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Die Augenheilkunde
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Publiziert am: 10.12.2024

Kongenitale Augenbewegungsstörungen

Verfasst von: Michael Oeverhaus
Kongenitale Augenbewegungsstörungen sind angeborene Erkrankungen, die verschiedene Bereiche des okulomotorischen Systems betreffen können (Neugebauer et al. 2023). Sie machen ca. 1–2 % aller kindlichen Schielformen aus. Da diese angeborenen Fehlinnervationssyndrome nicht nur die Augenbewegungen, sondern auch andere Hirnnerven betreffen können, werden sie im englischsprachigen Raum als congenital cranial dysinnervation disorders = CCDD bezeichnet. Durch die Fehlinnervation (Innervation eines Muskels durch ursprünglich nicht für ihn bestimmte Nervenfasern) kommt es zu Bewegungseinschränkungen. Gleichzeitig können Synkinesien, unwillkürliche Mitbewegungen eines Muskels bei der Bewegung eines anderen, auftreten. Aufgrund ihrer Seltenheit und manchmal nur subtilen klinischen Anzeichen werden sie häufig übersehen, mit häufigeren Formen von Strabismus verwechselt oder ernste neurologische Erkrankungen vermutet, wenn weitere Hirnnerven betroffen sind. Das Ziel des behandelnden Arztes sollte daher nicht nur darin bestehen, die Störung richtig zu diagnostizieren und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, sondern auch den Patienten über seine Erkrankung aufzuklären. Die in diesem Artikel besprochenen Krankheitsbilder werden anhand von zwei Kriterien klassifiziert: dem Vorliegen eines Innervationsdefizits und dem Vorliegen einer Fehlinnervation. Das Innervationsdefizit führt zu Bewegungseinschränkungen, während die Fehlinnervation zu Synkinesien führt, was die gleichzeitige Bewegung mehrerer Muskeln bedeutet, die von verschiedenen Nerven oder Nervenästen versorgt werden. Sowohl das Innervationsdefizit als auch die Fehlinnervation können separat oder in Kombination auftreten. Die Klassifikation umfasst drei Gruppen von Fehlinnervationssyndromen:
  • mit sowohl Bewegungseinschränkungen als auch Synkinesien (Innervationsdefizit mit Fehlinnervation)
  • mit Bewegungseinschränkungen ohne Synkinesien (Innervationsdefizit ohne Fehlinnervation)
  • ohne Bewegungseinschränkungen, aber mit abnormen Augenbewegungen aufgrund von Synkinesien (Fehlinnervation ohne Innervationsdefizit)
Innerhalb jeder Gruppe werden die Syndrome nach dem primär betroffenen Nerv weiter unterteilt. Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die Definition, Pathophysiologie, Epidemiologie, klinische Merkmale, Diagnostik, Differenzialdiagnose, Therapie, Verlauf und Prognose von kongenitalen Augenbewegungsstörungen. Ziel ist es, ein besseres Verständnis dieser Störungen zu fördern und die Grundlage für zukünftige Forschung und Behandlungsstrategien zu legen.

Definition

  • Kongenitale Augenbewegungsstörungen sind angeborene Abnormalitäten, die die Fähigkeit des visuellen Systems beeinflussen, gezielte Augenbewegungen auszuführen. Diese Störungen können verschiedene okulomotorische Funktionen wie Sakkaden, Fixation, Verfolgung und Konvergenz betreffen. Zumeist ist die Motilität beeinträchtigt. Dadurch kommt es zu einer Abweichung des Schielwinkels in unterschiedlichen Blickrichtungen, die inkomitantes Schielen genannt wird. Im Folgenden werden die wichtigsten angeborenen Fehlinnervationssyndrome besprochen. Dazu zählen neben dem Stilling-Turk-Duane-Syndrom das Marcus-Gunn-, Möbius- und das Fibrose-Syndrom („congenital fibrosis of extraocular muscles“ = CFEOM). Weitere Fehlinnervationssyndrome sind in der Übersichtstabelle 1 aufgeführt (Tab. 1).
Tab. 1
Einteilung der angeborenen Fehlinnervationssyndrome. (Pieh und Lagrèze 2007)
Gruppe
Betroffener Nerv
Syndrom
Innervationsdefizit mit Fehlinnervation
N. abducens
Retraktionssyndrom
N. oculomotorius
a) Angeborene Okulomotoriusparese mit Fehlinnervation
b) Marcus-Gunn-Syndrom
c) Vertikales Retraktionssyndrom
Innervationsdefizit ohne Fehlinnervation
N. abducens
a) Familiäre horizontale Blickparese
b) Möbius-Syndrom
c) Kongenitale isolierte Abduzensparese
N. oculomotorius
a) Fibrose-Syndrom
b) Doppelte Heberparese
c) Kongenitale isolierte Okulomotoriusparese
N. trochlearis
Kongenitale isolierte Trochlearisparese
Fehlinnervation ohne Innervationsdefizit
 
a) Synkinesie zwischen den okulomotorischen Hirnnerven (III, IV, VI)
b) Synkinesie okulomotorischer und anderer Hirnnerven (V, VII, IX, XII)

