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Die Augenheilkunde
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Publiziert am: 04.10.2024

Normaldruckglaukom

Verfasst von: Lutz E. Pillunat
Entgegen allgemeinen Annahmen stellt das Normaldruckglaukom (NDG) keine seltene Erkrankung dar, weist viele Gemeinsamkeiten mit dem primären Hochdruckglaukom (HDG) auf, zeigt jedoch auch deutliche Unterschiede. Wichtig ist die differenzialdiagnostische Abgrenzung zwischen senil-sklerotischem NDG und dem vasospastischen NDG, da sich unterschiedliche Therapieansätze daraus ergeben. Der primäre Therapieansatz ist bei beiden Formen eine suffiziente Senkung des Augeninnendruckes. Während beim vasospastischen NDG, adjuvant, spasmolytische Maßnahmen sinnvoll sind, sollten beim senil-sklerotischen NDG die bestehenden Allgemeinerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus) mehr Beachtung finden.

Einführung und Definition

Definitionsgemäß ordnet man das Normaldruckglaukom (NDG) dem primär chronischen Offenwinkelglaukom (POWG) zu. Anhand der Richtlinien der Europäischen Glaukomgesellschaft wird das primäre Offenwinkelglaukom als chronisch progressive Neuropathie des Sehnervs beschrieben. Eine Erwähnung des Augeninnendruckes oder eines Funktionsschadens ist nicht mehr Teil der Definition (EGS 2020).
Anhand populationsbasierter Studien (Leydhecker et al. 1958) wird der „normale“ Augeninnendruck in der westlichen Bevölkerung als 15,5 mmHg ± 5 mmHg (± 2 Standardabweichungen) definiert. Demzufolge verstehen wir unter dem NDG ein POWG (Definition s. oben) mit intraokularen Druckwerten < 21 mmHg. Ob diese willkürliche Einteilung sinnvoll ist, bleibt offen. Es handelt sich beim NDG wahrscheinlich um ein Spektrum von Optikusneuropathien, die eine unterschiedliche Sensitivität gegenüber Steigerungen des intraokularen Druckes aufweisen. Zudem gibt es Hinweise auf morphologische, funktionelle und biomechanische Unterschiede zwischen primär chronischem Offenwinkelglaukom mit bzw. ohne erhöhten Augeninnendruck.
So wurden Patienten mit Hochdruckglaukom (HDG) und NDG anhand ihrer Papillenmorphologie gematcht, d. h., es wurden Patienten verglichen, die exakt die gleichen Papillenparameter aufwiesen: Sehnervengröße, Volumen des neuroretinalen Randsaumes und Fläche des neuroretinalen Randsaumes. Es zeigte sich, dass NDG-Patienten im Gesichtsfeld deutliche kleinere Skotome aufwiesen als Patienten mit HDG. Ein exakt gleicher Schaden des Sehnervs führt somit bei HDG-Patienten zu einem deutlich ausgeprägteren Funktionsschaden im Vergleich zum NDG. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass die retinale Nervenfaserschicht beim NDG einen deutlich geringeren Nervenfaserverlust – bei gleicher Papillenexkavation – aufweist als beim HDG. Dies spricht für einen höheren Verlust von Astroglia beim NDG. Somit kommt es beim HDG vermehrt zu einem Nervenfaserverlust und beim NDG eher zum Verlust von Astrozyten. Dies kann auch ein Hinweis auf eine veränderte Biomechanik des Sehnervs beim NDG im Vergleich zum HDG sein (Hantzschel et al. 2013, 2014).
In einer weiteren Untersuchung, in der ebenfalls NDG-Patienten mit HDG-Patienten anhand des Sehnervenschadens und anhand weiterer Parameter exakt gematcht wurden, zeigten sich deutliche Unterschiede in der kornealen Biomechanik. So fand sich ein signifikant niedrigerer kornealer Resistance-Faktor (CRF) und eine signifikant geringere Hornhautsteifigkeit bei Patienten mit NDG (Pillunat et al. 2016a, b; Ramm et al. 2023).
Somit kann, trotz vieler Ähnlichkeiten von HDG und NDG, dennoch von teilweise unterschiedlichen Krankheitsbildern ausgegangen werden.
Es gibt deutliche Hinweise auf morphologische, funktionelle und biomechanische Unterschiede zwischen primär chronischem Offenwinkelglaukom mit (HDG) bzw. ohne erhöhten Augeninnendruck (NDG).
In der Literatur wurde das NDG mit unterschiedlichen Begriffen beschrieben: Glaukom ohne Hockdruck, Niedrigdruckglaukom, „low tension glaucoma“, Glaucoma sine tensione etc. In den Richtlinien verschiedener Glaukomgesellschaften (EGS, AGS, APGS) wurde nun die Terminologie vereinheitlicht und der Terminus Normaldruckglaukom („normal pressure glaucoma“) als Standard definiert.

