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Die Augenheilkunde
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Publiziert am: 24.12.2024

Kammerwinkel und Gonioskopie

Verfasst von: Anselm Jünemann
Die Kammerwinkelbeurteilung mithilfe der Gonioskopie stellt einen zentralen und wesentlichen Bestandteil nicht nur der Glaukomdiagnostik, sondern prinzipiell der spaltlampengestützten, ophthalmologischen Diagnostik dar. Die Gonioskopie als Teil der vollständigen Augenuntersuchung gibt wichtige Informationen für die Pathogenese, die Diagnosestellung und somit die Therapieplanung.
Dieses Buchkapitel gibt eine Übersicht über die Technik der Gonioskopie und stellt im Detail die normalen und pathologischen Kammerwinkelbefunde dar.
Die Beurteilung des Kammerwinkels umfasst im Wesentlichen die zwei folgenden Fragen:
1)
Welche Kammerwinkelkonfiguration liegt vor, d. h. welche normalen Kammerwinkelstrukturen sind sichtbar?
 
2)
Welche zusätzlichen (pathologischen) Strukturen sind sichtbar (Pigment, Gefäße, uveales Gewebe, ortsfremdes Gewebe, Blut). Die unterschiedlichen Kammerwinkelbefunde werden mit ausführlichem Bildmaterial illustriert.
 

Einleitung

Die Kammerwinkelbeurteilung mithilfe der Gonioskopie stellt einen zentralen und wesentlichen Bestandteil nicht nur der Glaukomdiagnostik, sondern prinzipiell der spaltlampengestützten ophthalmologischen Diagnostik dar. Bei aller Überflutung mit hochkomplexer und hochauflösender Bildgebung bis auf das Niveau einer In-vivo-Histologie mittels OCT-Technik ist das Alleinstellungsmerkmal der Augenheilkunde die direkte Betrachtung des Gewebes im Sinne einer Biomikroskopie. Die Gonioskopie ist Teil der vollständigen Augenuntersuchung. Sie gibt dabei wichtige Informationen für die Pathogenese, die Diagnosestellung und somit die Therapieplanung. So führte Otto Barkan (1867–1959) 1936 den Begriff des Offenwinkelglaukoms, basierend auf der gonioskopischen Untersuchung, in die Klassifizierung der Glaukome ein.
Die Gonioskopie ist jedoch zum einen in dem durch die äußeren Umstände und Zwänge auf einen zeitlich minimierten Arzt-Patient-Kontakt getrimmten Workflow zeitraubend, zum anderen wird sie für Untersuchten und Untersuchenden als unkomfortabel angesehen.
Mit der modernen Kammerwinkelchirurgie gewinnt die Gonioskopie jedoch wieder zunehmend an Bedeutung. Dieses Buchkapitel gibt eine Übersicht zur Technik der Gonioskopie und den normalen und pathologischen Kammerwinkelbefunden.

Der Weg zur erfolgreichen Gonioskopie

„Erfahrungen vererben sich nicht – jeder muss sie alleine machen.“ Dieser Satz von dem Journalisten und Schriftsteller Kurt Tucholsky trifft zwar im Prinzip auf alle diagnostischen und therapeutischen Verfahren der ärztlichen Tätigkeit zu, lässt aber den Erfahrungsaustausch außer Acht. Dieser ist gerade beim Erlernen der Gonioskopie von großer Bedeutung. Die direkte Mitbetrachtung des Kammerwinkels während der Gonioskopie durch einen erfahrenen Untersucher erlaubt dabei die Unterscheidung und Bestätigung der normalen Anatomie, der Variationen der normalen Anatomie, der Konfiguration sowie der Pathologien des Kammerwinkels. Aber auch die Nutzung digitaler Medien zum Lernen in der Gruppe, im Sinne mithilfe spaltlampenadaptierter Kamera oder Gonioskopiefilmen, ist zum qualifizierten Erlernen der Gonioskopie hilfreich. Als Erfahrungswert kann angenommen werden, dass nach der Gonioskopie von 1000 Erwachsenen und 500 Kindern von einer sicheren Beurteilung des Kammerwinkels ausgegangen werden kann.

