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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 10.12.2022

Verletzungen der Nieren – Begutachtung

Verfasst von: Wolfgang Diederichs und Jana Pretzer
In Deutschland und Europa gehören Nierentraumata zu den seltenen Erkrankungen. Im klinischen Alltag finden sich eher iatrogene Nierentraumen, die meist im kleinen einstelligen Prozentsatz auftreten. In der Notfallambulanz sollten bei den Betroffene zunächst eine orientierende Sonographie des Abdomens und des Retroperitoneums vorgenommen werden. Je nach Ausmaß der Verletzung erfolgt dann beim Erwachsenen eine Computertomographie, die beim polytraumatisierten Patienten den gesamten Körper erfassen sollte (Traumaspirale). Mittels dieser Diagnostik kann dann eine Klassifikation der Nierentraumata erfolgen.
Im Rahmen der Nachsorge bei einer Nierenverletzung bzw. im Rahmen einer Begutachtung von Verletzungsfolgen an der Niere stehen Untersuchungen von Urin, Blut sowie bildgebenden Verfahren (Sonographie, CT) im Vordergrund. Im Einzelfall kann auch eine seitenbezogene Funktionsbestimmung durch ein Isotopennephrogramm notwendig werden, da sich die Beurteilung der MdE bei Nierenschäden nach der verbliebenen Clearence (Entgiftungsleistung) richtet und damit nach dem Ausmaß der Störungen der Harnproduktion und/oder des Harntransportes.

Anatomie von Nieren und Retroperitonealraum

Beim Erwachsenen liegen die Nieren umgeben von einer Fettkapsel (Capsula adiposa), die ein Mehrfaches des Nierenvolumens ausmachen kann, geschützt zwischen dem hinteren Bauchfell und der Wirbelsäule. Umgeben werden die Nieren samt der Fettkapsel und den Nebennieren von einem Fasziensack (Gerota-Faszie), der Fascia renalis. In diesem Sack besteht für die Niere eine gewisse Beweglichkeit, da die Niere nur fixiert ist im Bereich des Nierenbeckens, des ureteropelvinen Überganges, sowie am Gefäßstil (Coccolini et al. 2019). Bei bestimmten Verletzungsformen kann es daher isoliert zu einer erheblichen Zugbelastung durch ein Pendel- oder Schleudermoment an den Nierengefäßen kommen (Coccolini et al. 2019), insbesondere nach Hochrasanztraumata.
Bei Kindern liegen andere anatomische Gegebenheiten vor, da das perirenale Fett geringer ausgebildet ist, der abdominale Muskelmantel dünner ist, keine Ossifikation der Rippen besteht, die Nierengröße vergleichsweise größer ist und infolge der fetalen Lappung des Nierenparenchyms eine erhöhte Verletzbarkeit der Nieren besteht (Coccolini et al. 2019).

Häufigkeit von Nierenverletzungen

In Deutschland und Europa gehören Nierentraumata zu den seltenen Erkrankungen (Staehler 2016). In Mitteleuropa ebenso wie in einem Großteil der industrialisierten Staaten präsentieren sich Patienten mehrheitlich mit stumpfen Nierentraumata, wobei die Verletzung durch Schuss-, Stich- und Hiebwaffen in den Schwellenländern der Industriestaaten in den USA deutlich höher ist (Staehler 2016). Weltweit werden pro Jahr etwa 250.000 Verletzungen der Nieren registriert, wobei die Dunkelziffer stumpfer niedriggradiger Nierenkontusionen sicherlich höher liegt (Staehler 2016). Der Anteil der Patienten mit einer Beteiligung der Nieren an der Gesamtzahl der Traumapatienten wird mit etwa 2–5 % angegeben (Staehler 2016).
Im klinischen Alltag finden sich jedoch eher iatrogene Nierentraumen, die meist im kleinen einstelligen Prozentsatz auftreten (Summerton et al. 2015). Hierbei kommt in es in erster Linie bei einer extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie sowie im Rahmen von perkutanen (Nephrostomie, Nephrolithotomie) oder laparoskopischen (Nierentumorresektion) Niereneingriffen zu entsprechenden Verletzungen (Rassweiler et al. 2020). Aber auch nach Nierenbiopsien, insbesondere bei transplantierten Nieren, Endopyelotomien, Kryoablation von kleinen Nierentumoren oder Angioplastien mit Stenteinlage bei Nierenarterienstenosen kann es zur Ausbildung von Gefäßaneurysmen, arteriovenösen Fisteln oder Nierenparenchymverletzungen kommen (Summerton et al. 2012).