Epidemiologie

Aus populationsbasierten Studien wird deutlich, dass der Anteil des NDG in westlichen Industrienationen ca. 30–40 % (Sommer et al. 1991) des primär chronischen Offenwinkelglaukoms ausmacht. Jedoch gibt es erhebliche regionale und ethnische Unterschiede. So beträgt der Anteil des NDG in Japan ca. 70 % (Shiose et al. 1991) der primär chronischen Offenwinkelglaukome und hingegen bei Afroamerikanern unter 20 %. Auch wird die Diagnose des NDG ca. 10 Jahre später gestellt als beim primär chronischen Offenwinkelglaukom mit erhöhtem Augeninnendruck. Des Weiteren ist das weibliche Geschlecht deutlich häufiger betroffen.
Das NDG ist nicht selten und macht ca. 40 % der primären Weitwinkelglaukome aus!

Diagnostik

Intraokularer Druck

Ein großer Teil der Patienten mit NDG weist grenzwertige intraokulare Druckwerte auf, d. h., die durchschnittlichen Augeninnendruckwerte liegen im oberen „10er-Bereich“. Auch findet sich bei Patienten mit NDG häufig der weiter ausgeprägte Sehnervenschaden an dem Auge, welches den höheren Augeninnendruck aufweist. Somit kommt dem Augeninnendruck auch beim NDG eine wesentliche pathogenetische Bedeutung zu. Hier müssen jedoch die biologische Variationsbreite und auch Messfehler Berücksichtigung finden. Patienten mit NDG weisen sehr häufig eine dünnere, zentrale Hornhautdicke auf (Morita et al. 2012). Somit wird der Augeninnendruck falsch zu niedrig gemessen. Auch können rein punktuelle Messungen zur Fehldiagnose führen, da tageszeitliche und lagebedingte Augeninnendrucksteigerungen oft nicht erfasst werden. Des Weiteren kann eine systemische Therapie z. B. mit Beta-Rezeptorenblockern auch zu einer Senkung des Augeninnendruckes führen und somit ein NDG vortäuschen bzw. einen erhöhten intraokularen Druck maskieren.

Gesichtsfeld

Gramer und Leydhecker (1985) fanden beim NDG gehäuft Gesichtsfelddefekte in der unteren Gesichtsfeldhälfte. Dies wird von einer Reihe anderer Autoren eher bestritten. Araie und Mitarbeiter (Araie et al. 1995) konnten bei vergleichenden, perimetrischen Untersuchungen von Patienten mit HDG und NDG lediglich eine leichte Exzentrizitätszunahme der Skotome bei NDG belegen. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass sich die Skotome beim NDG und HDG ähneln. Dennoch finden sich die Ausfälle beim NDG gehäuft nah am Fixationspunkt (Araie et al. 1995), sind oft tief und umschrieben und befinden sich bevorzugt in der oberen Gesichtsfeldhälfte (Abb. 1). Weiterhin muss davon ausgegangen werden, dass der Gesichtsfeldschaden beim NDG bei gleicher Papillenschädigung geringer ist.

Sehnerv

Die glaukomatöse Optikusatrophie beim NDG ähnelt der des Offenwinkelglaukoms mit hohem intraokularem Druck (IOD). Es sind jedoch vermehrt Papillenrandblutungen (PRB) (Ozturker et al. 2017) und eine insgesamt größere Papillenfläche beschrieben. Des Weiteren können beim NDG verschiedene Papillenphänotypen beschrieben werden (myop, senil-sklerotisch, fokal-ischämisch) (Nicolela und Drance 1996) (Abb. 2 und 3). In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass PRB ein Zeichen für einen zunehmenden Nervenfaserverlust sind und damit ein Progressionszeichen. Die Mehrzahl der vorliegenden Untersuchungen zeigt eine deutlich höhere Prävalenz von PRB beim NDG im Vergleich zu Gesunden oder Patienten mit Hochdruckglaukom. Auch weisen weibliche Patienten signifikant häufiger PRB auf. PRB(Abb. 4) sind nur bei einer ophthalmoskopischen Untersuchung oder auf einem Papillenphoto mit Sicherheit diagnostizierbar. Die optische Kohärenztomografie (OCT), die Scanning-Laser-Tomografie (HRT) oder die Laser-Polarimetrie (GDX) können PRB nicht mit genügender Sicherheit erfassen.