Die Technik der Gonioskopie

Der griechische Ophthalmologe Alexios Trantas führte die erste Kammerwinkeluntersuchung am menschlichen Auge mittels direktem Ophthalmoskop unter Indentation durch und führte den Begriff der Gonioskopie ein (Trantas 1907). Die Erfolgsgeschichte der Gonioskopie startete im Prinzip 1914, also vor gerade mehr als 100 Jahren, mit der Einführung einer Kontaktlinse durch Maximilian Salzmann (1862–1954) zur ersten direkten Betrachtung des Kammerwinkels (Salzmann 1914). 1919 war das Geburtsjahr der direkten Gonioskopie an der Spaltlampe mit dem Koeppe-Glas (Leonhard, Koeppe 1864–1969) (Koeppe 1919). Die Einführung des 3-Spiegel-Kontaktglases 1938 durch Hans Goldmann (1899–1991) ermöglichte die indirekte Gonioskopie an der Spaltlampe, welche seitdem die Standardtechnik darstellt (Goldmann 1938). Eine exzellente Übersicht über die historische Entwicklung der Gonioskopie findet sich bei Alward (2011). Heute stehen verschiedene Kontaktgläser für die alleinige Gonioskopie mit unterschiedlicher Anzahl (1–6), Neigung (55–75°) und Länge der Spiegel sowie unterschiedlichen Krümmungsradien und Durchmessern (15–18 mm) der Kontaktfläche zur Verfügung. Auch wenn die Gonioskopiegläser einen besseren Überblick über den Kammerwinkel verschaffen, so ist der Vorteil des Goldmann-Glases im klinischen Alltag der „All-in-one“-Aspekt, mit einem Glas sowohl den zentralen und peripheren Augenhintergrund als auch den Kammerwinkel untersuchen zu können.

Statische und dynamische Gonioskopie

Neben der Routinetechnik der statischen Gonioskopie mit den oben beschriebenen Gläsern, ist auch eine dynamische Gonioskopie oder Indentationsgonioskopie möglich (s. u.).

Die erfolgreiche Gonioskopie

Eine erfolgreiche und für Behandelten und Behandler zufriedenstellende Gonioskopie bedarf neben des richtigen Instrumentariums und der hinreichenden Instruktion der zu Behandelnden über den Ablauf, Zweck und Nutzen der Untersuchung, vor allem optimaler Untersuchungsbedingungen eine bequeme Sitzposition für den Behandler (abgestützter Unterarm) und zu Behandelnden, abgedunkelter Untersuchungsraum, kurze Spaltlänge zur Reduzierung des unnötig reflektierten und somit störenden Lichts, die passende Vergrößerung (10- bzw. 16-fach) und ein leichter, aber hinreichender Anpressdruck des Kontaktglases unter Vermeidung von Luftblasen. Die Gonioskopie wird primär bei Geradeausblick des Patientenauges mit gerade aufgesetztem Kontaktglas durchgeführt. Für eine erfolgreiche und umfassende Gonioskopie sind eine bilateral vergleichende Analyse der anatomischen Strukturen (Landmarken des Kammerwinkels) und pathologischen Elemente in allen vier Quadranten sowie eine Indentationsgonioskopie bei engem bzw. nicht einsehbarem Kammerwinkel unersetzlich.

Der normale Kammerwinkel

Im Wesentlichen reduziert sich die Gonioskopie auf zwei Fragen: 1) Welche Kammerwinkelkonfiguration liegt vor, d. h. welche normalen Kammerwinkelstrukturen sind sichtbar? 2) Welche zusätzlichen (pathologischen) Strukturen sind sichtbar (Pigment, Gefäße, uveales Gewebe, ortsfremdes Gewebe, Blut, Abb. 1, 2, 3, 4 und 5)?
Wie bei der kinetischen Goldmann-Perimetrie, die dann aussagekräftig ist, wenn bei Kenntnis der normalen Position der Isopteren diese nachgewiesen wird und somit jede Abweichung als pathologisch eingestuft werden kann, so ist bei der Gonioskopie die Kenntnis des normalen Kammerwinkels Voraussetzung, um Abweichungen als pathologisch klassifizieren zu können.

