinungsdatum des Beitrags.

Krankheiten und Verletzungen von Hals, Nase und Ohren – Begutachtung

Verfasst von: Parwis Mir-Salim
In der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde werden Störungen der Sinnesorgane wie Gehör, Gleichgewicht, Riechen und Schmecken, aber auch der Stimme und Sprache, der Atem- und Schluckfunktionen und unfall-, fehlbildungs- und tumorbedingte Entstellungen von Gesicht und Hals begutachtet. Es bestehen Überlappungen zu den Nachbargebieten wie der Ophthalmologie, Neurologie, Neuro- und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie sowie für die Halswirbelsäule auch der Orthopädie. In manchen Fällen, zum Beispiel bei psychogenen Hörstörungen, ist zusätzlich eine psychiatrische Begutachtung erforderlich. In der täglichen Praxis nimmt die Begutachtung der Hörstörungen den größten Raum ein. Während für die Beurteilung der Hörstörungen eine breite Palette von Testmethoden existiert, die eine sichere Diagnose und HNO-gutachterliche Stellungnahme erlauben, ist dies bei Gleichgewichtsstörungen schwieriger, wobei diesem Fachgebiet die Aufgabe zufällt, eine Schädigung des peripheren Innenohrgleichgewichtsorgans zu bestätigen oder auszuschließen. Der Beitrag behandelt die Grundlagen der Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Begutachtung in komprimierter Form, die auch für Kollegen anderer Fachdisziplinen verständlich dargestellt werden sollen.

Einleitung

In der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde werden Störungen der Sinnesorgane wie Gehör, Gleichgewicht, Riechen und Schmecken, aber auch der Stimme und Sprache, der Atem- und Schluckfunktionen und unfall-, fehlbildungs- und tumorbedingte Entstellungen von Gesicht und Hals begutachtet. Es bestehen Überlappungen zu den Nachbargebieten wie der Ophthalmologie, Neurologie, Neuro- und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie sowie für die Halswirbelsäule auch der Orthopädie. In manchen Fällen, zum Beispiel bei psychogenen Hörstörungen, ist zusätzlich eine psychiatrische Begutachtung erforderlich. Die wichtigste Grundlage der Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Begutachtung stellt das Werk von Feldmann und Brusis (2019) dar.
In der täglichen Praxis nimmt die Begutachtung der Hörstörungen den größten Raum ein. Während für die Beurteilung der Hörstörungen eine breite Palette von Testmethoden existiert, die eine sichere Diagnose und HNO-gutachterliche Stellungnahme erlauben, ist dies bei Gleichgewichtsstörungen schwieriger, wobei diesem Fachgebiet die Aufgabe zufällt, eine Schädigung des peripheren Innenohrgleichgewichtsorgans zu bestätigen oder auszuschließen.
In diesem Beitrag sollen die Grundlagen der Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Begutachtung bei Erkrankungen, Verletzungen und Fehlbildungen in komprimierter Form auch für Kollegen anderer Fachdisziplinen verständlich dargestellt werden.

Äußeres Ohr

Chronische Entzündungen des Gehörganges

Chronische Entzündungen des Gehörganges können bei beruflichen Noxen (Staubbelastung) meist auf der Basis einer individuellen Disposition von Bedeutung sein.
In sehr schweren Fällen wird bei ständiger Behandlungsbedürftigkeit eine MdE (GdS/GdB) von 10 % (10) angenommen.

Verletzungen, Verbrennungen, Tumorerkrankungen sowie angeborene Missbildungen

Verletzungen, Verbrennungen, Tumorerkrankungen sowie angeborene Missbildungen führen zu Schäden des äußeren Ohres unterschiedlichen Ausmaßes. Ein Verlust der Ohrmuschel ist kosmetisch bedeutsam und hat Auswirkungen auf das Richtungshören. Zum Ersatz der Ohrmuschel sind verschiedene operative Verfahren – meist in mehreren Sitzungen – möglich. Die Alternative ist eine Epithese, die an implantierten Titanschrauben mittels Magnete befestigt wird. Bei einer angeborenen Gehörgangsatresie wird bei Erwachsenen die Anpassung einer Epithese häufig mit der Anlage eines knochenverankerten Hörgerätes kombiniert. Bei Kindern wird hier meist bis zum Erreichen des Schulalters abgewartet und nur das Hören mit transkutanen Knochenleitungsgeräten rehabilitiert.
Die MdE (GdB/GdS) bei Verlust einer Ohrmuschel beträgt 20 % (20), bei Verlust beider Ohrmuscheln 30 % (30).

Mittelohr

Ausgeprägte Gehörgangsstenose oder -atresie

Eine ausgeprägte Gehörgangsstenose oder -atresie führt zu einer erheblichen Schallleitungsschwerhörigkeit, die bis zu 60 dB betragen kann. Die Stenose/Atresie kann mit Fehlbildungen der Ohrmuscheln einhergehen. Nur in selten Fällen ist eine gehörverbessernde Operation sinnvoll. Eine Normalisierung des Hörvermögens ist nur mit einem aktiven Mittelohrimplantat oder einem Knochenleitungsimplantat zu erreichen. Die Ergebnisse sind bei angemessener Indikationsstellung sehr gut.

Fehlbildungen

Fehlbildungen können auch lediglich die Gehörknöchelchen betreffen. Diese Form der Ohrfehlbildung geht im Allgemeinen mit einer geringeren Schallleitungsschwerhörigkeit einher. Die Aussicht auf eine erfolgreiche Operation ist in diesen Fällen günstiger. Als Alternative zur Operation ist auch eine konventionelle Hörgeräteversorgung möglich.

Verletzungen des Trommelfells

Diese werden am häufigsten bei Selbstreinigungsversuchen beobachtet. Pfählungsverletzungen kommen insbesondere bei Kindern aber auch bei Erwachsenen vor. Hierbei kann auch die Gehörknöchelchenkette oder sogar das Innenohr bis hin zur Ertaubung verletzt werden.

Schweißperlenverletzungen

Diese Ereignisse sind im beruflichen Bereich zu erwähnen, die insbesondere bei Schweißarbeiten über Kopf auftreten können und zu Verbrennungen des Trommelfells wie auch – jedoch deutlich seltener – zu einer Schädigung der Gehörknöchelchenkette führen können. Wenn die Schweißperle nicht aus dem Mittelohr entfernt wird, kann sich eine chronische Mittelohrentzündung bilden.

