Anästhesie bei Patienten mit Störungen der Blutgerinnung
Verfasst von: Ralf Scherer
Perioperative Gerinnungsstörungen können sich als Blutung (Hypokoagulabilität) oder als Thrombose bzw. Embolie (Hyperkoagulopathie) bemerkbar machen. Bei der Diagnose und Therapie von perioperativen Gerinnungsstörungen müssen die primäre Hämostase und das plasmatische Gerinnungssystem gesondert beachtet werden. Sowohl angeborene als auch erworbene Gerinnungsstörungen werden in diesem Kapitel vorgestellt.
Perioperative Gerinnungsstörungen können sich als Blutung (Hypokoagulabilität) oder als Thrombose bzw. Embolie (Hyperkoagulopathie) bemerkbar machen. Die mit einer erhöhten Blutungsneigung einhergehenden Gerinnungsstörungen sind klinisch sehr relevant, meistens erworben und z. B. durch die Einnahme antikoagulatorischer Medikamente zur Prophylaxe venöser Thrombosen (plasmatische Gerinnungshemmer mit anti-IIa- und anti-Xa-Wirkung) und arterieller Embolien (Thrombozytenaggregationshemmer) bedingt. Außerdem tragen die Dilution durch Infusionen, der Verlust an Prokoagulatoren durch Blutungen, die Verbrauchskoagulopathie und eine reaktive Hyperfibrinolyse zur diffusen Blutungsneigung bei. Die hereditäre Blutungsneigung (z. B. v.-Willebrand-Jürgens-Syndrom, Hämophilie A oder B) ist selten und in aller Regel anamnestisch bekannt. Bei der Diagnose und Therapie von perioperativen Gerinnungsstörungen müssen die primäre Hämostase (Thrombozytenaggregation und -aktivierung) und das plasmatische Gerinnungssystem (Thrombin- und Fibrinbildung) gesondert beachtet werden.
Angeborene Blutgerinnungsstörungen
Die wichtigsten klinischen Hilfsmittel für die Entdeckung einer Gerinnungsstörung bei operativen Patienten sind die klinische Untersuchung und die strukturierte Blutungsanamnese [41]. Erst in zweiter Linie sind labormedizinische Methoden zur Differenzierung der Diagnose sinnvoll. Hierfür stehen inzwischen auch klinisch aussagekräftige patientennah durchführbare „Point-of-care“ (POC)-Untersuchungsmethoden zur Verfügung (Kap. Bedside-Monitoring der Blutgerinnung).
v.-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWD)
Das nicht diagnostizierte v.-Willbrand-Jürgens-Syndrom kann perioperativ zu erheblichen Blutungen führen. Es tritt hereditär auf, kann aber auch wie z. B. bei der Aortenstenose durch die Spaltung des hochmolekularen vW-Faktors im turbulenten Blutstrom erworben sein [13].
Die Patienten weisen die klinische Symptomatik thrombozytärer Gerinnungsstörungen wie petechiale und diffuse Einblutungen auf, obwohl die Thrombozyten selbst in ihrer Funktion nicht gestört sind.
Der v.-Willebrand-Faktor (vWF) wird von Megakaryozyten und Endothelzellen synthetisiert und vermittelt die Thrombozytenadhäsion durch die Interaktion eines thrombozytären Rezeptors mit subendothelialen Kollagenmikrofibrillen. Der Rezeptor bildet physiologischerweise ein Aggregat mit dem Gerinnungsfaktor VIII. Deshalb wurde er früher auch als „Faktor-VIII-assoziiertes Antigen“ (vWF-Antigen, vWFAg) bezeichnet.
Beim v.-Willebrand-Jürgens-Syndrom besteht ein hereditärer Mangel oder eine Dysfunktion des vWF. Die vWF-vermittelte Adhäsion der Thrombozyten ist gestört. In schweren Fällen (vWD-Typ 3) wird auch die Störung der Faktor-VIII-Stabilisierung durch vWF klinisch apparent. Die Patienten zeigen zusätzlich zu der thrombozytären (petechialen) eine plasmatische Blutungsneigung (flächenhafte Hämatome).
Der leichtere und häufigere Typ-1-vWD wird perioperativ mit Desmopressin
(DDAVP, 0,3 μg/kgKG langsam i.v.) behandelt. Von sog. „Non-Respondern“ (Inzidenz unklar) abgesehen, führt dieses zu einer Freisetzung von vWF aus Endothelzellen. Blutungszeit und PTT werden verkürzt. Unerwünschte Wirkungen wie z. B. Gesichtsrötung, Tachykardie und Hypotonie sind meistens wenig ausgeprägt, wenn die o. g. Dosis nicht überschritten und über einen Zeitraum von 20–30 min appliziert wird.
Bei den schwereren Formen (Typ-2- und Typ-3-vWD) werden perioperativ in Absprache mit einem Hämostaseologen vWF-haltige Faktor-VIII-Konzentrate eingesetzt. Der Gehalt der verfügbaren Faktor-VIII-Konzentrate an vWF ist hersteller- und chargenabhängig. Die Substitution erfolgt wie bei anderen Faktorenkonzentraten nach Restaktivität und angepasst an den klinischen Verlauf in Kooperation mit einem Hämostaseologen [27, 50]. Thrombozytentransfusionen sind nicht sinnvoll, solange keine Thrombozytopenie <50.000/μl als Ursache einer diffusen Blutung angesehen werden kann.
In sehr seltenen Fällen (Beobachtungen bei Patienten mit vWD vom Plättchentyp oder Typ-2B) kann die Gabe von DDAVP bzw. von Thrombozyten die Patienten durch Thrombosen und Embolien vital gefährden.
Hämophilie A und B
Patienten mit Hämophilie A und B weisen einen isolierten Mangel des Faktors VIII (Hämophilie A, Inzidenz bei Männern 1:5000) oder IX (Hämophilie B, Inzidenz bei Männern 1:30.000) auf. Die Erkrankung wird X-chromosomal rezessiv vererbt. Heterozygote Trägerinnen des mutierten X-Chromosoms sind im Alltag asymptomatisch und werden als „Konduktorinnen“ bezeichnet, da sie die Erkrankung zu 50 % an den männlichen Nachwuchs weitergeben. Die Restaktivität dieser Faktoren liegt bei Männern und homozygoten Frauen unter 5 %.
Da die Faktoren VIII und IX im „intrinsischen Gerinnungssystem“ liegen, ist bei Patienten mit Hämophilie isoliert die PTT
verlängert.
Die klinische Symptomatik hängt von der noch vorhandenen Restaktivität der Faktoren ab. Da bei einer Restaktivität über 5 % (Konduktorinnen) Blutungen meistens nur nach Traumen oder operativen Eingriffen auftreten, werden diese Formen der Hämophilie als milde bzw. asymptomatisch bezeichnet.
Für die Substitution werden aus Plasma gewonnene, virusinaktivierte oder gentechnisch hergestellte Faktorenkonzentrate verwendet.
Für intraabdominelle oder intrathorakale Eingriffe wird das Anheben der Restaktivität der Faktoren VIII bzw. IX auf 30–50 % empfohlen, für neurochirurgische Operationen auf über 50 %. Ein Hämostaseologe sollte hinzugezogen werden.
Die Substitution von 1 E eines Faktorenkonzentrates pro kgKG i.v. erhöht die Plasmaaktivität um ca. 1 % [5, 36].
Diese Formel ist als Faustregel für alle plasmatischen Faktoren und Inhibitoren einsetzbar, deren Aktivität in Prozent gemessen wird.
Die Wiederfindung („recovery“) ist u. a. von der Halbwertszeit und dem Verhältnis von aktiviertem zu nichtaktiviertem Faktor im Konzentrat abhängig. Sie ist z. B. für den Faktor VIII deutlich besser als für den Faktor IX.
Die Steuerung der perioperativen Substitution geschieht anhand der Bestimmung der Restaktivitäten und der genannten Dosierungsrichtlinie. Solange keine diffuse Blutungsneigung auftritt, ist die 2-mal tägliche Kontrolle ausreichend.
Die Halbwertszeiten betragen für die Konzentrate 12–18 h (F VIII bzw. F IX), sodass Repetitionsdosen in Abhängigkeit von Operationsort und klinischem Verlauf 2- bis 3-mal täglich gegeben werden müssen.
Wenn mit keiner besonderen Blutungsgefahr mehr zu rechnen ist, kann die Substitutionstherapie beendet werden. Zurückhaltung bei der perioperativen Schmerzbehandlung mit z. B. Acetylsalicylsäure oder nichtsteroidalen Antiphlogistika sollte nur dann geübt werden, wenn eine klinisch erkennbare, diffuse Blutung besteht.
Faktor-VII-Mangel
Der isolierte hereditäre Faktor-VII-Mangel tritt meist in einer milden Form auf, kann aber perioperativ zu erheblichen Blutungen führen. Die Patienten fallen in der Regel klinisch durch etwas verlängerte Blutungszeiten (bei Bagatellverletzungen, z. B. Rasieren) oder durch die Feststellung eines erniedrigten Quickwerts auf.
Eine Bestimmung der Faktor-VII-Restaktivität ist erforderlich; liegt diese unterhalb von 40–50 %, sollte in Absprache mit einem Hämostaseologen und in Abhängigkeit von Umfang und Lokalisation des operativen Eingriffs eine Substitution des Faktors VII erfolgen, z. B. mit rFVIIa (am Operationstag und ersten postoperativen Tag 3-mal 20–30 μg/kgKG, dann 2-mal 20–30 μg/kgKG).
Klinisch stehen Thrombosen der iliakalen und ileofemoralen Venen, Lungenembolie und der Herzinfarkt im Vordergrund. Periphere arterielle Thromboembolien und apoplektische Insulte sind seltener.