Klinische Einteilung traumatisierter urologischer Patienten

Prinzipiell müssen die Patienten eingeteilt werden in klinisch stabile und klinisch instabile Patienten (Staehler 2016). Kritisch instabile Patienten müssen sofort behandelt werden. Dabei hängt der Grad der Instabilität ab und von der Möglichkeit der Stabilisierung durch eine Volumengabe oder durch Transfusion. Gelingt die klinische Stabilisierung nicht, muss die sofortige chirurgische Intervention erfolgen.
Bei klinisch stabilen Patienten ergeben sich wesentliche Aspekte durch die anatomische Situation und die Integrität der Gerota-Faszie (Staehler 2016). Solange diese intakt ist, ist ein zunächst ein konservatives Vorgehen gerechtfertigt, da Blutungen im Retroperitoneum durch eine Autotamponade innerhalb der Gerota-Faszie gestoppt werden können. Eine Ausnahme ist dabei die komplette Zerreißung des Nierenstiels, wobei diese meist auch mit einer Läsion der Gerota-Faszie vergesellschaftet ist (Staehler 2016).

Klassifikation der Nierentraumata nach der American Association for the Surgery of Trauma (AAST) (Coccolini et al. 2019; Lent und Salem 2020)

Grad I:
Kontusion oder nicht expandierendes subkapsuläres Hämatom
Grad II:
Rindenläsion <1 cm tief ohne Urinaustritt, nicht expandierendes perirenales Hämatom
Grad III:
Rindenläsion >1 cm tief ohne Urinaustritt
Grad IV:
Zerreißung durch Rinde und Mark in das Nierenbecken-Kelchsystem oder in die segmentalen Arterien/Venen mit umgebendem Hämatom oder partielle Gefäßläsion oder Gefäßthrombose
Grad V:
Zerreißung mit Zertrümmerung der Niere oder des Gefäßsystems, Einriss oder Abriss der Stielgefäße (Abb. 1)

Stumpfe Nierentraumen

90 % der regionalen Traumata sind durch stumpfe Gewalteinwirkung verursacht: Schläge, Stürze, Unfall, Sportverletzungen, Tritte (Staehler 2016). Dabei lässt sich meist vom Unfallhergang nicht sicher auf die auftretende Gewalt zurückschließen, insbesondere bei den sogenannten Beschleunigungsverletzungen bei denen es zu Dezelerationstraumen mit Gefäßläsionen im Bereich des Nierenstieles kommen kann (Staehler 2016).
Für das stumpfe Trauma kommen zwei Mechanismen infrage (Rassweiler et al. 2020):
  • die Berstungsruptur mit direkter Einwirkung der Unfallkraft z. B. bei Quetschungen, Prellung der Flanke bzw. des Abdomens
  • dass Dezelerationstrauma mit indirekter Unfallkraft und gehäuftem Auftreten von isolierten Gefäßstielverletzungen

Offene Nierenverletzungen

Bei der offenen Verletzung wirkt eine direkte penetrierende Kraft (zum Beispiel Schuss, Stich, Pfählung) auf das Organ ein (Rassweiler et al. 2020). Hierbei wird unterschieden zwischen einem Penetrationstrauma durch Hochgeschwindigkeitsprojektile (Gewehrkugel), Projektile mittlerer Geschwindigkeit (Pistolenkugel) sowie durch Gerätschaften mit geringer Geschwindigkeit (Messer, Besenstiel) (Kitrey et al. 2020; Rassweiler et al. 2020).

