Notfall- und Katastrophenmedizin, militärische Operationen
Wegen seines kreislaufstabilisierenden Effekts ist
Ketamin in Notfall- und Katastrophensituationen
zur alleinigen Analgesie oder (kombiniert mit einem Hypnotikum) zur Narkoseeinleitung geeignet (Leslie et al.,
2021; Paix et al.,
2005). In der Notfallmedizin wird subanästhetisch dosiertes (Es-)Ketamin von Notfallsanitätern erfolgreich zur Analgesie mit Patientenzufriedenheit eingesetzt (Häske et al.,
2023). Es wird auch nasal oder oral verabreicht. Die Indikationen reichen von traumatischen oder abdominellen Schmerzen bis zum Schlangenbiss. Ketamin kann als Bestandteil der Narkoseführung verwendet werden, wofür es i.m. injiziert werden kann. Es fällt nicht unter die
Betäubungsmittelverordnung, sodass die Einfuhr in andere Länder bei Katastrophen einfacher als die von
Opioiden ist. Wenn die Spontanatmung erhalten bleiben soll, ist Ketamin dosisadaptiert und langsam zu geben. Postoperativ wirkt es analgetisch.
Für akut schwer verletzte Erwachsene wird vorgeschlagen
(Dosierung situativ anpassen, Kontraindikationen beachten!):
Narkoseeinleitung: | 0,75–2 mg/kg KG i.v. Ketamin-Razemat |
| und evtl. Hypnotikum (Auswahl und Dosis je nach Situation ([Acquisto et al., 2023]!) |
| 1–1,5 mg/kg KG Succinylcholin oder 1–1,2 mg/kg KG Rocuronium |
Narkoseführung: | 0,5–1 mg/kg KG i.v. Ketamin-Razemat etwa alle 15 min |
| z. B. 2–5 mg Midazolam nach Kreislaufsituation zur Hypnose, ggf. wiederholen |
| Esketamin wird in der Hälfte der Dosis des Razemats verwendet |
Eine hämodynamische Stabilisierung durch
Ketamin kann bei Schwerverletzten sehr nützlich sein. Um
Hypoxie und Hyperkapnie zu vermeiden, muss bei schwerem SHT kontrolliert beatmet werden.
Bei Einklemmung oder schwerem Schock wird kein Hypnotikum oder Sedativum verabreicht, wenn dies die
Atmung oder Kreislaufsituation des Notfallpatienten gefährden könnte!
Prozedurale Analgesie und Sedierung
Zur Analgesie und Sedierung
unter erhaltender Spontanatmung kommt
Ketamin vor allem in der Präklinik oder
Notaufnahme und für Prozeduren wie Endoskopien adjuvant zum Einsatz. Die Zusammenschau der Studien zeigt, dass Ketamin die benötigte Dosierung und Nebenwirkungen der anderen Substanzen, wie Sedativum und/oder Opioid, reduzieren kann (Elsaeidy et al.,
2024; Sharif et al.,
2024). Ketamin-Razemat wird in einem Bereich von 0,3–1 mg/kg KG pro Stunde verwendet.
Die „US-American Burn Association Guidelines“ (Romanowski et al.,
2020) wie auch die DGAI (Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie)
empfehlen Ketamin als Nichtopioid-
Analgetikum für alle Phasen der Versorgung bei Verbrennungspatienten wie auch für multiple Verbandswechsel. Es können verabreicht werden:
-
2–3 mg i.v. Midazolam (Bolus) oder bis zu 1–3 mg/kg KG pro Stunde i.v. Propofol
-
dann 0,25–0,5 mg/kg KG i.v. Esketamin (Bolus, langsam)
-
oder 0,3–0,75 mg/kg KG i.v. Ketamin-Razemat (Bolus, langsam)
Bei
pädiatrischen Verbrennungspatienten werden auch
Esketamin plus Midazolam prähospital empfohlen (Strack et al.,
2023). Für spätere
Verbandswechsel können diese
z. B. rektal bei guter anterograder
Amnesie und zur Zufriedenheit aller verwendet werden (Heinrich et al.,
2004).