Die Landmarken des normalen Kammerwinkels

Entscheidend für diese Beurteilung sind die Landmarken des Kammerwinkels (Abb. 6a, b): Identifizierung von Skleralsporn und Schwalbe-Linie als Ende der Descemet-Membran. Ausgehend von diesen beiden linienförmigen Strukturen kann das dazwischenliegende Trabekelmaschenwerk identifiziert werden, welches sich in vielen Augen sichtbar in ein vorderes und hinteres unterteilen lässt. In Abhängigkeit von der Höhe der am Skleralsporn ansetzenden Iris kann die Iriswurzel bzw. das Uvealband identifiziert werden. Die Sichtbarkeit dieser Strukturen entscheidet über die Beurteilung der Konfiguration und des Öffnungsgrades des Kammerwinkels. Diese Strukturen sind in der Regel im Bereich des unteren Kammerwinkels am leichtesten zu identifizieren, sodass die Gonioskopie bei 6 Uhr beginnen und im Uhrzeigersinn fortgesetzt werden sollte.

Die Klassifizierung des Kammerwinkels

Eine einheitliche Nomenklatur ist Voraussetzung für die Dokumentation und Beschreibung des Befundes. Von Scheie (1957), Shaffer (1962), Van Herick et al. (1969) und Spaeth (1971) sind verschiedene Systeme vorgeschlagen worden. Für den klinischen Alltag ist das System nach Shaffer, welches sich allein an den sichtbaren Landmarken des Kammerwinkels orientiert, sicherlich am besten geeignet: 0 = Schwalbe-Linie nicht sichtbar, 1 = Schwalbe-Linie sichtbar, 2 = Trabekelmaschenwerk sichtbar, 3 = Skleralsporn sichtbar, 4 = Iriswurzel sichtbar. Die Klassifizierung nach Shaffer macht jedoch keine Angaben über den Öffnungswinkel, also ob der Kammerwinkel im Zugang eingeengt ist. Dies ist natürlich mit den oben genannten Techniken wie „look-over-the-hill“ leicht einzuschätzen, jedoch nicht mit einer Gradzahl quantifizierbar. Die Einengung im Zugang ist jedoch ein wichtiges Kriterium für die Wahrscheinlichkeit eines akuten Pupillarblock-Winkelblocks. Eine einfache semiquantitative Beschreibung erfolgt mit dem Van-Herick-Test.

Der unüberschaubare Kammerwinkel

Die Beurteilung der Konfiguration des Kammerwinkels kann schwierig sein. So kann die Kammerwinkelrezession, die für Diagnose, Therapieplanung und gutachterliche Fragestellungen einen wichtigen Befund darstellt, den Untersucher vor eine große Herausforderung stellen (Abb. 7a, b). Die vergleichende Untersuchung aller vier Quadranten und des Partnerauges als Bestandteil jeder Gonioskopie ist hier hilfreich und führt in der Regel zur richtigen Diagnose.

Der nicht einsehbare Kammerwinkel

Eine weitere gonioskopische Herausforderung ist der bei Geradeausblick und gerade gehaltenem Kontaktglas nicht einsehbare Kammerwinkel. Die differenzialdiagnostische Frage ist, ob der Kammerwinkel im Zugang eingeengt, aber offen, oder ob der Kammerwinkel durch Synechierung oder nur durch Anlagerung der Iris an die Hornhaut verschlossen ist. Die folgenden Techniken sind hier notwendig und hilfreich, diese Frage zu beantworten:

Look over the hill

Bei nicht einsehbarem Kammerwinkel fordert man zum Blick zum Spiegel auf und verkippt das Kontaktglas zur Gegenseite (in Richtung des zu untersuchenden Kammerwinkelabschnitts) (Abb. 8a, b). Sind die Strukturen des Kammerwinkels nun sichtbar, ist der Kammerwinkel offen, aber im Zugang deutlich eingeengt. Dies kann durch eine relativ dicke Linse, ggf. bei zugleich vorliegender Hyperopie, oder auch durch eine Plateau-Iris-Konfiguration verursacht sein. Ist der Kammerwinkel weiterhin nicht einsehbar, muss zwischen appositioneller Iris, also prinzipiell wieder zu öffnendem Kammerwinkel, und vorderer Synechierung, d. h. permanent verschlossenem Kammerwinkel, differenziert werden. Dies erfolgt mittels der dynamischen Gonioskopie.