Risikofaktoren

Intraokularer Druck

Nahezu alle epidemiologischen, populationsbasierten und therapeutisch-orientierten Studien weisen auch beim NDG den Augeninnendruck als wichtigsten Risikofaktor für die Prävalenz und Progression der Erkrankung auf. Dennoch scheint eine reine Augeninnendrucksenkung die Erkrankung nicht bei allen Patienten zu stabilisieren. So zeigte sich z. B. in der Collaborative Normal Tension Glaucoma Treatment Study, in der der Augeninnendruck konsequent um 30 % gesenkt wurde, eine Stabilisierung bei nur 80 % der Patienten (Anderson und Normal Tension Glaucoma Study Group 2003).

Allgemeine vaskuläre Faktoren

Vaskuläre Faktoren sind von wesentlicher pathogenetischer Bedeutung hinsichtlich der Prävalenz und Progression des primären Offenwinkelglaukoms. Verschiedene epidemiologische Studien zeigen eine erhöhte Prävalenz bei arterieller Hypotonie und bei niedrigen – insbesondere diastolischen – Perfusionsdrucken. Der mittlere okuläre Perfusionsdruck wird definiert als 2/3 des arteriellen Blutdruckes abzüglich des intraokularen Druckes (OPD = 2/3 mittl. BD – IOD). Analog wird der diastolische Perfusionsdruck berechnet. Insbesondere sind niedrige Perfusionsdrucke beim NDG von pathogenetischer Bedeutung (Bonomi et al. 2000). Das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit primär chronischem Offenwinkelglaukom ist deutlich erhöht. Sowohl eine arterielle Hypertension, eine Hyperlipidämie und das Myokardinfarktrisiko sind signifikant erhöht (Chen et al. 2016).
Ob dies auch für Patienten mit NDG in gleichem Maß zutrifft, ist nicht bekannt. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass sich das Blutdruckverhalten von Patienten mit HDG und NDG nicht wesentlich unterscheidet. In beiden Gruppen litten 2/3 der Patienten an einer arteriellen Hypertension und 2/5 an einer Hyperlipidämie. Daher ist es sehr wichtig, zwischen zwei Formen des NDG zu trennen (Pillunat et al. 2015): Die weitaus größte Gruppe stellen die NDG-Patienten mit einem senil-sklerotischen Risikoprofil dar. Diese Patienten zeigen gehäuft einen arteriellen Hypertonus, einen höheren Body-Mass-Index (BMI), einen Diabetes mellitus Typ II, und der intraokulare Druck liegt oft an der oberen Normgrenze. Ungefähr 15–20 % der NDG-Patienten hingegen weisen ein vasospastisches/vasodysregulatives NDG (Flammer 1994) auf. Diese – oft weiblichen – Patienten zeigen Symptome einer allgemeinen Vasospastik wie kalte Akren und Tinnitus. Gehäuft leiden diese Patienten unter arterieller Hypotonie, einer Migräne und haben einen niedrigen BMI. Auch liegt bei diesen Patienten der intraokulare Druck oft im unteren Normalbereich.
Eine diagnostisch-anamnestische Abgrenzung dieser beiden Krankheitsentitäten erscheint insbesondere auch für die therapeutische Vorgehensweise von Bedeutung.
Es sollte differenzialdiagnostisch zwischen vasospastischem/vasodysregulativem NDG und senil-sklerotischem NDG, aus therapeutischen Überlegungen heraus, unterschieden werden!