Geburtshilfliche Anästhesie
Bei Einleitung einer Vollnarkose zur Sectio caesarea können 0,5–1 mg/kg KG Ketamin-Razemat oder 0,25–0,75 mg/kg KG Esketamin in Kombination mit einem Hypnotikum zur hämodynamischen Stabilisierung der Mutter und damit der uteroplazentaren Perfusion verabreicht werden. Subanästhetisch dosiertes
Ketamin wird auch
zur Prophylaxe und Reduktion von mütterlichem Stress und Schmerz vor, während und nach Sectiones, zur
Notsectio oder beim Übergang von einer rückenmarksnahen zu
Allgemeinanästhesie verwendet (Liang et al.,
2023; Suppa et al.,
2012; Xu et al.,
2023a).
Ketamin ist sicher und effizient für die Mutter, aber
es gibt kaum Daten bzgl. der Auswirkung auf die Feten bzw. Babys.
Aus experimentellen (Chang et al.,
2019; Strümper et al.,
2004) und klinischen Studien (Haghighi et al.,
2023) ist zusammenfassend festzuhalten, dass
Ketamin bei Hypotension und/oder
Hypoxie der Mutter und damit verbundener Hypoxie des Ungeborenen vorteilhafte Effekte haben kann. Ohne eine Notsituation erscheint es aber ratsam, Ketamin wegen einer möglichen entwicklungsbiologischen Neurotoxizität (Zhou et al.,
2023) für das Ungeborene bei Geburten und Sectiones nur in sehr geringer, subanästhetischer Dosierung einzusetzen.
Außerdem verweisen Studien
bei Sectiones auf eine gute antidepressive Wirkung, insbesondere von perioperativem Esketamin, zur Prävention und Therapie peripartaler Depressionen (Li et al.,
2023; Ma et al.,
2024; Yang et al.,
2023). Es ist aber u. a. unklar, welcher Dosis an
Ketamin (Wolfson et al.,
2023) und welchen Folgen ein Neugeborenes ausgesetzt ist, wenn es Milch einer insbesondere wiederholt mit Ketamin antidepressiv behandelten Mutter trinkt. Deshalb sollte nur nach sorgfältiger individueller Nutzen-Risiko-Abwägung peripartal eine mehrfache, antidepressive Behandlung von laktierenden Müttern mit Ketamin erfolgen.
Pädiatrische Anästhesie
Wegen seiner typischen Pharmakologie kann
Ketamin in der pädiatrischen Anästhesie vorteilhaft sein (Simonini et al.,
2022). Bezüglich der
langfristigen Neurotoxizität von Anästhetika, einschließlich Ketamin, besteht Konsens, dass
eine einmalige oder summarisch
nicht länger als ca. 3-stündige Exposition von relativ gesunden Kindern unter 3 Jahren bei operativen Eingriffen nicht zu anhaltenden neurofunktionellen Entwicklungsstörungen führt. Die Experten betonen, dass es kaum möglich ist, zwischen (Ko-)Erkrankungs-, Chirurgie-, Stress- und Hospitalisierungs-bedingten Einflüssen und Anästhetikaeffekten zu differenzieren (Useinovic & Jevtovic-Todorovic,
2023; Vutskits & Davidson,
2023). In retrospektiven Evaluationen besorgniserregend kranker Kinder mit angeborenen Herzfehlern ergaben sich aber nach Korrektur- oder Palliativeingriffen schlechtere Beurteilungen motorischer Fähigkeiten in Korrelation mit größeren Ketaminmengen (Simpao et al.,
2023). Bei sehr jungen Frühchen (geboren < 29. Woche Gestationsalter) zeigte sich 36 Monate (korrigiertes Alter) nach Anästhesie und Sedierung (z. T. mit Ketamin) ein verminderter Intelligenzquotient (Moser et al.,
2023). Einschränkend wurde dies auch so interpretiert, dass unerwünschte Ereignisse während der klinischen Versorgung und soziale Determinanten als kausale Faktoren hierfür in Betracht kommen.
Die
Prämedikation zur Narkose
bei einem kleinen Kind erfolgt am besten im Beisein der Eltern. Eine adäquate Prämedikation, z. B. mit Esketamin, reduziert nicht nur die „Angst“ und erleichtert die Narkoseeinleitung (mit besserer Akzeptanz einer
Maske), sondern kann eine Agitation und delirante Zustände während des Aufwachens nach der Anästhesie oder Sedierung verringern (Liu et al.,
2022).
