Einführung
In Ergänzung der Sozialversicherung und des sozialen Entschädigungsrechts bildet die Soziale Hilfe (Fürsorge) das „unterste soziale Netz“ des Gesamtsystems der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Die Leistungen gliedern sich seit den Reformen mit Wirkung in 2003 und 2005 in die Grundsicherung für Arbeitssuchende (2. Buch Sozialgesetzbuch, SGB II), die Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung (12. Buch Sozialgesetzbuch, SGB XII, 4. Kapitel) und die Hilfe zum Lebensunterhalt (3. Kapitel SGB XII) sowie Hilfen in „besonderen Lebenslagen“ (12. Buch Sozialgesetzbuch, SGB XII, 5. und 7–9. Kapitel; Eingliederungshilfe für behinderte Menschen seit 2020 im 9. Buch Sozialgesetzbuch, SGB IX, Teil 2). Hinzu kommen noch für gering verdienende Alleinerziehende oder Familien mit Kindern der Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz und für Personen, die aufgrund ihres geringen Einkommens einen Zuschuss zur Miete (Mietzuschuss) oder zu den Kosten selbst genutzten Wohneigentums (Lastenzuschuss) bedürfen, Leistungen nach dem Wohngeldgesetz (WoGG), wenn damit jeweils der Bezug von Leistungen der Grundsicherung oder der Hilfe zum Lebensunterhalt vermieden werden kann. Es handelt sich dabei um eine gezielte Förderung, um diesen Personen den Bezug von Arbeitslosengeld II zu ersparen und zugleich den Arbeitsanreiz zu erhöhen.
Für Ausländer sind in Abhängigkeit ihres Aufenthaltsstatus leistungseinschränkende Sonderregelungen in § 23 SGB XII zu beachten. Leistungen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) werden je nach der Dauer des Aufenthalts und des Verhaltens des Asylbewerbers differenziert gewährt. Leistungen für Deutsche im Ausland werden nur in äußersten Notlagen gezahlt (§ 24 SGB XII).
Erwerbsfähigkeit – Abgrenzung SGB II und SGB XII
Maßstab zur Abgrenzung
, wer aus welchem System (SGB II oder SGB XII) Leistungen erhält, ist die Erwerbsfähigkeit des Anspruchsberechtigten. Ausgenommen von Sozialhilfeleistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) und 4. Kapitel SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) sind erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Alter zwischen 15 und 64 Jahren, die einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) haben; sie erhalten Arbeitslosengeld II, ihre mit ihnen zusammenlebenden (Bedarfsgemeinschaft) nicht erwerbsfähigen Angehörigen erhalten Sozialgeld. Ältere und dauerhaft erwerbsgeminderte Anspruchsberechtigte erhalten nach dem 4. Kapitel SGB XII Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung; nicht dauerhaft erwerbsgeminderte Anspruchsberechtigte erhalten nach dem 3. Kapitel SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt. Das bis Ende 2019 nur für Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII existente Unterhaltsrückgriffs-Privileg für die Angehörigen wurde mit Wirkung zum 01.01.2020 auf alle Kapitel des SGB XII - auch der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel SGB XII ausgedehnt (Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe – [Angehörigen-Entlastungsgesetz] vom 10.12.2019, BGBl. I 2135). Auf einen Unterhaltsrückgriff wird bei einem bestimmten Gesamteinkommen, wenn die Summe der Einkünfte i. S. d. Einkommensteuerrechts jedes Unterhaltsverpflichteten unter 100.000 € jährlich liegt, verzichtet. Ziel ist es, verschämte Altersarmut zu bekämpfen und die Betroffenen zu ermutigen, Ansprüche geltend zu machen, ohne dass sie dabei Angst vor einem Regress, der Angehörige belastet, haben müssten.
Bei Streit über den Status der
Erwerbsminderung erfolgt nach § 44a SGB II (Feststellung von
Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit) eine Klärung, die ggf. durch gutachterliche Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers zur Erwerbsfähigkeit alle gesetzlichen Leistungsträger bindet.
