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Die Augenheilkunde
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Publiziert am: 24.04.2024

Blindheit und Sehbehinderung

Verfasst von: Christian Wolfram
Blindheit und Sehbehinderung sind die schwerwiegendsten Formen der visuellen Beeinträchtigung. Ihr Vorkommen bestimmt wesentlich die Krankheitslast durch Augenerkrankungen und ist daher auch ein Indikator für den Gesundheitszustand der Bevölkerung. Demografische Veränderungen haben erheblichen Einfluss auf die Prävalenz von Augenerkrankungen und somit auch auf Sehbehinderungen und Erblindungen. Da Sehverlust v. a. ältere Menschen betrifft, nimmt in einer immer älter werdenden Gesellschaft das Problem zu. Umgekehrt können Verbesserungen in der Versorgung auch Erblindungen verhindern. Dieses Kapitel beschreibt verschiedene Zugangswege zur Verbreitung von Blindheit und Sehbehinderung in Deutschland und zeigt Entwicklungen und Trends für die letzten Jahre auf.

Definitionen von Blindheit und Sehbehinderung

Für die Begriffe Blindheit und Sehbehinderung gibt es keine universelle Definition. In verschiedenen Ländern und Kontexten kommen daher unterschiedliche Definitionen und Festlegungen zur Geltung. Im Vergleich mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und den USA wird deutlich, dass für Deutschland strengere Standards gelten (Tab. 1).
Tab. 1
Verschiedene Definitionen von Blindheit und Sehbehinderung. (Modifiziert nach Mauschitz et al. 2019)
Visus
Deutschland
WHO
USA
≤ 0,5
  
Low Vision
≤ 0,3
Sehbehinderung
Moderate Visual Impairment
 
≤ 0,1
 
Severe Visual Impairment
Legal Blindness
≤ 0,05
Hochgradige Sehbehinderung
Blindness
(auch bei GF ≤ 10°)
 
≤ 0,02
Blindheit
  
In Deutschland wird im Sozialgesetzbuch (SGB XII § 72, Abs. 5) der Begriff Blindheit definiert als bestkorrigierte beidäugige Sehschärfe von nicht mehr als 0,02. Darüber hinaus spielen auch die maximalen Außengrenzen des Gesichtsfeldes eine Rolle in der Festlegung von Blindheit. So gilt gemäß der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) (Bundesministerium für Arbeit und Soziales o. J.) eine Einengung des verbliebenen Gesichtsfeldes in allen Richtungen auf unter 5° vom Zentrum ebenfalls als Blindheit sogar unabhängig von der zentralen Sehschärfe. Dazwischen gelten verschiedene Abstufungen (Tab. 2).
Tab. 2
Blindheitskriterien in Deutschland nach Visus und Gesichtsfeld
Bestkorrigierter beidäugiger Visus
Egal
1/10 (= 0,1)
1/20 (= 0,05)
1/30 (= 0,033)
1/50 (= 0,02)
Maximale Außengrenzen des zentralen Gesichtsfeldes
≤ 5°
≤ 7,5°
≤ 15°
≤ 30°
Egal
Wichtig ist eine genaue Definition der Begriffe „blind“ und „sehbehindert“ v. a. für individuelle Versorgungsanliegen, wie z. B. bei Anträgen zur Gewährung von Blindengeld. Für die epidemiologische Beschreibung und Analyse von Sehverlust ist diese Definition jedoch nicht zwingend erforderlich.