Für Säuglinge älter > 6 Monate, Klein- und Schulkinder wird vorgeschlagen:
Ca. 20 min vor Eingriff: | 0,5–1 mg/kg KG nasales Esketamin |
oder | 1,5–2 mg/kg KG rektales oder orales Esketamin |
| mit Sirup (schmeckt sonst bitter) |
– bitte auf präoperative Nüchternheitszeiten wegen möglicher verzögerter Resorption achten – |
oder | 0,25 mg/kg KG i.v. Esketamin |
jeweils mit Midazolam | |
Zur
prozeduralen Analgesie und Sedierung hat sich eine Kombination aus Propofol und Ketamin-Razemat bei relativ gesunden Kindern als sicher und effektiv bewährt (Hayes et al.,
2021). Wenn Esketamin adjuvant in einem Propofol-Remifentanil-Regime bei erhaltener Spontanatmung eingesetzt wurde, war dies mit deutlich weniger
Hypoxie, stabilerer Hämodynamik, geringerem Bedarf an Propofol und Remifentanil sowie z. B. mit weniger
Husten verbunden (Zhong et al.,
2023). Nicht überraschend wirken sich Dosis und Dosierungsverhältnis von Sedativa bzw. Analgetika zu
Ketamin entscheidend auf die Wirkung und Erholungszeit aus.
Ketamin muss bei pädiatrischen Patienten individuell verabreicht werden.
Speziell
bei vorbestehender Herzerkrankung oder im Schock kann
eine Narkoseeinleitung mit i.v.-Ketamin-Razemat (2–3 mg/kg KG) oder i.v.-Esketamin (1–1,5 mg/kg KG) indiziert sein. Bei unkooperativen Kindern oder kardialen Vitien wird
Ketamin auch i.m. benutzt: 5 mg/kg KG Razemat sind eine Alternative zur Inhalationseinleitung mit Sevofluran.
Die adjuvante Gabe von
subanästhetisch dosiertem i.v.-(Es-)Ketamin in der pädiatrischen Allgemeinanästhesie kann
eine bessere Qualität der postoperativen Erholung mit u. a. kürzeren Aufwachzeiten, weniger
Delir, postoperativem Schmerz und sonstiger Komplikationen bewirken (Kuo et al.,
2024; Xie et al.,
2024; Zhang et al.,
2023).
Eine adäquate Dosis ist aber unabdingbar, weil zu hohe Dosierungen das Aufwachen verzögern und ein Delir nach sich ziehen können. Ein Vorschlag wäre:
Bei Kleinkindern (wenn nicht als Prämedikation verabreicht):
Nach Narkoseeinleitung: | 0,2–0,3 mg/kg KG i.v. Esketamin als langsamer Bolus |
| bei kürzeren Eingriffen von ca. 40 min Dauer |
CAVE: Nicht mehr geben – sonst u. U. verlängertes Aufwachen und/oder postoperative Agitation!
Bei Kindern im Alter von 3–12 Jahren:Nach Narkoseeinleitung: | 0,3 mg/kg KG i.v. Esketamin als langsamer Bolus |
| bei Eingriffen mittlerer Dauer |
und/oder postoperativ zur Analgesie: | 0,5–1 mg i.v. Esketamin pro PCA-Bolus mit Opioid |
Bei älteren Schulkindern und Adoleszenten mit lang dauernden, großen Eingriffen kann die einmalige Gabe < 1 mg/kg KG i.v. Esketamin nach Narkoseeinleitung postoperativ schmerzreduzierend wirken (z. B. bei intraoperativem Remifentanil).
Ein Meilenstein in der pädiatrischen Intensivmedizin sind die 2022 veröffentlichten Critical Care Society Medicine Practice Guidelines, die zum ersten Mal
Ketamin zur Sedierung und Analgesie empfehlen (Smith et al.,
2022). Kontinuierlich infundiertes Ketamin-Razemat (0,9–1,8 mg/kg KG pro Stunde) war bei schwierig zu sedierenden Kindern vorteilhaft für Sedierung und Patientenkomfort bei weniger Opioidbedarf (Tessari et al.,
2023). Bei schwerem SHT führte eine Intubation mit Ketamin und gering dosiertem GABA-ergem Sedativum gegenüber anderen Anästhetika zu keinerlei unerwünschten Ereignissen (Mazandi et al.,
2023) Wurde Ketamin bei krisenhafter Erhöhung des
ICP („intracranial pressure“, intrakranieller Druck) (> 20 mmHg für > 5 min) verabreicht, nahm der ICP ab und der zerebrale Perfusionsdruck bei pädiatrischen Intensivpatienten zu (Laws et al.,
2023).