Auf Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherungsleistungen besteht aber nur dann ein Anspruch
, wenn der Antragsteller den notwendigen Lebensunterhalt weder aus eigenen Mitteln (Einkommen und Vermögen) und Kräften (Einsatz der Arbeitskraft) noch mit Hilfe anderer (vorrangige Sozialleistungen, Unterhaltsansprüche) bestreiten kann. Bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende liegt der Schwerpunkt auf der Stärkung der Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (§ 1 SGB II). Diese sollen bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützt werden (Eingliederung in den Arbeitsmarkt unter Einsatz der Instrumente der aktiven Arbeitsmarktförderung).
Bedürftigkeit
Bedürftigkeit und damit ein potenzieller Anspruch
auf Leistungen liegt vor, wenn Antragsteller kein oder zu wenig Erwerbseinkommen und/oder Vermögen haben, keine ausreichende Leistungen anderer Sozialleistungsträger erhalten oder wenn Unterhaltszahlungen ausbleiben oder zu gering sind, um den festgestellten Bedarf abzudecken. Erwerbseinkommen und Vermögen wird grundsätzlich in voller Höhe bei der Feststellung der Bedürftigkeit berücksichtigt (§§ 11 ff., 30 SGB II, §§ 82 ff. SGB XII). Nicht berücksichtigt werden etwa kleinere Beträge (aus Hinzuverdiensten, Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeit, vorhandene Barbeträge – die Freibeträge sind im Rechtskreis des SGB II in Abhängigkeit vom Lebensalter deutlich höher als nach dem SGB XII), Kapital, das – einschließlich seiner Erträge – der zusätzlichen Altersvorsorge („Riester-Rente“) dient, ein angemessenes Hausgrundstück und Familien- und Erbstücke, deren Veräußerung für den Hilfesuchenden oder seine Familie eine besondere Härte bedeuten würde. Mit Artikel 2 des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BetrRSG) vom 17.08.2017 (BGBl. I S. 3214) wurden mit Wirkung zum 01.01.2018 und mit dem Grundrentengesetz vom 12.08.2020 (BGBl. I S. 1879) wurden mit Wirkung zum 01.01.2021 Freibeträge für den Bezug von Betriebsrenten und einer Grundrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt.
Unterhaltsrückgriff
Der Unterhaltsrückgriff ist in den §§ 93 f. SGB XII (§ 33 SGB II) geregelt. Die Einkommens- und Vermögensanrechnung sowie der Unterhaltsrückgriff ist bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, weniger restriktiv ausgestaltet (§§ 135 ff. SGB IX).
Ausgeführt wird das SGB II nach der Korrektur des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007 (BVerfGE 119, 331) aufgrund organisatorischer Neuregelung der Grundsicherungsträger (Zulassung der Mischverwaltung, also gemeinsame Bundes- und Landesbehörden, Art. 91e GG) durch sog. Gemeinsame Einrichtungen, den Jobcentern, die nicht selbst Leistungsträger sind; vielmehr lassen Bund und Kommunen ihre Aufgaben durch die Gemeinsame Einrichtung wahrnehmen (statt wie bisher durch Arbeitsgemeinschaften) oder alternativ durch zugelassene kommunale Träger. Die Sozialhilfe (SGB XII) und die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (2. Teil SGB IX) werden überwiegend durch kommunale Träger (örtliche und überörtliche Träger, Zuständigkeit in den §§ 97 ff. SGB XII, 98 SGB IX und den Ausführungsgesetzen zum SGB XII der Länder geregelt) ausgeführt.
Finanzierung der Leistungen
Finanziert werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende vorwiegend durch den Bund, wobei die Länder (Kommunen) einen Anteil an den Kosten der Unterkunft tragen. Sozialhilfeleistungen mit Ausnahme der Ausgaben der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung (hier hat der Bund ab 2014 die volle Finanzierung übernommen) werden aus Steuermitteln der ausführenden Behörden finanziert, also von den Ländern; soweit Kommunen Aufgaben der Sozialhilfe ausführen, tragen diese die daraus resultierenden Ausgaben.
Im Jahr 2021 waren ca. 5,68 Mio. Menschen auf laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Nettoausgaben in Höhe von ca. 20 Mrd. Euro ohne Kosten der Unterkunft, diese ca 10 Mrd. Euro in 2021, Anteil Bundesbeteiligung), im Dezember 2020 120.000 Menschen auf laufende Leistungen der Sozialhilfe außerhalb von Einrichtungen (Nettoausgaben in Höhe von ca. 0,9 Mrd. Euro in 2020) und 1.099.000 Menschen auf laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung (Stand Dezember 2020, Nettoausgaben in Höhe von ca. 7,6 Mrd. Euro in 2020) angewiesen.