Retraktionssyndrom (Stilling-Turk-Duane-Syndrom)

Pathophysiologie/Ursachen

Das Retraktionssyndrom wird durch eine unvollständige Entwicklung des Abduzenskerns mit konsekutiv gestörter Ausreifung des Abduzensnervs verursacht. Hierdurch kommt es zu einer insuffizienten Innervation des M. rectus lateralis durch Abduzensfasern, die zu einer Fehlleitung von Okulomotoriusfasern in den M. rectus lateralis führt. Somit ist der M. rectus lateralis teilweise durch Abduzens- und teilweise durch Okulomotoriusfasern innerviert. Der genaue Auslöser ist meistens unbekannt, jedoch besteht eine Assoziation mit einer Thalidomidembryopathie (Papst 1964). In seltenen Fällen kann das Retraktionssyndrom autosomal-dominant vererbt werden, insbesondere bei Vorliegen einer DURS2-Mutation. Diese Störung betrifft fast ausschließlich die linke Seite.

Epidemiologie/Alter/Gender

  • Häufigste CCDD, ca. 1 % der kindlichen Schielerkrankungen
  • Linkes Auge und Mädchen häufiger betroffen
  • Ca. 20 % bilateral

Klinik

Bei den meisten Patienten dominiert eine Einschränkung der Abduktion, die häufig mit einer mehr oder weniger ausgeprägten Kopfdrehung zur betroffenen Seite und einer Fixation in Adduktion einhergeht. Aufgrund der fehlgeleiteten Fasern des N. oculomotorius, die einerseits für den M. rectus medialis fehlen und andererseits den M. rectus lateralis paradox versorgen, besteht zusätzlich ein variabel stark ausgeprägtes Adduktionsdefizit. Dieses Defizit kann gelegentlich sogar stärker sein als das Abduktionsdefizit, sodass eine Fixation in Abduktion erfolgt, begleitet von einer entsprechenden Kopfdrehung zur Gegenseite. Abb. 1 veranschaulicht schematisch die möglichen Innervationsmuster und die daraus resultierenden Augenbewegungsstörungen. Diese wurde von Huber et al. in 3 Typen eingeteilt (Huber 1974).
Während der Adduktion des betroffenen Auges führt die Koinnervation des M. rectus medialis und M. rectus lateralis und die damit gleichzeitige Kontraktion beider Muskeln zur namensgebenden Bulbusretraktion mit Lidspaltenverengung.
Ein Abweichen des betroffenen Auges nach oben oder unten (Up- bzw. Downshoot) bei Adduktion lässt sich dadurch erklären, dass die horizontalen Muskeln bei zeitgleicher Kontraktion auf die Ober- oder Unterseite des Bulbus abrutschen können. Trotz der Kopfzwangshaltung erreichen die Betroffenen oft normales Binokularsehen.

Diagnostik

Neben der orthoptischen und ophthalmologischen Untersuchung ist es wichtig, eine erworbene Abduzensparese auszuschließen. Bei der Anamnese (gegebenenfalls Fotoanamnese) sollte daher geklärt werden, ob die Bewegungsstörung bereits seit der Geburt vorhanden ist. Im Vergleich zur Abduzensparese ist die Kopfzwangshaltung aufgrund der gleichzeitigen Adduktionseinschränkung tendenziell weniger stark ausgeprägt. Genauso zeigt sich ein Schielwinkel in Primärposition meist kleiner als bei einer Abduzensparese mit vergleichbarem Abduktionsdefizit. Charakteristisch ist zudem die namensgebende Bulbusretraktion in Adduktion. Falls diese nicht eindeutig erkennbar ist, sollte eine neurologische Untersuchung und eine zerebrale Bildgebung durchgeführt werden, um eine erworbene Läsion des N. abducens auszuschließen.