(Indentations-) Gonioskopie

Die von Max Forbes (1966) vorgestellte Indentationsgonioskopie ist vor allem essenziell, um Synechierung und Apposition als Ursache des nicht einsehbaren Kammerwinkels voneinander zu unterscheiden (Forbes 1966). Die dynamische Gonioskopie benötigt ein Kontaktglas mit einem Durchmesser, der kleiner als der Hornhautdurchmesser ist. Die Kontaktfläche ist kleiner als die Hornhaut und erlaubt daher eine Indentation und benötigt im Gegensatz zum Goldmann-Glas kein Gel, sondern erlaubt die direkte Ankoppelung an den Tränenfilm nach Lokalanästhesie (in der Regel nach Goldmann-Applanationstonometrie). Durch die Indentation wird das Kammerwasser nach posterior bzw. vom Zentrum zur Peripherie der Vorderkammer bewegt. Dies resultiert in einer mechanischen Vertiefung des Kammerwinkels während des Drucks auf die Hornhaut. Der Kammerwinkel wird bei Apposition der Iris einsehbar, im Falle der Synechierung bleibt der Kammerwinkel verschlossen. Die zweite Indikation für die Indentationsgonioskopie ist der Nachweis bzw. Ausschluss einer Pleateau-Iris-Konfiguration als Ursache oder Komponente eines primären Winkelblocks (Marchini et al. 2015). Normalerweise weicht die Iris, abgesehen vom zentralen, der Linse anliegenden Anteil, während der Indentation nach hinten zurück, sodass sie bis zum Skleralsporn, also bis in den Kammerwinkel, nach hinten „durchhängt“. Im Fall der Plateau-Iris als der Antero-Rotation des Ziliarkörpers, kann die Iris sowohl zentral linsenbedingt wie auch peripher ziliarkörperbedingt nicht nach hinten weichen, sodass das sogenannte Double-hump-Zeichen entsteht.

Der Hornhautkeil („corneal wedge“)

Die Lichtreflexe der peripheren Hornhaut können genutzt werden, um einen geschlossenen von einem offenen Kammerwinkel zu unterscheiden. Dies ist bei reichlich pigmentiertem Kammerwinkel nicht immer eindeutig zu diagnostizieren (Abb. 9). Das Licht wird mit einer hellen, dünnen und scharfen Reflexlinie auf dem Niveau der Descemet-Membran und mit einer schwächeren, breiteren und unschärferen Linie auf dem Niveau der Bowman-Lamelle innerhalb der Hornhaut reflektiert. Diese beiden Reflexlinien laufen bogenförmig aufeinander zu und treffen sich exakt an der Schwalbe-Linie (Abb. 10). Somit sind alle Strukturen, die in Richtung Iris sichtbar sind, als Kammerwinkelstrukturen (Trabekelmaschenwerk, Skleralsporn, Iriswurzel) zu identifizieren.

Van-Herick-Test

Dieser Test beschreibt den Öffnungswinkel von der Vorderkammer zum Kammerwinkel mithilfe der Spaltlampe, unabhängig von den sichtbaren Strukturen des Kammerwinkels in der Gonioskopie (Abb. 11). Unter Verwendung eines maximal dünnen Lichtstrahls in einem 60° Winkel zum Beobachtungsstrahlengang wird direkt am nasalen und temporalen Limbus die Tiefe der Vorderkammer im Verhältnis zur Hornhautdicke beschrieben und somit die Wahrscheinlichkeit eines Pupillarblock-Winkelblocks bestimmt:
  • 0 = geschlossener KW (0°),
  • 1 = < ¼ wahrscheinlich (10°),
  • 2 = ¼ möglich (20°),
  • 3 = ¼–½ unwahrscheinlich (20–35°),
  • 4 = > ½ unmöglich (35–45°).

Die Pathologien des Kammerwinkels

Die Pathologien des Kammerwinkels können leicht mithilfe der folgenden fünf Regeln erkannt werden:
1)
Analyse der anatomischen Strukturen,
 
2)
dynamische Gonioskopie bei nicht einsehbarem Kammerwinkel,
 
3)
Identifizierung von pathologischen Elementen,
 
4)
Untersuchung aller vier Quadranten,
 
5)
Untersuchung beider Augen, insbesondere zum Seitenvergleich.
 
Die direkte biomikroskopische qualitative Beurteilung durch das geschulte Auge des Ophthalmologen ist so in der Lage, fibrovaskuläres Gewebe einer Rubeosis iridis zu identifizieren, die Frage einer Zellaussaat bei malignem Melanom von Melanophagen oder Melaningranula zu unterscheiden oder Brückengefäße als pathognomonischen Befund bei Heterochromiezyklitis Fuchs zu identifizieren. Im Folgenden sollen die Befunde bei Blocksituationen sowie der offene, posttraumatische, postoperative und kindliche Kammerwinkel dargelegt werden.