Arten der Leistungsgewährung
Die Leistungen der sozialen Sicherungssysteme werden in Form von Dienstleistungen (Beratung und Unterstützung bei der Beschaffung einer Wohnung oder eines Heimplatzes), Geldleistungen (z. B. die laufende monatliche Zahlung von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld), Gutscheinen (z. B. angemessene Lernförderung für Schüler), Direktzahlung an Anbieter von Leistungen (z. B. Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben für Schüler) oder Sachleistungen (z. B. bei der Erstanschaffung von Hausratsgegenständen oder Bekleidung) erbracht. Mit Ausnahme der laufenden monatlichen Geldleistungen bedienen sich die Sozialhilfe-, Eingliederungshilfe- und Grundsicherungsträger häufig der Leistungserbringung Dritter (z. B. Einrichtungen der Behindertenhilfe). Das 10. Kapitel SGB XII und das 8. Kapitel SGB IX 2. Teil für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen sehen die entsprechenden Bestimmungen für die Vertragsgestaltung vor.
Höhe der Leistungen
Mit Ausnahme der Hilfen in „besonderen Lebenslagen“, die ergänzend auch Bezieher von laufenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende erhalten können (§ 5 Abs. 2 SGB II), sind die Leistungshöhen der laufenden Geldleistungen in SGB II und SGB XII identisch. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1, 3 und 4/09), das den Gesetzgeber verpflichtet hat, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums so zu konkretisieren, dass „alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht“ bemessen werden, erfolgte mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl. I S. 453) eine verfassungskonforme Neujustierung der Berechnung der Regelbedarfe für Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung.
Diese werden nach dem Vorliegen einer neuen bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) alle 5 Jahre neu berechnet und in einem Regelbedarfsermittlungsgesetz festgesetzt. Der Regelsatz stellt einen monatlichen Pauschalbetrag zur Bestreitung des Regelbedarfs dar, über dessen Verwendung die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich entscheiden, wobei sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen haben.
Seit den Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1, 3 und 4/09) gibt es keine gesetzliche Regelung eines Lohnabstandsgebotes mehr. Gleichwohl muss der Gesetzgeber im Blick auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Sozialhilfe darauf achten, dass diese nicht das verfügbare Einkommen aus Erwerbstätigkeit erreicht, sondern der Bezug von existenzsichernden Leistungen nicht attraktiver ist als Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Deshalb werden die Höhe der Regelbedarfe am Lebensstandard einkommensschwacher Haushalte orientiert; konkret an den durchschnittlichen Verbrauchsausgaben des unteren Einkommensquintils (abzüglich Transferleistungsbezieher) der Gesamtbevölkerung. Dieser Ansatz ist großzügig bemessen, da nach aktuell angewandter Systematik das für die Ermittlung der Verbrauchsausgaben herangezogene obere Grenzeinkommen der Referenzhaushalte aus Sonderauswertung der EVS 2018 zu Einpersonenhaushalten mit 1086 Euro (verfügbares Einkommen = Nettoeinkommen) bereits an den gesetzlichen Mindestlohn 2018 heranreicht (verfügbares Einkommen = 1150; berechnet auf der Basis 8,84 Euro/Stunde, Wochenarbeitszeit 40 Stunden = monatlicher Bruttolohn von 1530 €, was nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen einem Nettolohn von 1150 € entspricht).
Diese ermittelten Beträge werden, beginnend mit dem 1. Januar der Folgejahre so lange, bis neue Ergebnisse einer bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegen, jährlich auf der Grundlage der zurückliegenden bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen mit einem Anteil von 70 vom Hundert sowie der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Nettolöhne nach der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung mit einem Anteil von 30 vom Hundert (Mischindex) fortgeschrieben. Tab.