Therapie

Die Behandlung zielt wie bei allen kongenitalen Augenbewegungsstörungen darauf ab, die Symptome zu lindern, die funktionelle Sehkraft zu verbessern und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen. Bei der Augenmuskelchirurgie sollten aufgrund der restriktiven Veränderungen und der Retraktion vorzugsweise Rücklagerungen durchgeführt werden (Johnson und Kelly 2015). Bei sehr großen Schielwinkeln kann gegebenenfalls auch eine Sehnenverlängerung erwogen werden (Hedergott et al. 2021). Durch die Augen-OP kann die Kopfzwangshaltung beseitigt/reduziert werden und die Verringerung der manchmal stark ausgeprägten und ästhetisch störenden Bulbusretraktion erreicht werden. In seltenen Fällen, in denen kein Binokularsehen möglich ist und eine Amblyopie droht, steht in den ersten Lebensjahren die Amblyopieprophylaxe mittels Okklusionsbehandlung im Vordergrund.

Verlauf und Prognose

Wie bei allen kongenitalen kranialen Dysinnervationssyndromen (CCDD) bleibt das Innervationsmuster des Retraktionssyndroms im Laufe des Lebens unverändert. Dank der guten Erfolgsrate der Augenmuskelchirurgie und der normalen Entwicklung des Binokularsehens kommen die meisten Betroffenen im Alltag gut zurecht.

Marcus-Gunn-Syndrom

Beim Marcus-Gunn-Syndrom besteht eine kongenitale Ptosis, die durch eine Synkinesie zwischen der Kaumuskulatur und dem Lidhebemuskel gekennzeichnet ist.

Pathophysiologie/Ursachen

Bei unzureichender Okulomotoriusinnervation (N III) des Lidhebemuskels (Ptosis) kommt es zu einer Fehlinnervation durch motorische Fasern des Trigeminusnervs (N V). Die genaue Ursache hierfür ist unbekannt. Das Marcus-Gunn-Phänomen kann selten auch familiär auftreten (autosomal dominant). Analog zum Duane-Syndrom besteht eine gehäufte Assoziation mit einer Thalidomidembryopathie (Papst 1964).

Epidemiologie/Alter/Gender

Es handelt sich um eine seltene Störung, die in einer Kohorte aus kongenitalen Ptosis-Patienten lediglich in 8 % die Ursache darstellt (Pearce et al. 2017).

Klinik

Es besteht eine Ptosis. Bei Aktivierung der Kaumuskulatur, meist des M. pterygoideus lateralis bei Kieferöffnung und -seitwärtsbewegung und seltener des M. pterygoideus medialis bei Kieferschluss, kommt es durch die Koinnervation des Lidhebemuskels zur gleichzeitigen Lidöffnung.

Diagnostik

Bei der klinischen Untersuchung kann die mandibulopalpebrale Synkinesie durch Kaubewegungen oder bei Säuglingen durch das Saugen an der Flasche provoziert werden. Da diese Fehlinnervation zwischen zwei unterschiedlichen Hirnnerven (N III und N V) nicht erworben sein kann, ist keine weitere Diagnostik notwendig. Differenzialdiagnostisch ist das nach peripheren Fazialisparesen beobachtete Marin-Amat-Phänomen abzugrenzen: Dabei kommt es bei Mund- oder Kaubewegungen synkinetisch zu einem unwillkürlichen Lidschluss („umgekehrtes Marcus-Gunn-Phänomen“).

Therapie

Eine kausale Therapie ist wie bei allen angeborenen Fehlinnervationen nicht möglich. Meist lernen die Betroffenen im Laufe der Zeit, eine auffällige Ptosis durch die Kieferstellung zu kaschieren. Sollte der Leidensdruck aufgrund des kosmetischen Aspekts sehr hoch sein, kann eine Ptosis-Operation, wie beispielsweise eine Levatorfaltung oder eine Frontalissuspension – gegebenenfalls mit Levatordurchtrennung zur Aufhebung der Synkinesie –, in Erwägung gezogen werden. Dabei ist es wichtig, die Patienten darüber aufzuklären, dass nach der OP der willkürliche Einsatz des Frontalismuskels notwendig ist, um das Lid anzuheben.

Möbius-Syndrom

Kombination einer ein- oder beidseitigen angeborenen Abduzens- und Fazialisparese.

Pathophysiologie/Ursachen

Es liegt eine Störung im Abduzens- und Fazialiskerngebiet vor, wobei zumeist auch die internukleären Bahnen mitbetroffen sind, wodurch eine horizontale Blickparese entsteht. Ursächlich werden eine vaskuläre (transiente Durchblutungsstörung), eine genetische (Mutationen) und eine teratogene Ursache (Misoprostol-Einnahme) diskutiert. Wahrscheinlich ist eine multifaktorielle Genese. Das Auftreten ist meist sporadisch (López Gutierrez et al. 2024).

