Um bei arzneimittelinduzierten Fällen das auslösende Agens frühzeitig abzusetzen, ist eine detaillierte Arzneimittelanamnese unerlässlich. Dabei basiert die Identifizierung des auslösenden Arzneimittels v. a. auf dem Zeitintervall zwischen Beginn der Einnahme des Arzneimittels und dem Beginn der schweren Hautreaktion. Meist liegt sie bei etwa 1–4 Wochen. Dabei handelt es sich um den ersten Einnahmezyklus des verdächtigen Auslösers (Mockenhaupt et al.
2008). Wurde ein Medikament bereits früher angewendet und gut vertragen, so kommt es als Auslöser eher nicht in Betracht. Zudem spielt es eine Rolle, ob das verdächtige Arzneimittel als Auslöser schwerer Hautreaktionen bereits bekannt ist; hier helfen die Risikobewertungen der epidemiologischen Studien (Mockenhaupt et al.
2008). Bei Multimedikation ist es leider oft schwierig, das auslösende Agens zu identifizieren (Grünwald et al.
2000).
Neben der Wundversorgung und adäquaten
Schmerztherapie müssen der Flüssigkeitsbedarf, die Ernährung, der Elektrolythaushalt, die Nieren- und Lungenfunktion überwacht und ggf. angepasst werden. Dabei sollte ggf. die Raumtemperatur auf 25–28 °C erhöht werden, um bei ausgedehnter Hautablösung den Verlust der
Thermoregulation auszugleichen. Eine intravenöse Flüssigkeitszufuhr muss individuell angepasst werden, wobei die Überwachung der täglichen Harnmenge als Grundlage dient (Ardern-Jones und Mockenhaupt
2019). Eine enterale Ernährung (oral, transnasal) ist der parenteralen jederzeit vorzuziehen, um Magengeschwüren und einer Verlagerung von Darmbakterien vorzubeugen. Bei erosiver Schleimhautbeteiligung empfiehlt sich eine lokale antiseptische Therapie und der jeweilige Facharzt sollte hinzugezogen werden.
Systemische immunmodulierende Therapien bei EN
Da die EN als immunmediierte Reaktion angesehen wird, wurden verschiedene immunmodulierende Therapien eingesetzt, u. a. Glukokortikosteroide, intravenöse Immunoglobuline (IVIG), Plasmapherese, Granulozyten-stimulierender Faktor, TNF-alpha-Inhibitoren, Cyclophosphamid und
Ciclosporin A (Zimmermann et al.
2017). Die Anwendung von Glukokortikosteroiden
ist die häufigste, akute, systemische Therapieform bei Patienten mit EN. Ihr Einsatz ist jedoch umstritten, da die Infektionsgefahr bzw. die Gefahr einer
Sepsis steigen und es zu Verzögerungen in der Abheilung kommen kann (Ardern-Jones und Mockenhaupt
2019). Eine
Metaanalyse zur immunmodulierenden Therapie von EN zeigte allerdings, dass die Gabe von systemischen Glukokortikosteroiden im Vergleich zur rein supportiven Therapie einen Überlebensvorteil brachte (Kardaun und Jonkman
2007; Zimmermann et al.
2017). Somit stellen Glukokortikosteroide bei kurzzeitiger Gabe in mittlerer Dosierung (50–250 mg) über wenige Tage eine Therapieoption dar, die zwar kaum die Progression der Hautablösung zum Stillstand bringt, aber doch eine positive Wirkung auf die oftmals geschwollenen und schmerzhaften Schleimhäute hat.
Der okuläre Effekt der systemischen Steroidtherapie bleibt jedoch umstritten, da keine Studie einen sicheren, reproduzierbaren positiven Effekt nachweisen konnte (Araki et al.
2009; Kim et al.
2015; Yip et al.
2007). Auch eine neuere Studie mit fünf Patienten, die über den positiven Effekt einer Methylprednisolon-Pulstherapie (500 mg/d für 3 Tage) bei massiver Augenbeteiligung auf die Entwicklung okulärer Folgeschäden berichtete, konnte in großen Beobachtungsstudien nicht bestätigt werden (Ong et al.