Verletzungen der Nierengefäße

Bei den Gefäßstielverletzungen muss zwischen Gefäßverletzungen der arteriellen und venösen Strombahn mit Einriss, Abriss oder intramurale Intimaläsionen unterschieden werden (Staehler 2016). Das Problem vaskulärer Ereignisse ist immer eine Parenchym-Schädigung durch die Minderperfusion, wobei hier keine Erfahrungswerte vorliegen, in welchem Umfang die Perfusion verringert sein muss, bevor eine irreversible Parenchym-Schädigung eintritt (Staehler 2016).
Lent (Lent 2015) hat in einem Fallbeispiel eine Nieren-Gefäßverletzung vorgetragen bei einem 57-jährigen Patienten, bei dem im Rahmen einer Bifurkations-Aortenprothesen-Implantation eine Revaskularisation beider Nierenarterien vorgenommen wurde. Hierbei kam es zu einer Verletzung der linken Vena renalis mit transfusionspflichtiger Blutung und einer Verletzung des linken Nierenbeckens mit nachfolgendem Urinom und septischen Temperaturen bei MRSA Infektion. Nach der Verlegung in ein Universitätsklinikum fand sich bei der sofortigen Revisionsoperation eine eitrige Umfließung von Prothese, Bypass und Arterie, deren Folgen durch Multiorganversagen tödlich ausgingen. Gutachterlich wurde abschließend die mangelnde Indikation wegen einer unbegründeten bzw. unnötigen Nierenarterien Revaskularisation als Fehler festgestellt und die mangelnde Eingriffstechnik wegen unsachgemäßer Mobilisation der linken Nierenvene mit dem vermeintlichen Schaden einer unnötigen Gefäßrekonstruktion mit tödlichem Ausgang ebenfalls als fehlerhaft bewertet.

Nierenverletzungen bei Traumapatienten

Nierenverletzungen finden sich in bis zu 5 % bei Traumapatienten. Meist sind dies junge Männer. Bei der Gesamtbevölkerung beträgt die Inzidenz 4,9 % pro 100.000 (Kitrey et al. 2020)
Gutachtenbeispiele
Beispiel 1:
Ein 11 Jahre alter Junge stürzte beim Fußballspielen mit der linken Flanke auf einen Betonpfeiler. Es bestand ein diffuser Schmerz in der linken Flanke. Bei der Diagnostik in der erstversorgenden Klinik (MRT Abdomen, Angio-CT Abdomen) zeigte sich eine horizontale Zerreißung der linken Niere im Übergang vom proximalen zum mittleren Nierendrittel mit ausgeprägtem Hämatom und Dislokation des distalen Pols nach kaudal. Bei angiographisch fortbestehender aktiver Blutung erfolgte die selektive Embolisation. Bei der Kontrolluntersuchung am Folgetag (Angio-CT Abdomen) bei zunehmendem Bauchumfang und drohendem abdominellem Kompartmentsyndroms zeigte sich ein zunehmendes retroperitoneales Hämatom und eine fehlende Durchblutung des abgerissenen unteren Nierendrittels. Es wurde die Indikation zur Nephrektomie gestellt.
Bei der Begutachtung des Versicherten 15 Monate später zeigte sich der Versicherte in gutem Allgemeinzustand mit einer unauffälligen Nierenfunktion der Restniere. Die unfallbedingte Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit wurde auf 20 % eingeschätzt, da dem Versicherten nur noch mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen zuzumuten sind. Schwere körperliche Arbeiten mit Schweißverlust können lebensbedrohliche Erkrankungen der Restniere zur Folge haben. Deshalb sind eine zusätzliche Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber besonderer Anspannung der körperlichen und geistigen Kräfte geboten (Abb. 2).
Beispiel 2:
Ein 25 Jahre alter Mann erlitt einen Motorradunfall auf dem Heimweg von der Arbeit und kollidierte mit einem Pkw. Er zog sich dabei eine Nierenverletzung links, eine Milzruptur, Orbitaboden-, BWK-1-, HWK-7-, Clavikula- und Sternumfraktur unter anderem zu. Nach Abschluss der Primärdiagnostik erfolgte die notfallmäßige Laparotomie mit Milzentfernung und Naht der linken Niere . Eine Nierenfunktionsszintigraphie 7 Monate nach dem Unfall zeigte eine seitengetrennte Funktion von 28 % der linken und 72 % der rechten Niere bei einer tubulären Extraktionsrate (MAG-3-Clearance) von 391 ml/min/1,73 m 2 (Norm >249). Im Rahmen der Begutachtung 3 Jahre nach dem Unfall zeigte sich der Versicherte in gutem Allgemeinzustand. Ein Hypertonus konnte nicht nachgewiesen werden. Die nierenszintigraphische Kontrolle 3 Jahre nach dem Unfall ergab eine seitengetrennte Funktion von 32 % der linken und 68 % der rechten Niere bei einer tubulären Extraktionsrate (MAG-3-Clearance) von 373ml/min/1,73m 2 (Norm >244). Es zeigte sich eine weiterhin geschädigte Niere links mit guter Gesamtfunktion und gebessertem Harnabflussverhalten. Eine Harnblasenentleerungsstörung oder erektile Dysfunktion bestanden zu keiner Zeit. Die urologische Minderung der Erwerbsunfähigkeit nach Nierenverletzung links und Funktionsverlust bei jedoch normaler Gesamtfunktion und fehlender Hypertension wurde auf 10 % eingeschätzt .
Beispiel 3:
Ein 58 Jahre alter Mann zog sich im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit mit einer Besäumungsmaschine eine schwere Schnitt- und Rissverletzung der rechten Flanke zu, als er in eine versehentlich aktivierte rotierende Messerfräse gezogen wurde. Die Primärdiagnostik zeigte eine schwere Rissverletzung der Leber mit Verletzung des Peritoneums, einen Hämatopneumothorax rechts, eine Lungenparenchymverletzung rechts, eine Rissverletzung des oberen Nierenpols rechts, sowie Fraktur der 12. Rippe rechts u.a. zu. Noch am Unfalltag erfolgte die viszeralchirurgische Versorgung und urologischerseits die Reposition und Naht des rechten Nierenoberpoles sowie thorakale retroperitoneale Drainageneinlage. Bei fortbestehender seröser Sekretion über die retroperitoneale Drainage wurde eine Kontrollbildgebung (CT-Abdomen mit Spätphase) veranlasst. Dabei zeigte sich eine Urinextravasation aus dem rechten oberen Pol der Niere . Daraufhin erfolgte die über eine transurethral platzierte Harnleiterschiene in der oberen Kelchgruppe und suprapubischer Urindauerableitung. 8 Wochen später konnte die Harnleiterschiene rechts und retrogradem Ausschluss einer Urinextravasation entfernt werden.
30 Monate nach stattgehabtem Unfall zeigte sich im Rahmen der Begutachtung zeigte sich eine unauffällige Nierenfunktion , bildgebend (CT Abdomen) konnte ein fortbestehender Parenchymdefekt am oberen Pol der rechten Niere gesehen werden, jedoch mit unauffälliger Ausscheidungsfunktion ohne Nachweis eines Abflusshindernis.
Bei vollständig unauffälligen Retentionsparametern ist es zu keiner nennenswerten Beeinträchtigung der Nierenfunktion durch das Unfallereignis gekommen. Eine reproduzierbare Nierenszintigraphie wurde nicht durchgeführt, wäre jedoch wünschenswert gewesen. Der vor dem Unfall vorbestehende Hypertonus, zeigte sich nach dem Unfall unverändert. Deshalb wurde die MdE auf 0 % eingeschätzt (Abb. 3).