Ursachen thrombophiler Diathesen
Eine verminderte Inhibierung der Gerinnung liegt vor bei hereditärem (oder erworbenem) Antithrombinmangel (AT), Protein-C-
oder Protein-S-Mangel (hereditär oder erworben bei Lebererkrankungen) und beim Mangel des Kofaktors II des Heparins (hereditär oder erworben). Die APC-Resistenz (Resistenz gegen das aktivierte Protein C) beruht auf einer Mutation des Faktors V, die zu einer Strukturänderung des Faktors V führt. Dadurch ist der Faktor V nicht mehr durch das aktivierte Protein C hemmbar, was zu einer Thromboseneigung führt [9].
Erworbene Ursachen sind allerdings häufiger und können einerseits Umsatzsteigerungen im Gerinnungssystem durch pathologische Aktivierungsmechanismen oder andererseits Funktionsstörungen der physiologischen Gerinnungsinhibitoren sein. Beide führen ebenfalls zu Thrombosen und Embolien. Zu den erworbenen pathologischen Gerinnungsaktivierungen gehört die disseminierte Fibrinbildung bei Sepsis, Operation, Schock, Zytostatikatherapie oder Paraneoplasie (Abschn. 2). Auch Dysfibrinogenämien bei Lebererkrankungen und akute entzündliche Erkrankungen oder Gewebeschädigungen durch z. B. Traumata oder Tumoren („Akutphasen“) mit Erhöhung des Fibrinogens sowie myeloproliferative Erkrankungen können zu einer Steigerung des systemischen Gerinnungsumsatzes („turnover“), mit Aktivierung und Verbrauch der Gerinnungsfaktoren führen.
Im Management von Thrombosen werden 2 verschiedene Dosisbereiche der Antikoagulation voneinander unterschieden:
Zur Prophylaxe einer neu auftretenden Thrombusbildung, z. B. perioperativ, werden niedrige Antikoagulanziendosen verwendet („prophylaktische Antikoagulation“).
In der Behandlung einer bereits aufgetretenen Thrombose oder Embolie, bei der das weitere Wachstum eines Thrombus oder Embolus verhindert werden muss, werden deutlich höhere Dosierungen verwendet („therapeutische Antikoagulation“).
Folgende Antikoagulanzien stehen u. a. zur Verfügung:
Die Steuerung dieser chronischen oralen Antikoagulation erfolgt anhand des INR-Werts („international normalized ratio“) nach Alter, Gewicht, Rasse, und Diät. Der INR-Wert bezieht die bei der Messung des Quick-Werts verwendeten unterschiedlichen Thromboplastine auf ein WHO-Referenzthromboplastin und erlaubt so eine internationale Vergleichbarkeit der Messungen.
Im Niedrigdosisbereich („prophylaktische Antikoagulation“) wird eine INR von 2,0–2,5 (Quick ca. 20–15 %) und
im Hochdosisbereich („therapeutische Antikoagulation“) von 3,0–4,5 (Quick ca. 10–15 %) angestrebt.
Unfraktioniertes Heparin (UFH) und fraktioniertes Heparin
Argatroban ist ein vom Antithrombin unabhängiger direkter Thrombininhibitor. Es hat eine kurze Halbwertszeit und wird hepatisch eliminiert. Wegen seiner Steuerbarkeit anhand der PTT und der kurzen Wirkdauer kann es gut für die alternative Antikoagulation bei der HIT II eingesetzt werden [11].
Fondaparinux (z. B. Arixtra)
Fondaparinux ist ein antithrombinabhängiger plasmatischer Inhibitor mit hoher Anti-Faktor-Xa-Aktivität. Es hat keine Anti-IIa-Aktivität. Wegen der langen Halbwertszeit muss Fondaparinux (2,5 mg) zur Thromboseprophylaxe nur einmal täglich s.c. apliziert werden. Es ist nicht mit Protamin antagonisierbar. Die Elimination erfolgt ausschließlich renal. Eine Kreatininclearance von <30 ml/h stellt eine Kontraindikation für den Einsatz dar.
Rivaroxaban (z. B. Xarelto)
Rivaroxaban ist ein direkter Faktor-Xa-Inhibitor und für die orale perioperative Thromboseprophylaxe bei Hüft- und Kniegelenkersatz zugelassen. Wegen der gut vorhersehbaren Dosis-Wirkung-Beziehung bedarf es keiner routinemäßigen Laborkontrolle [31].
Dabigatran (z. B. Pradaxa)
Dabigatran ist ein direkter und vom Antithrombin unabhängiger Thrombininhibitor und für die orale perioperative Thromboseprophylaxe bei Hüft- und Kniegelenksersatz zugelassen. Die Behandlung von Patienten mit schwerer Beeinträchtigung der Nierenfunktion (Kreatininclearance <30 ml/min) mit Dabigatran ist kontraindiziert. Mit Idarucizumab (Praxbind) steht seit kurzem ein direktes Antidot (monoklonaler Antikörper) zur raschen Antagonisierung der durch Dabigatran induzierten Gerinnungshemmung zur Verfügung.
Hirudine
Hirudin (Desirudin, Lepidurin) ist ein direkter, AT-unabhängiger Thrombininhibitor, der renal eliminiert wird. Eine Therapiesteuerung mittels PTT (oder anderer Routinegerinnungstests) ist ungeeignet, da diese im therapeutischen Bereich keine lineare Änderung mehr zeigt. Die Steuerung mit der Ecarinzeit
ist sinnvoll, da für diese im Bereich der wirksamen Hirudinspiegel (0,1–1,0 μg/ml) bis zu toxischen Konzentrationen von 5 μg/ml Hirudin eine lineare Dosisgerinnungsbeziehung besteht. Weitere Methoden zur exakten Quantifizierung der Hirudinplasmakonzentration z. B. durch chromogene Substrate oder ELISA-Verfahren stehen zur Verfügung.
Es ist derzeit noch keine Antagonisierung, sondern nur die Elimination der Wirksubstanz (renal, extrakorporale Verfahren) möglich. Die vom Hersteller angegebenen Dosierungen beziehen sich in der Regel auf Patienten mit heparininduzierter Thrombozytopenie (HIT) Typ II (Tab. 1). Klinische Studien für den Einsatz bei anderen Indikationen sind derzeit noch nicht abgeschlossen. Eine Dosisreduktion nach Ecarinzeit (ECT) ist bei Niereninsuffizienz erforderlich.
Das Heparinoid Danaparoid war vor der Zulassung des Hirudins bis 1997 ein bei der HIT-Typ-II häufig eingesetztes alternatives Antikoagulans. Es zeigte sowohl in vitro als auch in vivo eine Kreuzreaktion mit Heparin (<10 %).
Eine Ampulle enthält 0,6 ml mit 750 Einheiten (Anti-Xa-Aktivität). Die Überwachung der Therapie mit Hilfe der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit oder der Thrombinzeit ist nicht evaluiert. Allerdings ist eine Überwachung der Anti-Xa-Aktivität zur Therapiesteuerung anhaltsweise möglich.
Vollständige Antikoagulation (z. B. EKZ): ab 1 Anti-Xa-E/ml
Bei s.c.-Gabe der Dosis zur perioperativen Prophylaxe am Vorabend ist am nächsten Morgen nicht mehr mit einer anästhesiologisch relevanten Restwirkung zu rechnen.
Erworbene Blutgerinnungsstörungen
Hepatogene Hämostasestörung
Die hepatogene Hämostasestörung ist eine kombinierte Koagulopathie. Beteiligt sind:
Anteil und Schweregrad der einzelnen Komponenten sind interindividuell und situativ unterschiedlich.
Diagnose
Bei Patienten mit hepatogener Hämostasestörung sollte perioperativ eine engmaschige Kontrolle (6- bis 8-stündlich) der globalen Gerinnungsparameter (z. B. Quick-Wert, aPTT, Fibrinogen, Thrombozytenzahl, AT, ROTEM) zur Abschätzung der statischen (geringe Synthese, Dilution, Verlust) und dynamischen (Umsatzsteigerung, DIC) Komponente der Gerinnungsstörung erfolgen.
Eine typische Befundkonstellation wäre ein deutlich erniedrigter Quick-Wert (F II, VII, IX und X), eine leicht verlängerte aPTT und eine Thrombozytopenie bei Leberzirrhose.
Therapie
Perioperative Substitution
Eine dynamische Komponente der Gerinnungsstörung, d. h. der pathologisch erhöhte Umsatz der Gerinnungsfaktoren im Sinne einer „Low-grade“-DIC, sollte bei chronisch leberkranken Patienten frühzeitig berücksichtigt werden, und wird an einer raschen Erschöpfung des Gerinnungspotenzials und einer diffusen Blutungsneigung erkennbar.
Deshalb ist die perioperative Substitution des Gerinnunspotenzials wahrscheinlich zu einem früheren Zeitpunkt sinnvoll, als dies bei anderen Patienten notwendig wäre. Wenn auch die europäischen Empfehlungen von 2010 das Prothrombinkomplexpräparat PPSB (s. unten) hauptsächlich zur Antagonisierung eines unerwünschten Kumarineffekts vorsehen, steht es als Konzentrat der Vitamin-K-abhängig in der Leber synthetisierten Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X und des Gerinnungsinhibitors Protein C mit seinem Kofaktor Protein S bei der hepatogenen Hämostasestörung an erster Stelle.