Trommelfellzerreißungen

Solche Verletzungen können nach Explosionstraumen und bei plötzlichen Druckerhöhungen im Gehörgang (Tauchen, Ohrfeige) auftreten. Auch größere Trommelfelldefekte haben eine gute Heilungstendenz, wenn keine Superinfektion hinzutritt; anderenfalls ist ein operativer Trommelfellverschluss notwendig.
Die einseitige chronischer Mittelohrentzündung kann hiervon differenziert werden. Eine schlechtere Pneumatisation des Mastoids spricht eher gegen eine traumatische Ursache des Trommelfelldefekts.

Barotraumen

Bei Wechseln des Außendruckes wie beim Landeanflug, beim Tauchen oder beim Fallschirmspringen kann es zu Barotraumen kommen, wenn kein Druckausgleich über die Tuba Eustachii stattfindet. Die Patienten klagen über eine Schwerhörigkeit. Mit dem Ohrmikroskop oder -endoskop erkennt man seröses oder blutiges Exsudat hinter dem Trommelfell. Falls keine gleichzeitige Innenohrstörung vorliegt, sind die Veränderungen vollständig rückbildungsfähig. Tubenfunktionsstörungen können sich im Laufe des Lebens entwickeln, in sehr seltenen Fällen zwingen sie bei Berufstauchern und Flugpersonal zur Aufgabe des Berufes.

Die Caisson- oder Taucher Krankheit

Dieses akute Geschehen ist Vom Barotrauma. Sie wird bei raschem Druckwechsel, insbesondere beim zu schnellen Auftauchen aus großer Tiefe beobachtet und geht mit Innenohrstörungen infolge Gasblasenbildung im Blut einher.

Felsenbeinbrüche

Frakturen dieser Art können zur Zerreißung des Trommelfells und zu Luxationen der Gehörknöchelchen mit Mittel- und Innenohr-Schwerhörigkeit führen. In einigen Fällen ist eine operative Korrektur im Sinne einer Tympanoplastik (Gehörknöchelchenrekonstruktion) möglich. Zieht sich die Fraktur jedoch auch durch den Hörnerv, das Labyrinth oder die Cochlea, besteht meist eine irreversible Taubheit. Auch eine Fazialisparese (Gesichtsnervenlähmung) ist möglich. Liegt nach einem entsprechenden Trauma eine Zerreißung des Trommelfells mit Blutaustritt vor, muss mit Sicherheit von einer lateralen Schädelbasisfraktur ausgegangen werden. Als Spätfolgen können bei der Begutachtung Stufen im Bereich des Gehörgangsdachs bzw. Narben im Trommelfell nachgewiesen werden. Auch eine Progredienz von Hör- und Gleichgewichtsstörungen wird nach schweren Schädel-Hirn-Traumen regelmäßig gefunden.

Stumpfe Schädeltraumata

Stumpfe Schädeltraumata können auch ohne Knochenbruch je nach Ort der Gewalteinwirkung zu einer Schwerhörigkeit und einem Schwindel führen. Ursachen können eine Innenohrschwerhörigkeit mit dem Bild eines Knalltraumas (c5-Senke) aufgrund einer Knochenleitungsdruckwelle sein sowie Rupturen der Fenstermembranen und eine traumatische Versprengung von Otolithen (Kristalle der statischen Gleichgeictsorgane). Diese Beschwerden sind typischerweise direkt nach dem Unfall vorhanden und kommen nicht zeitlich versetzt vor.

Folgen der operativen Sanierung

Bei der operativen Sanierung chronisch-entzündlicher Mittelohrerkrankungen, insbesondere der Cholesteatomeiterung, kann ein normales selbstreinigendes Ohr nicht immer hergestellt werden. Es entstehen chirurgisch bedingt dann Operationshöhlen (Radikalhöhlen), die einer dauernden Nachbehandlung bedürfen. Bei starker Sekretionsneigung und häufiger Behandlungsbedürftigkeit ist die Nachoperation empfehlenswert. Eine einseitig andauernde Sekretion kann zu einer MdE (GdS/GdB) von 10 % (10) führen.
Bei operativen Eingriffen am Mittelohr wird die angestrebte Hörverbesserung nicht immer erreicht. Dies kann zu sozialgerichtlichen Auseinandersetzungen führen. Auch irreversible Schäden des Hör- und Gleichgewichtsorgans kommen in seltenen Fällen vor. Hierüber ist präoperativ aufzuklären, ebenso über das Risiko einer Gesichtsnervenschädigung.

Otosklerose

Bei diesem Erkrankungsbild findet sich eine Fixierung des Steigbügels. Die Folge ist eine Schallleitungsschwerhörigkeit unterschiedlichen Ausmaßes, ggf. mit zusätzlicher Innenohrschwerhörigkeit (Carhart-Senke im Tonaudiogramm bei ca. 2000 Hz). Die Behandlung besteht in der Rekonstruktion der Schallübertragungsfähigkeit der Gehörknöchelchenkette durch Entfernung des Steigbügels und Ersatz durch eine Prothese, die die Trommelfellschwingungen auf die Innenohrflüssigkeit anstelle des fixierten Steigbügels überträgt. Das Risiko einer Schädigung der Innenohrfunktion ist größer als bei anderen mittelohrchirurgischen Eingriffen, aber immer noch unter 1 %. Der Patient ist über dieses typische Risiko aufzuklären. Als Alternative zur operativen Behandlung ist der Patient über die Möglichkeit der Hörgeräteversorgung zu informieren, die jedoch die Hörqualität einer erfolgreichen Operation nicht erreicht.

Innenohr

Angeborene Innenohrschwerhörigkeiten

Unter 1000 Normalgeburten finden sich 1–3 Neugeborene mit Taubheit oder hochgradigen Hörschäden, die einer Hörgeräteversorgung oder einer Cochlea Implantation bedürfen. Diese angeborenen Innenohrschwerhörigkeiten finden sich bei genetischer Disposition (z. B. Connexin-Mutationen) sowie bei Syndromerkrankungen. Auch intrauterine Infektionen mit dem Cytomegalievirus stellen zunehmend eine Ursache hierfür da, die durchaus schnell voranschreiten kann. Hier führen seroloische Tests weiter. Eine Früherkennung und Frühversorgung dieser jungen Patienten ist besonders wichtig, da das Gehirn in der frühen Phase der ersten 2 Jahre für Hörreize eine besondere Plastizität besitzt und das Sprachverständnis hier gebildet wird. Liegt ein relevanter Hörverlust vor, wird dies unter Umständen behindert und der Spracherwerb verzögert oder gar irreversibel verhindert. Die zeitnahe Versorgung mit Hörimplantaten ist hier besonders wichtig bleibende Einschränkungen bei diesen Kindern zu verindern.