Die Blocksituationen

Die Gonioskopie ist nach wie vor die wichtigste Untersuchung zur Beurteilung des Kammerwinkels und Winkelblocks, um die zugrunde liegende Anatomie und Pathophysiologie des Winkelblocks zu identifizieren und das adäquate Management festzulegen. Der akute Glaukomanfall stellt jedes Mal eine differenzialdiagnostische Herausforderung dar, da in Abhängigkeit von Befund und Diagnose das therapeutische Vorgehen vollkommen unterschiedlich ist. Vorab ein Wort zur Nomenklatur: Die Autoren verwenden zwar immer den Begriff des „Glaukomanfalls“, de facto ist es in der Regel jedoch eine akute sekundäre okuläre Hypertension. Die Aufgabe des Behandlers ist es, diese fachgerecht zu behandeln, um die Entwicklung eines sekundären Winkelblockglaukoms zu verhindern.
Zur differenzialdiagnostischen Untersuchung sind neben Spaltlampen- (Van Herick-Test) und verschiedenen Gonioskopietechniken („look over the hill“, „corneal wedge“, dynamische Gonioskopie) auch die Biometrie (Linsendickenbestimmung) und Bildgebung (Darstellung des retroiridalen Raums, Position des Ziliarkörpers) notwendig.
Entscheidend ist die Differenzierung zwischen primärem Pupillarblock-Winkelblock (Abb. 12) und ziliolentikulärem Block („Misdirection“) (Abb. 13). Bei der ersten Blockvariante bestehen die therapeutischen Maßnahmen in Miosis, YAG-Iridotomie oder Iridektomie, bei zweitem in Mydriasis, Linsenextraktion (Phakoemulsifikation mit Hinterkammerlinsenimplantation) mit ggf. Core-Vitrektomie, Eröffnung der vorderen Glaskörpergrenzmembran und Andoiridektomie. Bei Vorliegen einer Plateau-Iris-Konfiguration ist neben Miosis und YAG-Iridotomie eine Iridoplastik mit dem Argonlaser oder frequenzverdoppelten Nd:YAG-Laser (200–500 μm, 0,3–0,5 s, 150–300 mW) angezeigt. Die biometrische Bedeutung der Linse wird bei den Blocksituationen häufig deutlich unterschätzt. Sicherlich sollte in diesen Situationen häufiger die primäre Linsenoperation angestrebt werden (Abb. 14).

Der offene Kammerwinkel

Bei offenem Kammerwinkel sind folgende Befunde wichtig: Pigment, Pseudoexfoliationsmaterial (PEX-Material), uveales Gewebe, Blut, Gefäße und Zellen.

Pigment

Beim Pigment handelt es sich um Melanin infolge eines primären Melanindispersionssyndroms (MDS) (Abb. 15) oder einer sekundären Melanindispersion bei Pseudoexfoliationssyndrom (PEX-Syndrom) (Abb. 16), Diabetes mellitus, Uveitis (Herpes), Pseudophakie, Trauma, okulärer Melanose oder intraokularem Tumor. spaltlampenbiomikroskopische Befunde sichern die jeweilige Diagnose. Beim primären MDS findet man in unterschiedlicher Ausprägung Melanin auf der Iris („iris dust“), Kirchenfensterdefekte und Krukenberg-Spindeln, jedoch immer eine positive Scheie-Linie (Abb. 17), d. h. Melaninansammlungen am Äquator der Linse zwischen der Zonularanheftung. Die Diagnose des primären MDS ist wegen seiner Assoziation mit einem Offenwinkelglaukom und rhegmatogener Amotio retinae von großer Bedeutung. Die Defekte des iridalen Pigmentepithels sind bei den sekundären Formen wie Herpes-Uveitis (sektorförmiger Defekt), Diabetes mellitus (diffuse, feingranuläre Defekte) oder PEX-Syndrom (Pupillarsaumatrophie) ebenfalls wegweisend.

PEX-Material

Beim PEX-Syndrom kann PEX-Material ebenfalls auf dem Trabekelmaschenwerk gefunden werden. Dies kann die Wahl des therapeutischen Vorgehens bei sekundärer okulärer Hypertension bzw. sekundärem Offenwinkelglaukom bei PEX bestimmen.