Blutdruck – Perfusionsdruck

In epidemiologischen, populationsbasierten und therapeutisch orientierten Studien wird die Bedeutung einer arteriellen Hypotonie bzw. eines niedrigen okulären Perfusionsdruckes für das Entstehen, aber vor allem für die Progression der Erkrankung hervorgehoben. Es ist jedoch unklar, ob primär eine arterielle Hypotonie vorlag oder auch iatrogen induzierte Hypotonien Beachtung fanden. Des Weiteren spielt bei der Berechnung des okulären Perfusionsdruckes auch die Höhe des Augeninnendruckes eine Rolle (s. oben). Eine einzelne Messung des Blutdruckes, wie in den meisten der oben genannten Studien durchgeführt, erscheint keineswegs ausreichend. Insbesondere muss die Dynamik des Blutdruckes besondere Beachtung finden (Hornykewycz und Pillunat 2009). So zeigen sich bei Patienten mit NDG gehäuft nächtliche Phasen arterieller Hypotonie in der 24–h-Blutdruckmessung. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten mit sich wiederholenden nächtlichen Hypotoniephasen („Nocturnal Overdipping“) (Abb. 5) – trotz gut eingestellter Augeninnendrucke – eine Progression der Erkrankung aufwiesen. Bei vielen Patienten ist eine nächtliche Hypotonie iatrogen induziert, indem eine antihypertensive Therapie überdosiert oder zum falschen Zeitpunkt (z. B. am Abend) ordiniert wurde. Weiterhin muss Beachtung finden, dass auch eine abendliche Therapie mit blutdrucksenkenden Augentropfen (Beta-Rezeptorenblocker, Alpha-Agonisten) eine nächtliche Hypotoniephase verursachen oder verstärken kann. Aufgrund der mangelnden Autoregulation der Sehnervenperfusion beim POWG führen Phasen arterieller Hypotonie zwangsläufig auch zur Absenkung des okulären Perfusionsdruckes, insbesondere dann, wenn zur gleichen Zeit ein Anstieg des Augeninnendruckes beobachtet wird. Phasen eines niedrigen okulären Perfusionsdruckes oder starke Schwankungen desselben führen zu einer Progression der Erkrankung (Choi et al. 2006; Krupin et al. 2011).

Myopie

Eine höhergradige Myopie (>−6 dpt.) wird als Risikofaktor für das Entstehen und die Progression des primären Offenwinkelglaukoms angesehen (Park et al. 2016). Hier ist aber auf die diagnostische Problematik von myopen Fundus- und Gesichtsfeldveränderungen in Abgrenzung zum Glaukomschaden hinzuweisen. Dies gilt insbesondere für NDG-Patienten, die keinen erhöhten Augeninnendruck aufweisen. Eine bestehende, höhergradige Myopie scheint die Progressionsentwicklung beim NDG jedoch nicht zu beeinflussen.

Diabetes

Sowohl der Diabetes mellitus als auch das primäre Offenwinkelglaukom sind häufige Erkrankungen der älter werdenden Bevölkerung. Verschiedene epidemiologische Studien weisen darauf hin, dass Patienten, die an Diabetes mellitus leiden, ein höheres Risiko haben, an einem primären Offenwinkelglaukom zu erkranken. Es gibt eine Reihe von pathophysiologischen Ähnlichkeiten beider Erkrankungen insbesondere im Hinblick auf Veränderungen der Astroglia, die eine solche Assoziation erklären könnten. Ob dies auch für das NDG zutrifft, ist bislang nicht untersucht, aber vom pathophysiologischen Standpunkt könnte dies auch auf Patienten mit senil-sklerotischem NDG zutreffen.

Genetik

Ein signifikanter Anteil (ca. 21 %) der Patienten, die an einem NDG erkrankt sind, weisen eine positive Familienanamnese hinsichtlich eines NDG auf. Dies lässt an eine genetische Komponente als Risikofaktor für die Erkrankung denken. Genetische Varianten, die die Gene WDR36, Myocillin (MYOC) und das Optineurin (OPTN) betreffen, scheinen an der Entstehung des NDG beteiligt (Minegishi et al. 2016). Es gibt insbesondere auch Hinweise über Veränderungen des Optineurin-Gens bei Patienten und Familien, die an einem NDG erkrankt sind. Optineurin ist neuroprotektiv und scheint auch bei der Steuerung des Augeninnendruckes von Bedeutung (trabekulärer Abflusswiderstand) zu sein. Verschiedene Studien haben weiterhin gezeigt, dass es mögliche Assoziationen zwischen Veränderungen des Optineurin-Gens, dem Auftreten der Alzheimer-Erkrankung und des NDG gibt (Liu und Tian 2011). Abschließend können genetische Veränderungen bei Patienten mit NDG angenommen werden. Ob dies auf beide Subtypen des NDG zutrifft, muss Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.