Außerdem sollte die Transfusion von gerinnungsaktivem Frischplasma
(FFP, „fresh frozen plasma“) erwogen werden. Die Indikation für FFP ist die Vermeidung eines weiteren Abfalls der Gerinnungsaktivität, wenn die globalen, plasmatischen Gerinnungsparameter bereits am unteren Rand des akzeptierten Bereichs liegen. Dies ist je nach operativem Eingriff z. B. bei Quick-Werten von 30 % (Eingriffe an den Extremitäten) bis 50 % (große abdominal- oder thoraxchirurgische Eingriffe) der Fall.
Eine Thrombozytensubstitution sollte perioperativ bei Vorliegen einer diffusen Blutung immer bei Thrombozytenzahlen unter 50.000/μl, nicht jedoch bei Zahlen über 100.000/μl vorgenommen werden.
Die Thrombozytenzahl sagt jedoch nichts über die Thrombozytenfunktion aus. Die therapeutische Domäne der Gerinnungsfaktoren- und Inhibitorenkonzentrate ist die schnelle Anhebung des Gerinnungspotenzials bei lebensbedrohlichen, diffusen (nichtchirurgischen) Blutungen oder bei nicht aufschiebbaren, invasiven Maßnahmen.
Über die Priorität des Einsatzes anderer Faktorenkonzentrate (Fibrinogen, F VIIa, F VIII, F IX, F XIII) liegen keine verlässlichen Daten vor. Zur Sicherung der fibrinbildenden Endstrecke ist die Substitution von Fibrinogen
immer bei Konzentrationen unter 150 mg/dl bei gleichzeitigem Vorliegen einer diffusen Blutung indiziert. Ein Therapieversuch mit F-VIIa-Konzentrat bei anhaltender Blutung erscheint gerechtfertigt (s. oben).
Antifibrinolytika
Da bei der hepatogenen Hämostasestörung regelhaft eine gesteigerte Fibrinolyse vorliegt, ist ein Therapieversuch mit einem Antifibrinolytikum sinnvoll. Die klinische Erfahrung zeigt, dass Tranexamsäure (z. B. Cyclocapron 1–2 mg i.v.) zu einer deutlichen Blutungsminderung führen kann.
Antithrombin
Die verminderte Synthese und der schleichende Verbrauch an Gerinnungsfaktoren und -inhibitoren bei der hepatogenen Hämostasestörung kann durch ein operatives Trauma verstärkt werden.
Bei Patienten mit chronischer Lebererkrankung
ist die Plasmaaktivität der Gerinnungsinhibitoren AT
und Protein C und S erniedrigt. Gleichzeitig ist die Aktivität des Faktors VII erhöht, weshalb trotz geringen Gerinnungspotenzials eine Hyperkoagulabilität bestehen kann [53]. Früher wurde der erworbene AT-Mangel bei Patienten mit chronischen Lebererkrankungen als wichtiger pathogenetischer Faktor des pathologisch gesteigerten Gerinnungsumsatzes angesehen.
Eine signifikante Verminderung des Transfusionsbedarfs oder einer Senkung der Morbidität und Mortalität konnte jedoch nach prophylaktischer Antithrombinsubstitution nicht beobachtet werden.
Die perioperative Substitution von Antithrombin bei Patienten mit hepatogener Hämostasestörung ist nicht routinemäßig zu empfehlen.
Die Indikation für die PPSB-Gabe ist eng zu stellen. Nur die Antagonisierung einer bestehenden Kumarintherapie oder eine diffuse Blutung und das Bevorstehen dringlicher, invasiver Maßnahmen, die einen höheren als den aktuellen Quick-Wert erfordern, gelten als akzeptiert. Während die European Guideline von 2010 die Verwendung von PPSB außerhalb einer Kumarinantagonisierung noch weitgehend ausschloss [43], wird es inzwischen als eine Möglichkeit der Behandlung diffuser Blutungen mit erniedrigtem Quickwert angesehen (2C) [30].
Zur ungefähren Ermittlung der zu substituierenden Menge in Einheiten wird der gewünschte Anstieg des Quick-Werts in % mit dem Körpergewicht des Patienten multipliziert.
Einzelfallmitteilungen über PPSB-induzierte Verbrauchskoagulopathien
mit konsekutivem Organversagen [44] haben gezeigt, dass frühere Präparate hersteller- und chargenabhängig möglicherweise eine eigene, gerinnungsaktivierende Wirkung hatten. Ursache war wahrscheinlich das Vorliegen eines herstellungsbedingten Anteils von Gerinnungsfaktoren in ihrer aktivierten Form, die eine unmittelbare, prokoagulatorische Aktivität entfalten können. Hieraus lässt sich der in den „Querschnittsleilinien“ der Bundesärztekammer (auf die in den Richtlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten (Hämotherapie) nach § 18 TFG verwiesen wird) beschriebene Therapieansatz erklären, vor dem Einsatz von PPSB prophylaktisch eine Gerinnungsinhibierung mit AT (Substitution in den Normbereich von 70–100 % [45] oder die Hälfte der PPSB-Dosis in E) durchzuführen. Durch neue Produktionsverfahren mit geringerer Faktorenaktivierung scheint dieses Problem gelöst zu sein. In jedem Falle ist es sinnvoll, PPSB vorsichtig dosiert und langsam (z. B. als Kurzinfusion) zuzuführen.
Rekombinanter Faktor VII
Es gibt Kasuistiken über den erfolgreichen Einsatz von rekombinantem, aktiviertem Faktor VII
(F-VIIa-Konzentrat, NovoSeven) bei lebensbedrohlichen Blutungen unterschiedlicher Genese (z. B. hepatogene Hämostasestörung, Hemmkörper, thrombozytäre Hämostasestörung, DIC; [3, 34]).
Die Aktivierung des Gerinnungssystems über den Gewebefaktor (TF)-Faktor-VIIa-Komplex gilt heute als der entscheidende Weg der Gerinnungsaktivierung in vivo.
Zugelassen ist das F-VIIa-Konzentrat bei Hämophilie A oder B, die wegen erworbener gerinnungsaktiver Hemmkörper nicht effektiv mit F-VIII- oder F-IX-Konzentrat behandelt werden kann, oder bei der erworbenen Hemmkörperhämophilie. So wurde bei Patienten mit Hämophilie A bzw. B festgestellt, dass Blutungen trotz eines Mangels an F VIII und F IX gut mit F-VIIa-Konzentraten behandelt werden konnten.
Es wird daher vermutet, dass mit der Aktivierung des TF-VIIa-Wegs der Gerinnung eine Kompensation von Defekten an anderen Stellen im Gerinnungssystem möglich ist.
Bei kausal nicht behebbaren, diffusen Blutungszuständen ist daher eine probatorische Therapie mit F-VIIa-Konzentrat in einer Dosis von 90–120 μg/kgKG i.v. vertretbar. Wegen der ca. 2,5-stündigen Halbwertszeit sind Repetitionsdosen von ca. 70 μg/kgKG in 2-stündigem Abstand bei weiterbestehender bedrohlicher Blutung möglich.
Renale Hämostasestörung
Patienten in der Urämie zeigen überdurchschnittlich häufig hämorrhagische Komplikationen. Klinische Symptome können gastrointestinale Blutungen und lebensbedrohliche Blutungen in das Retroperitoneum, die Pleura, das Perikard oder intrazerebrale Blutungen sein.
Es liegt eine Störung der thrombozytären Adhäsion und Aggregation vor, die zahlreiche Ursachen hat.
Ursachen der renalen Hämostasestörung
Anämie (weniger endothelnah zirkulierende Thrombozyten durch Veränderung der Fließeigenschaften)
Verminderte vWF- und GPIb-Konzentrationen
Verminderte Thrombozytenaktivierbarkeit durch Störungen des intrathrombozytären Kalziumanstiegs
Therapeutisch kommen nach klinischen Einzelfallberichten vermehrte Dialysen (Cave: Heparinisierung bei bestehenden Blutungen), Erythrozytentransfusionen zur Anhebung des Hämatokrits, vWF-haltige F-VIII-Konzentrate und DDAVP (0,3 μg/kgKG i.v. als Kurzinfusion (Cave: Tachyphylaxie bei wiederholter Anwendung) in Betracht.
Medikamentös induzierte Hämostasestörung
Medikamentös induzierte Hämostasestörungen sind im Zuge insbesondere der Sekundärprophylaxe häufig anzutreffen. Dabei geht man in der Prophylaxe von einer unterschiedlichen Pathogenese der Gerinnselentstehung im venösen bzw. Niederdrucksystem und im arteriellen System aus. Während auf der venösen Seite einschließlich des linken Vorhofs der langsame Blutfluss eher zu einer initialen Aktivierung des plasmatischen Gerinnungssystems und damit der Thrombin- und Fibrinbildung führt, ist es auf der arteriellen Seite mit hohem und teils turbulentem Fluss eher die Thrombozytenaktivierung, die als pathogenetischer Faktor die Bildung eines Embolus verursacht.
Deshalb geschieht die prophylaktische Antikoagulation im Niederdrucksystem (z. B. Vorhofflimmern, Z. n. Lungenembolie) mit plasmatischen Gerinnungsinhibitoren, die die Thrombin- und Faktor-Xa-Aktivität senken (Heparine, Kumarine, Rivaroxaban, Dabigatran).
Zur Prophylaxe arterieller Embolien (z. B. Schlaganfallprophylaxe, Z. n. koronarer Stentimplantation) werden Thrombozytenaggregationshemmer eingesetzt (ASS, ADP-Antagonisten).
Kumarine
Kumarine als Vitamin-K-Antagonisten (VKA) hemmen die Synthese der Vitamin-K-abhängig in der Leber synthetisierten Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X sowie des Protein C und S. Für Kumarine wird ein Absetzen bis zum Wiederanstieg des Quick-Werts in einen für Anästhesieverfahren und Operation als ausreichend erachteten Bereich empfohlen.
