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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 13.08.2024 Bitte beachten Sie v.a. beim therapeutischen Vorgehen das Erscheinungsdatum des Beitrags.

Kreislaufinsuffizienz: Ursachen und Kompensation

Verfasst von: Jan-Hinrich Baumert
Für das Verständnis und die Behandlung der verschiedenen Formen des Kreislaufversagens ist eine Kategorisierung nach der Hauptursache sinnvoll. Man unterscheidet demnach hypovoläme, anaphylaktische, septische und kardiogene Formen.
„So ist das Herz der Urquell des Lebens und die Sonne der kleinen Welt, so wie die Sonne im gleichen Verhältnis den Namen Herz der Welt verdient.“ (William Harvey, Die Bewegung des Herzens und des Blutes, deutsche Ausgabe, Frankfurt am Main, 1628)

Kreislaufinsuffizienz

Die Bedeutung kreislaufunterstützender Therapie in der Intensivmedizin ergibt sich aus der zentralen Rolle einer adäquaten Perfusion für die Funktion des Organismus und aus der Tatsache, dass die Kreislauffunktion durch zahlreiche Krankheiten beeinträchtigt werden kann.

Ursachen

  • Die Ursachen der Kreislaufinsuffizienz können in vier Kategorien zusammengefasst werden (Tab. 1):
  • systemische Entzündungsreaktion (SIRS, Systemic Inflammatory Response Syndrome) oder Sepsis mit Störungen der Vasomotorik und der Gefäßpermeabilität,
  • anaphylaktische Reaktion,
  • Störung der kardialen Funktion durch eine Herzkrankheit.
Tab. 1
Hauptsymptome und Ursachen der Kreislaufinsuffizienz
Art der Kreislaufinsuffizienz
Symptomatik
Ursachen
Hypovoläm
Tachykardie
Zentralisation
Trauma
Operation
Blutung/Flüssigkeitsverlust über den Gastrointestinaltrakt
Septisch
Tachykardie
Vasodilatation
Wundinfektion
Andere Infektionen
Anaphylaktisch
Tachykardie, Arrhythmie
Vasodilatation
Flush, Ödeme, Bronchospasmus
Mediatorenfreisetzung
(Histamin, Kinine, Komplement)
Katecholaminfreisetzung
Kardiogen
Tachykardie (evtl. Bradykardie)
Lungenödem, periphere Ödeme
Perfusionsstörungen anderer Organe
Kardiale Ischämie
Klappenvitien
Diese vier Kategorien begründen die etablierte Einteilung der Schockformen, sind jedoch häufig nicht scharf voneinander zu trennen. Wichtige Wechselwirkungen zwischen hyperdynamen, hypovolämen und kardiogenen Kreislaufstörungen zeigt Abb. 1. So hat z. B. die septisch bedingte (distributiv-hyperdyname) Kreislaufinsuffizienz auch eine hypovoläme Komponente, da durch die gestörte Kapillarpermeabilität Flüssigkeit aus dem Gefäßsystem in den interstitiellen Raum verloren geht. Entsprechend sind die Hauptangriffspunkte für die kreislaufunterstützende Therapie immer die gleichen, nämlich intravaskuläres Volumen, periphere Vasomotorik und kardiale Funktion. Für eine adäquate Kombination und Priorisierung der Therapiekomponenten sind die Diagnostik der Ursachen und die Überwachung ihrer Dynamik entscheidend.
Abb. 1
Wechselwirkungen verschiedener Formen der Kreislaufinsuffizienz
Diese Dynamik wird wesentlich geprägt durch die Kompensationsvorgänge des Organismus, die das Krankheitsbild mit bestimmen und noch komplizieren können. Deren Verständnis ist daher ebenfalls Voraussetzung für eine wirksame Behandlung.

Kompensation des Organismus

Unabhängig von der Genese eines Traumas, einer Infektion oder einer Anaphylaxie verlaufen die physiologischen Reaktionen des Organismus ähnlich. Das Gesamtbild ist die Stressantwort, bei der lokale und zentrale Prozesse zusammenwirken. Die integrierende Rolle kommt dabei dem vegetativen Nervensystem zu, das nach einer Gewebsverletzung eine sympathikotone Reaktion auslöst. Als Folge der synaptischen Freisetzung von Noradrenalin werden Herzfrequenz, Kontraktilität und peripherer Vasotonus gesteigert. Dadurch werden der venöse Rückstrom und der präkapilläre Gefäßwiderstand erhöht.
Das Ergebnis ist ein Anstieg des Herzzeitvolumens (HZV) und des arteriellen Blutdrucks. Über die zentrale Stimulation und den erhöhten O2-Bedarf kommt es gleichzeitig zur Steigerung des Atemminutenvolumens (AMV). Unterstützt werden diese Vorgänge durch die ebenfalls sympathisch vermittelte Freisetzung von Adrenalin und Noradrenalin aus dem Nebennierenmark.
Die zweite Säule der Stressantwort ist die Aktivierung der Nebennierenrinde durch ACTH (adrenocorticotropes Hormon) mit der Ausschüttung von Cortisol. Neben einer Immunmodulation bewirkt Cortisol eine metabolische Umstellung mit Insulinresistenz, Glukoneogenese, Lipolyse und Proteinkatabolismus sowie gemeinsam mit ADH (antidiuretisches Hormon) und Renin/Angiotensin die Retention von Elektrolyten und Wasser. Die Gesamtheit dieser Prozesse (Abb. 2) ist eine überlebenswichtige Strategie des Organismus zur Überwindung einer bedrohlichen Störung der Homöostase.
Abb. 2
Mechanismen der sympathikotonen Stressantwort
Bei schweren Verletzungen, ausgedehnten Entzündungen oder nach großen Operationen besteht die Stressantwort zeitlich weit über die eigentliche Schädigung hinaus. Sie kann einzelne Organsysteme beeinträchtigen und intensivmedizinisch ein größeres Problem als die Grundkrankheit darstellen.
Die zirkulatorisch-metabolische Stressantwort ist nach einem Trauma wesentlich ausgeprägter als nach einer Operation, die unter Anästhesie mit dem gleichen Ausmaß an Gewebszerstörung einhergeht.
Dies zeigt, dass der Wahrnehmung des Traumas sowohl als Schmerz als auch als Bewusstwerden der Verletzung eine wichtige Rolle in der Gestaltung der Stressantwort zukommt (Kain et al. 2000; Salmon et al. 1988).
Ferner hat die Konstitution/Resilienz vor dem Trauma oder der akuten Erkrankung einen wesentlichen Einfluss auf Behandlungserfolg und Outcome (Nehra et al. 2019).
Literatur
Kain Z, Sevarina F, Pincus S et al (2000) Attenuation of the preoperative stress response with midazolam. Anesthesiology 93(1):141–147CrossRef
Nehra D, Herrera-Escobar JP, Al Rafai SS et al (2019) Resilience and long-term outcomes after trauma: An opportunity for early intervention? J Trauma Acute Care Surg 87(4):782–789. https://​doi.​org/​10.​1097/​TA.​0000000000002442​CrossRef
Salmon P, Pearce S, Smith CC et al (1988) The relationship of preoperative distress to endocrine and subjective responses to surgery: support for Janis’ theory. J Behav Med 11:599–613CrossRef