2020).
Eine weitere systemische Therapieoption stellen die intravenösen
Immunglobuline (IVIG)
dar. Deren möglicher Effekt beruht auf der Annahme, dass durch vorhandene
Antikörper in humanen IVIG die FAS-induzierte
Apoptose der Keratinozyten blockiert wird (Viard et al.
1998). Auch hier wird der Einsatz kontrovers diskutiert. Umfangreiche
Metaanalysen haben keinen Überlebensvorteil von Patienten mit IVIG-Therapie im Vergleich zur supportiven Therapie feststellen können (Huang et al.
2012).
TNF-α scheint auch ein wichtiges therapeutisches Ziel zu sein. EN-Patienten weisen erhöhte TNF-α-Konzentrationen in der Blasenflüssigkeit, im
Serum und in der Haut auf, sodass die Anwendung von TNF-α-Inhibitoren
ein möglicher Therapieansatz bei EN sein könnte (Wang et al.
2018). Aktuell liegen allerdings auch hier uneinheitliche Daten vor (Zhang
2020). Eine Studie, die die Behandlung mit Etanercept und systemischen Steroiden verglich, ergab eine signifikant kürzere Zeitdauer bis zur Reepithelisierung in der Etanercept-Gruppe (2–2,5 Wochen) und eine längere in der Steroidgruppe. Allerdings wurden die systemischen Steroide sehr lange (3 Wochen) verabreicht, was auch zu einer Abheilungsverzögerung geführt haben könnte (Wang et al.
2018).
Ciclosporin A ist ein weiteres Medikament mit therapeutischen Eigenschaften. Aufgrund der immunsupprimierenden Eigenschaft werden zytotoxische T-Zellen, welche bei EN eine Rolle spielen, durch die Anwendung von Ciclosporin A
inhibiert. Die erste, größere, retrospektiv aufgearbeitete Fallserie zur Therapie wurde bereits 2000 publiziert. In der Patientengruppe mit Ciclosporin-A-Therapie stoppte der Progress der Hautablösung früher und die Wundheilung verlief schneller im Vergleich zur Kontrollgruppe, die mit Cyclophosphamid und Glukokortikosteroiden behandelt wurde (Arévalo et al.
2000). Zehn Jahre später wurde eine anhand des SCORTEN kontrollierte Fallserie aus Frankreich veröffentlicht, welche einen Überlebensvorteil der Patienten mit Ciclosporin-A-Therapie aufzeigte (Valeyrie-Allanore et al.
2010). Eine Studie aus Madrid verwendete drei verschiedene Ansätze, um den Effekt von Ciclosporin A zu bewerten. Auch hier begann die Reepithelisierung deutlich früher als in der Vergleichsgruppe (IVIG, Glukokortikosteroide, rein supportive Therapie) und die beobachtete Letalität lag unter der anhand von SCORTEN erwarteten, während in der Vergleichsgruppe mehr Patienten verstarben als angenommen (Torres-Navarro et al.
2021). In vielen Therapiestudien waren Kinder und Jugendliche zwar nicht eingeschlossen, aber in kleineren Fallserien wurde Ciclosporin A erfolgreich bei Kindern mit EN eingesetzt (Hall et al.
2021). Eine
Metaanalyse zum Einsatz von Ciclosporin A bei EN kommt zu dem Schluss, dass diese Substanz eine vielversprechende Therapie darstellt, da zum einen die Reepithelisierung früher einsetzt, zum anderen die beobachtete Letalität unter der erwarteten liegt (Ardern-Jones und Mockenhaupt
2019; Zimmermann et al.
2017). Aufgrund der Studien und Erfahrungswerte werden 3 mg pro kg Körpergewicht pro Tag für 10 Tage empfohlen; bei
Niereninsuffizienz muss ggf. eine Dosisanpassung erfolgen (Roujeau et al.
2017).