Bei aufschiebbaren, elektiven Eingriffen kann durch die Vitamin-K-Gabe
die Syntheserate der Vitamin-K-abhängigen Faktoren beschleunigt werden.
Bei Notfalleingriffen kann eine kurzfristige Anhebung des Quick-Werts bei mit Kumarinen behandelten Patienten oder bei Patienten mit fortgeschrittener DIC nur durch die Gabe von PPSB erfolgen (s. oben).
Für rückenmarknahe Regionalanästhesieverfahren gilt, dass bei einem Quick-Wert <70 % eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen muss.
Bridging
Die aktuellen Empfehlungen für den perioperativen Umgang mit Antikoagulanzien berücksichtigen zum einen das zu erwartende operative Blutungsrisiko und zum anderen das ohne Antikoagulation bestehende Thromboembolierisiko. Hinsichtlich der Vitamin-K-Antagonisten gilt z. B.:
Niedriges Blutungsrisiko/mittleres Thromboembolierisiko: Die orale Antikoagulation kann in den meisten Fällen unverändert weitergeführt oder in ihrer Intensität geringfügig reduziert werden.
Mittleres bis hohes Blutungsrisiko/mittleres Thromboembolierisiko: Die gerinnungshemmende Therapie kann auch kurzfristig pausiert werden.
Bei hohem Blutungsrisiko und hohem Thromboembolierisiko wurde bisher die Umstellung der oralen Antikoagulation von Kumarinen auf UFH [eingeschränkte Nierenfunktion beachten] oder NMH empfohlen. Nach Absetzen des VKA etwa 7 Tage (Phenprocoumon) vor der geplanten Intervention und nach Abfall der therapeutischen Antikoagulation (INR <2) sollten UFH oder NMH zur Überbrückung eingesetzt werden. Bei hohem Thromboembolierisiko wurde eine therapeutische Heparinisierung angestrebt: Für UFH wurde eine aPTT-Verlängerung auf das 1,5- bis 2-fache der Norm empfohlen, für NMH sollte die Dosis gewählt werden, die von den jeweiligen Herstellern für die Akutbehandlung der tiefen Venenthrombose bzw. Lungenembolie empfohlen wird [30, 39].
Neue Studien stellen das klassische Bridging-Konzept des perioperativen Ersatzes einer Kumarintherapie durch Heparin wegen seiner „besseren Steuerbarkeit“ stark infrage. Sowohl bei kardiologischen Patienten mit Vorhofflimmern zu Beginn einer Kumarintherapie wie auch bei perioperativen Patienten nach präoperativem Absetzen des Kumarins führte das Heparinbridging nicht zu einer signifikanten Senkung der Inzidenz unerwünschter thrombembolischer Ereignisse. Dagegen war die Inzidenz von Blutungskomplikationen erhöht [12, 29].
Als Operationen mit geringem Blutungsrisiko gelten z. B. diagnostische Endoskopien, Zahnoperationen, Kataraktoperationen, Hernienoperationen, TEE und Punktionen komprimierbarer Gefäße. Von einem hohen Blutungsrisiko ist z. B. bei großen abdominellen oder thorakalen Operationen, bei großen Operationen in der Gefäß-, Herz- und Neurochirurgie und bei Operationen an der Prostata oder Blase auszugehen [16].
Abschätzung des patientenindividuellen Thromboembolierisikos
Die Frage, ob ein dauerhaft eingesetztes Antikoagulans prä- und perioperativ rechtzeitig abgesetzt werden kann, ob ein Bridging nach der Datenlage aus dem Jahr 2015 überhaupt noch sinnvoll ist, oder ob die Antikoagulation unvermindert oder reduziert fortgeführt werden kann, sollte unter Berücksichtigung des operativen Blutungsrisikos, der perioperativen Dauer des operativen Blutungsrisikos und des patientenindividuellen Thromboembolierisikos beantwortet werden. Dafür sollte die interdisziplinäre Abstimmung mit einem Hämostaseologen und/oder mit den Ärzten gesucht werden, die die Antikoagulation veranlasst haben.
Für Patienten mit chronischem Vorhofflimmern kann das Risiko unerwünschter vaskulärer Ereignisse anhand des CHADS2 bzw. des neueren CHA2DS2-Vasc-Scores genauer bestimmt werden. Für den Bereich der nichtoperativen Medizin liegen auch genauere Daten vor, wie lange ein Patient in Abhängigkeit von seinem Scorewert ohne Antikoagulation sein darf, ohne dass die Inzidenz unerwünschter Ereignisse auf >1: 1.000 steigt. Demnach können im nichtoperativen Bereich Patienten mit einem CHA2DS2-Vasc Score von z. B. 9 Punkten höchstens etwa 2 Tage ohne prophylaktische Antikoagulation bleiben, während Patienten mit einem Scorewert von 3 Punkten etwa 14 Tage ohne Antikoagulation auskommen können [18].
Die European Society of Anaesthesiology empfiehlt (1C), bei Patienten mit seit mindestens drei Monaten prophylaktisch behandelter venöser Thrombembolie und einem CHADS2-Score von ≤2 sowie einer für die Operation erforderlichen INR <1,5 einen Vitamin K–Antagonisten 5 Tage präoperativ abzusetzen. Ob bei Hochrisikopatienten (z. B. venöse Thrombembolie <3 Monate, Vorhofflimmern, Herzklappe) nach der letzten Kumaringabe am 5. präoperativen Tag noch eine therapeutische Antikoagulation mit Heparin am 3. und 2. präoperativen Tag erfolgen soll [30], ist nach den neuen Daten unklar [12, 29]. Die Indikation zur standardmäßigen Thromboseprophylaxe bei operativen Eingriffen bleibt natürlich unberührt.
Für die direkten oral anwendbaren Antikoagulanzien (DOAK) ist in der Regel aufgrund der kurzen Halbwertszeiten ohnehin keine Überbrückungstherapie in der perioperativen Phase erforderlich, da die notwendige Therapiepause durch einfaches Weglassen vor OP erreicht werden kann.
Dabigatran
Dabigatran (z. B. Pradaxa) ist ein oral applizierbarer direkter Thrombinantagonist und zählt deshalb zu den DOAKS. Es besitzt eine hohe anti-IIa-(Thrombin-)Aktivität. Dabigatran ist in der EU für Erwachsene nach elektivem Knie-Hüftgelenk-Ersatz und für die Schlaganfallprophylaxe bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern zugelassen. Bei Niereninsuffizienz und begleitender Amiodarontherapie ist eine Dosisreduktion erforderlich. Dabigatran darf nicht bei einer GFR <30 ml/min und nicht bei mechanischen Herzklappen eingesetzt werden. Bei normaler Nierenfunktion ist die Substanz zwei Tage nach ihrem Absetzen nicht mehr wirksam. Die Substanz ist dialysierbar.
Seit Anfang 2016 ist das Antidot Idarucizumab (z. B. Praxbind), das als monoklonales Antikörperfragment mit sehr hoher Affinität an Dabigatran bindet und es schnell inaktiviert, verfügbar. Die Indikation zur Idarucizumabgabe besteht bei Patienten, die Dabigatran eingenommen haben und notfallmäßig operiert werden müssen oder schwere Blutungen zeigen. Die vom Hersteller empfohlene Dosis ist 2 × 2,5 g/50 ml i.v. (Durchstechflaschen).
Rivaroxaban und Apixaban
Rivaroxaban (z. B. Xarelto) und Apixaban (z. B. Eliquis) zählen ebenfalls zu den DOAKS und hemmen direkt den Faktor Xa. Für beide Substanzen steht kein Antidot zur Verfügung. Rivaroxaban und Apixaban sind in der EU für Erwachsene nach elektivem Knie-Hüftgelenk-Eersatz und für die VTE-Therapie sowie Schlaganfallprophylaxe bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern zugelassen. Wenn kein gerinnungshemmender Effekt gewünscht ist, soll Rivaroxaban einen Tag und Apixaban zwei Tage präoperativ abgesetzt werden.
UFH (unfraktioniertes Heparin) und LMWH (fraktioniertes, niedermolekulares Heparin)
Für die Durchführung einer rückenmarknahen Regionalanästhesie
gilt die Empfehlung, nach der s.c.-Gabe von unfraktioniertem Heparin 4 h und nach der subkutanen Gabe von fraktioniertem Heparin 12 h bis zur Punktion zu warten [55]. Ist eine größere Operation eines Patienten mit höherer Heparindosierung nicht aufschiebbar, so sollte eine Antagonisierung mit Protamin
vorgenommen werden.
1 ml Protamin i.v. (10 mg) antagonisiert etwa 1.000 E Heparin.
Genaue Dosierungsschemata, die die vergangene Zeit seit der letzten Heparingabe berücksichtigen, gibt es nicht. Für klinische Zwecke bietet sich eine Halbierung der genannten Dosis für jeweils 6 h Zeitabstand an. Eine Kontrolle der PTT und ggf. der TZ ist erforderlich. Auch mittels Rotationsthrombelastometrie (In-vitro-Zugabe von Protamin) können der Heparineffekt bzw. seine Antagonisierung gut quantifiziert werden.
Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT)
Im klinischen Verlauf lassen sich 2 Formen der HIT voneinander unterscheiden. Bei der HIT-Typ-I kommt es unmittelbar nach Beginn der Heparintherapie zu einer Verminderung der Thrombozytenzahl, die jedoch 100.000/μl meist nicht unterschreitet. Pathomechanismus ist die Bindung von Heparin an die spezifischen Rezeptoren auf der Thrombozytenoberfläche und die daraus resultierende vermehrte Aggregation der Thrombozyten mit konsekutiver Abnahme der Zahl. Dabei handelt es sich um ein häufiges Phänomen, das in der Regel keine klinisch bedeutsamen Komplikationen verursacht und nicht behandelt werden muss.