Biomechanik

Die biomechanische Charakteristik der Hornhaut kann ansatzweise mit den biomechanischen Eigenschaften der Sklera und der Lamina cribrosa verglichen werden. Parameter der kornealen Biomechanik sind nichtinvasiv durch Messungen mit dem Dynamic Response Analyzer und dem Corvis ST zu bestimmen.
In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass die Deformierbarkeit der Hornhaut, gemessen mit dem Corvis ST, beim NDG signifikant größer ist als beim HDG oder bei altersentsprechend Gesunden. Weiterhin zeigten Gesunde keinen Unterschied zum Patienten mit HDG (Xu et al. 2022).
Aus fünf Parametern des Corvis ST konnte ein biomechanischer Glaukom-Faktor berechnet werden, der Patienten mit NDG von Gesunden unterscheidet und der somit vielleicht eine Screening-Untersuchung für das NDG sein könnte. Es zeigt sich somit beim NDG eine veränderte korneale Biomechanik, die möglicherweise auch charakteristisch für die Lamina cribrosa ist und durch den höheren Astrogliaverlust im Sehnervenkopf beim NDG erklärt werden könnte (Pillunat et al. 2019).

Therapie

Senkung des intraokularen Druckes

Den primären therapeutischen Ansatz stellt auch beim NDG die Senkung des Augeninnendruckes dar. Entsprechend der Leitlinien der europäischen Glaukomgesellschaft (EGS 2020) sollte ein Augeninnendruckniveau erreicht werden, bei dem der glaukomatöse Schaden nicht mehr progredient verläuft, also zum Stillstand kommt (Zieldruck). Dies kann durch Medikamente, lasertherapeutisch und ggf. durch operative Maßnahmen erfolgen. Aus vielen Untersuchungen ist jedoch bekannt, dass die Effektivität einer medikamentösen oder Lasertherapie von der Höhe des initialen Augeninnendruckes abhängt, wobei die Senkung des Augeninnendruckes bei niedrigeren initialen Werten geringer ausfällt (Pillunat et al. 2016a, b).
Auch beim NDG verlangsamt die Senkung des Augeninnendruckes die Progression!
Eine medikamentöse Senkung des Augeninnendruckes kann durch alle gängigen Antiglaukomatosa erfolgen: Prostaglandine, Carboanhydrasehemmer, Beta-Rezeptorenblocker, Alpha-Agonisten und Rho-Kinase-Inhibitoren. Bei der Wahl des jeweiligen Medikamentes ist jedoch auf den Typ des NDG (senil-sklerotisch versus vasospastisch-vasodysregulativ) zu achten. Da Beta-Rezeptorenblocker und Alpha-Agonisten den systemischen Blutdruck senken, sind diese Substanzen bei Patienten mit arterieller Hypotonie (vasodysregulatives NDG) eher zu meiden.
Betrachtet man die gesamte Population der Patienten mit NDG, d. h. ohne differenzialdiagnostisch zwischen senil-sklerotischen und vasodysregulativen Formen zu unterscheiden, so scheinen Alpha-Agonisten (Brimonidin) gegenüber Beta-Rezeptorenblockern (z. B. Timolol) einen Vorteil zu bieten. In der LOGTS-Studie konnte eindeutig gezeigt werden, dass nach 5-jähriger Behandlung mit Timolol die Progression im Gesichtsfeld mehr als doppelt so häufig war im Vergleich zur Behandlung mit Brimonidin (Krupin et al. 2011).
Eine primäre Senkung des Augeninnendruckes um ca. 30 % erscheint sinnvoll, um sich dem individuellen Zieldruck zu nähern. In der Collaborative Normal Tension Glaucoma Treatment Study (CNTGS) wurde genau dieses Ziel angestrebt und erreicht. Jedoch konnten durch eine 30 %ige IOD-Senkung nur etwa 80 % der Patienten stabilisiert werden, 20 % aber nicht. Ob in diesen Fällen eine stärkere Senkung des Augeninnendruckes sinnvoll wäre, ist unklar. Auch könnten andere Risikofaktoren (arterielle Hypotonie, nächtliches Overdipping etc.) eine Rolle spielen (Anderson und Normal Tension Glaucoma 2003).
Eine Augeninnendrucksenkung mit lasertherapeutischen Maßnahmen, z. B. einer Selektiven Lasertrabekuloplastik (SLT), muss im Einzelfall entschieden werden. Bei Patienten mit eher grenzwertigem IOD (> 16–20 mmHg) kann eine SLT sinnvoll sein, während hingegen Patienten mit Augeninnendrucken im unteren Zehnerbereich kaum von einer SLT profitieren werden (Pillunat et al. 2016a, b).
Eine chirurgische Senkung des intraokularen Druckes kann im Einzelfall notwendig sein. Dies trifft bei Patienten zu, die eine medikamentöse Therapie nicht tolerieren oder bei Patienten, bei denen eine medikamentöse bzw. laserchirurgische Behandlung nicht zu einer ausreichenden Senkung des IOD führt. Bei einer chirurgischen Intervention sollten sehr niedrige Zieldrucke anvisiert werden. Dies kann durch filtrierende Operationen gelingen. Sowohl durch eine Trabekulektomie (mit z. T. hohen Konzentrationen von Mitomycin C) als auch durch moderne Stents (z. B. den Preserflo MicroShunt) kann dies effektiv erreicht werden (Jayaram et al. 2016).