Innenohrschäden durch Entzündungen

Innenohrschäden durch Entzündungen können postpartal insbesondere durch bakterielle Meningitiden (Hirnhautentzündungen) entstehen. Hierbei ist auch eine Beteiligung der Gleichgewichtsorgane (Labyrinthitis) im Innenohr möglich.

Bleibende medikamentöse Innenohrschäden

Bleibende medikamentöse Innenohrschäden sind zum Beispiel nach Gabe bestimmter Antibiotika (Aminoglykosid) und Chemotherapeutika (Cisplatin) bekannt.

Ototoxische Effekte

Am Arbeitsplatz wurden ototoxische Effekte nur für eine relativ kleine Anzahl industrieller Chemikalien untersucht bzw. nachgewiesen. Als Ursachen kommen in Betracht: Lösungsmittel, Kohlenmonoxid, Schwermetalle wie Blei und Quecksilber sowie Pestizide (Plontke und Zenner 2004).
Bei Schäden des Innenohres können sowohl die Cochlea als auch das Labyrinth betroffen sein.

Gutachterliche Bewertung von Lärmtraumata

Berufs- und Freizeitlärm sind die häufigsten Ursachen für eine erworbene Innenohrschwerhörigkeit. In der Regel beinhaltet eine Lärmbelastung schwankende Schallpegel. Zur Begutachtung wird daher der Beurteilungspegel herangezogen. Unterhalb einer Schwelle von 85 dB (A) gibt es nur im Ausnahmefall Lärmschäden, während Lärmexpositionen über 135 dB (A) relativ schnell zu Innenohrschäden führen (Evidenzgrad A).
Hörverlust und Ohrgeräusch (Tinnitus) können gemeinsam, isoliert als vorübergehende Beeinträchtigung oder auch als Dauerschaden auftreten. Bei der Hörprüfung findet man eine Schallempfindungsschwerhörigkeit im Hochtonbereich, ein positives Recruitment (Lautheitsausgleich) bei überschwelligen Hörprüfungen, einen Verlust oder Amplitudenrückgang der otoakustischen Emissionen und insbesondere in fortgeschrittenen Fällen einen Sprachverständlichkeitsverlust in der Sprachaudiometrie.
Derzeit ist die Lärmschwerhörigkeit die am häufigsten anerkannte Berufskrankheit in Deutschland noch vor den Hauterkrankungen. Da fortgeschrittene Lärmschäden nicht reversibel sind, sind Präventionsmaßnahmen von besonderer Bedeutung. Hierzu gehören die Verminderung der Lärmemission, die Trennung von Lärmquelle und Arbeitsplatz und der persönliche Gehörschutz. Auch die Aufklärung der Betroffenen ist notwendig, da häufig die bereitgestellten Lärmschutzmittel nicht ausreichend benutzt werden.
Für die Begutachtung des Ausmaßes eines Lärm bedingten Hörverlustes ist die Frage, ob Gehörschutz getragen wurde nicht relevant, da dies nicht zuverlässig überprüft werden kann. Hier spielen vor allem die Stärke und Dauer der Lärmexposition eine Rolle.

Akutes Schalltrauma

Bei den akuten Schalltraumata unterscheidet man Knalltraumen (z. B. durch Bolzenschussgeräte, Handfeuerwaffen oder Airbags) von Explosionstraumen (z. B. durch Bombenexplosionen) und das akute Lärmtrauma bei kurzzeitiger Exposition gegenüber exzessiv hohen Schallstärken. Knalltraumen (Schalldruckspitzen zwischen 160 und 190 dB) führen zu einer reinen Innenohrschwerhörigkeit meist zwischen 4 und 6 kHz. Explosionstraumen führen zusätzlich zu einer Trommelfellzerreißung. Auch eine nachfolgende progrediente Innenohrschwerhörigkeit ist möglich.
Der Hörverlust ist immer unmittelbar nach dem Ereignis vorhanden und meist hochgradig. Danach tritt häufig innerhalb einiger Stunden bis Tage eine Besserung ein. Bei einem akustischen Unfall kann eine Lärmbelastung von > 90 dB zusammen mit einem in Zwangslage verdrehten Kopf zu einem Hörverlust führen.

Chronisches Schalltrauma

Ein chronisches Schalltrauma kann durch chronische Lärmbelastung, z. B. am Arbeitsplatz mit Lärmpegeln über 85 dB, entstehen (Evidenzgrad A). Die chronische Lärmschädigung ist insbesondere von der Expositionsdauer, aber auch von dem Charakter der Lärmexposition abhängig. Vor allem bei Lärm mit Impulsspitzen etwa beim Bearbeiten und Hämmern von Blechen muss berücksichtigt werden, daß diese Art von Lärm besonders innenohrschädlich ist.
Jeder gemeldete Verdachtsfall (BK-Anzeige) führt zu einem Feststellungsverfahren mit Bewertung der Lärmbelastung durch den Technischen Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaft bzw. Unfallkasse und ggf. auch zu einer medizinischen Begutachtung. Je länger der Lärm einwirkt, desto größer ist die Schädigung, allerdings abhängig von der individuellen Lärmempfindlichkeit des Patienten. Der in den Medien häufig beschuldigte Umweltlärm erreicht in der Regel nicht die Pegel, die für eine Innenohrschädigung ausreichen.
Die chronische Lärmschwerhörigkeit bei Lärmbelastung am Arbeitsplatz ist der häufigste Anlass einer HNO-ärztlichen Begutachtung und die häufigste Berufserkrankung überhaupt, auch wenn durch den industriellen Strukturwandel die Anzahl der Lärmarbeitsplätze abnimmt. Die Schwerhörigkeit beginnt bei 4–6 kHz als isolierte Hochtonsenke und weitet sich bei fortbestehender Exposition in Richtung eines Steil- und Schrägabfalls in den hohen Frequenzen aus, wobei die interindividuelle Empfindlichkeit gegenüber einem Lärmtrauma unterschiedlich ist.
Bei der Beurteilung der Kausalität zwischen Schwerhörigkeit und beruflicher Lärmexposition ist eine Analyse der Lärmexposition zwingende Voraussetzung. Die Schwerhörigkeit muss sich dabei als Hochton-Innenohrschwerhörigkeit während der Lärmexposition entwickelt haben, um den Ursachenzusammenhang zu begründen.
Das Ausmaß der Schwerhörigkeit kann bei Simulationsverdacht durch Hörprüfungen wie Stapediusreflexmessung, die Messung otoakustischer Emissionen oder von akustisch evozierten Potenzialen (BERA) objektiviert werden. Gutachterlich sind die traumatisch bedingten Hörstörungen gegenüber anderen Formen der Schwerhörigkeit wie Hörsturz, Altersschwerhörigkeit, genetisch bedingten Hörstörungen aufgrund von Anamnese und Audiometrie abzugrenzen. Bezüglich der Bewertungstabellen verweisen wir auf das Standardwerk von Feldmann und Brusis (2019) und die Königsteiner Empfehlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Die Einschätzung der MdE reicht von 15  % bei beiderseitiger geringgradiger Schwerhörigkeit bis zu 80 % bei beidseitiger Taubheit (Tab. 1 und 2).
Tab. 1
Tabelle zur Ermittlung von MdE/GdS/GdB bei Hörverlust. (Feldmann 1998)
Rechtes Ohr
Normalhörigkeit
0–20
0
 