Epidemiologie/Alter/Gender

Die Prävalenz kongenitaler Augenbewegungsstörungen variiert je nach Art der Störung. Sie machen unter 2 % der kindlichen Schielformen aus und es wird eine Prävalenz von 1:50.000 bis 1:500.000 bei Lebendgeburten angenommen (López Gutierrez et al. 2024). Es gibt keine Geschlechtspräferenz.

Klinik

Das Möbius-Syndrom kann uni- oder bilateral auftreten. Wenn die internukleären Bahnen zwischen dem Abduzenskern und dem kontralateralen Okulomotoriuskern betroffen sind, besteht nicht nur eine Abduzensparese, sondern auch eine horizontale Blickparese. Die Konvergenz ist in der Regel intakt. Die Fazialisparese führt zu einer Beeinträchtigung der Mimik, was zu einem maskenartigen Gesicht führen kann.

Diagnostik

Obwohl das Möbius-Syndrom sich aufgrund der assoziierten Fazialisparese klinisch gut von einer erworbenen Abduzensparese abgrenzen lässt, wird eine Bildgebung empfohlen, um eine erworbene Hirnstammschädigung auszuschließen.

Therapie

Bei beidseitiger horizontaler Blickparese besteht in der Regel kein Schielen und daher keine Therapienotwendigkeit. Bei einseitiger Abduzensparese mit starker Kopfzwangshaltung ist eine Augenmuskelchirurgie indiziert, um die Kopfzwangshaltung zu verringern. Gegebenenfalls muss gegen den durch die Fazialisparese hervorgerufenen Lagophthalmus eine Platinimplantation in das Oberlid erwogen werden (Rasing et al. 2024).

Kongenitales Fibrose-Syndrom (CFEOM)

Beim angeborenen Fibrose-Syndrom (engl. „congenital fibrosis of the extraocular muscles“) handelt es sich um eine seltene, hereditäre, meist bilaterale Ophthalmoplegie mit oder ohne Ptosis. Dies führt meistens zur charakteristischen Kopfzwangshaltung mit Kinnhebung.

Pathophysiologie/Ursachen

Inzwischen wurden durch den Einsatz molekularbiologischer und molekulargenetischer Methoden kausale und pathophysiologische Mechanismen aufgedeckt. Es wurden hauptsächlich 7 Gene (KIF21A, PHOX2A, TUBB3, TUBB2B, TUBA1A, ECEL1 und COL25A1) identifiziert, die eine fehlerhafte Nerven- oder Kernentwicklung bewirken, was letztlich zur Dysinnervation der extraokulären Muskeln führt. Dadurch kommt es zu einer ausgeprägten Fibrosierung der Muskeln. Fehlinnervationen können ebenfalls auftreten (Van Swol et al. 2023). Meist handelt es sich um einen autosomal dominanten oder autosomal rezessiven Erbgang. Es wurden inzwischen 5 Subtypen (CFEOM-1-5) beschrieben (Xia et al. 2022).

Epidemiologie/Alter/Gender

Die Prävalenz der CFEOM wird auf 1:230.000 geschätzt. Es ist keine Geschlechtspräferenz beschrieben.

Klinik

Es wurden inzwischen 5 Subtypen (CFEOM-1-5) beschrieben (Xia et al. 2022):

  • CFEOM-1: Die meisten betroffenen Familien leiden an dieser Form. Es besteht eine Ptosis und eine ausgeprägte Hebungseinschränkung beidseits. Die Patienten nehmen bei einem ständigen Tieferstand der Augen von 20–30° eine Kopfzwangshaltung mit starker Kinnhebung ein. Bei versuchtem Aufblick kommt es zu nystagmusartigen Konvergenzbewegungen, für die ursächlich eine Fehlinnervation diskutiert wird. CFEOM-1 kommt gemeinsam mit dem Marcus-Gunn-Phänomen vor.
  • CFEOM-2: Diese Form ist durch eine beidseitige restriktive Exotropie, bei der beide Augen in Abduktion stehen, charakterisiert. Weiterhin zeigen die Patienten eine beidseitige Ptosis. Die vertikalen Augenbewegungen sind kaum beeinträchtigt.
  • CFEOM-3: Hier variiert die Ausprägung mehr. Es können sowohl Einschränkungen der vertikalen als auch der horizontalen Bewegungen sowie eine variable Ptosis bestehen. Es bestehen häufiger Hornhautbenetzungsstörungen.
  • CFEOM-4 (Tukel-Syndrom): CFEOM-3 + Oligodaktylie der Hand.
  • CFEOM-5: wird aktuell noch diskutiert.