Uveales Gewebe

Uveales Gewebe im Bereich des Trabekelmaschenwerks ist zur differenzialdiagnostischen Eingruppierung notwendig (Abb. 18a, b).

Blut

Blut im Kammerwinkel kann entweder im Schlemm-Kanal lokalisiert sein oder frei im Kammerwinkel, also als Hyphäma vorliegen. Blut im Schlemm-Kanal (Abb. 19) findet sich entweder als Refluxblutung bei Bulbushypotonie oder als Folge eines erhöhten episkleralen Venendrucks. Dieser kann idiopathisch (Radius-Maumenee-Syndrom) oder sekundär durch eine Sinus-cavernosus-Fistel, das Sturge-Weber-Syndrom, orbitale Tumoren, endokrine Orbitopathie oder Skleritis anterior bedingt sein.

Gefäße

Gefäße im Kammerwinkel können als anatomische Variante entlang der Iriswurzel verlaufen. Gefäße, welche den Skleralsporn kreuzen oder im Bereich des Trabekelmaschenwerks liegen, sind immer pathologisch. Hierbei handelt es sich entweder um eine Rubeosis des Kammerwinkels, also Neovaskularisationen bei jeder Form der retinalen Hypoxie, oder es handelt sich um sogenannte Brückengefäße bei Heterochromiezyklitis Fuchs. Diese in der Regel sehr feinen, einzeln lokalisierten Gefäße verlaufen senkrecht vom Skleralsporn ausgehend über das Trabekelmaschenwerk.

Zellen

Bei Zellansammlungen im Kammerwinkel, d. h. auf dem Trabekelmaschenwerk, muss zwischen Entzündungszellen, Tumorzellen und Makrophagen differenziert werden. Während Granulozyten klassischerweise ein Hypopyon bilden, können granulomatöse Entzündungen, wie die Sarkoidose, im Kammerwinkel Granulome, ähnlich den Koeppe- und Busacca-Knötchen, bilden. Tumorzellen, insbesondere bei einem malignen Melanom der Iris oder der Aderhaut nach Durchbruch durch die Iris, können als freie Tumorzellen im Kammerwinkel auf eine diffuse Zellaussaat hinweisen. Ihre Differenzierung von Melanophagen ist entscheidend für die Therapieplanung.

Der posttraumatische Kammerwinkel

Insbesondere nach Contusio bulbi ist nach Abklingen der akuten Phase eine Gonioskopie zwingend notwendig. Ist die Iridodialyse, also der Abriss der Iris an der Iriswurzel (Abb. 20), in der Regel schon mittels Spaltlampenuntersuchung zu erkennen, so ist eine Kammerwinkelrezession nur mittels vergleichender Gonioskopie nachzuweisen bzw. auszuschließen (Abb. 21). Gerade eine zirkuläre Kammerwinkelrezession kann nur im Seitenvergleich identifiziert werden. Bedarf ein Auge nach Contusio prinzipiell lebenslanger Kontrollen, so ist dies bei Vorliegen einer Kammerwinkelrezession aufgrund des erhöhten Risikos einer sekundären okulären Hypertension und dem damit verbundenen Glaukomrisiko von noch größerer Bedeutung. Auf der anderen Seite kann bei persistierender Hypotonie, insbesondere nach Contusio, mittels Gonioskopie die verursachende Zyklodialyse (Abb. 22) nachgewiesen werden. Die Länge des Zyklodialysespaltes bestimmt das operative Vorgehen, welches bei sehr kurzem und schmalem Spalt in einer Argonlaserkoagulation, bei langem Spalt in einer direkten Zyklopexie besteht.