Bei Erstexposition gegenüber Heparin zeigen Patienten mit HIT-Typ-II dagegen einen zeitlich verzögerten Thrombozytenabfall. Da bei Intensivpatienten jedoch oft eine Reexposition besteht, kann der Thrombozytenabfall auch früher erfolgen. Die Thrombozytenzahlen sinken in der Regel unter 100.000/μl.
Cave
Es kommt aufgrund einer massiven Thrombozytenaktivierung zur Bildung von „weißen“, also aus Thrombozyten bestehenden, Thromben im venösen wie im arteriellen System, die lebensbedrohliche Komplikationen verursachen.
Es handelt sich um die Wirkung von heparinspezifischen Antikörpern der Immunglobulinklasse G. Ziel der heparinspezifischen Antikörper scheint der Heparin‐Plättchenfaktor-4-Komplex zu sein. Nach der Bildung des Immunkomplexes kommt es in einer klassischen F(ab)2-Reaktion unter Beteiligung des Fc-Fragments zur Thrombozytenaggregation [38].
Cave
Die besondere Gefahr der HIT-Typ-II liegt darin, dass ein Antikoagulans (Heparin) eine Thrombose- und Embolieneigung (Thrombozytenaktivierung) induziert. Damit sind Indikation und Komplikation identisch, was zu fatalen Dosissteigerungen des Heparins im Falle des Nichterkennens der HIT-Typ-II führen kann.
Für die HIT-Typ-II spielen aufgrund des Pathomechanismus weder die Art (unfraktioniertes Heparin, UFH; fraktioniertes, niedermolekulares Heparin, LMW-Heparin), noch die Menge, noch der Applikationsweg des zugeführten Heparins eine Rolle. Deshalb ist sowohl bei i.v.- wie bei s.c.-Gabe in niedriger (Katheterspülsysteme) oder hoher Konzentration das Auftreten einer HIT-Typ-II zu bedenken.
Jede unter Heparingabe neu auftretende Thrombozytopenie ist als mögliche HIT-Typ-II zu deuten, insbesondere wenn der Thrombozytenabfall verzögert auftritt, also ca. ab dem vierten Tag nach Beginn der Heparingabe.
Tritt eine Thrombozytopenie auf, sollten zunächst Laborfehler ausgeschlossen werden. Zu diesen gehört auch die falsch niedrige Bestimmung der Thrombozytenzahl im EDTA-Blut (Pseudothrombozytopenie; Kontrolle in Citratblut vornehmen). Voraussetzung für den Beginn einer Heparintherapie ist die Bestimmung eines Blutbilds mit Thrombozytenzahl.
Schon beim Verdacht auf eine HIT-Typ-II muss Heparin abgesetzt werden. Dies betrifft s.c- oder i.v.-verabreichtes Heparin auch in kleinsten Mengen, sodass die Spülsysteme, z. B. für den arteriellen Katheter, ausgewechselt werden müssen. Im Einzelfall wurden die klinische Symptomatik und die Thrombozytenfunktion durch die Durchführung einer Plasmapherese wesentlich gebessert [2].
Zu den Antithrombin-unabhängigen direkten Thrombininhibitoren gehören das Argatroban (z. B. Argatra), Bivalirudin (z. B. Angiomax) und das Lepirudin (z. B. Refludan). Solche Substanzen
können für die alternative Antikoagulation bei der HIT-Typ-II eingesetzt werden. Sie bilden einen Komplex mit Thrombin, in dem Thrombin keine prokoagulatorischen Eigenschaften mehr hat. Vorteilhaft ist die kurze Halbwertszeit von 45 Minuten bis 2 Stunden.
Beim Einsatz der i.v.-applizierbaren direkten Thrombininhibitoren müssen folgende wesentliche Eigenschaften berücksichtigt werden:
1.
Derzeit können die Substanzen nicht antagonisiert werden. Es werden hochgereinigte oder rekombinante Meizothrombine als Antidot entwickelt und getestet.
2.
Bei renaler Elimination und Einschränkungen der Nierenfunktion sind Plasmakonzentration bzw. Wirkdauer wesentlich erhöht bzw. verlängert.
3.
Eine Therapiesteuerung mittels der PTT (oder anderer Routinegerinnungstests) ist außer mit Einschränkungen beim Argatroban ungeeignet. Die Steuerung mittels der Ecarinzeit ist sinnvoll.
Eher unspezifisch wirken die Prostacyclinanaloga (z. B. Iloprost) durch Erhöhung der intrazellulären cAMP und cGMP-Konzentrationen. Sie stabilisieren die nichtaktivierte kleine und runde Form der Thrombozyten.
Die Thromboxanbiosynthesehemmer wie ASS wirken spezifischer, da sie die Cyclooxygenase und die Thromboxan- (TXA2) Synthetase hemmen. TXA2 gilt als Gegenspieler des von den Endothelzellen synthetisierten Prostacyclins und kann über spezifische Rezeptoren zur Thrombozytenaktivierung führen.
Acetylsalicylsäure (ASS) führt zu einer irreversiblen Inaktivierung der thrombozytären Cyclooxygenase und verhindert damit die Thromboxan-A2-Bildung.
Für ASS wird ein Absetzen für mindestens drei Tage z. B. vor einer Periduralanästhesie empfohlen.
Im niedrigen Dosisbereich (30–300 mg/Tag) kann für eine anstehende Operation eine individuelle Entscheidung getroffen werden; auch die Anlage einer Periduralanästhesie ist in diesen Fällen nicht grundsätzlich auszuschließen. Bei kombinierter Einnahme von ASS und nichtsteroidalen antiinflammatorischen Substanzen (NSAIDs) besteht ebenso wie bei gleichzeitiger ASS-Einnahme und Thromboseprophylaxe mit LMWH ein erhöhtes Blutungsrisiko. Deshalb sollte in diesen Fällen ein 3-Tage-Abstand zur letzten Einnahme von ASS eingehalten werden.
Thienopyridinderivate (ADP-Antagonisten)
Die Thienopyridinderivate Clopidogrel (z. B. Iscover, Plavix) und Prasugrel (z. B. Efient) binden an die thrombozytären ADP-Rezeptoren
und verhindern so die ADP-induzierte Thrombozytenaktivierung. Beide Substanzen sind Prodrugs, für deren Metabolisierung manchen Patienten – für Prasugrel seltener als für Clopidogrel – das entsprechende Enzym fehlt (CYP 2C19-Mangel). Wegen Clopidogrel-non-Respondern wird bei akutem Koronarsyndrom alternativ das Prasugrel in Kombination mit ASS mit schnellerer und besserer Wirksamkeit, aber auch leicht erhöhtem Blutungsrisiko eingesetzt [6, 57]. Da es sich ebenfalls um eine irreversible Hemmung der Thrombozytenfunktion handelt, die nur durch die Neubildung von Thrombozyten abnimmt, empfiehlt sich ein zum Clopidogrel analoges perioperatives Vorgehen. Die Wirkung beider Substanzen tritt verzögert innerhalb von Tagen ein (Clopidogrel: 3–7 Tage; Prasugrel 2–3 Tage). Die Halbwertszeit von Clopidogrel liegt zwischen 20 und 50 h, die von Prasugrel bei etwa 8 h (bei alten Menschen länger).
Nach Herstellerangaben sollten sie 7–10 Tage vor einem operativen Eingriff abgesetzt werden, wenn keine Thrombozytenaggregationshemmung erwünscht ist.
Seit Januar 2011 ist für die Behandlung des akuten Koronarsyndroms ebenfalls in Kombination mit ASS auch das oral applizierbare Ticagrelor (z. B. Brilique) zugelassen [26]. Anders als bei den anderen Substanzen handelt es sich nicht um ein Prodrug, sondern um einen direkten Antagonisten des ADP- (P2Y12-)Rezeptors. Die Thrombozytenfunktionshemmung ist reversibel. Nach dem Absetzen kann nach drei Tagen von einer Normalisierung der Thrombozytenfunktion ausgegangen werden.
Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten
Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten hemmen die thrombozytäre Bindung von Fibrinogen und vWF, die Voraussetzung für Adhäsion und Aggregation der Thrombozyten ist. Zu den eingesetzten Substanzen zählen das Abciximab (ReoPro, monoklonaler Antikörper gegen den thrombozytären GPIIb/IIIa-Rezeptor), das Eptifibatid (z. B. Integrilin) und das Tirofiban (z. B. Aggrastat). Die Substanzen werden in der periinterventionellen i.v.-Kurzzeitanwendung eingesetzt.
Der Effekt dieser Substanzen ist der einer kompletten Inhibierung der Thrombozytenfunktion und der primären Hämostase, da sie die gemeinsame Endstrecke der Thrombozytenaktivierung über jeden der spezifischen anderen Rezeptorwege, nämlich die Aggregation der Thrombozyten über Fibrinogenbrücken, inhibieren.
Unter ihrer Wirkung sollten keine elektiven Operationen oder Regionalanästhesieverfahren durchgeführt werden.
Die Halbwertszeit des Abciximab ist lang, insbesondere wegen der hohen Affinität des Antikörpers zum Rezeptor. Nach Absetzen wird ein Sicherheitsabstand von 48 h zu einem geplanten Regionalanästhesieverfahren empfohlen. Die Halbwertszeiten des Tirofiban und das Eptifibatid sind kürzer, und nach 8–10 h sind Effekte auf die ADP-induzierte Thrombozytenaggregation nicht mehr nachweisbar.