Nierenspontanrupturen

Bei bestehenden Nierentumoren, insbesondere dem Angiomyolipom, kommt es gelegentlich zu Spontanrupturen (Wang 2018). Aber auch nierentransplantierte Patienten können betroffen sein (Favi et al. 2015). In Einzelfällen wird auch über spontane Nierenrupturen während der Schwangerschaft berichtet (Middleton et al. 1980).

Komplikationen nach Nierenverletzungen

Hierbei werden unterschieden (Kitrey et al. 2020; Rassweiler et al. 2020):
  • Frühkomplikationen
    Hierzu zählen vor allen Dingen der Blutungsschock bei Nierenberstung oder der Nierenstielabriss und ein paralytischer Ileus infolge des lokalen retroperitonealen Hämatoms. Verzögert kann sich ein retroperitonealer Abszess oder ein Urinom (7 %) entwickeln.
  • Spätkomplikationen
    Zu den wesentlichen Spätkomplikationen zählen ein Verlust der Niere (10 %), ein renaler Hypertonus (4 %), eine Nephrolithiasis (2 %) und die Entwicklung einer Schrumpfniere (1 %). Die Häufigkeit der Komplikationen steigt mit dem Schweregrad der Verletzungen. Wesentlich ist es hierbei, die Patienten nach der Therapie langfristig mittels bildgebender Diagnostik zu kontrollieren, wobei die erste Kontrolluntersuchung (Blutdruck, Labor, Sonografie, Nierenfunktionstest, CT/MRT) drei Monate nach dem Trauma erfolgen sollte (Summerton et al. 2015). Außerdem ist zu beachten, dass sich arterio-venöse Fisteln insbesondere nach Nierenpunktion bzw. perforierenden Traumata (Kugel) meist erst später entwickeln.