0
 
10
 
10
 
15
 
20
Geringgradige Schwerhörigkeit
20–40
0
10
15
 
20
 
20
 
30
 
30
Mittelgradige Schwerhörigkeit
40–60
10
 
20
20
30
 
30
 
40
 
40
Hochgradige Schwerhörigkeit
60–80
10
 
20
 
30
40
50
 
50
 
50
An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit
80–95
15
 
30
 
40
 
50
60
70
 
70
Taubheit
100
20
 
30
 
40
 
50
 
70
80
80
 
Hörverlust in %
0–20
 
20–40
 
40–60
 
60–80
 
80–95
 
100
 
Normalhörigkeit
Geringgradige Schwerhörigkeit
Mittelgradige Schwerhörigkeit
Hochgradige Schwerhörigkeit
An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit
Taubheit
Linkes Ohr
Hinweis: An dieser Stelle bitte die Tabelle einfügen die in der Datie mit „D“ bezeichnet ist
Tab. 2
Prozentualer Hörverlust aus dem Sprachaudiogramm. (Feldmann und Brusis 2019)
  
Hörverlust für Zahlen in dB
< 20
ab 20
ab 25
ab 30
ab 35
ab 40
ab 45
ab 50
ab 55
ab 60
ab 65
ab 70
Gesamt-wortver-stehen
< 20
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
 
ab 20
95
95
95
95
95
95
95
95
95
95
95
100
ab 35
90
90
90
90
90
90
90
90
90
90
95
100
ab 50
80
80
80
80
80
80
80
80
80
90
95
100
ab 75
70
70
70
70
70
70
70
70
80
90
95
100
ab 100
60
60
60
60
60
60
60
70
80
90
95
 
ab 125
50
50
50
50
50
50
60
70
80
 
90
 
ab 150
40
40
40
40
40
50
60
70
  
80
 
ab 175
30
30
30
30
40
50
60
   
70
 
ab 200
20
20
20
30
40
50
    
60
 
ab 225
10
10
20
30
40
     
50
 
ab 250
0
10
20
30
      
40
 
Hinweis: An dieser Stelle bitte die Tabelle einfügen die in der Datie mit „C“ bezeichnet ist
In letzter Zeit werden in zunehmendem Maße Hörschäden durch Lärmexposition in der Freizeit (Clubbesuche, Live Konzerte, Festivals) beobachtet. Dabei können Lärmpegel auftreten, die im beruflichen Bereich von der Gewerbeaufsicht nicht toleriert würden. Hier können Veranstalter zum Beispiel von Konzerten mit übermäßig hohen Lärmpegeln für Lärmschäden von Besuchern haftbar gemacht werden. In solchen Fällen ist der Gutachter bei Haftungsstreitigkeiten gefordert. Auch Kinderspielzeuge, z. B. Spielzeugpistolen und Knallfrösche, können mit Spitzenpegeln bis zu 135 dB durchaus zu Hörschäden führen.

Ohrgeräusch (Tinnitus)

Ohrgeräusche sind ein häufiges Phänomen, das etwa 10 Mio. Erwachsene allein in Deutschland angeben. Die Schwierigkeit der Begutachtung liegt in der schlechten Objektivierbarkeit. Ein lärmbedingter Tinnitus ist in der Regel im Bereich der geschädigten Hörfrequenz (> 2 kHz) lokalisiert und kann mit gering überschwelligen Tönen verdeckt werden.
So wird versucht, durch Frequenzbestimmung oder durch Geräuschverdeckung („masking“) das Phänomen einzugrenzen. Ein Ohrgeräusch wird als kompensiert bezeichnet, wenn der Patient sich mit der Störung arrangieren kann, und als dekompensiert, wenn eine subjektive Bewältigung ohne Hilfe nicht möglich ist. Bei der Dekompensation spielen psychische Faktoren wie z. B. persönliche Belastungen, Schlaflosigkeit oder weitere Erkrankungen eine wichtige Rolle.
In wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel bei Glomustumoren, Meningozelen (Aussackungen der Hinhaut in den Warzenfortsatz) oder arteriovenösen Fisteln, sind Ohrgeräusche tatsächlich gut objektivierbar und entweder mit Mikrofonen aufzunehmen oder sogar für den Untersuchenden hörbar. Die Störungen können im gesamten akustischen System liegen, so zum Beispiel als peripherer Tinnitus mit Ursache im Innenohr oder als zentraler Tinnitus, der „im Kopf“ gehört wird.
Mögliche Behandlungsverfahren bei akutem Tinnitus sind die Gabe von Kortison oder Gingko Präparaten (Evidenzgrad C; Frank et al. 2006). Diese sind jedoch wenig efolgsversprechend und werden nicht empfohlen. Bei chronischem Tinnitus kann die Anpassung eines Tinnitus-Maskers sowie eine Tinnitus Retraining Therapie (TRT) oder Tinnitus Bewältigungstherapie (TBT) in Kombination mit Psychotherapie oder auch Musiktherapie sinnvoll sein. Weitere Informationen sind der aktualisierten AWMF Leitlinie zu entnehmen. (https://www.hno-aerzte-im-netz.de/fileadmin/user_upload/AktuelleS3Leitlinie_ChronischerTinnitus.pdf).
Gutachtliche Bewertung
Gutachtlich sind Ohrgeräusche nach Unfällen und Lärmschäden von Interesse. Hierbei ist auffällig, dass der Leidensdruck durch den Tinnitus außerordentlich unterschiedlich ist. Lärmarbeiter sind im Allgemeinen wenig belastet, während in anderen Situationen psychische Fixierungen häufiger vorkommen. Das Ohrgeräusch bei Lärmschädigung wird mit einer MdE (GdS/GdB) von bis zu 10 % (10) bewertet. Ansonsten wird MdE/GdB/GdS abhängig von psychovegetativen Begleiterscheinungen und psychischen Störungen individuell abgeschätzt. Eine zusätzliche psychiatrische Begutachtung ist nur bei dekompensiertem Tinnitus (Grad IV) notwendig bzw. sinnvoll.