Adjuvante Therapie

Okuläre Perfusion

Sollte durch eine Senkung des Augeninnendruckes keine Stabilität erreicht werden und eine weitere Progression des Glaukomschadens vorliegen, sind adjuvante Therapieansätze sinnvoll. Niedrige Perfusionsdrucke können ein Grund für eine weitere Progression sein. Diese können durch eine essenzielle arterielle Hypotonie oder eine passagere Hypotonie im Sinne eines nächtlichen Overdippings verursacht werden. Zunächst muss eine iatrogen verursachte arterielle Hypotonie ausgeschlossen werden. Häufig beobachtet man eine „Überbehandlung“ einer arteriellen Hypertonie z. B. im Sinne einer abendlichen Gabe von Antihypertensiva. Eine solche Behandlung sollte dann unbedingt umgestellt werden. Liegt dies nicht vor, sind weitergehende therapeutische Maßnahmen sinnvoll. Zunächst sollte eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und salzreiche Ernährung abends empfohlen werden. Ist im 24-h-Blutdruckprofil weiterhin eine arterielle Hypotonie/Overdipping vorliegend, kann die Gabe von 0,5–1,0 g Salztabletten oder der Einsatz von Mineralocorticoiden (Fludrocortison 0,1 mg) erwogen werden (Konieczka und Flammer 2021).
Liegt ein vasodysregulatives/vasospastisches NDG vor, so kann der okuläre Perfusionsdruck durch eine vasospastisch bedingte Gefäßverengung erniedrigt sein. Diese Gefäßspasmen können meist durch die Gabe von Magnesium positiv beeinflusst werden. Sollte dies nicht ausreichen, so kann der Einsatz von zentral wirksamen Kalziumantagonisten (Nimodipin) indiziert sein (Pillunat und Boehm 2002).
Beim senil-sklerotischen NDG hingegen liegen atherosklerotisch bedingte Gefäßverengungen, und damit erniedrigte Perfusionsdrucke, vor. Hier sind vasospasmolytische Maßnahmen kontraindiziert (Vergroesen et al. 2023), da diese zu einem „Steal-Effekt“ führen können und somit minderperfundierte Areale des Sehnervs noch schlechter durchblutet werden. Beim senil-sklerotischen NDG sollten die Risikofaktoren für eine Atherosklerose adressiert werden: Einstellung des systemischen Hypertonus, des Diabetes mellitus, einer Fettstoffwechselstörung etc.
Führt die konsequente Senkung des Augendruckes nicht zur Stabilisierung der Erkrankung, sollten adjuvante Therapieansätze Beachtung finden.

Neuroprotektion

Wird eine Progression des Glaukomschadens beobachtet, obwohl die Differenzialdiagnose des NDG erfolgte, der IOD ausreichend gesenkt wurde und alle möglichen adjuvanten Therapieansätze Beachtung fanden, können im Einzelfall neuroprotektive Therapieansätze sinnvoll sein.
Im Tierexperiment wirkt der Alpha-Agonist Brimonidin eindeutig neuroprotektiv (Lambert et al. 2011). In der LOGTS-Studie konnte eine deutlich geringere Progression in der Brimonidin-Gruppe im Vergleich zur Timolol-Gruppe gezeigt werden. Diese Ergebnisse werden im Sinne einer neuroprotektiven Eigenschaft des Brimonidin interpretiert (Krupin et al. 2011).
Verschiedene Studien (s. oben) haben weiterhin gezeigt, dass es mögliche Assoziationen zwischen Veränderungen des Optineurin-Gens, dem Auftreten der Alzheimer-Erkrankung und des NDG gibt. Die Substanz Memantine wirkt beim tierexperimentell induzierten Glaukomschaden neuroprotektiv (Celiker et al. 2016) und ist für die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung zugelassen (Kishi et al. 2017). Aufgrund dessen und der genetischen Assoziation von NDG und der Alzheimer-Erkrankung kann im seltenen Einzelfall eine Therapie mit Memantine erwogen werden.
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