Bei diffusen Blutungen
unter möglicherweise wirksamen Plasmakonzentrationen dieser Medikamente können eine Thrombozytentransfusion unabhängig von der Thrombozytenzahl und die Gabe von Desmopressin (DDAVP 0,3 μg/kgKG als Kurzinfusion) die Blutungsneigung
mindern.
Prostacyclin (−analoga)
Prostacyclin (PGI2, Epoprostenol, Flolan) ist ein potenter Antagonist des Thromboxan A2 und damit der Thrombozytenaktivierung. Es hat nur eine kurze Halbwertszeit im Minutenbereich, und sein Effekt verschwindet rasch nach Abstellen der kontinuierlichen Medikation. Das synthetische Prostacyclinanalogon Iloprost (z. B. Ilomedin) wirkt mit einer Halbwertszeit von 30 Minuten etwas länger; 2 h nach Beendigung einer i.v.-Gabe ist der Wirkstoffspiegel auf unter 10 % gesunken.
β-Laktam-Antibiotika
Die β-Laktam-Antibiotika können die Thrombozytenfunktion dosisabhängig stören. Nachgewiesen ist dies u. a. für das Mezlocillin (z. B. Baypen), Piperacillin (z. B. Pipril), Ticarcillin (z. B. Betabactyl) und Cefotaxim (z. B. Claforan). Allerdings kommt der alleinigen Antibiotikagabe hinsichtlich möglicher Blutungskomplikationen keine klinische Relevanz in der Anästhesiologie zu.
Bei der kombinierten Medikation mit verschiedenen Substanzgruppen (z. B. NSAID plus Antibiotikum) ist bei elektiven Eingiffen ein Absetzen der NSAID für drei Tage sinnvoll.
Gerinnungsaktive Medikation und Regionalanästhesie
Bei rückenmarksnahen Regionalanästhesien sind gerinnungsaktive Medikamente zu berücksichtigen:
1.
Kumarine (z. B. Marcumar),
2.
Direkte orale Thrombin-/Faktor Xa-Inhibitoren (DOAK; Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban),
3.
Unfraktioniertes Heparin (UFH),
4.
Fraktioniertes, niedermolekulares Heparin (LMWH),
5.
Direkte intravenöse Thrombininhibitoren (Lepirudin, Bivalirudin, Argatroban),
6.
Thrombozytenaggregationshemmer:
Cyclooxygenaseinhibitor (Azetylsalizylsäure)
ADP-Antagonisten (Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor)
Für die Zeitabstände zwischen rückenmarknaher Punktion und Heparingaben bzw. Gaben von Thrombozytenaggregationshemmern gelten die aktuellen Empfehlungen der DGAI (Tab. 2; [55]). Bei Patienten mit gerinnungsaktiver Medikation mit Heparinen (PTT-wirksam) oder Kumarinen ist die Dokumentation der normalen globalen Gerinnungsparameter vor der Durchführung einer größeren Operation oder rückenmarknahen Regionalanästhesie notwendig.
Tab. 2
Empfohlene Zeitintervalle zwischen Antikoagulanzien-/Thrombozytenaggregationshemmergabe
und epiduraler/spinaler Punktion. (Nach: [55])
bBei normaler Nierenfunktion, bei eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatininclearance <50 ml/min) 36–42 h
KI Kontraindikation
Empfehlungen
Grundsätzlich soll eine gerinnungs- oder thrombozyteninhibierende Medikation perioperativ nicht einfach entsprechend der Herstellerangaben abgesetzt werden. Vielmehr ist eine Risikoabwägung zu treffen, ob das Absetzen bzw. die Dosisreduzierung einer antikoagulatorischen Medikation oder eine vermehrte perioperative Blutungsneigung der Gesundheit des Patienten mehr schaden können. Deshalb ist die präoperative interdisziplinäre Beratung – häufig mit einem Kardiologen und Hämostaseologen – sinnvoll.
Grundsätzlich sollten bei Patienten mit hohem Thromboembolierisiko nach dem Absetzen eines Antikoagulans zwei Halbwertszeiten (<25%ige pharmadynamische Wirkung) abgewartet werden, um einen Kompromiss zwischen Thromboembolie- und Blutungsrisiko bei der Anlage einer Regionalanästhesie oder der Katheterentfernung zu erreichen. Fünf Halbwertszeiten können nach dem Absetzen des Antikoagulans abgewartet werden, wenn nur ein geringes Thromboserisiko besteht (CHA2DS2Vasc-Score <2) [16]. Die 5-fache Halbwertszeit beträgt z. B. für Dabigatran 140 h, für Rivaroxaban 55–65 h und für Apixaban 50–75 h.
Die Halbwertszeiten der Substanzen sind von der Nierenfunktion abhängig. Bei einer Kreatininclearance von >80 ml/min sollten Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban 24 h (bei niedrigem Blutungsrisiko) bzw. 48 h (bei höherem Blutungsrisiko) präoperativ abgesetzt werden. Bei einer Verminderung der Kreatininclearance auf <50 ml/min sollten jedoch beim Dabigatran 48–96 h und bei Rivaroxaban oder Apixaban 36–48 h abgewartet werden.
1.
Niedermolekulares Heparin zur perioperativen Thromboseprophylaxe sollte abends verabreicht werden, damit die Anlage eines Periduralkatheters und die erneute Heparingabe mit dem erforderlichen Zeitabstand von 4 h durchführbar sind (Kap. Rückenmarknahe Regionalanästhesie: Anatomie, Physiologie, Kontraindikationen, Komplikationen, Antikoagulation).
2.
Unfraktioniertes Heparin sollte morgens so früh verabreicht werden, dass die Anlage des Periduralkatheters unter Einhaltung des erforderlichen Zeitabstands von 4 h durchführbar ist.
3.
Bei intraoperativer therapeutischer Antikoagulation sollte ein Zeitabstand von 1 h zur periduralen Punktion eingehalten werden.
4.
Bei blutiger Punktion erscheint es angebracht, einen operativen Eingriff mit intraoperativer Antikoagulation um 12 h zu verschieben.
5.
Für ASS >100 mg/Tag wird ein Absetzen für 3 Tage vor einer Periduralanästhesie empfohlen. Im niedrigen Dosisbereich (100 mg/Tag) kann eine Periduralanästhesie unter Risikoabwägung durchgeführt werden. Vorsicht bei kombinierter Einnahme von NSAID sowie bei LMWH in therapeutischer Dosis oder bei Niereninsuffizienz: erhöhtes Blutungsrisiko.
6.
Für Kumarine wird ein Absetzen vor einer Periduralanästhesie bis zum Wiederanstieg des Quick-Werts (INR <1,4) empfohlen.
7.
Bei Patienten unter gerinnungsaktiver Medikation mit Heparinen oder Kumarinen ist die Dokumentation der globalen Gerinnungsparameter vor der Durchführung einer Periduralanästhesie notwendig.
Die GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten Abciximab, Eptifibatid und Tirofiban werden derzeit periinterventionell als Kurzinfusionen hauptsächlich im kardiologischen Bereich eingesetzt. Nach ihrem Einsatz ist von einer kompletten Inaktivierung der Thrombozytenfunktion und damit der primären Hämostase auszugehen. Nach Empfehlungen der DGAI [55] kann eine ggf. notwendige rückenmarksnahe Regionalanästhesie 48 h nach der letzten Gabe von Abciximab und 8–10 h nach der letzten Gabe von Eptifibatid und Tirofiban durchgeführt werden. Bei liegendem Katheter sollten diese Substanzen nicht eingesetzt werden.
Verlust- und Dilutionskoagulopathie
Kristalloide oder kolloidale Lösungen zur Aufrechterhaltung der Normovolämie verdünnen das Gerinnungs- und auch das Inhibitorpotenzial. Plasmafaktoren und Thrombozyten gehen durch traumatische, chirurgische oder diffuse Blutungen verloren.
Die daraus resultierende Verdünnungskoagulopathie ist eine statische Gerinnungsstörung, d. h. dass sie sich im zeitlichen Verlauf ohne weitere Blutung nicht verschlechtert.
Insofern kann bei noch ausreichendem Gerinnungspotenzial, das durch die sog. globalen Gerinnungsparameter Quickwert, PTT, Fibrinogenkonzentration und Thrombozytenzahl abgeschätzt werden kann, auf eine Therapie verzichtet werden. Erst wenn das noch vorhandene prokoagulatorische Potenzial für geplante operative oder invasive Eingriffe zu gering erscheint bzw. eine spontane, intrazerebrale Blutung befürchtet werden muss (z. B. bei Thrombozytenzahlen <10.000–20.000/μl), ist eine Indikation zur Substitution gegeben. In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen zur Dilutionskoagulopathie zeigen, dass die Gerinnungsfaktoren in ihrer Konzentration unterschiedlich schnell abnehmen. Hiervon ist besonders das Fibrinogen schon bei vergleichsweise geringer Verdünnung betroffen [15].
Statische Gerinnungsstörungen wie die Verlust- und Dilutionskoagulopathie sind Indikationen für die Verwendung von gerinnungsaktivem Frischplasma oder bei lokalisierbaren Faktorenmängeln Konzentraten, wenn aus klinischer Sicht eine weitere Reduktion des prokoagulatorischen Potenzials vermieden werden muss.
Die Richtlinien der Bundesärztekammer [8] benennen als Indikationen für die Transfusion von FFP die Verlust- oder Verdünnungskoagulopathie bei Massivtransfusion, die hepatogene Hämostasestörung, die Verbrauchskoagulopathie, die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, die Notwendigkeit der Substitution bei Faktor-V- oder Faktor-XI-Mangel und die Austauschtransfusion. Als Präparate stehen quarantänegelagerte Gefrierplasmabeutel, „solvent-detergent“ (SD) virusinaktiviertes Poolplasma und lyophilisiertes Plasma, das keine Blutgruppenantikörper mehr enthält, zur Verfügung.