1 Im Jahre 2020 wurde ein neues Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG 2021
) mit Wirkung zum 01.01.2021 erlassen werden, das die Ergebnisse der EVS 2018 umsetzt (BR-Drs. 486/20; RBEG 2021 vom 09.12.2020, BGBl. I 2855).Tab. 1
Regelsätze in der Grundsicherung und Hilfe zum Lebensunterhalt
1 | 432 | 446 | 449 |
2 | 389 | 401 | 404 |
3 | 345 | 357 | 360 |
4 | 328 | 373 | 376 |
5 | 308 | 309 | 311 |
6 | 250 | 283 | 285 |
Regelsätze/Mehrbedarfe
Die Regelsätze umfassen nach der letzten Anpassung durch die Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnungen 2022 - (RBSFV 2022) vom 13.10.2021 (BGBl. I 4674); die Werte ab 01.01.2021 wurden mit dem RBEG 2021 vom 09.12.2020 (BGBl. I 2855) neu festgesetzt:
Die Regelbedarfsstufen sind wie folgt definiert:
-
Regelbedarfsstufe 1:
alleinstehende oder alleinerziehende Leistungsberechtigte, die einen eigenen Haushalt führen, auch wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die Leistungen der Regelbedarfsstufe 3 erhalten;
-
Regelbedarfsstufe 2:
Ehegatten und Lebenspartner sowie andere erwachsene Leistungsberechtigte, die in einem gemeinsamen Haushalt leben und einen gemeinsamen Haushalt führen;
-
Regelbedarfsstufe 3:
erwachsene Leistungsberechtigte, die keinen eigenen Haushalt führen, weil sie im Haushalt anderer Personen leben (eine Überprüfung dieser Regelbedarfsstufe ist angekündigt);
-
Regelbedarfsstufe 4:
Jugendliche von Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres;
-
Regelbedarfsstufe 5:
Kinder vom Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres;
-
Regelbedarfsstufe 6:
Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres.
Im Einzelfall wird der individuelle Bedarf abweichend vom Regelsatz festgelegt, wenn ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 27a Abs. 4 SGB XII); in der Grundsicherung für Arbeitssuchende kann über eine Härtefallklausel ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf über den Regelsatz hinaus geltend gemacht werden (§ 21 Abs. 6 SGB II).
Kann das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe bei der Bestreitung des Regelbedarfs nicht berücksichtigt werden (und war es nicht möglich, z. B. für die notwendige Anschaffung eines größeren Haushaltsgerätes durch Ansparen vorzusorgen), können auch Darlehen gewährt werden (§ 37 SGB XII, z. B. § 27 Abs. 4 SGB II).
Die tatsächlichen Kosten für angemessene Unterkunft und Heizung sowie Kosten dezentraler Warmwassererzeugung kommen jeweils hinzu (§§ 21 Abs. 7, 22 SGB II, §§ 30 Abs. 7, 35 SGB XII). Auch können Hilfen zur Sicherung der Unterkunft (z. B. Mietschulden) erbracht werden (§ 22 Abs. 8 SGB II, § 36 SGB XII).
Folgende Wohnungsgrößen gelten als angemessen (Richtwerte) für SGB-XII-Leistungen:
-
45–50 m2 für eine Person,
-
60 m2 oder 2 Zimmer für zwei Personen,
-
75 m2 oder 3 Zimmer für drei Personen,
-
85–90 m2 oder 4 Zimmer für vier Personen.
Ein eigenes Haus darf in der Regel bis zu 130 m
2 groß sein, eine eigene Wohnung in der Regel bis zu 120 m
2. Bei den angegebenen Zahlen handelt es sich nur um Richtwerte. Die Besonderheiten des Einzelfalls sind zu beachten. Dabei ist beispielsweise zu berücksichtigen, wie viel die Wohnung tatsächlich kostet. Maßgebend sind nur die gültigen Richtlinien bei den Sozialhilfeträgern. In besonders begründeten Einzelfällen kann eine Überschreitung der Höchstwerte der gültigen Richtlinien notwendig sein, unter anderem bei einer dauerhaften Erkrankung, Behinderung oder besonderen Lebensumständen, wenn dadurch ein besonderer Mehrbedarf begründet wird oder bei akut notwendiger Wohnraumversorgung, wenn Wohnungen zum Höchstwert tatsächlich nicht zur Verfügung stehen.