Epidemiologie

Bei der Betrachtung von Blindheit und Sehbehinderung als Gesundheitsproblem in der Bevölkerung können verschiedene Daten Verwendung finden. Da es in Deutschland kein Register für Blinde und Sehbehinderte gibt, kann die Anzahl an Blinden und Sehbehinderten nur aus verschiedenen Datenquellen geschätzt werden. Für Europa errechneten Bourne et. al. aus Bevölkerungsstudien anderer Länder eine Prävalenz für Sehbehinderung in der erwachsenen Bevölkerung von 1,0 % und für Blindheit von 0,1 % (Bourne et al. 2014; Rohrschneider 2012).
Zur Berechnung der Prävalenz und Inzidenz von Blindheit und Sehbehinderung in Deutschland stehen unterschiedliche Zugangswege zur Verfügung. Eine Quelle sind Schwerbehindertenstatistiken, deren Erfassung sich methodisch seit den 1990er-Jahren nicht wesentlich verändert hat, insofern Trendbeobachtungen sehr gut ermöglichen, und zugleich eine nationale Perspektive für Deutschland liefert. Es ist davon auszugehen, dass die wirkliche Zahl der Betroffenen noch höher ist, da nicht alle Betroffenen einen Schwerbehindertenstatus beantragen und somit nicht erfasst werden. Auch im Falle von Sehbehinderung und in Kombination mit anderen Gebrechen kann es sein, dass andere Gründe der Schwerbehinderung überwiegen und daher diese Personen in anderen Kategorien der Schwerbehindertenstatistik eingruppiert sind. Somit können die genannten Zahlen zumindest als gesicherte unterste Grenze für Deutschland gelten.
Für das Jahresende 2021 nennt das Statistische Bundesamt eine Zahl von blinden und sehbehinderten Personen in Deutschland von 334.615 Personen (Statistisches Bundesamt 2022a). Bei einer Bevölkerungsgröße von 83,2 Mio. Menschen in Deutschland (Statistisches Bundesamt 2022b) entspricht diese Zahl einer Prävalenz von 0,4 % in der Gesamtbevölkerung. Unterschieden nach Altersgruppen zeigt sich ein erheblicher Anstieg der Prävalenz zum höheren Lebensalter hin, sodass unter den über 75-Jährigen fast 2 % betroffen sind (Tab. 3). Verglichen mit der Gruppe der Erwachsenen im Erwerbsalter bis 64 Jahren ist in der darauffolgenden Dekade die Häufigkeit um das über 5-Fache und in der Gruppe ab 75 Jahren um das über 12-Fache erhöht.
Tab. 3
Altersspezifische Prävalenz von Blindheit und Sehbehinderung in Deutschland nach Altersgruppen. (Nach Schwerbehinderten- und Bevölkerungsstatistik [Statistisches Bundesamt 2022a, b])
Altersgruppe
Pro 100.000 Einwohner
In Prozent
Bis 18 Jahre
35,4
0,04
18–64 Jahre
163,4
0,16
65–74 Jahre
834,3
0,83
75 Jahre und älter
1981,7
1,98
Gesamt
402,0
0,40
Aufgeteilt nach Geschlecht sieht man in der Gruppe der unter 75-Jährigen eine größere Häufigkeit von Blindheit und Sehbehinderung unter Männern, in der Gruppe der über 75-Jährigen hingegen umgekehrt für Frauen (Abb. 1), sodass die Häufigkeit insgesamt um ein Drittel höher unter Frauen gegenüber Männern ist, was auch den Beobachtungen anderer Studien entspricht (Klaver et al. 1998; Finger et al. 2012; Varma et al. 2016) und mit einer höheren Prävalenz der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) unter Frauen erklärt wird (Finger et al. 2012).
