Zur Führung einer Allgemeinanästhesie
ist eine enge Abstimmung zwischen Operateur und Anästhesist unabdingbar. Der Anästhesist muss stets über Ablauf und Besonderheiten der Operation und die Zeit bis zum Ende des Eingriffs informiert sein. Nur so kann eine zeit- und situationsgerechte Dosierung der Anästhetika erfolgen. Es empfiehlt sich bei kardial nicht vorerkrankten Patienten das exspiratorische CO
2 20–30 min vor Ende der OP langsam auf Werte um ca. 50 mmHg ansteigen zu lassen, um anhand des entweder zu beobachtenden oder eben nicht zu beobachtenden Atemantriebs eine Steuerung der gerade noch notwendigen Narkotikamengen/-dosierungen vorzunehmen. Eliminationskinetik,
Äquilibrierung der langsamen Verteilungsräume, Schwellendosen und Variationen der Anästhesietiefe werden in Abschn.
2 beschrieben. Je nach Zustand des Patienten, Art des Eingriffs und Medikamentenbilanz der Anästhesie wird entschieden, ob die Anästhesie zum Ende des Eingriffs beendet werden kann oder ob eine Nachbeatmung indiziert ist.
Extubationskriterien
Zur Beurteilung des Gasaustausches müssen bei chronischen Lungenfunktionsstörungen die Ausgangswerte vor Beginn der
Beatmung einbezogen werden. Bei akuten Lungenfunktionsstörungen ist die Dynamik der Veränderung der Blutgaswerte zu berücksichtigen. Starke Abweichungen des Säure-Basen-Status
von der Norm können nach
Extubation die Kompensationsfähigkeit der Lungen übersteigen.
Verschiedene Muskelgruppen sind unterschiedlich sensibel gegenüber neuromuskulär blockierenden Pharmaka: Die Empfindlichkeit gegenüber
Muskelrelaxanzien nimmt vom Zwerchfell über den M. adductor pollicis bis hin zum M. masseter zu. Daher können selbst bei scheinbar normaler Atemfunktion am Tubus (Hauptatemmuskel: Zwerchfell) immer noch 70 % der motorischen Endplatten blockiert sein. Ein aktives
Freihalten der Atemwege nach
Extubation ist damit aber nicht gewährleistet, da hierfür in erster Linie die wesentlich empfindlicheren Pharynxmuskeln verantwortlich sind.
Die Quantifizierung der neuromuskulären Blockade ist mit der Relaxometrie möglich. Die tiefe Relaxation wird mit dem „posttetanic count“ (PTC) überprüft. Zur Überprüfung der nachlassenden Relaxation und der Restrelaxation wird der Train-of-four (TOF) als Zählreihe der Muskelantworten (Count) oder als Verhältnis der Muskelantwort 1 zur Muskelantwort 4 (1,4-Quotient) verwendet. Restrelaxationen geringen Ausmaßes werden am besten von der Double-burst-Stimulation (DBS) erfasst. Als Kennmuskel wird in der Regel der M. adductor pollicis verwendet.
Die Relaxometrie gibt keinen Gesamtrelaxationszustand des Patienten an, sondern lediglich den Zustand des Testmuskels.
Daher sind trotz relaxometrischer Kontrolle Fehleinschätzungen der Relaxation möglich. Diese können zu störenden Zwerchfellbewegungen beim Bauchwandverschluss oder nicht ausreichender Kontrolle der Atemwege nach
Extubation führen.
Das Verschwinden der neuromuskulären Ermüdung bei TOF- und DBS-Stimulation ist als Minimalanforderung und nicht als Garantie für eine normale Muskelfunktion zu werten.
Zur Beurteilung des Restrelaxationsgrads muss auch bei Verwendung der Relaxometrie immer die klinische Funktionsprüfung bzw. klinische Zeichen beachtet werden.
Bei klinischen Funktionstests der Muskelkraft
sind die Einflüsse der Vigilanz, Exzitation oder postoperativer Schmerzen (z. B. Kopfanheben nach Laparotomie) zu berücksichtigen. Der klinische Gesamteindruck ist entscheidend. Einzelfunktionen können fehlleiten. So kann der Kopf erst dann für 10 s von allen Patienten angehoben werden, wenn der TOF-Quotient ≥0,8 ist. Die dezidierte Testung der neuromuskulären Funktion vor
Extubation ist nur bei Zweifeln an der neuromuskulären Erholung notwendig.