Diagnostik von Nierenverletzungen

Im Rahmen der akuten Diagnostik sollte, soweit dies die Herz-Kreislauf Parameter des Patienten es zulassen, nach lokalen Prellmarken gesucht werden und eine Untersuchung auf Flankenschmerzen erfolgen. In der Notfallambulanz wird zunächst eine orientierende Sonographie des Abdomens und des Retroperitoneums vorgenommen. Je nach Ausmaß der Verletzung erfolgt dann beim Erwachsenen eine Computertomographie, die beim polytraumatisierten Patienten den gesamten Körper erfassen sollte (Traumaspirale). Beim Verdacht auf eine Nieren-, Harnleiter- oder Blasenverletzung sollten zur Befundsicherung einer Hohlraumverletzung, wenn möglich, Spätaufnahmen im Rahmen einer CT-Diagnostik vorgenommen werden. Bei einer vermuteten Nierengefäßverletzung muss zusätzlich, wenn dies die Kreislaufsituation des Patienten gestattet, eine selektive Angiografie des Nieren-Gefäßsystems vorgenommen werden (Coccolini et al. 2019). Die Notfallblutparameter und eine Untersuchung des Urins (insbesondere zum Nachweis einer Hämaturie) ergänzen die Diagnostik.
Wenn bei Kindern über die Sonographie hinaus eine weitere Schnittbildgebung notwendig wird, sollte wegen der hohen Strahlenbelastung auf eine CT-Untersuchung wenn möglich verzichtet werden und diese durch eine MRT Untersuchung ersetzt werden.
Bei einer festgestellten Nierenparenchym- bzw. Nierengefäß- oder Nierenhohlraumverletzung und einem primär konservativen Vorgehen sollte eine Kontrolluntersuchung innerhalb der nachfolgenden 48 bis 72 Stunden vorgenommen werden.
Im Rahmen der Nachsorge bei einer Nierenverletzung ≤ bzw. im Rahmen einer Begutachtung von Verletzungsfolgen an der Niere stehende folgende Untersuchungen im Vordergrund:
  • Urin: Biochemie, Mikroskopie, Mikrobiologie, eventuell Sammelurin (24 Stunden)
  • Sonographie: Harnstauung, Nierenparenchymveränderungen, Messung der
    Parenchymdicke, Messung der Nierengröße (Längs- und Querdurchmesser)
  • Blutdruck: Einzelmessungen, gegebenenfalls Tagesprofil
  • Isotopennephrogramm: seitenbezogene Funktionsbestimmung

Bewertung von Nierenschäden (GdB/MdE) (Mehrtens und Diederichs 2017)

Das Kriterium für die Funktionsfähigkeit der Nieren ist die glomeruläre Filtrationsrate (GFR). Nierenveränderungen und GFR werden zur Definition des Stadiums einer chronischen Nierenkrankheit herangezogen (Inker et al. 2014).
Stadieneinteilung der chronischen Nierenerkrankung (Inker)
Stadium
Beschreibung
GFR (ml/min, bezogen auf 1,73 m2 Körperoberfläche
1
Nierenschaden mit normaler oder erhöhter GFR
≥90
2
Nierenschaden mit leicht herabgesetzter GFR
60–89
3
Nierenschaden mit mittelgradig herabgesetzter GFR
30–59
4
Nierenschaden mit schwergradig herabgesetzter GFR
15–29
5
<15 oder Dialyse