Mehrbedarfe und einmalige Bedarfe
Mehrbedarfe
kommen bis zum Höchstgrenzbetrag (addiert darf der Gesamtbetrag der Mehrbedarfe die maßgebende Regelbedarfsstufe nicht übersteigen) gegebenenfalls hinzu (§ 30 SGB XII, § 21 SGB II). Diese Mehrbedarfe betragen:-
für werdende Mütter vom Beginn der 13. Schwangerschaftswoche an: 17 % der Regelbedarfsstufe 1;
-
für Personen, die mit einem Kind unter 7 Jahren oder mehreren Kindern unter 17 Jahren zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen: 36 % der Regelbedarfsstufe 1 oder – falls Vorstehendes nicht greift – 12 % der Regelbedarfsstufe 1 für jedes Kind, höchstens jedoch 60 % der Regelbedarfsstufe 1;
-
für Personen, die einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen G haben und entweder das 65. Lebensjahr vollendet haben oder voll erwerbsgemindert nach dem Recht der
gesetzlichen Rentenversicherung sind: 17 % der maßgebenden Regelbedarfsstufe;
-
für behinderte Menschen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben und denen Eingliederungshilfe für Schul- und Ausbildung gewährt wird: 35 % der Regelbedarfsstufe 1;
-
für kranke, genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwendigeren Ernährung bedürfen: einen Mehrbedarfszuschlag in angemessener Höhe.
Einmalige Bedarfe (die bis zur Reform von 2005 eine große Bedeutung hatten, die Regelsätze hatten aber ein um rd. 15 vom Hundert niedrigeres Niveau) kommen hinzu (§ 23 Abs. 3 SGB II, § 31 SGB XII); das sind ausschließlich Leistungen für-
die Erstausstattung der Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten,
-
die Erstausstattung mit Bekleidung und bei Schwangerschaft und Geburt,
-
die Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen, Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von therapeutischen Geräten.
Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung können zusätzlich erbracht werden (§ 26 SGB II, § 32 SGB XII).
Besondere Bedarfe von Kindern und Jugendlichen
Einen besonderen Stellenwert hat das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl. I S. 453) mit Wirkung zum 1. Januar 2011 in Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1, 3 und 4/09) den Bedarfen von Kindern und Jugendlichen beigemessen. In Bildung und Teilhabe liegt für Kinder und Jugendliche eine Schlüsselfunktion für die Herstellung von Chancengerechtigkeit. Diese Leistungen stehen auch Kindern von Beziehern des Kinderzuschlags nach § 6a Bundeskindergeldgesetz oder von Wohngeldleistungen nach dem Wohngeldgesetz zu.
Zusätzlich zu den Regelbedarfen sind seitdem für Kinder und Jugendliche (grundsätzlich bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres) folgende Leistungen (Bedarfe für Bildung und Teilhabe
am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft, § 28 SGB II, § 34 SGB XII) vorgesehen:-
Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen; für Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen, entsprechende Leistungen;
-
die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf in Höhe von insgesamt 150 € jährlich (ab 2021 dynamischer Betrag in Abhängigkeit von der jährlichen Regelbedarfsstufen-Fortschreibung, 2022 erstes Schulhalbjahr 104 €, zweites Schulhalbjahr 52 €). Die Erhöhung von 100 € auf 150 € jährlich erfolgte zum 01.01.2019 mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung (Gute-KiTa-Gesetz) vom 14.11.2018 (BGBl. I 2696);
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die tatsächlichen Aufwendungen der Schülerbeförderung für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs, soweit der leistungsberechtigte Schüler darauf angewiesen ist, die dafür erforderlichen Aufwendungen nicht von Dritten übernommen werden und es dem leistungsberechtigten Schüler nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten;
-
eine angemessene Lernförderung für Schüler (Nachhilfe), wenn schulische Angebote nicht oder nicht ausreichend verfügbar sind und diese Nachhilfe geeignet und erforderlich ist, um das nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegte Lernziel zu erreichen; für Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen, entsprechende Leistungen;
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die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft zur Finanzierung von Mitgliedsbeiträgen in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit sowie von Unterricht oder vergleichbaren Aktivitäten in kultureller Bildung (z. B. Musikunterricht) in Höhe von insgesamt 120 Euro jährlich;
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einen Zuschuss zu einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung für Schülerinnen und Schüler sowie für Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen oder für die Kindertagespflege geleistet wird.
Die Kap. 5 und 7–9 SGB XII und Teil 2 SGB IX sehen darüber hinaus Leistungen vor, die Menschen in besonderen Lebenslagen zustehen.