Der postoperative Kammerwinkel

Die zahlreichen neuen Operationstechniken führen zu einer Vielzahl neuer gonioskopischer Befunde. Nach minimalinvasiver Glaukomchirurgie muss auf der einen Seite die Positionierung der verschiedenen Implantate im Kammerwinkel (iStent®-Technologie, Hydrus®, MINIject®, XEN®) kontrolliert werden, auf der anderen Seite das Trabekelmaschenwerk nach stentfreier, filtrierender (Trabekulektomie, Minimally Invasive Micro Sclerostomy MIMS®) und Bypasschirurgie (Excimerlaser-Trabekuloplastik, High frequency Deep Sclerostomy HFDS, Minimally Invasive Nasal Trabeculosstomy MINT), ablativer (Goniotomie, Trabectom, Kahook Dual Blade KDB) oder dilatativer (Omni, Ab-interno-Kanaloplastik) Chirurgie beurteilt werden (Abb. 23ad). Prinzipiell ist eine Gonioskopie notwendig, um einen postoperativ erhöhten Augeninnendruck differenzialdiagnostisch abklären zu können. In der frühen postoperativen Phase kann dieser durch die verwendete Tamponade (Gas, Silikonöl) (Abb. 24), Viskoelastika, Hämorrhagie, Entzündungs (Fibrin)- Reaktion oder Steroidrespons verursacht sein. In der späten Phase können persistierende vordere Synechien mit Winkelblock oder eine Silikonölemulsifikation mit sekundärer Makrophagozytose als Ursache vorliegen.

Der kindliche Kammerwinkel

Eine besondere Herausforderung bei der Beurteilung des Kammerwinkels durch die Gonioskopie stellt der kindliche Kammerwinkel dar. Der normale kindliche Kammerwinkel weist noch nicht die Strukturierung des Trabekelmaschenwerks wie beim Erwachsenen auf (Abb. 25). Die Landmarken Skleralsporn und Schwalbe-Linie sind schwerer abzugrenzen. Auf der anderen Seite finden sich typische Befunde, wie die Ligamenta pectinata (Abb. 26). Die fehlende Rückbildung des embryonalen Gewebes zeichnet die Dysgenesie des Kammerwinkels beim kongenitalen Glaukom aus (Abb. 27). Das gonioskopische Bild kann aufgrund der ausgeprägten Variabilität sehr unterschiedlich sein. Des Weiteren ist bei der Beurteilung des kindlichen Kammerwinkels die Kenntnis der Neurokrestopathien unumgänglich, um die einzelnen Befunde wie die prominente Schwalbe-Linie (Embryotoxon posterius) (Abb. 28) oder die iridocornealen Adhäsionen bei Peters-Anomalie zu diagnostizieren.

Bildgebung des vorderen Augenabschnitts ersetzt nicht die Gonioskopie

Während die Gonioskopie als subjektive Untersuchung von der Erfahrung des Untersuchers abhängig ist und die Ergebnisse darüber hinaus in Abhängigkeit von der Umfeldleuchtdichte und der mechanischen Kompression während der Gonioskopie variieren können, so kann mit der Ultraschallmikroskopie (UBM) und Vorderabschnitt-OCT (Anterior Segment Optical Coherence Tomography, AS-OCT) eine objektive Quantifizierung des vorderen Augenabschnitts durchgeführt werden (Dorairaj et al. 2012). Mit einer Auflösung von annähernd 50 μm und einer Eindringtiefe von 5 mm kann die UBM die Hinterkammer und den Ziliarkörper darstellen, benötigt jedoch eine Vorlaufstrecke und eine liegende Position des Behandelten. Mithilfe der UBM können die Position des Ziliarkörpers und der Fortsätze sowie die Strukturen vor und hinter der Iriswurzel untersucht werden. Die UBM ist auch bei der Unterscheidung von Pupillarblock und ziliolentikulärem Block hilfreich.
Das AS-OCT erlaubt ein kontaktloses Verfahren mit hochauflösenden Querschnitten des Gewebes. Die Aufnahme der gesamten Vorderkammer und angrenzenden Strukturen in einem Bild liefert alle wichtigen Parameter für die Diagnose eines Winkelblocks. Das Swept-Source-OCT ermöglicht eine 360° Darstellung des Kammerwinkels, einschließlich Darstellung von Schwalbe-Linie und Skleralspornbreite des TMW (Tun et al. 2013), Kammerwinkelweite (Tun et al. 2014) und Irisvolumen (Mak et al. 2013; Tun et al. 2014). Das AS-OCT liefert hochauflösende Bilder des vorderen Augenabschnitts. Die wesentliche Limitation ist, dass keine Informationen posterior der Iris gewonnen werden können. Dadurch kann bei engem Kammerwinkel nicht zwischen Plateau-Iris, Ziliarkörperzysten, Tumoren oder uvealer Effusion als Ursache differenzialdiagnostisch unterschieden werden. Der Vorteil ist jedoch, dass es ein Non-Kontakt-Verfahren und weniger abhängig von der Erfahrung des Untersuchers ist.
Die Weiterentwicklungen im AS-OCT lassen vermuten, dass dieses Bildgebungsverfahren besser geeignet sein wird, die Ausdehnung und Progression von peripheren anterioren Synechien zu analysieren und dokumentieren. So konnte in einer Studie gezeigt werden, dass mittels Swept-Source-AS-OCT reproduzierbar quantifizierbare Informationen über eine Synechierung über 360°-Kammerwinkel möglich ist und durch eine Veränderung der Leuchtdichte von Appositionen unterschieden werden konnte (Lai et al. 2013).
Aber nach wie vor ersetzen diese Methoden nicht die Gonioskopie. Eine neue Studie hat gezeigt bzw. schlussfolgert, dass die Gonioskopie nach wie vor „Goldstandard“ zum Erkennen eines Winkelblocks ist und derzeit nicht durch ein Imaging mittels AS-OCT oder UBM ersetzt werden kann (Hu et al. 2016), auch wenn diese beiden Verfahren aufgrund der quantitativen Daten hilfreich sind. Die weitere Entwicklung spricht jedoch für das OCT im Sinne einer 360°-Quantifizierung des Kammerwinkels.