Eine sich dennoch aus einer statischen Gerinnungsstörung entwickelnde diffuse Blutung stellt oft eine Indikation für die Substitution von Thrombozyten, Fibrinogen und ggf. die Gabe von Faktorenkonzentraten dar [46]. Die Richtlinien der Bundesärztekammer beschreiben als Indikationen die Behandlung thrombozytopenischer Blutungen und die Blutungsprophylaxe bei thrombozytären Bildungs- oder Umsatzstörungen. Bei einer Thrombozytenzahl <50.000/μl stellt danach jede schwerwiegende Blutung (persistierende Blutverluste mit notwendiger Erythrozytensubstitution, Einblutungen in innere Organe, intrakranielle, intraartikuläre, intramuskuläre und retinale Blutungen) eine zwingende Indikation zur Thrombozytentransfusion dar. Die Indikation zur prophylaktischen Gabe von Thrombozytenkonzentraten ohne akute Blutung besteht bei hämostaseologisch stabilen Patienten bei Werten <10.000/μl. Eine Fibrinogensubstitution sollte bei diffuser Blutung spätestens bei Unterschreitung des unteren Referenzbereiches (1,5–2,0 g/l) erfolgen.
Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) und Verbrauchskoagulopathie
Trauma, Schock und Sepsis
werden häufig durch dynamische Gerinnungsstörungen kompliziert, die der Entwicklung des Multiorganversagens Vorschub leisten [52]. Das Gerinnungssystem wird durch subendothelial freiliegenden oder auf der Oberfläche von Endothelzellen und Monozyten exprimierten „tissue factor“ (TF, Gewebefaktor)
aktiviert, der im Komplex mit Faktor VIIa die plasmatische Gerinnungskaskade mit ihren konsekutiv aktivierbaren Serinproteasen, den Gerinnungsfaktoren, anstößt. Ziel der zahlreichen Kaskadenschritte und Rückwärtsverstärkungen ist ein exponenzieller und nicht nur linearer Anstieg des „Endproduktes“, des Thrombins, über die Zeit. Beim septischen Patienten beschleunigen Lipopolysaccharide die Gerinnungsaktivierung durch die Aktivierung von neutrophilen Granulozyten mit nachfolgender Freisetzung von proinflammatorischen und prokoagulatorischen Mediatoren wie z. B. dem plättchenaktivierenden Faktor (PAF). Bei septischen Patienten kommt es außerdem zur prokoagulatorischen Transformation der Zelloberflächen (Endothelzellen und Monozyten), z. B. zur vermehrten Expression von „tissue factor“, zur Verminderung der endothelialen Glycosaminoglycane (Verminderung der Antithrombinaktivierung) und zur Suppression von Thrombomodulin (Verminderung der Thrombinbindung und Protein-C-Aktivierung).
In dieser Situation orientiert sich die Gerinnungsaktivierung nicht mehr an dem zur Blutstillung erforderlichen Bedarf, der z. B. durch das Ausmaß einer Verletzung bestimmt ist. Stattdessen führt die Aktivierung verschiedener Mediatoren zu einer inadäquat starken, „pathologischen“ Gerinnungsaktivierung. Das beim Patienten verfügbare und insbesondere physiologisch in der Mikrozirkulation aktivierte Inhibitorpotenzial (Antithrombin, Protein C
und S) ist dann nicht mehr in der Lage, die inadäquate Fibrinbildung zeitlich und örtlich zu begrenzen.
Hieraus resultiert eine dynamische systemische Gerinnungsaktivierung mit zunehmendem Verbrauch von Gerinnungsaktivatoren, Gerinnungsinhibitoren und Thrombozyten. Schließlich kommt es zur disseminierten Fibrinbildung (DIC) insbesondere in der Mikrozirkulation der Lunge, Leber, Niere und des Gehirns mit sinkenden Fibrinogenspiegeln, Thrombozytopenie und diffuser Blutungsneigung, was als Verbrauchskoagulopathie bezeichnet wird. Durch die Entwicklung einer reaktiven Hyperfibrinolyse wird die Blutungsneigung weiter gefördert [33].
Bei erheblichen Blutverlusten mit notwendiger Massivtransfusion kommt es zu einer kombinierten Gerinnungsstörung aus Verlust, Dilution, Verbrauch und Fibrinolyse. In einer solchen Situation kommt neben der Therapie mit gerinnungsaktiven Präparaten der Aufrechterhaltung der Homöostase eine besondere Bedeutung zu.
Für eine erfolgreiche Substitution von Gerinnungsfaktoren und/oder Thrombozyten bei umfangreichen Transfusionen sind als Rahmenbedingungen anzustreben:
ionisiertes Ca2+ >1 mmol/l (Substitution mit Ca-Gluconat oder CaCl2).
Die die Erythrozytentransfusion begleitende Substitution von gerinnungsaktivem Frischplasma zur Vermeidung des Absinkens bereits kritischer Potenzialerniedrigungen ist möglich [43], aber hinsichtlich des Nutzens für ein besseres Überleben oder eine verkürzte Krankenhausaufenthaltsdauer nur schwach belegt [49]. Eine Indikation für FFP besteht bei statischen und dynamischen Gerinnungsstörungen dann, wenn ein dilutionsbedingter weiterer Abfall der Gerinnungsaktivität in Situationen, in denen die globalen plasmatischen Gerinnungsparameter im unteren akzeptablen Bereich liegen, vermieden werden muss. Eine kleinere Einzeldosis als 1000 ml (entspricht 15 E/kgKG Gerinnungs- und Inhibitoraktivität bei einem 70 kg schweren Patienten mit einem zu erwartenden Aktivitätsanstieg von etwa 15 %), also die Transfusion von weniger als etwa vier Einheiten gerinnungsaktiven Frischplasmas, lässt keinen klinisch erkennbaren hämostaseologischen Effekt erwarten. Auch die sukzessive Substitution der Thrombozyten mit Zielwerten von >50.000–80.000/μl wird in den Richtlinien der Bundesärztekammer dringend empfohlen.
Gerinnungskonzentrate versus gerinnungsaktives Frischplasma
Für die weitere hämostaseologische Therapie lassen sich unterschiedliche Schwerpunkte in der Substitutionstherapie setzen (Abb. 1). Neben der mit zunehmendem Blutverlust stärker im Vordergrund stehenden Basistransfusion von Erythrozytenkonzentraten, ggf. gerinnungsaktivem Frischplasma und Thrombozytenkonzentraten ist die höherdosierte Substitution von Fibrinogen und Thrombozyten erforderlich, um die im Thrombelastogramm frühzeitig sichtbare schwache Gerinnselfestigkeit zu verbessern. Die Substitution des Fibrinogens zur Stillung einer diffusen Blutung sollte spätestens bei Unterschreitung einer Plasmakonzentration von 1,5–2,0 g/l erfolgen. Der Fibrinogenbedarf bei einer wegen Verlust, Verbrauch und Dilution kombinierten Blutungsneigung ist groß, denn das Fibrinogen muss seiner Doppelfunktion als Lieferant der Monomere für das Fibrinpolymer und als Vermittler der Thrombozytenaggregation gerecht werden. Die Faustregel für die Dosierung des Fibrinogens lautet:
Dabei ergibt sich das Plasmavolumen aus folgender Formel:
Dosierung
40 ml × kgKG
Thrombelastographische Studien, z. B. bei herz- und gefäßchirurgischen Patienten, legen den Nutzen einer frühen Substitution mit Gerinnungskonzentraten und insbesondere Fibrinogen nahe [4, 10, 14, 22, 42]. Für Erwachsene ergibt sich bei Unterschreiten einer Fibrinogenkonzentration von 1,5–2,0 g/l eine ungefähre Substitutionsdosis für das Fibrinogenkonzentrat von 4–8 g. Der Zeitgewinn des Einsatzes von Point-of-care Methoden wie Thrombelastographie (ROTEM) und Thrombozytenfunktionsanalytik in Verbindung mit einem zielorientierten Gerinnungstherapiealgorithmus kann den Verbrauch von Erythrozytenkonzentraten und gerinnungsaktivem Frischplasma reduzieren [56].
Der Einsatz antifibrinolytischer Substanzen sollte zur Stabilisierung der „Endstrecke“ der Fibrinbildung prophylaktisch und spätestens immer dann erfolgen, wenn eine Hyperfibrinolyse nachgewiesen ist, z. B. im Thrombelastogramm, oder wenn eine diffuse Blutung trotz adäquater Substitution weiter besteht. Als Substanzen kommen infrage:
1.
Tranexamsäure (10–15 mg/kgKG i.v. mit nachfolgender Infusion von 1–5 mg/kgKG/h),
2.
ε-Aminocapronsäure (100–150 mg/kgKG mit nachfolgender Infusion von 15 mg/kgKG/h).
Faktor XIII kann substituiert werden, wenn eine diffuse Blutung durch einen nachgewiesenen Mangel des Faktors XIII bedingt sein kann.