Hörgeräteversorgung – Gutachtliche Bewertung

Durch Hörgeräte kann die Kommunikationseinschränkung bei Schwerhörigen verbessert werden. Bei Gehörlosigkeit, an Taubheit grenzenden Hörverlust oder bei Patienten, die nur unzureichend mit Hörgeräten zu versorgen sind, kann eine Cochlea Implantation in Frage kommen. Voraussetzung für eine Hörgeräteversorgung ist ein Hörverlust im Tonaudiogramm von mindestens 30 dB in mindestens einer der Prüffrequenzen von 0,5–3 kHz sowie im Sprachaudiogramm ein Diskriminationsverlust von mehr als 20 % der Einsilber bei 65 dB Sprachschallpegel. Die Fortschritte in der Hörgerätetechnik und das zunehmende Wissen um die komplexe Problematik der Schwerhörigkeit stellen zunehmend höhere Ansprüche an Ärzte und Hörgeräteakustiker. Indikationen zur Cochlea Implantation sind 50 % und weniger Verständnis von Einsilbern mit optimal eingestellten Hörgeräten.
Ist die Schwerhörigkeit durch Lärm oder Unfall am Arbeitsplatz als wesentliche Teilursache bedingt, gehen die Kosten der Hörhilfen zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung (Königsteiner Empfehlung). Dabei besteht Anspruch auf eine Versorgung mit allen geeigneten Mitteln, auch wenn die Hörgeräte in Ausnahmefällen den Festbetrag überschreiten (Rahmenvereinbarung der DGUV https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4475).

Schwindelbeschwerden – Gutachtliche Bewertung

Die Hals-Nasen-Ohrenärztliche Begutachtung bei Schädigungen des peripheren Innenohr-Gleichgewichtsorgans ist grundsätzlich anders als bei den Hörstörungen. Der Anamnese kommt bei der gutachtlichen Untersuchung eine wesentliche Bedeutung zu.
Die Bemessung von MdE/GdS/GdB soll die Belastbarkeit in den Alltagssituationen erfassen. Hierbei muss geklärt werden, welche alltäglichen Verrichtungen bei Störungen des Gleichgewichtssystems noch möglich sind. Dazu gehören insbesondere Fahrradfahren, Motorradfahren und Autofahren, da beeinträchtigende Schwindelstörungen das Führen eines Kraftfahrzeuges ausschließen.
Die Beurteilung kann nach der Tabelle von Stoll erfolgen. Stoll empfiehlt eine Einteilung in 4 Intensitätsstufen, die von weitgehender Beschwerdefreiheit (0) über leichte Unsicherheit (1), deutliche Unsicherheit (2), erhebliche Unsicherheit (3) bis zum heftigen Schwindel mit vegetativen Erscheinungen (4) bei verschiedenen Belastungsstufen reichen. Dem entsprechen die subjektiven Angaben des Patienten mit zeitweiligem Unsicherheitsgefühl ohne wesentliche Behinderung bis hin zur Unfähigkeit, tägliche Dinge alleine auszuüben. Die Einschätzung von MdE (GdS/GdB) reicht entsprechend von 0–100 % (0–100).
Simulation und Aggravation bei Schwindelstörungen sind schwieriger zu objektivieren als bei Hörschäden und verlangen eine sorgfältige Anamnese, insbesondere auch zum Freizeitverhalten. Bei Angst vor Verlust des Führerscheins oder des Arbeitsplatzes muss man auch mit einer Dissimulation rechnen. Insgesamt sollte sämtlich vestibuläre Testverfahren (Thermische Prüfung, HIT, Lagerung und Lageprüfung, Vestibulospinale Verfahren herangezogen werden)
  • Eine besondere Störung stellt der Morbus Menière dar. Die Erkrankung geht mit anfallsweisem Schwindel, Ohrensausen, Ohrendruck und meist einseitigen Hörstörungen einher. Die Schwerbehinderung ist abhängig von der Häufigkeit der Anfälle und kann mit einem GdS/GdB von 0–50 eingeschätzt werden. Hörstörung und Ohrgeräusch müssen zusätzlich beurteilt werden.
  • Schädeltraumen können als Felsenbeinfrakturen zu einer Labyrinthschädigung, aber auch zu zentralen Schäden mit Schwindelbeschwerden führen. Ein Labyrinthausfall nach Trauma, Operation oder Neuronitis vestibularis kann insbesondere bei jüngeren Patienten im Laufe der Zeit kompensiert werden. Dementsprechend reduziert sich der Grad der Behinderung.

Fahreignung

Grundsätzlich sind Schwerhörige und Gehörlose in der Lage, ein Kraftfahrzeug zu führen. Zusätzliche Behinderungen können jedoch die Eignung ausschließen. Die Fahrerlaubnis zur Personenbeförderung wird generell bei Schwerhörigkeit nicht erteilt. Bei Störungen des Gleichgewichts ist ein Patient nicht in der Lage, Anforderungen zu erfüllen, die an das Führen eines Kraftfahrzeugs gestellt werden ( vgl. Begutachtungsleitlinie für Kraftfahreignung https://www.bast.de/DE/Verkehrssicherheit/Fachthemen/U1-BLL/BLL_node.html).

Gesichtsverletzungen

Gesichtsverletzungen werden nach Unfällen oder Tumoroperationen beobachtet. Gutachtlich zu beurteilen sind die Funktionen wie Mundschluss, Augenschluss und der kosmetische Eindruck, der fotografisch dokumentiert werden sollte. Eine einfache „Entstellung des Gesichts“ wird mit einer MdE zwischen 10 und 30 % (GdS/GdB von 10–30) bewertet, eine „abstoßend“ wirkende Entstellung mit einer MdE von 50 % (GdS/GdB von 50). Ist das äußere Erscheinung extrem entstellt und für die berufliche Tätigkeit von besonderer Bedeutung, kann in sehr seltenen besonderen Einzelfällen die berufliche Betroffenheit gemäß § 56 Abs. S.3 SGB VII als sog. „unbillige Härte“ zusätzlich berücksichtigt und eine Anhebung der MdE rechtfertigen. Die höchstrichterliche Respr. des BSG hat hierür jedoch sehr enge Voraussetzungen definiert, die vom Gutachter unbedingt berücksichtigt werden müssen und in aller Regel verneint werden (vgl. BSG 04.12.1991 – 2 RU 47/90, 05.09.2006 – B 2 U 25/05).