Perioperative Schmerztherapie und postoperative Erholung
Inzwischen gibt es
substanzielle Evidenz für eine postoperative Schmerzreduktion bei perioperativer Ketamingabe.
Ketamin wird auch in der S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ prozedurenspezifisch empfohlen. Eine 2018 publizierte
Metaanalyse (mit 120 Razemat- und 10 Esketamin-Studien) zeigte eine Reduktion der Intensität akuter postoperativer Schmerzen und eine 20 % Abnahme der benötigten Schmerzmittel bis 24 h nach der Operation (Mion & Himmelseher,
2024). Manche Studien konnten 3–6 Monate nach der Chirurgie eine geringere Entwicklung chronischer, postoperativer Schmerzen ermitteln (Abouarab et al.,
2024; Doleman et al.,
2023). Eine bessere Schmerzbekämpfung war dann zu beobachten, wenn Ketamin ausreichend und ausreichend lang, d. h. intraoperativ wenigstens bis Ende der Chirurgie, verabreicht wurde (Himmelseher & Durieux,
2005b). So verbesserte z. B. bei großen abdominellen Eingriffen nur wiederholt gegebenes i.v. Esketamin (0,5 mg/kg KG vor Schnitt und 0,2 mg/kg KG alle 20 min intraoperativ) den postoperativen Schmerz und Analgetikabedarf im Vergleich zur einmaligen Gabe (0,5 mg/kg KG) vor Schnitt. Besonders profitieren Patienten mit präoperativem Opioidgebrauch von einer perioperativen Ketamingabe (Meyer-Frießem et al.,
2022). In manchen Studien wurde das postoperative Auftreten psychopathologischer Phänomene beschrieben (Zhou et al.,
2024), aber ihre Häufigkeit unterschied sich gegenüber einem Placebo meist nicht. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es das optimale Ketaminverabreichungsschema mit „cut-off-values“ nicht gibt. Ein „One-size-fits-all“-Rezept wird sich sicherlich nicht finden. Basierend auf den pathophysiologischen Kaskaden nach schwerer Verletzung und der Konzentrations-Effekt-Beziehung bei Akutschmerz erscheint aber die intra- und postoperative Gabe für das Schmerzmanagement vorteilhaft (Mion & Himmelseher,
2024).
Für schmerzhafte Eingriffe kann vorgeschlagen werden (individuell anpassen):
Nach üblicher Anästhesieeinleitung intraoperativ
Vor OP-Beginn: | 0,5 mg/kg KG i.v. Ketamin-Razemat-Bolus |
| oder 0,3 mg/kg KG i.v. Esketamin-Bolus |
Dann intraoperativ: | 0,25–0,75 mg/kg KG pro Stunde i.v. Ketamin-Razemat-Infusion |
| oder 0,12–0,6 mg/kg KG pro Stunde i.v. Esketamin-Infusion |
| oder auch Boligabe alle ca. 30 min |
CAVE: | Kumulationsgefahr – bei länger dauernder OP: Intervall verlängern! |
Wird
Ketamin adjuvant in einem balancierten Regime verabreicht, können andere Anästhetika in der Regel um ca. 20 % reduziert werden. Esketamin sollte 30–40 min und Razemat 45–55 min vor erwartetem OP-Ende (je nach Eingriffsdauer) gestoppt oder erheblich verringert werden. Vor allem nach Gabe von Razemat kommt es sonst zu einer deutlichen Verlängerung des Aufwachens.
Wird
Ketamin postoperativ fortgesetzt, wäre ein Dosisvorschlag (Himmelseher & Durieux,
2005b; Mion & Himmelseher,
2024)
Kontinuierlich | 0,1–0,156 mg/kg KG pro Stunde i.v. Ketamin-Razemat-Infusion |
| oder 0,075–0,125 mg/kg KG pro Stunde i.v. Esketamin-Infusion |
| 0,1–0,156 mg/kg KG pro Stunde i.v. Ketamin-Razemat-Infusion |
Kontinuierlich | oder 0,075–0,125 mg/kg KG pro Stunde i.v. Esketamin-Infusion |
oder PCA | 0,5–1,5 mg i.v. Ketamin-Razemat per Bolus |
| oder 0,25–0,75 mg i.v. Esketamin per Bolus |
Ketamin kann auch als „Rescue“-Medikation postoperativ in einer Dosis von 10–25 mg Razemat oder 5–15 mg Esketamin langsam i.v. oder als Kurzinfusion unter Monitoring gegeben werden (Repetition nach 15 min möglich). Der Aufenthalt im
Aufwachraum kann sich dadurch verlängern. In der Regel sind < 10 mg/h Ketamin nicht mit (schweren) psychoaktiven Wirkungen bei wachen Patienten verbunden. Auf der Intensivstation kann eine „Hintergrundinfusion“ von 0,05−0,35 mg/kg KG pro Stunde Ketamin-Razemat oder 0,025–0,2 mg/kg KG pro Stunde Esketamin zur
Schmerztherapie und Depressionsbehandlung sinnvoll sein.