Die Gabe von anderen Faktorenkonzentraten
ist indiziert, wenn eine Anhebung des Quick-Werts und der aPTT bzw. eine Verkürzung der Gerinnungszeit (CT) in der Thrombelastometrie auf die Zielwerte (abhängig vom geplanten invasiven Eingriff, s. oben) oder die klinisch sichtbare Verringerung einer spontanen Blutungsneigung nicht erreicht werden kann. Das Prothrombinkomplexkonzentrat PPSB
kommt wegen des Gehalts an mehreren Gerinnungsfaktoren als Gerinnungsfaktorenkonzentrat auch für eine gezielte und schnelle Prokoagulatorensubstitution bei erworbenen komplexen Gerinnungsstörungen in Betracht. Es enthält den Faktor II (Prothrombin), Faktor VII (Prokonvertin),
Faktor X (Stuart-Power-Faktor) sowie den Faktor IX (antihämophiles Globulin B). Die erforderliche Menge kann wie bei der hepatogenen Hämostasestörung (Abschn. 2.1) aus dem aktuellen sowie angestrebten Quick-Wert und dem Körpergewicht des Patienten errechnet werden. Prothrombinkomplexkonzentrate enthalten außerdem Protein C und S [5], sodass simultan auch die Inhibitorseite substituiert wird.
Die DIC mit aktueller, pathologischer Umsatzsteigerung stellt wegen der gerinnungsaktivierenden Wirkung von Prokoagulatoren (Thrombozytenkonzentrate
, PPSB) eigentlich eine Kontraindikation für die alleinige Substitution von prokoagulatorischen Substanzen dar [44].
Analog zum Vorgehen bei der hepatogenen Hämostasestörung ist die gezielte Substitution von Prokoagulatorenkonzentraten ein wichtiger Therapieschritt. Wenn Prokoagulatorenkonzentrate bei lebensbedrohlicher Blutung und DIC eingesetzt werden, sollte nach den Richtlinien der Bundesärztekammer vorher die Inhibitoraktivität durch Anheben der AT-Aktivität auf ca. 80 % normalisiert werden [18].
Bei einer manifesten DIC wäre eine Senkung des pathologischen Gerinnungsumsatzes, also eine Reduzierung der überschüssigen, zeitlich und örtlich nicht mehr begrenzten Fibrinbildung, sinnvoll. Es gibt bisher jedoch keinen Beleg dafür, dass die bei kritisch kranken Patienten gefundene Verkürzung oder Unterbrechung der DIC durch Antithrombin zu einer Senkung der Morbidität und Letalität führt. Nur experimentelle und klinische Daten an kleinen Patientenkollektiven zeigen, dass eine AT-Substitution den Aktivierungsgrad der Prokoagulatoren und damit die Thrombinbildung senkt, weshalb die Substitution von Antithrombin bei der DIC in den normalen Aktivitätsbereich umstritten bleibt und z. B. von der Europäischen Leitlinie für das Management schwerer traumatischer Blutungen nicht empfohlen wird [43, 45].
Die Senkung des Gerinnungsumsatzes, d. h. der Umwandlung von Fibrinogen in Fibrinmonomere und Fibrinpolymere, durch die Substitution von Antithrombin kann nach den Richtlinien der Bundesärztekammer aber bei diffuser Blutung infolge einer DIC, bei der keine schweren chirurgischen Blutungen bestehen, eine Therapieoption sein [46].
Traumatische Blutung und Massivtransfusion
Für Patienten mit Massivblutung nach Trauma sind die Empfehlungen sehr ähnlich wie für aus anderen Gründen diffus blutende Patienten [14, 43]. Das Transfusionsziel für Erythrozytenkonzentrate liegt bei einem Hb-Wert von 7–9 g/l (Kap. Intraoperativer Volumenersatz, Transfusion und Behandlung von Gerinnungsstörungen). Zudem müssen Hypothermie, Azidose und Hypokalzämie korrigiert sein. Der Korrektur einer Azidose kommt auch für die Wirksamkeit des Desmopressins und des Fibrinogens eine besondere Bedeutung zu [20].
Die Frage, ob im Rahmen einer traumatischen und damit teilweise sehr erheblichen Blutung in erster Linie gerinnungsaktives Frischplasma oder Gerinnungskonzentrate eingesetzt werden sollten, wird schon lange diskutiert. Die retrospektive Analyse der Daten polytraumatisierter Patienten u. a. aus dem Deutschen Traumaregister hat ergeben, dass die globale Überlebensrate der Patienten mit einem höheren Transfusionsanteil von FFP (mehr als 1 FFP auf 1,5–2 Erythrozytenkonzentrate) signifikant besser war als bei Patienten mit einem niedrigeren Anteil von FFP an der Transfusionsrate der Erythrozytenkonzentrate (≤1 FFP auf 2,5 EK) [37, 39]. Allerdings berücksichtigen solche Daten nicht die Art des mit dem Transfusionsregime verbundenen Gerinnungsmanagements (z. B. POC-Diagnostik, Gerinnungstherapiealgorithmen, Einsatz von Gerinnungskonzentraten).
Deshalb verwundert es auch nicht, dass ein ebenfalls retrospektiver Vergleich der Letalität der polytraumatisierten Patienten des Deutschen Traumaregisters mit denen des Salzburger Traumaregisters zeigte, dass bei einer Gegenüberstellung nach den Kriterien „Patienten Salzburg mit Fibrinogenkonzentrat und/oder PPSB mit ROTEM ohne FFP“ versus „Patienten aus dem Traumaregister DGU mit ≥2 FFP ohne Fibrinogenkonzentrat und/oder PPSB“ keinen signifikanten Letalitätsunterschied zeigte (7,5 % versus 10 %). Allerdings war die Verwendung eines POC-Monitorings und algorithmusgesteuerter Indikationen für Fibrinogen- und PPSB-Konzentrate mit einer signifikant niedrigeren Rate an Fremdbluttransfusionen verbunden [47]. Nachdem eine prospektive Kohortenstudie mit 28 „matched pairs“ für Patienten mit schwerem Aufpralltrauma, die frühzeitig Fibrinogenkonzentrate und/oder PPSB erhielten, zeigte, dass die ohne FFP Behandelten bei gleichzeitig signifikant reduziertem Verbrauch von Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentraten signifikant seltener ein Multiorganversagen oder eine Sepsis entwickelten (18 % vs. 37 % bzw. 17 % vs. 36 %) als die mit FFP Behandelten, ist der frühzeitige oder höhervolumige Einsatz von FFP bei polytraumatisierten Patienten zumindest fraglich [24].
Die Vorbehalte gegen einen Einsatz von PPSB im Rahmen einer traumatischen Koagulopathie ohne Kumarinvormedikation in der European Guideline von 2010 [43] resultierten einerseits aus dem damaligen Fehlen aussagekräftiger prospektiver Vergleiche zwischen dem Einsatz von FFP und PPSB und aus einer Besonderheit der traumatisch indizierten Koagulopathie
(TIC). Im Rahmen der Entstehung der mit einem schweren Trauma verbundenen Koagulopathie kommt es im Rahmen des Schockzustands u. a. zu einer vermehrten Aktivierung des Protein C, das nach der Bindung an endotheliales Thrombomodulin einerseits Thrombin bindet und dessen prokoagulatorische Aktivität beendet und andererseits die Gerinnungscofaktoren Va und VIIIa hydrolysiert. Außerdem hat aktiviertes Protein C einen leichten profibrinolytischen Effekt [19, 48]. Da die o. g. Daten zum algorithmusgesteuerten und durch POC-Monitoring gestützten Einsatz von PPSB bei polytraumatisierten Patienten jedoch eher eine Reduktion der Fremdblutkomponenten zeigt, sollten diese Vorbehalte nicht mehr bestehen [30].
FFP sollte wenigstens in einer Dosis von 10–15 ml/kgKG eingesetzt werden, um bei einem 70 kg schweren Patienten einen etwa 15%igen Anstieg der Gerinnunsaktivitäten zu erreichen. Grundsätzlich sollen die Thrombozytenzahlen >50.000/μl gehalten werden, bei polytraumatisierten Patienten eher >100.000/μl. Die Fibrinogensubstitution soll anhand der thrombelastometrischen Zeichen eines Fibrinogenmangels (MCF im FIBTEM) auf Werte über 1,5–2,0 g/l erfolgen. Wenn eine z. B. thrombelastometrisch erkennbare Hyperfibrinolyse vorliegt, soll Tranexamsäure in einer Dosis von 10–15 mg/kgKG mit einer anschließenden weiteren Zufuhr von 1–5 mg/kgKG/h oder ε-Aminocapronsäure 100–150 mg/kgKG mit einer anschließenden Zufuhr von 15 mg/kgKG/h gegeben werden.
Falls nach oder während laufender Erythrozytentransfusion, Transfusion von gerinnungsaktivem Frischplasma und Thrombozyten sowie einer Gabe von Fibrinogenkonzentrat und einer adäquaten Korrektur der Randparameter (z. B. Normothermie, ionisiertes Kalzium, Korrektur einer Azidose) keine hämostaseologische Stabilisierung zu erreichen ist, kann rekombinanter Faktor VIIa (z. B. initial 100–200 μg/kgKG i.v.; bei anhaltender Blutung ist in Abhängigkeit vom klinischen Verlauf eine 2-malige wiederholte Gabe von jeweils 100 μg/kgKG i.v. möglich) eingesetzt werden. Dies hat überall dort, wo „tissue factor“ (TF) freiliegt oder exprimiert ist, die schnelle Erhöhung der Thrombinkonzentration zur akuten Blutstillung zum Ziel und scheint z. B. bei schweren traumatischen Blutungen zu einer effektiven Reduktion der Notwendigkeit einer Erythrozytentransfusion bei schwer verletzten Patienten zu führen [7]. Die Richtlinien der Bundesärztekammer empfehlen diese Maßnahme nur im Rahmen von klinischen Studien.
Die Substitutionsoptionen und -reihenfolgen für die Behandlung von schwerwiegenden perioperativen Gerinnungsstörungen sind in Abb. 2 dargestellt.
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