Gutachterliche Bewertung zu Ermittlung der GdB/MdE bei Nierenverletzungen

Die Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei Nierenschäden richtet sich nach der verbliebenen Clearence (Entgiftungsleistung), dem Ausmaß der Störungen der Harnproduktion und/oder des Harntransportes (Mehrtens und Diederichs 2017). Die Aussage, für das Bemessen der Entschädigung biete lediglich der zum Zeitpunkt des Unfalls bestehende Zustand den ein für allemal feststehenden Vergleichspunkt, gilt auch für Nierenschäden (Mehrtens und Diederichs 2017). Neben der Einschränkung der Nierenfunktion müssen auch möglicherweise aufgetretene chronische Entzündungen der Niere (Pyelonephritis) oder eine nach dem Trauma sich entwickelnde Hypertonie bei der gutachtlichen Bewertung mit berücksichtigt werden.
MdE-Erfahrungswerte bei Nierenverletzungen
MdE in %
Nierenverlust ohne Funktionsbeeinträchtigung
10
Pyelonephritis mit ausreichender Nierenfunktion
40–80
Pyelonephritische Schrumpfniere, je nach Grad der Funktionseinschränkung
80–100
einseitige Pyelonephritis bei gesunder Gegenniere und eingeschränkter Nierenfunktion
20–30
einseitige Pyelonephritis bei gesunder Gegenniere, eingeschränkter Nierenfunktion und Hypertonie
30–40
Bezüglich der Einschätzung der MdE in Abhängigkeit vom Schweregrad der Nierenfunktionsstörung ist trotz der unterschiedlichen Rechtsgrundlagen eine Orientierung an den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ angezeigt (Mehrtens und Diederichs 2017; VersMedV 2019). Danach ergibt sich ein Grad der Schädigungfolge (GdS) von 20–30, wenn bei Serumkreatininwerten < 2mg/dl die Kreatinin-Clearance auf etwa 35–50 ml/min erniedrigt ist (Mehrtens und Diederichs 2017). In der Regel liegt bei Nierenfunktionsstörungen dieses Grades aber noch keine erhebliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit vor, das Allgemeinbefinden ist nicht oder nicht wesentlich reduziert. Der empfohlene GdS ist jedoch unter präventiven Aspekten gerechtfertigt, da die Kompensationsreserve bereits so deutlich eingeschränkt ist, dass schwere körperliche Arbeiten mit der Gefahr eines übermäßigen Schweißverlustes nicht mehr zugemutet werden sollten (Mehrtens und Diederichs 2017). Nach oben reicht die Spanne bis zu einem GdS von 100 beim Vollbild der Niereninsuffizienz mit Dialysepflichtigkeit (VersMedV 2019).
Literatur
Coccolini F et al (2019) Kidney and uro-trauma: WSES-AAST guidelines. World J Emerg Surg 14:54CrossRef
Favi E et al (2015) Spontaneous renal allograft rupture complicated by urinary leakage: case report and review of the literature. BMC Urol 15:114CrossRef
Inker LA et al (2014) KDOQI US Commentary on the 2012 KDIGO Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of CKD. Am J Kidney Dis 63(5):713–735CrossRef
Kitrey VD et al (2020) Non Oncology Guidelines: Urological Trauma. https://​uroweb.​org/​guideline/​urological-trauma/​#3. Zugegriffen am 01.12.2020
Lent V (2015) Nierenverletzungen und Nierenbeckenverletzung. In: Lent V (Hrsg) Fehler in der Urologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart,
Lent V, Salem J (2020) Nierenverletzung. In: Salim J (Hrsg) Lent V. Georg Thieme Verlag Stuttgart, Entscheidungspfade in der Urologie
Mehrtens G, Diederichs W (2017) Harnorgane. In: Schönberger A et al (Hrsg) Arbeitsunfall und Berufskrankheit. Erich Schmitt Verlag,
Middleton AW et al (1980) Spontaneous renal rupture in pregnacy. Urology 15(1):60–63CrossRef
Rassweiler J et al (2020) Urologische Traumatologie. In: Jocham D et al (Hrsg) Praxis der Urologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart,
Staehler M (2016) Traumatologie des oberen Harntrakts. In: Michel SM et al (Hrsg) Die Urologie. Springer, Berlin/Heidelberg
Summerton DJ et al (2012) EAU Guidelines on Iatrogenic Trauma. Eur Urol 62:628–639CrossRef
Summerton DJ et al (2015) EAU Guidelines on Urological Trauma. EAU-Guidelines-Urological-Trauma-2015-v2.pdf (uroweb.org)
Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV (zuletzt geändert durch Art. 27 g v. 12.12.2019 I 2652. https://​www.​gesetze-im-internet.​de/​versmedv/​BJNR241200008.​html
Wang C (2018) An update on recent developments in rupture of renal angiomyolipoma. Medicine (Baltimore) 97(16):e0497CrossRef