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Die Augenheilkunde
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Publiziert am: 21.12.2024

Raumforderungen der Hypophyse und chiasmale Läsionen

Verfasst von: Sebastian Küchlin und Wolf Alexander Lagrèze
Die Chiasmaregion ist häufig von Raumforderungen betroffen. Sie äußern sich meist durch typische perimetrische Defektmuster, insbesondere durch eine bitemporale Hemianopsie. Weitaus am häufigsten sind Hypophysenadenome, gefolgt von Zysten der Rathke-Tasche, Kraniopharyngeomen und Meningeomen. Etwa die Hälfte der Hypophysenadenome produziert Hormone und fällt somit eher endokrinologisch auf. Hormoninaktive Läsionen hingegen werden oft erst nach ausgedehntem Tumorwachstum diagnostiziert. Nach der chirurgischen Resektion können auch ausgeprägte Gesichtsfelddefekte schnell rückläufig sein, wenn die Optikusatrophie nicht zu fortgeschritten ist. Eine länger bestehende Kompression führt jedoch zum Absterben von Nervenzellen mit irreversiblen Defekten. Kleine Hypophysentumore sind ein häufiger Nebenbefund bei aus anderer Indikation veranlasster Bildgebung und können beobachtet werden. Eine interdisziplinäre Patientenanbindung ist wichtig. Der Ophthalmologie kommt mit der initialen Diagnosefindung, Befunderhebung zur Operationsindikation und Verlaufsbeurteilung eine wichtige Rolle zu.

Einleitung

Das Chiasma hat als Kreuzungsstelle der Sehbahn eine besondere anatomische Bedeutung. Die Axone der retinalen Ganglienzellen verlaufen dicht gebündelt, wodurch Raumforderungen auf geringem Raum große, das Gesichtsfeld beider Augen betreffende Einschränkungen verursachen können. Das typische perimetrische Defektmuster ist eine bitemporale Hemianopsie. Es ist hochverdächtig für eine Chiasmaläsion. Durch anatomische Varianten oder asymmetrisch komprimierende Raumforderungen sind abweichende Muster jedoch häufig (Ogra et al. 2014). Raumforderungen im Chiasmabereich sind fast immer formal benigne. Am häufigsten sind mit Abstand Hypophysenadenome, gefolgt von Zysten der Rathke-Tasche, Kraniopharyngeomen und Meningeomen (Tab. 1). Hypophysenadenome werden nach ihrer endokrinologischen Aktivität (hormonaktiv/hormoninaktiv, Tab. 2) und nach ihrer Größe (Mikroadenom < 1 cm, Makroadenom > 1 cm) eingeteilt (AWMF 2019).
Tab. 1
Relative Häufigkeit verschiedener Raumforderungen im Bereich der Hypophyse. (Modifiziert nach AWMF 2019)
Entität
Relative Häufigkeit
Formal gutartige Tumore
91 %
 Hypophysenadenome
87 %
 Kraniopharyngeome
3 %
 Meningeome
1 %
 Tumore des Hypophysenhinterlappens
< 1 %
Zysten (Rathke-Tasche, Arachnoid-Zysten, Dermoid-Zysten, Kolloid-Zysten)
5 %
Hypophysenhyperplasie
< 1 %
Maligne Tumore (Chordome, Chondrosarkome, Hypophysenkarzinome, Keimzelltumore, Metastasen)
2 %
Andere Entitäten
2 %
Tab. 2
Relative Häufigkeit von Hypophysenadenomen, nach Hormonsekretion. (Aus Mehta und Lonser 2016). GH = Wachstumshormon (growth hormone). ACTH = Adrenocorticotropes Hormon. TSH = Thyroidea-stimulierendes Hormon
Tumorentität
Relative Häufigkeit
Hypophysenadenome
100 %
 Hormoninaktiv (non-functioning)
46–64 %
 Hormonaktiv (functioning)
 