Diagnostik

Es sind allgemeine augenärztliche und orthoptische Untersuchungen erforderlich, einschließlich Spaltlampenuntersuchung, Pupillenuntersuchung (CFEOM-2), erweiterte Fundoskopie, Refraktionsbestimmung, bestkorrigierte Sehschärfe (BCVA), Messung der Lidspaltenweite, Beurteilung der Levatorfunktion, Bestimmung des Schielwinkels, Untersuchung der Augenbeweglichkeit und Nachweis von Dysinnervationsanzeichen wie synergistische Konvergenz. Weiterhin sollte untersucht werden, ob ein Marcus-Gunn-Phänomen und eine Kopfzwangshaltung vorliegen. Das klinische Bild der angeborenen Ophthalmoplegie und Ptosis ist differenzialdiagnostisch meist gut von anderen Augenbewegungsstörungen abzugrenzen. Im Gegensatz zur CPEO ist die CFEOM nicht progressiv. Fotovergleiche können bei der Einschätzung dazu helfen. In der Bildgebung sind fallweise spezifische Veränderungen nachzuweisen (z. B. häufig Atrophie des M. obliquus superior bei CFEOM-2 im MRT (Razek et al. 2021)). Eine Familienanamnese sollte erfolgen. Im Rahmen einer genetischen Abklärung wird nach den 7 häufigsten Mutationen (s. o.) gesucht. Dies kann hilfreich vor der Operation sein, da das RYR1-Gen mit maligner Hyperthermie assoziiert ist (Shaaban et al. 2013). Weiterhin sollte eine humangenetische Beratung angeboten werden für die Planung weiterer Kinder. Regelmäßige Kontrollen sind während der visuellen Reifung erforderlich, da Amblyopie häufig ist. Allerdings sollte beachtet werden, dass kürzlich Optikushypoplasien und Netzhautveränderungen beschrieben wurden, die vermuten lassen, dass der herabgesetzte Visus nicht nur durch die Amblyopie erklärt wird, sondern häufig eine relative Amblyopie vorliegt (Thomas et al. 2021).

Therapie

Chirurgische Eingriffe bei CFEOM sind herausfordernd und technisch schwierig. Patienten oder deren Erziehungsberechtigte sollten über die Unsicherheit des Operationsergebnisses informiert werden, das nur begrenzte oder sogar keine Verbesserung der Augenbewegungen umfassen kann. Die Wiederherstellung des Binokularsehens ist kein realistisches Ziel (Xia et al. 2022). Zudem sollten sie wissen, dass möglicherweise mehrere Eingriffe erforderlich sind (MW 2,8 OPs (Heidary et al. 2019)), um relativ zufriedenstellende kosmetische Ergebnisse zu erzielen. CFEOM-1 zeigt eine bessere Prognose dahingehend. Ziel der operativen Therapie ist die Besserung der starken Kopfzwangshaltung. Die operative Korrektur (Rücklagerung, Sehnenverlängerung, Tenonresektion und meist gleichzeitige Frontalissuspension) sollte früh erfolgen (in den ersten Lebensjahren), da Sekundärveränderungen die Prognose erheblich einschränken (Hedergott et al. 2021). Zu Beginn der Operation sollte ein Traktionstest erfolgen, um die betroffenen Muskeln zu identifizieren. Konservativ stehen gegebenenfalls Okklusionsbehandlung und Refraktionsausgleich im Vordergrund. Aufgrund der Kopfzwangshaltungen können bei geeigneten Patienten Kontaktlinsen hilfreich sein.

Verlauf und Prognose

  • Frühe Therapie = bessere Prognose
  • Aber generell keine progressive Erkrankung

Zusammenfassung

  • Drei Gruppen von kongenitalen Fehlinnervationssyndromen (CCDD)
    • Bewegungseinschränkung +/− Synkinesie
    • Ohne Bewegungseinschränkung, aber mit Synkinesien
  • Stilling-Turk-Duane-Retraktionssyndrom = N-III-Fasern versorgen auch M. rectus lateralis bei variabler mangelnder Ausbildung von N-VI-Fasern. Bulbusretraktion + Kopfzwangshaltung
  • Marcus-Gunn-Syndrom: Augenöffnung durch Mundöffnung
  • Möbius-Syndrom: maskenartiges Gesicht + Schielen, da Abduzens und Fazialisparese
  • Kongenitales Fibrose-Syndrom (CFEOM): Ptosis + stabile Ophthalmoplegie
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