Neben der doppelten analgetischen und anästhetischen Potenz von Esketamin im Vergleich zu Ketamin-Razemat liegt der hauptsächliche Unterschied in einer kürzeren (postoperativen) neurokognitiven Erholung und besser erhaltenen logischen Funktionen. Es kommt während der Narkoseausleitung, Erwachen und Erholung zu weniger und weniger unerwünschten psychoaktiven Wirkungen bei Dosisreduktion um 50 %.
Verschiedene Zentren haben die perioperativ-antidepressive Wirkung vor allem von Esketamin
zur Prophylaxe und Verringerung postoperativer Depressionen in Studien bestätigt (Gan et al.,
2023; Wang et al.,
2020). Als Dosierung zur
perioperativ antidepressiven Therapie kann vorgeschlagen werden:
Intraoperativ | 0,25–0,5 mg/kg KG i.v. Esketamin-Bolus |
| oder 0,4–0,7 mg/kg KG i.v. Ketamin-Razemat-Bolus |
| bei mittlerer Dauer und Schwere eines Eingriffs |
Der Verabreichungszeitpunkt muss auf Patienten und OP ausgerichtet sein (z. B. 1 h nach OP-Beginn bei ca. 2,5 h Dauer). Soll eine anhaltende Prophylaxe oder Remission einer Depression erzielt werden, kann eine sehr niedrig subanästhetisch dosierte Infusion oder wiederholte Gabe nach OP vorteilhaft sein. Gering dosiertes Esketamin kann antidepressiv wirken, ohne offensichtlich analgetisch zu sein.
Zusammenfassend zeigt sich in vielen kontrollierten Studien eine
bessere Qualität der postoperativen Erholung nach perioperativem Esketamin, z. B. auch in QoR-Skalen zu Patientenkomfort, emotionalem Status, körperlicher Abhängigkeit und Schmerz (Bi et al.,
2024; Min et al.,
2023; Sun et al.,
2023; Xu et al.,
2023b).
Die Evidenz bzgl. der postoperativen neurokognitiven Dysfunktion (POD)
und Delir (PND) bei
Ketamingabe in der Allgemein- und Regionalanästhesie ist für alle chirurgischen Eingriffe
inkonsistent. Die einmalige intraoperative Gabe von 0,5–1 mg/kg KG i.v. Ketamin-Razemat hat sich wiederholt in Bezug auf POD und PND als nicht vorteilhaft gezeigt (Avidan et al.,
2017). Demgegenüber stehen neue Studienergebnisse mit anderen Regimes oder Esketamin, die von weniger PND und POD bei Erwachsenen verschiedenen Alters berichten (Abd Ellatif et al.,
2024; Lu et al.,
2023; Ma et al.,
2023; Xiong et al.,
2024).
Besondere Anästhesieverfahren
Opioid-sparende (OSA) und Opioid-freie (OFA) Anästhesien haben sich als klinische Perspektive für eine bessere Erholung nach operativen Eingriffen eröffnet. Dies ist nicht nur eine Folge der Opioidkrise, sondern auch, weil kurz wirkende
synthetische Opioide postoperative Schmerzen steigern können. Eine unzureichende intraoperative Antinozizeption erhöht jedoch postoperative Schmerzen und den Opioidbedarf
(Santa Cruz Mercado et al.,
2023). Subanästhetisch dosiertes, intraoperatives
Ketamin hat sich als substanzielle, antinozizeptive Komponente in OSA und OFA etabliert (Goff et al.,
2023). Manche klinische Studien zeigen vielerlei günstige Effekte in der postoperativen Erholung, Patientenzufriedenheit und bzgl. chirurgischen Komplikationen (Chen et al.,
2023; Leger et al.,
2024). Dennoch gibt es Situationen, wie schwere
Herzrhythmusstörungen, für die eine OFA nicht geeignet ist. Bei
obstruktiver Schlafapnoe oder
bariatrischer Chirurgie können OSA und OFA jedoch sehr vorteilhaft sein (Ulbing et al.,
2023). Entscheidend ist ein den Prozeduren, Bedingungen und der individuellen Patientendisposition gerecht werdendes Regime (Goff et al.,
2023) (z. B. i.v.-Ketamin und
Regionalanästhesie oder lokale Analgesie kombinieren).