Eine weitere Datenquelle für Erblindungszahlen sind Blindengeld-Bescheinigungen aus einer umschriebenen Region (Finger et al. 2012; Claessen et al. 2021; Krumpaszky et al. 1999). Sie liefern Inzidenzdaten über Neuerblindungen und Hinweise auf die Ursachen des Sehverlustes, aus denen sich Trends ableiten lassen. Hier ist eine Untererfassung wahrscheinlich für solche Menschen, deren Erblindung nicht neu ist oder auch für andere, die keine Sozialleistungen beanspruchen (Claessen et al. 2021; Finger et al. 2011), was bei sehr kranken oder hochbetagten Menschen eher vorkommen wird. Für 2006 ermittelten Finger et al. aus Daten des Rheinlands, dass Erblindungsursachen zu über 40 % durch AMD begründet wurden, zu 15 % durch das Glaukom und zu 10 % durch diabetische Veränderungen am Augenhintergrund (Finger et al. 2012). Frauen waren über 63 % häufiger als Männer von Blindheit und Sehbehinderung betroffen. Zuvor hatten Krumpaszky et al. 1999 für die Region Württemberg-Hohenzollern eine Inzidenzrate von 11,6 pro 100.000 Personenjahre errechnet (Krumpaszky et al. 1999), wobei die häufigsten Ursachen AMD (3,9), Diabetes (2,0) und Glaukom (1,6) waren. Claessen et al. beobachten für Sachsen einen erheblichen Rückgang der Neuerblindungen von 15,7 Fälle pro 100.000 Personenjahre in 2009 auf 9,7 in 2017, was einer Reduzierung von ca. 7 % pro Jahr entspricht (Claessen et al. 2021). Auch hier waren mehr Frauen als Männer betroffen. Ebenfalls stand die AMD als Haupterblindungsursache deutlich im Vordergrund, gefolgt von Glaukomen, deren Auftreten etwas verringert war (AMD: − 7% Glaukom − 5%), wohingegen der Rückgang von diabetesbedingten Erblindungen im Untersuchungszeitraum besonders häufig (− 11%) festgestellt wurde.
Populationsbasierte Studien versuchen anhand einer repräsentativen Auswahl aus der Bevölkerung einen Rückschluss auf die Gesamtheit ziehen zu können (Mauschitz et al. 2019; Brandl et al. 2019; Wolfram et al. 2019). Sie bieten die Möglichkeit, neben den primären Ursachen von Blindheit und Sehbehinderung auch Abstufungen einzelner Erkrankungsbilder, Komorbiditäten oder bestimmte Risikofaktoren zu erforschen. Auch hier besteht die Möglichkeit eines Selektionsbias, da sehr kranke oder funktionell eingeschränkte Menschen aufgrund der körperlichen und zeitlichen Beanspruchung durch die Untersuchungen in populationsbasierten Studien unterrepräsentiert sind oder auch durch Altersobergrenzen sehr alte Menschen ausgeschlossen werden. In der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) betrug die Prävalenz von Blindheit und Sehbehinderung unter 35- bis 74-Jährigen insgesamt 0,37 %, wobei es deutliche Unterschiede nach Altersgruppen gab. In der Gruppe der 65- bis 74-Jährigen lag die Quote bei 0,79 %, in den jüngeren Altersdekaden hingegen bei nur etwa einem Viertel Prozent. Somit bestätigt sich in der Gutenberg-Gesundheitsstudie die Erkenntnis anderer Prävalenzstudien (Bourne et al. 2017; Stevens et al. 2013; Xu et al. 2006; Rohrschneider und Greim 2004), dass die Häufigkeit von Sehbehinderung und Blindheit unter Menschen ab dem 65. Lebensjahr um etwa das Dreifache erhöht ist. Weiterhin war die Prävalenz unter Frauen höher als unter Männern (0,44 % vs. 0,31 %). Dabei wurde festgestellt, dass in über 60 % der Fälle von Blindheit und Sehbehinderung mehrere Ursachen für den Sehverlust vorlagen und so auch Amblyopien, hohe Myopien, genetische Augenerkrankungen sowie Traumata durch Netzhautablösungen oder Verletzungen wesentliche Mitursachen darstellten (Wolfram et al. 2019).
Bei allen Erhebungsmöglichkeiten ist anzunehmen, dass die Zahl der betroffenen blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland eher zu niedrig geschätzt wird und daher von einer höheren Zahl Betroffener in der Realität auszugehen ist. Eine klare Tendenz ist allen Erhebungsformen gemein, dass es eine eindeutige Zunahme an Blindheit und Sehbehinderung zum höheren Lebensalter gibt und Frauen tendenziell häufiger betroffen sind als Männer.