Liegt zum Ende des Eingriffs noch eine Restrelaxation vor, muss entweder die Spontanerholung abgewartet oder die Muskelrelaxation vor
Extubation antagonisiert werden. Dem Abwarten der Spontanerholung ist, wenn möglich, der Vorzug zu geben („time is non toxic“).
Auf eine ausreichende Narkosetiefe zur Vermeidung von Wacherleben der Relaxation ist zu achten. Bei der Kalkulation der Erholungsdauer ist der Einfluss der Allgemeinanästhesie auf die Muskelrelaxation zu berücksichtigen.
Ist ein Abwarten der Spontanerholung unerwünscht, oder muss eine Restrelaxation nach voreiliger
Extubation schnell aufgehoben werden, kann die Wirkung nicht depolarisierender
Muskelrelaxanzien (
Stabilisationsblock) mit Cholinesterasehemmern
antagonisiert werden (Tab.
7).
Tab. 7
Antagonisierung nichtdepolarisierender Muskelrelaxanzien mit Cholinesteraseinhibitoren
Neostigmin | TOF 4 | 25 μg/kgKG | 5 mg |
TOF 2–3 | 50 μg/kgKG |
Pyridostigmin | TOF 4 | 100 μg/kgKG | 20 mg |
TOF 2–3 | 200 μg/kgKG |
Für die nichtdepolarisierenden Muskelrelaxatien
Vecuronium und
Rocuronium existiert ein spezifischer Antagonist. Sugammadex ist in der Lage, die neuromuskuläre Blockade gleich welchen Grads durch Bildung eines stabilen, pharmakodynamisch inaktiven Komplexes zwischen Agonist und Antagonist innerhalb von 90 s nach der Injektion aufzuheben [
37]. Die Dosierung des Antagonisten richtet sich nach der noch vorhandenen neuromuskulären Blockade und damit, anschaulich ausgedrückt, nach der Menge des noch vorhandenen aktiven Muskelrelaxans. Da der Komplex aus Relaxans und Antagonist ohne Eigenwirkung ist, entfallen in diesem besonderen Fall alle Kontraindikationen der Antagonisiernug. Selbst die Vollwirkdosis von Rocuronium lässt sich innerhalb von 90 s antagonisieren, wenn z. B. bei einer „rapid sequence induction“ unerwartet eine „Cannot-ventilate-cannot-intubate“-Situation auftritt [
38,
39]. Dieser Aspekt stellt einen erheblichen Sicherheitsapekt da und könnte die bisherige Anwendung von Succhinylcholin für „rapid sequence induction“ in Frage stellen (Tab.
8; [
40]).
Tab. 8
Spezifische Antagonisierung von Rocuronium und Vecuronium mittels Sugammadex
Vollrelaxierung mit 1,2 mg/kgKG Rocuroniumbromid zur Intubation | 16,0 mg/kgKG | 1,5 min |
Posttetanic Count 1–2 | 4,0 mg/kgKG | 3 min |
TOF 2 | 2,0 mg/kgKG | 2 min |
Zur Vermeidung der parasympathischen Nebenwirkungen werden Cholinesterasehemmer immer mit Atropin 10–30 μg/kgKG oder Glycopyrolat 5–15 μg/kgKg i.v. kombiniert.
Muskelzittern steigert die metabolische Thermogenese um 200 %. Durch die mechanische Belastung wird der postoperative Wundschmerz erheblich verstärkt.
Ist die Körpertemperatur intraoperativ unter 35 °C abgesunken, wird die Allgemeinanästhesie postoperativ fortgesetzt: In diesem Fall wird dann eine langsame Wiedererwärmung (1 °C/h) bis zur Normalisierung (>36,5 °C) durchgeführt.
Hypothermie, Verschiebung der zentralen Thermoregulationsschwellen und die Blockierung von spinalen und zentralen dämpfenden Motoneuronenkreisen sind an der Entstehung von tonischen und klonischen (5–7 Hz) Tremoranteilen beteiligt.
Da postoperatives Zittern für den Patienten subjektiv sehr unangenehm und objektiv belastend ist, wird es umgehend behandelt.
Diese Kriterien sind aber nicht als Absolutkriterien zu verstehen, sondern hängen auch von dem interdisziplinären Management und der klinischen Routine der jeweiligen Kliniken ab.