Ketamin-Monoanästhesien (KMA) haben innerklinisch und bei elektiven Eingriffen keinen Stellenwert mehr. Ihre (psychischen) Nebenwirkungen gelten als inakzeptabel. Jedoch ist es möglich, dass Anästhesisten auf Wunsch psychiatrischer Kollegen KMA zur
Elektrokrampftherapie (ECT) durchführen. Die ECT ist eine effektive Behandlung schwerer und therapierefraktärer Depression. Propofol kombiniert mit Esketamin (0,25–0,5mg/kg KG) zeigt das wohl günstigste Profil für die Therapie und in Bezug auf Nebenwirkungen (Ren et al.,
2024; Sartorius et al.,
2021).
Analgesie und Sedierung auf der Intensivstation
Ketamin kann intensivmedizinisch für eine Analgesie und Sedierung mit und ohne
Beatmung eingesetzt werden. Es wird als analgetische Komponente mit einem Hypnotikum oder in Mehrfachregimes kombiniert. Bei älteren Patienten, Langzeitsedierung und/oder Tachyphylaxie kann es vorteilhaft sein, das Opioid oder Benzodiazepin zu reduzieren oder wegzulassen und dafür (oder zusätzlich) Ketamin einzusetzen. Wird Ketamin lege artis mit
Opioiden kombiniert, reduziert sich deren Bedarf und die Magen-Darm-Trakt-Motilität wird oft besser. Ketamin kann durch hämodynamische Stabilisierung
dazu beitragen, exogene
Katecholamine (z. B. bei
Sepsis oder nach kardiochirurgischen Eingriffen) zu reduzieren. Aufgrund der Regulierung proinflammatorischer Prozesse kann Ketamin u. a. eine Wiederansprechbarkeit von β-Adrenozeptoren auf Katecholamine erwirken. Es wird bei refraktärem
Status epilepticus (SE) und superrefraktärem SE als Reservemedikament gegeben, wobei für einen frühzeitigen Einsatz plädiert wird (Buratti et al.,
2023). Bei der
Beatmungsentwöhnung kann Ketamin eine stimulierende Wirkung haben (Suleiman et al.,
2023). Es wird auch intensivmedizinisch zur Minderung von Depression und Ängsten eingesetzt. Adjuvantes Ketamin eignet sich zur Sedierung für schmerzlose
Bronchoskopien.
Schwer kranke
COVID-19-Patienten mit respiratorischem Versagen haben oft einen hohen Bedarf an Sedierung, sodass 2- oder 3-fache Medikamentenkombinationen benötigt werden. Weltweit kam es zu einer Zunahme des Einsatzes von
Ketamin während der COVID-19-Pandemie, wobei sich (Es-)Ketamin als sehr nützliches Sedativum auch für die assistierte Spontanatmung oder nichtinvasive Ventilation erwies (Bansbach et al.,
2022; Riccardi et al.,
2023; Wyler et al.,
2023).
Die aktuelle und Vorgängerversion der S3-Leitlinie „Analgesie, Sedierung und Delir-Management in der Intensivmedizin“ der DGAI konsentiert mit chinesischen Experten im März 2024 (Peng et al.,
2024):
Wird (Es-)Ketamin längere Zeit oder in höherer Dosis verabreicht, müssen die hepatobiliären Funktionen überwacht werden: Es kann zu einer persistierenden Cholangiopathie mit sklerosierender
Cholangitis,
Cholestase und hepatobiliärem Organversagen
kommen. Eine
Lebertransplantation kann nötig werden. Dies ist bei COVID-19-Erkrankungen infolge eines virusspezifischen, biliären Tropismus besonders wichtig (Bartoli et al.,
2023). Bei einer schweren Lebererkrankung ist
Ketamin zurückhaltend zu geben.