Hilfen zur Gesundheit (Kap. 5 SGB XII)
Hilfen zur Gesundheit haben seit der Reform mit Wirkung zum 1. Januar 2004, mit der Leistungsberechtigte weit überwiegend Ansprüche in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten haben, nur noch eine untergeordnete Bedeutung. Nur Leistungsberechtigte, die voraussichtlich nicht mindestens einen Monat ununterbrochen Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen, erhalten keine Krankenbehandlung von der Krankenkasse (§ 264 SGB V). Die notwendige medizinische Versorgung dieser Personen stellen die Sozialhilfeträger im Rahmen der Hilfen zur Gesundheit (§§ 47 ff. SGB XII) sicher.
Bezieher von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld sind krankenversichert.
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (Teil 2 SGB IX)
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
erhalten Personen, die durch eine (auch drohende) Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind (§ 99 SGB IX i. V. m. §§ 53 ff. SGB XII). Die Eingliederungshilfe soll den behinderten Menschen zu einem weitgehend selbstständigen Leben befähigen. Dazu gehört vor allem, dass der behinderte Mensch einen angemessenen Beruf ausüben und möglichst unabhängig von Pflege leben kann. Leistungen der Eingliederungshilfe (§§ 113 ff. SGB IX) sind insbesondere:-
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben. Sie entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit;
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heilpädagogische Hilfen für Kinder, die noch nicht zur Schule gehen (z. B. Frühförderung);
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Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, zu einer schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf und zu einer Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit;
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3Leistungen im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen. Diese Leistungen erhalten Menschen mit Behinderungen, bei denen aus behinderungsbedingten Gründen eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommt, die aber in der Lage sind, ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen;
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Assistenzleistungen.
Die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen sind die bedeutendste Sozialhilfeleistung für eine besondere Lebenslage, die seit Jahren eine hohe Dynamik aufweist (signifikant steigende Empfängerzahlen und damit einhergehende Ausgabensteigerungen; so bezogen am 31. Dezember 2020 etwa 804.000 Menschen Leistungen der Eingliederungshilfe bei Nettoausgaben in Höhe von ca. 20,8 Mrd. Euro im Jahre 2020). Auch aus diesem Grunde gab es im Jahre 2016 eine große Reform der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen mit Wirkung im Schwerpunkt (Strukturreform) in 2020 (Teil 2 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen) – [Bundesteilhabegesetz] vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234). Im Mittelpunkt steht die strukturelle Weiterentwicklung und Veränderungen in bestehenden Sozialhilfebezügen mit dem Ziel einer personenzentrierten Eingliederungshilfe, bei der der leistungsberechtigte behinderte Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen und Wünschen im Mittelpunkt steht. Bedarfsgerechte und bedarfsdeckende Leistungen werden seit 2020 unabhängig vom Ort der Leistungserbringung (ambulante, teilstationäre und stationäre Leistungsformen) gewährt werden, ohne hierdurch den Wunsch und das Bedürfnis nach einer Teilhabe auch in teilstationären und stationären Bezügen generell infrage zu stellen.
Hilfe zur Pflege (Kap. 7 SGB XII)
Die Sozialhilfe unterstützt auch pflegebedürftige Personen, indem sie die mit der Pflege verbundenen Kosten ganz oder teilweise übernimmt (§§ 61 ff. SGB XII). Die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der
Pflegebedürftigkeit nach der gesetzlichen Pflegeversicherung ist auch für die Entscheidung im Rahmen der Hilfe zur Pflege
verbindlich, soweit sie auf Tatsachen beruht, die auch bei der Sozialhilfeleistung zu berücksichtigen sind. Faktisch ergänzt die Hilfe zur Pflege mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit trotz (Teilkasko-)Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die von Ländern und Kommunen zu tragenden Ausgaben betrugen 2020 rd. 3,65 Mrd. Euro bei einer Anzahl von Leistungsempfängern zum 31. Dezember 2020 in Höhe von 316.000.
Andere Hilfen (Kap. 8 SGB XII)
Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (insb. Obdachlosenhilfe) nach den §§ 67 ff. SGB XII und Hilfen in anderen Lebenslagen (z. B. Blindenhilfe) nach den §§ 70 ff. SGB XII haben nur eine untergeordnete Bedeutung.
Rechtsschutz
Rechtsschutz gegen die Entscheidungen der Sozialhilfe- und Grundsicherungsträger ist durch Widerspruch und Klage vor dem Sozialgericht möglich.