Einfluss der demografischen Entwicklung

Die Epidemiologie von Blindheit und Sehbehinderung steht in enger Verbindung zum demografischen Wandel der Gesellschaft. In den letzten Jahrzehnten gab es einen Prozess der Alterung der Gesellschaft, der sich in den kommenden Jahren noch weiter fortsetzen wird. Allein zwischen 1993 und 2021 ist der Anteil derjenigen Menschen im Alter von 75 und mehr Jahren in Deutschland um 53,3 % gestiegen, wohingegen der Anteil der unter 18-Jährigen um 12,5 % zurückgegangen ist. Da der Verlust des Sehvermögens am häufigsten ältere Menschen betrifft, wäre zu erwarten gewesen, dass auch die Zahl der Fälle mit Blindheit und Sehbehinderung erheblich zunehmen, jedoch ist die Anzahl nach Angaben der Schwerbehindertenstatistik nahezu stabil und zuletzt sogar leicht rückläufig (Abb. 2).
Zu erklären ist diese vermeintliche Stabilität durch zwei Ursachen: Zunächst mit der Tatsache, dass sich das Erblindungsalter weiter ins höhere Lebensalter verschoben hat und seit 2011 der Anteil der über 75-jährigen Menschen den Anteil der unter 75-jährigen überwiegt (Abb. 3).
Vor allem aber ist ein erheblicher Rückgang des relativen Erblindungsrisikos festzustellen, der v. a. die bisher häufigsten Erblindungsursachen AMD, Diabetes und auch das Glaukom betrifft und auf eine bessere Versorgungssituation dieser großen Erkrankungen in der Augenheilkunde zurückgeführt werden kann (Finger et al. 2012; Claessen et al. 2021; Wolfram und Pfeiffer 2012a; Claessen et al. 2012).
Der Einfluss der demografischen Veränderung kann aus den Zahlen der Schwerbehindertenstatistik durch eine Altersstandardisierung herausgerechnet werden, indem rechnerisch eine gleichbleibende Verteilung der Altersgruppen in der Bevölkerung angenommen wird. Daraus ergibt sich, dass es in einer stabilen Bevölkerung deutlich weniger Fälle von Blindheit und Sehbehinderung geben müsste und die genannte Prävalenz von nahezu 0,40 % auf 0,31 % gefallen wäre (Abb. 4). Es lässt sich daher schlussfolgern, dass sich das reale Erblindungsrisiko somit zwischen 1993 und 2021 um fast ein Viertel verringerthat, für Deutschland hochgerechnet um etwa 90.000 Erblindungsfälle weniger als zu erwarten gewesen wären.
Diese Ergebnisse decken sich mit den Erkenntnissen aus Neuerblindungszahlen, die ebenfalls einen Rückgang der Inzidenz von Neuerblindungen sogar von über 40 % im Zeitraum von 1991 bis 2008 beschreiben (Claessen et al. 2012). Auch weltweit ist zwischen 1990 und 2015 die altersstandardisierte Prävalenz von Blindheit und Sehbehinderung um 26 % gesunken (Bourne et al. 2017).