Nase, Nasennebenhöhlen

Atmungsbehinderungen

Verbiegungen der Nasenscheidewand, Veränderungen der Nasenmuscheln, Nasenpolypen, sehr selten auch Tumoren, können Behinderungen der Nasenatmung auslösen. Die Störungen sind in der Regel behandelbar und selten Gegenstand gutachtlicher Beurteilungen. Seitdem die Operation der Nasennebenhöhlen von der transfazialen Chirurgie auf die endonasale, endoskopische Chirurgie umgestellt wurde, sind bleibende Operationsschäden, wie Neuralgien oder Hypästhesien im Trigeminusbereich, wesentlich seltener geworden.
Komplikationen der endonasalen Nasennebenhöhlenchirurgie wie Verletzungen der Schädelbasis oder der Orbita mit nachfolgender Meningitis oder Erblindung können Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen sein. Neben der sorgfältigen Aufklärung spielt auch eine korrekte Indikation zur Operation und eine angemessene Reaktion auf auftretende Komplikationen eine wichtige Rolle. Insgesamt sind derartige Komplikatinen durch die Weiterentwicklung der Operationsverfahren seltener geworden.

Berufsbedingte Schäden

Tätigkeiten in extrem trockenen und staubigen Räumen können zu Schleimhautschäden führen. Das Ausmaß ist allerdings selten so groß, dass sich hieraus gutachterliche Konsequenzen ergeben. Bei der Exposition gegenüber bestimmten Substanzen am Arbeitsplatz ist ein erhöhtes Risiko zur Entstehung von Krebs im Nasen- und Nasennebenhöhlenbereich gegeben. Dazu gehören insbesondere Hartholzstäube (Eichen- und Buchenholzstaub) für das Adenokarzinom (BK 4203).
Betroffen sind Bau- und Möbelschreiner, Parkettleger und andere Holzarbeiter. Die Latenzzeit zwischen Exposition und Manifestation des Tumors kann Jahrzehnte betragen. Die MdE liegt je nach Ausdehnung des Tumors und dessen Behandelbarkeit zwischen 20 % und 100 %.
Als weitere mögliche Karzinogene gelten Chrom (BK 1103), Arsen (BK 1108), Nickel (BK 4109) und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (BK 4110). In Einzelfällen werden zudem Zementstaub, Säuredämpfe, Farben, Lacke und Lösungsmittel, Nitrosamine und auch Asbest als auslösende Substanzen diskutiert.
Besteht der Verdacht auf eine Berufskrankheit, ist eine Analyse der beruflichen Exposition erforderlich. Eine Berufskrankheit wird anerkannt bei einer mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellten beruflichen Exposition gegenüber einem auslösenden chemischen Stoff. Wenn eine Berufskrankheit nach der sog. Öffnungsklausel in Betracht kommt, muss im Gutachten, zudem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass die Berufsgruppe, der ein Erkrankter angehört, im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit in deutlich höherem Ausmaß dem schädigenden Stoff ausgesetzt ist als die Normalbevölkerung. Der Nachweis der Kausalität muss nur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erbracht werden (Deitmer 2004).
Kommen mehrere Ursachen in Betracht, bedarf es einer Abwägung zur Bewertung der wesentlichen Teilursache, was also im Einzelfall mehr für die eine oder die andere Ursache spricht.

Allergische Erkrankungen

Allergische Erkrankungen sind unter bestimmten Voraussetzungen als Berufserkrankung anerkannt (BK 4301). Ein typisches Beispiel ist die Mehlüberempfindlichkeit bei Bäckern. Die berufsbedingte allergische Rhinitis ist oft mit Erkrankungen der unteren Atemwege verbunden. Die Symptomatik muss deutlich für die Ursache „Arbeitsplatz“ sprechen.

Riech- und Geschmacksstörungen

  • Die Geschmacksempfindung von den vorderen zwei Dritteln der Zunge wird über die Chorda tympani, vom hinteren Drittel der Zunge über den N. glossopharyngeus und den N. vagus vermittelt. Die Geruchsempfindungen werden von der Riechspalte über den Bulbus und Nervus olfactorius geleitet.
  • Gutachtliche Bewertung: Aufgrund der anatomischen Voraussetzungen ist es nicht wahrscheinlich, dass Geruchs- und Geschmacksempfindung gleichzeitig bei einem Trauma ausfallen. Die Angabe, dass die Empfindungen für süß, sauer, salzig und bitter, ebenso wie für Olfaktoriusreizstoffe, ausgefallen seien, spricht für eine Simulation.
  • Störungen der Geruchswahrnehmungen treten bei Verletzungen der Nase auf, posttraumatisch nach Unfällen im Bereich der Schädelbasis durch Zerreißung der Riechfäden oder durch operationsbedingte Schäden. Häufig sind auch Ausfälle bei Viruserkrankungen. Riechstörungen können als völliger Ausfall (Anosmie), teilweiser Ausfall (Hyposmie) oder als falsche Wahrnehmung von Duftstoffen (Parosmie) klassifiziert werden. Ein vom Patienten behaupteter Riechverlust, der bei der Testung auch Trigeminusreizstoffe (z. B. Eisessig) einschließt, muss an eine Simulation denken lassen.
  • Gutachtliche Bewertung: Eine komplette Anosmie wird mit einer MdE von 10–15 % (GdS/GdB von 15) bewertet. Im ganz besonderen Einzelfällen kann die berufliche Betroffenheit eine Rolle spielen (s. o. Ziffer 9).

Mundhöhle und Rachen (ohne Zähne und Zahnhalteapparat)

Schädigungen an Lippe, Wange, Zunge und Rachen führen zu Behinderungen beim Mundschluss, bei der Speiseaufnahme und bei der Artikulation. Die häufigste Ursache für Behinderungen in diesem Bereich sind Tumorerkrankungen bzw. Operationsfolgen nach Tumorerkrankungen. Daneben gibt es Verletzungen und angeborene Fehlbildungen. Auch Schädigungen der diesen Bereich versorgenden Hirnnerven wie des Nervus facialis, N. glossopharyngeus und N. hypoglossus können zu entsprechenden Artikulations- und Schluckstörungen führen. Schluckstörungen können nicht nur die Nahrungsaufnahme erheblich behindern, sondern es kann infolge von Aspirationen auch zu rezidivierenden Pneumonien kommen.
Die Beurteilung im Schwerbehindertenrecht ist abhängig von der Funktionsbeeinträchtigung und kann bis zu einem GdB von 70 führen.