Durchführung der Extubation
Zur
Extubation am Ende der Operation existieren verschiedene Strategien, die in Abhängigkeit von der Situation und v. a. der Erfahrung des Anästhesisten gewählt werden können:
Zu diesem Zeitpunkt ist die vegetative Reflexschwelle herabgesetzt. Der Patient ist noch nicht bei Bewusstsein und nicht führbar. Endotracheales und orales Absaugen,
Extubation, Kontrolle der Atemwege und Vorhalten einer Atemmaske werden mit Abwehr, bronchialen, laryngealen und pharyngealen Reflexen und Kreislaufreaktionen beantwortet. Im ungünstigsten Fall können Bronchospasmus, Laryngospasmus, Erbrechen oder starke sympathische oder parasympathische Kreislaufreaktionen ausgelöst werden. Bei Kindern ist die Komplikationsrate durch Extubation in der Exzitation besonders hoch.
Die
Extubation des schlafenden Patienten vor der Exzitation ist besonders schonend. Die Inzidenz und Stärke von
Husten, Pressen, Abwehr und Kreislaufreaktionen ist herabgesetzt. Bei
Asthma bronchiale oder zum Schutz besonders gefährdeter Operationsergebnisse (z. B. komplexe Hernienverschlüsse) vor Husten und Pressen ist es das Vorgehen der Wahl. Voraussetzungen sind unproblematische Atemwege, die sichere Durchführbarkeit einer suffizienten
Maskenbeatmung, fehlende Aspirationsgefahr und suffiziente Spontanatmung.
Die Anästhesietiefe wird reduziert. Sofern es das operative Vorgehen ermöglicht, wird zum Operationsende (Hautnaht) die
Beatmung in eine Spontanatmung überführt. Zur Steigerung des Atemantriebs wird das Atemminutenvolumen reduziert. Sinnvoll ist ein normales Atemhubvolumen mit niedriger Atemfrequenz. Alternativ können auch intermittierende Apnoephasen von 1–2 min Dauer eingelegt werden. Einen normalen Stoffwechsel vorausgesetzt, steigt der etCO
2 in Apnoe um 2–4 mmHg/min an.
Ein ausreichender Atemantrieb besteht bei einem endexspiratorischen pCO
2 von 40–50 mmHg. Ein etCO
2 > 60 mmHg ist zu vermeiden. Der Frischgasfluss wird zum Auswaschen der Narkosegase auf >6 l/min und F
IO
2 1,0 eingestellt. Sind assistierende Beatmungsformen am Narkosegerät verfügbar (ASB,
CPAP), können diese verwendet werden. Besonders bewährt hat sich die assistierte
manuelle Beatmung des Patienten. Eine Spontanatmung am Tubus ist wegen des erhöhten Atemwiderstands und des fehlenden Glottisverschlusses unphysiologisch und erhöht die Atemarbeit. Bei ausreichender Spontanatmung wird die
Extubation durchgeführt.
Bei besonderer Indikation kann von erfahrenen Anästhesisten eine
Extubation in tiefer Narkose ohne Spontanatmung und Ausleitung unter Maskenventilation durchgeführt werden.
Das Standardverfahren zur Ausleitung ist jedoch die
Extubation des wachen Patienten.
Vorteile sind die sichere Kontrolle der Atemwege, die Überprüfung von Vigilanz und neuromuskulärer Übertragung vor
Extubation, die vorhandenen Schutzreflexe und im günstigen Fall die Kooperation des Patienten.
Die
Extubation des wachen Patienten ist zwingend erforderlich bei Aspirationsgefahr, Eingriffen im HNO-/MKG-Bereich und schwierigen Atemwegen.
Die Belastung für den Patienten ist relativ gering, da die Exzitationsphase nicht bewusst erlebt wird. Selbst die bei der Ausleitung kooperativen Patienten können sich nur selten an die
Extubation erinnern. Ausreichende Analgesie, Vermeidung von Manipulationen in der Exzitation, ruhige Ausleitungsatmosphäre und behutsame Ansprache des Patienten können in den meisten Fällen starke vegetative Reaktionen und Abwehr verhindern.
Zu frühe Weckversuche durch Schmerzreize führen zu Exzitation und Abwehr. Geduldige Ausleitung ist schonende Ausleitung.
Die Überführung der
Beatmung in eine Spontanatmung erfolgt wie bei der
Extubation des schlafenden Patienten. Exzitation und vollständiges Erwachen werden möglichst unter Spontanatmung abgewartet. Manipulationen sind auf das Notwendigste zu reduzieren. Die Extubation erfolgt unter aktivem Patientenkontakt (ansprechen, Hand halten …) wie oben beschrieben.