Auswirkungen auf die ophthalmologische Versorgung

Der Rückgang der Neuerblindungszahlen ist wesentlich ein Erfolg der Gesundheitsversorgung. Während sich generelle Verbesserungen etwa in der Diabeteseinstellung und -betreuung in einer verringerten Inzidenz von diabetischen Augenproblemen darstellen (Horle et al. 2002; Krumpaszky 1997; Genz et al. 2010; Claessen et al. 2018), hat gerade die ophthalmologische Versorgung selbst einen hohen Beitrag zur Verringerung der Erblindungszahlen geleistet. Insbesondere die Einführung der intravitrealen Injektionstherapien hat zu einem erheblichen Rückgang der Erblindungen durch AMD und andere Netzhauterkrankungen geführt (Bourne et al. 2018; Bloch et al. 2012). Weltweit haben darüber hinaus bessere Zugangsmöglichkeiten und eine Erhöhung der Operationszahlen für Katarakte zum Rückgang der Erblindungszahlen beigetragen (Bourne et al. 2013; Foster et al. 2008).
Für die kommenden Jahre ist vorherzusehen, dass es in Deutschland weiterhin mehr ältere Menschen geben wird, was zu einem weiteren Zuwachs altersbedingter Augenerkrankungen und einem Anstieg ophthalmologischer Behandlungsfälle führen wird (Finger et al. 2011; Wolfram und Pfeiffer 2012b; Knauer und Pfeiffer 2006). Während es in der Vergangenheit gelungen ist, die Erblindungszahlen trotz der demografischen Entwicklung stabil zu halten und sogar zu senken, wird die zukünftige Entwicklung von mehr älteren Menschen und einer weiteren Erhöhung der Lebenserwartung die Augenheilkunde weiter herausfordern. Die hoffnungsvolle Entwicklung der letzten Jahrzehnte sollte Ansporn und Herausforderung zugleich sein, die schwerwiegendsten Verläufe von Augenerkrankungen weiter zu verhindern.
Ein Ansatzpunkt dazu könnte in der augenärztlichen Betreuung von Menschen in Pflegeeinrichtungen liegen. In der sog. OVIS-Studie („Ophthalmologische Versorgung in Seniorenheimen“) wurden in einer Querschnittsuntersuchung 600 Bewohner von Seniorenheimen in ganz Deutschland untersucht hinsichtlich ihrer Sehschärfe und möglicher Augenerkrankungen (Larsen et al. 2019). Es ergab sich eine hohe Verbreitung von Sehproblemen: 24 % hatten eine Sehschärfe trotz bester Korrektur von < 0,3 und 5,3 % waren nach WHO-Kriterien blind, wobei wiederum die meisten Fälle auf eine AMD zurückzuführen waren (42 % der Sehbehinderten und 58 % der Blinden), aber auch nichtoperierte visusrelevante Katarakte bei 39 % der sehbehinderten und bei 19 % der blinden Pflegeheimbewohner wurden festgestellt (Larsen et al. 2019). Es ist daher wichtig, einen niederschwelligen Zugang zur Augenversorgung gerade für unterversorgte Gesellschaftsgruppen zu ermöglichen und Patienten und ihre Angehörigen weiter zu regelmäßigen Routinekontrollen auch bei subjektiv fehlenden Symptomen zu motivieren.

Augenärztliche Rolle in der Begleitung von Blinden und Sehbehinderten

Sehverlust ist für die Betroffenen und ihre Angehörigen meist mit erheblichen persönlichen Nachteilen verbunden und erfordert eine aufmerksame und koordinierte Betreuung durch verschiedene ärztliche Fachgruppen.
Die augenärztliche Rolle besteht darin, sowohl die funktionelle und organische Entwicklung zu analysieren als auch die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen zum Erhalt der verbliebenen Restsehfunktion zu ergreifen. Dazu gehört neben allen medizinischen Maßnahmen auch die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln wie z. B. vergrößernden Sehhilfen, von Lupen bis hin zu sog. Bildschirmlesegeräten. Moderne Computertechnik mit der Möglichkeit, Texte vorzulesen, hat für viele Patienten die Situation erheblich verbessert. Die Vermittlung an Selbsthilfegruppen oder auch spezialisierte Optiker kann dabei für die Betroffenen und ihre Angehörigen eine Orientierung geben, um sich mit den Möglichkeiten von technischen Hilfsmitteln vertraut zu machen, die dann ggf. verordnet werden können. Dazu zählt in geeigneten Fällen auch die Verordnung eines Mobilitätstrainings, um Betroffene mit dem Gebrauch eines Langstocks vertraut zu machen und um Hilfen bei der Orientierung im öffentlichen Raum zu bekommen und um Stürze oder Verletzungen zu verhindern.
Für Patienten und ihre Angehörigen sind die weiterführenden Versorgungsfragen wie die Beantragung von Blindengeld oder eines Schwerbehindertenausweises bei den jeweiligen Landesversorgungsämtern eine große Herausforderung. Auch hier kann der Kontakt zu Selbsthilfegruppen und anderen Patienten mit ähnlichen Fragestellungen eine große Hilfe für die Betroffenen sein. Eine enge Zusammenarbeit mit dem zuständigen Hausarzt, Pflegekräften und Angehörigen kann den Betroffenen unnötige Umwege ersparen.
Tipp
Es ist hilfreich, lokale Selbsthilfegruppen und Anbieter von Heil- und Hilfsmitteln einmal kennenzulernen, um betroffenen Patienten direkte Ansprechpartner, Telefonnummern und Internetadressen nennen zu können. Das erleichtert Patienten und Angehörigen eine mitunter umständliche eigene Suche und senkt die Schwelle der Kontaktaufnahme. Ebenso nützt es, sich mit den landeseigenen Bestimmungen zur Gewährung von Blindengeld einmal vertraut zu machen.