Kehlkopf

Schäden im Kehlkopfbereich

Schäden im Kehlkopfbereich führen bei Beteiligung der Stimmlippen zu Heiserkeit. Schäden unterschiedlichen Ausmaßes können durch Traumen, chronische Entzündungen und Tumoren entstehen. Selten finden sich angeborene Missbildungen.
Gutachtlich zu beurteilen sind einerseits die Fähigkeit zur Stimmbildung, andererseits die Verschlussfunktion des Kehlkopfs beim Schlucken. Störungen der Verschlussfunktion führen zur Aspiration mit pulmonalen Komplikationen.

Lähmung beider Stimmlippen,

Dieses Krankheitsbild tritt am häufigsten nach einer Schilddrüsenoperation mit Verletzung beider Nervi recurrentes auf.In vielen Fällen muss dauerhaft eine Trachealkanüle getragen werden, weil die Stimmritze nicht mehr geöffnet werden kann und hierdurch Luftnot ensteht. Die intraoperative Darstellung des N. recurrens mit Neuromonitoring verringert das Risiko einer Verletzung des Nervs.
Gutachtliche Bewertung: In diesen Fällen ist die MdE mit bis zu 40 % (GdB/GdB bis zu 40) einzuschätzen.

Größere Tumore

Bei größeren Tumoren im unteren Rachen und Kehlkopfbereich, selten nach Verletzungen, muss der Kehlkopf komplett entfernt werden (Laryngektomie). Bei dieser Operation werden Luft- und Speisewege getrennt. Der Patient hat ein Tracheostoma. Meistens ist er mit einer Kanüle versorgt. Der Patient verliert damit die natürliche Fähigkeit zur Stimmbildung. Zur Rehabilitation stehen eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung:
  • das Erlernen der Ruktussprache. Hierbei lernt der Patient, Luft zu schlucken und diese im Ösophagus zu speichern. Er lernt, die Luft dosiert abzugeben und benutzt die Schwingungen im Speiseröhreneingang als Ersatzstimmlippen. Manche Patienten erreichen hierin eine bewundernswerte Fähigkeit. Die Lautstärke und die Tonhaltedauer sind begrenzt.
  • Es wird mittels Prothesen oder chirurgischer Maßnahmen eine künstliche Verbindung (Fistel) zwischen Luft- und Speisewegen geschaffen. Beim Sprechen verschließt der Patient mit der Hand oder durch ein Ventil das Tracheostoma und leitet die Atemluft über die Fistel in den Hypopharynx. Vorteil dieser Methode ist, dass die Patienten bereits kurz nach der Operation ohne Lernaufwand lautsprachlich kommunizieren können. Derzeit werden die besten Ergebnisse mit primär eingesetzten Prothesen erzielt, die allerdings in Abständen, insbesondere wegen eines Defektes oder der Pilzbesiedlung, gewechselt werden müssen.
  • Künstliche Schallgeber: Hier wird meist eine elektronische Sprechhilfe angewandt, die an den Mundboden aufgesetzt wird. Nachteil der Methode ist die monotone Stimmlage („Roboterstimme“). Diese Versorgungsform stellt nur noch eine Ausnahme dar.

Tumore im Rachen- und Kehlkopfbereich

Das Kehlkopfkarzinom stellt die häufigste Tumorerkrankung im Kopf-Hals-Bereich dar, gefolgt von den Oropharynxkarzinomen. Insbesondere aber maligne Tumoren der Mundhöhle und des Mundrachens (Oropharynx), welche HPV assoziiert sind steigen in den letzten Jahren deutlich an. Die Bevölkerungsdurchseuchung ist sehr hoch. Auch jüngere Patienten können betroffen sein. Allgemein weisen dabei betroffene Personen heute oft nicht mehr die früher typische Vorgeschichte des Alkohol- und Nikotinabusus auf. Die HPV p16 positive Tumorform ist wesentlich besser zu behandeln und hat eine bessere Prognose. Für die übrigen Tumorerkrankungen gilt als ausschlaggebend die jahrelange Einwirkung von Karzinogenen wie Rauchen, begleitet von hochprozentigen Alkoholika sowie schlechte Mundhygiene. Daneben spielen Mangelernährung, genetische Veranlagung eine Rolle.

Gutachtliche Bewertung im Schwerbehindertenrecht

Gutachtlich sind die Patienten mit ihren Erkrankungs- und Operationsfolgen wesentlich im Rahmen des Schwerbehindertenrechts zu beurteilen. Für die ersten 5 Jahre nach der Diagnosestellung einer bösartigen Tumorerkrankung gilt die sog. Heilungsbewährung, das heißt die Beobachtung und Prognose des Patienten, ob er durch den Eingriff geheilt wurde und die damit für den Patienten einhergehende Risikobelastung. Nach 5 Jahren geht man von einem Dauerzustand aus. In den ersten 5 Jahren nach Laryngektomie bei Kehlkopfmalignom beträgt der GdB während der Heilungsbewährung 100, danach – je nach Ersatzstimme und Begleiterkrankungen – zwischen 70 und 80.