360°-Kammerwinkel-Imaging

Auch die Kammerwinkelregion kann mit moderner Bildgebung, wie Scheimpflug, Ultraschallbiomikroskopie und OCT-Technik, analysiert und quantitativ ausgemessen werden. Diese Techniken können zwar das nicht Sichtbare sichtbar machen, aber die direkte biomikroskopische qualitative Beurteilung durch das geschulte Auge des Ophthalmologen nicht ersetzen.
Seit der Einführung der Kammerwinkelfotografie durch (Thoburn 1927) hat es keine Neuerungen zur Fotodokumentation des Kammerwinkels gegeben. Seit 2018 ist mit dem Gonioscope GS-1 (Nidek) eine 360° automatische Kammerwinkelaufnahme möglich. Das optische Bildaufnahmesystem liefert in 16 s an 16 Positionen 17 Fokusebenen, welche zu einem 360°-Panorama-Bild des Kammerwinkels zusammengesetzt werden können (Abb. 29). In den einzelnen Positionen erlaubt die hohe Auflösung eine exakte qualitative Beurteilung des Kammerwinkels, wie bei der herkömmlichen Gonioskopie (Abb. 30 und 31). Das „fluid bridging“ des 16-Spiegel-Gonioglases mittels eines kohäsiven Gels macht prinzipiell ein Delegieren der Kammerwinkelaufnahme möglich. Die Kammerwinkelbeurteilung kann hierdurch nachträglich erfolgen. Dies erlaubt Beurteilungen und Mitbeurteilungen ohne Informationsverlust für Therapieplanung und Verlaufskontrolle sowie für Studien und Lehre.

Fazit

Die Gonioskopie ist eine anspruchsvolle Untersuchung, welche im klinischen Alltag eingeplant werden muss. Sie zählt zu den ophthalmologischen Basisuntersuchungen und gehört wie die Untersuchung der Fundusperipherie zu einer kompletten Augenuntersuchung dazu. Sie gibt immer zusätzliche Informationen und ist Voraussetzung für Diagnosestellung und Therapieplanung. Für eine erfolgreiche und umfassende Gonioskopie ist eine bilateral vergleichende Analyse der anatomischen Strukturen (Landmarken des Kammerwinkels) und pathologischen Elemente in allen vier Quadranten sowie eine Indentationsgonioskopie bei engem bzw. nicht einsehbarem Kammerwinkel unersetzlich. Als lesenswerte und weiterführende Literatur sind die Webseite www.gonioscopy.org, die Übersichtsartikel von Shaffer (Shaffer RN, Tour RL A comparative study of gonioscopic methods. Am J Ophthalmol 1956; 41: 256–265) und Friedman (Friedman DS, He M. Anterior chamber angle assessment techniques. Surv Ophthalmol 2008; 53: 250–273) sowie das Buch von Becker (Becker SC und Grüning HD Gonioskopie, Lehrbuch und Atlas mit stereoskopischen Bildern von, Schattauer Verlag 1985) zu empfehlen.
Literatur
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