Ökonomische Auswirkungen von Blindheit und Sehbehinderung

Für die ökonomische Bedeutung von Sehverlust führten Chuvarayan et al. eine umfassende Krankheitskostenrechnung für Deutschland durch (Chuvarayan et al. 2020). Darin wurde deutlich, dass die ökonomischen Konsequenzen von Blindheit und Sehbehinderung nicht nur medizinische Kosten für die Behandlung der zugrunde liegenden Augenkrankheiten oder für Heil- und Hilfsmittel beinhalten, sondern besonders nichtmedizinische Kosten wie Betreuungskosten oder Transportkosten oder auch indirekte Kosten wie Produktivitätsausfälle für die hohe makroökonomische Bedeutung von Sehverlust verantwortlich sind. Dabei unterschieden sich die Verhältnisse der verschiedenen Schweregrade von Sehbehinderung und Blindheit, indem bei moderater Sehbehinderung indirekte Kosten die anderen Kostenbereiche überwogen und im Falle von Blindheit hingegen direkte nichtmedizinische Kosten für den größten Kostenfaktor verantwortlich waren. Darin gehen auch Zuwendungen wie Blindengeld und Blindenhilfe ein, die je nach Bundesland unterschiedlich gewährt werden.
Die Autoren beziffern die jährlichen Kosten durch Blindheit und Sehbehinderung für Deutschland auf 49,6 Mrd. €. Eine Übersicht über die verschiedenen Kostenbereiche zeigt folgende Tabelle (Tab. 4).
Tab. 4
Jährliche Krankheitskosten (in Mrd. €) für Blindheit und Sehbehinderung in Deutschland. (Zusammengefasst nach Chuvarayan et al. 2020)
 
Moderate Sehbehinderung
Hochgradige Sehbehinderung
Blindheit
Direkte medizinische Kosten
(u. a. Krankenbehandlungen, Heil- und Hilfsmittel)
11,9
2,0
5,0
Direkte nichtmedizinische Kosten (u. a. Betreuungskosten, Fahrtkosten, ggf. Blindengeld)
6,0
2,3
10,6
Indirekte Kosten
(u. a. Produktivitätsausfälle, Kosten durch Abwesenheit)
7,9
0,9
3,0

Fazit

Blindheit und Sehbehinderung stellen ein relevantes Gesundheitsproblem für die Betroffenen und für die Gesellschaft dar. Dieses Problem nimmt tendenziell mit der demografischen Entwicklung zu, aber wurde zuletzt durch Verbesserungen in der Versorgung in Schach gehalten und sogar verringert. In Anbetracht der großen ökonomischen Bedeutung von Sehverlust sollten alle Anstrengungen unternommen werden, die Versorgung weiter zu verbessern und Sehverlust zu verhindern.
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