Gutachtliche Bewertung im Berufskrankheitenrecht

Eine berufliche Exposition gegenüber Schadstoffen kann jedoch auch eine Rolle spielen. Die Bedeutung der berufsbedingten Schadstoffexposition als Risikofaktor wird unterschiedlich eingeschätzt. Insbesondere epidemiologische Studien haben dazu beigetragen, diese Zusammenhänge für das Kehlkopfkarzinom aufzudecken. So wird das Larynxkarzinom im Zusammenhang mit einer Asbestfaserstaubexposition (BK 4104) als asbestbedingter Kehlkopfkrebs anerkannt, wenn durch Asbeststaub mitverursachte Erkrankungen der Pleura oder eine kumulative Asbestfaser-Staubdosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren nachgewiesen werden können. Diese Berufskrankheit bezieht sich nur auf das Larynxkarzinom und ist zum Beispiel von einem Hypopharynxkarzinom abzugrenzen. Tumorerkrankungen im Kehlkopfbereich durch Einwirkung ionisierender Strahlen wurden insbesondere im Uranerzbergbau in der ehemaligen DDR beobachtet und als Berufskrankheit anerkannt.
Aromatische Kohlenwasserstoffe, als karzinogene Faktoren im Tabakrauch enthalten und als solche anerkannt, erhöhen das Risiko insbesondere für Kehlkopfkarzinome um das 10- bis 17-fache. Zusammenhänge zwischen Tumorentstehung und Exposition im beruflichen Bereich werden diskutiert und können insbesondere bei den früheren hochgradigen Expositionen in Kokereien anerkannt werden (BK 4110).
Daneben finden sich berufliche Expositionen insbesondere im Straßenbau. Auch Kaltschneideöle enthalten polyzyklische Kohlenwasserstoffe. Im Baubereich wurden Teer und Pech gegen das ungefährlichere Bitumen ausgetauscht. Glasfaserstaub kann nach einer Untersuchung in einer französischen Glasfaserfabrik zu einer erhöhten Inzidenz für Plattenepithelkarzinome von Kehlkopf und Rachen führen. Als weitere ursächliche Faktoren werden Chrom, Arsen und Nickel, Farben und Lacke, Lösungsmittel, Nitrosamine sowie Mischstoffe diskutiert. An die Anerkennung nach dem Ausnahmeparagrafen § 9 Abs. 2 SGB VII (sog. „Wie-BK“) sind besondere Anforderungen gestellt (s. o. Abschn. 10.2).

Trachealstenosen

Nach Verletzungen, nach Kompressionen durch Schilddrüsentumoren und nach Langzeitintubationen werden Tracheomalazien und Trachealstenosen beobachtet, die einen lebensbedrohlichen Stridor verursachen können. Nur segelartige Einengungen können mit dem Laser behandelt werden. Die meisten erfordern chirurgische Rekonstruktionen mit oder ohne Stenteinlagen. Nicht immer ist die Behandlung erfolgreich. Einige Patienten bleiben dauerhaft Trachealkanülenträger.
Gutachtliche Bewertung
MdE/GdS/GdB müssen jeweils individuell ermittelt werden.

Speiseröhrenerkrankungen

Vor allem nach Verätzungen werden schwer zu behandelnde Stenosen beobachtet, die langzeitig bougiert werden müssen. Dauernde Speisepassagebehinderungen werden häufig mit Nährsonden versorgt, die durch die Bauchdecke geführt werden (PEG). Der Rückfluss von saurem Mageninhalt kann zu Präkanzerosen im unteren Ösophagusbereich führen (Barret-Ösophagus). Im Bereich der oberen Luft- und Speisewege können hartnäckige Pharyngitiden und Laryngitiden die Folge sein. Verschluckte Fremdkörper mit Verletzung der Speiseröhre, die auch erst im Rahmen der Fremdkörperextraktion auftreten kann, können von gutachterlicher Relevanz werden. Die Behandlung fällt meist in das Gebiet der interventionellen Gastroenterologie, welche minimal invasiv, endoskopisch chirurgische Interventionen durchführen kann.

Stimm-, Sprech- und Sprachstörungen

Die Stimm-, Sprech- und Sprachstörungen können organische und funktionelle Ursachen haben. Stimmstörungen sind auf Störungen der Stimmbildung im Kehlkopfbereich zurückzuführen und können insbesondere bei bestimmten Berufen zur teilweisen oder vollen Erwerbsminderung führen. Der Kehlkopf stellt lediglich den Tongenerator für das Sprechen dar. Die Sprechfunktion wird durch den Resonanzkörper der oberen Luftwege und die Artikulationsorgane Lippen, Wange, Zunge und Rachen geformt. Schäden der Anatomie oder der nervalen Funktion schränken die Artikulation in unterschiedlichem Maße ein.
Gutachtliche Bewertung
Die Sprechfunktion unterliegt der zentralen Steuerung und Koordination, die ggf. mit beurteilt werden muss. Für die Begutachtung dieser teilweise komplexen Störungen muss auf die phoniatrische Fachliteratur (z. B. Wendler et al. 2005) verwiesen werden. Funktionelle Stimmstörungen (hyper- oder hypofunktionelle Störungen) gelten auch bei Sprechberufen nicht als Berufserkrankung, da keine von außen vorliegende Schädigung erfolgt.
Vor Aufnahme eines Sprechberufes mit vermehrter Stimmbelastung, z. B. bei Lehrern, Kindergärtnerinnen, Sängern und Schauspielern, ist eine phoniatrische Begutachtung empfehlenswert, um spätere Dekompensationen im Laufe des Berufslebens zu vermeiden.
Stimmstörungen werden häufig erst im Laufe des Berufslebens manifest und können zum Beispiel bei Lehrern zur Dienstunfähigkeit führen. Die Einschätzung von MdE (GdS/GdB) reicht bei Stimmstörungen von 0 % (0) bei noch guter Stimme bis zu 50 % (50) bei völliger Stimmlosigkeit. Bei Artikulationsstörungen je nach Ausprägung ebenfalls von 10–50 % (10–50), bei Stottern von 0–30 % (0–30) und bei Verlust des Kehlkopfs bis zu 100 % (100). Bei Teilverlust des Kehlkopfs kann je nach Sprechfähigkeit eine MdE GdS (GdS/GdB) von 20–50  % (20–50), bei angeborener oder in der Kindheit erworbener Taubheit mit audiogenen Sprachstörungen bis zu 100  % (100) vorgeschlagen werden.
Sprach- und Sprechstörungen zentraler Ursache müssen durch ein neurologisches Zusatzgutachten mitbeurteilt werden.
Literatur
Deitmer T (2004) Gutachterliche Probleme bei Berufskrankheiten durch Inhalationsnoxen. Laryngo-Rhino-Otol 83(Suppl 1):98–121
Feldmann H (1998) Tinnitus. Grundlagen einer rationalen Diagnostik und Therapie. Thieme, Stuttgart
Feldmann H, Brusis T (2019) Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 8. Aufl. Thieme, Stuttgart
Frank W, Konta B, Seiler G (2006) Therapie des unspezifischen Tinnitus ohne organische Ursache. Schriftenreihe Health Technology Assessment, Bd. 43. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Köln
Plontke S, Zenner H-P (2004) Aktuelle Gesichtspunkte zu Hörschäden durch Berufs- und Freizeitlärm. Laryngo-Rhino-Otol 83(Suppl 1):98–121
Wendler J, Seidner W, Eysholt U (2005) Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie, 4. Aufl. Thieme, Stuttgart