  Prolaktinom
32–51 %
  GH-produzierend (Akromegalie)
9–11 %
  ACTH-produzierend (Morbus Cushing)
3–6 %
  TSH-produzierend
< 1 %
  Gonadotropin-produzierend
< 1 %
Chiasmale und hypophysäre Läsionen erfordern ein gut abgestimmtes, interdisziplinäres Management. Die Therapie erfolgt je nach Befund und Entität durch die Neurochirurgie, Strahlenheilkunde, Endokrinologie oder es wird beobachtet (wait & scan). Der Augenarzt nimmt in der initialen Diagnosestellung, der Befunderhebung zur Behandlungsindikation und der Verlaufsbeurteilung eine zentrale Rolle ein (Küchlin und Lagrèze 2020).

Pathophysiologie

Das Chiasma hat enge anatomische Beziehungen zur Hypophyse, dem Sinus cavernosus und den angrenzenden knöchernen Strukturen der Schädelbasis (Abb. 1). Die Axone der retinalen Ganglienzellen (RGCs) aus der nasalen Netzhaut (temporales Gesichtsfeld) kreuzen im Chiasma und verlaufen medial (Abb. 2 und 3); sie werden typischerweise bei hypophysären Raumforderungen (Abb. 4, Druck von unten) geschädigt und verursachen bitemporale Gesichtsfelddefekte (Abb. 5). Im Gegensatz dazu verlaufen die Axone der RGCs der jeweils temporalen Netzhaut (nasales Gesichtsfeld) temporal, ohne zu kreuzen. Diese sind wahrscheinlich weniger vulnerabel gegenüber druckbedingten Schädigungen und/oder weniger häufig betroffen (Kane et al. 2019). Die anatomische Position des Chiasmas im Verhältnis zur Hypophyse variiert auf der rostrookzipitalen Achse (Abb. 6), wodurch bei Hypophysentumoren variable perimetrische Defektmuster entstehen (Gulsen et al. 2010). Tab. 3 listet die relative Häufigkeit der perimetrischen Defektmuster bei Patienten mit Tumoren der Chiasmaregion auf.
Tab. 3
Relative Häufigkeit von perimetrischen Defektmustern bei Patienten mit chiasmalen Raumforderungen. (Modifiziert nach Schiefer et al. 2004). Die Arbeit wertete Gesichtsfelder von 153 konsekutiven Patienten aus, die an Hypophysenadenomen (65 %), Kraniopharyngeomen (12 %), Astrozytomen (9 %), Meningeomen (8 %) und vaskulären Läsionen (2 %) erkrankt waren
Defektmuster
Häufigkeit
Unauffällig (kein Defekt)
19 %
Bitemporal
22 %
Anterior junction (Traquair-Syndrom)
13 %
Monokulär
 
 Temporal
4 %
 (Pseudo-)konzentrisch
3 %
 Nervenfaserskotom
6 %
Homonym
11 %
Posterior junction
< 1 %
Binasal
1 %
Nicht klassifizierbar
3 %

Epidemiologie

Tumore der Chiasmaregion sind häufig: Allein die Prävalenz von Hypophysenadenomen wird auf 17 % geschätzt (Mehta und Lonser 2016), wobei allerdings große Unterschiede zwischen radiologischen (bis 38 %) und autopsiebasierten Studien (etwa 10 %) bestehen (AWMF 2019). Hormoninaktive Hypophysenadenome sind bei Männern und Frauen etwa gleich häufig. Sie werden meist zwischen dem 30. und 70. Lebensjahr diagnostiziert (Ntali und Wass 2018). Ihre Inzidenz steigt seit Mitte des 20. Jahrhunderts an (Nilsson et al. 2000), was vermutlich auf die vermehrte und verbesserte Bildgebungsdiagnostik zurückzuführen ist.

Risikofaktoren

Das Risiko einer Sehbeeinträchtigung ergibt sich aus der anatomischen Lokalisation, Größe und Wachstumsrichtung des Tumors. Ein Maß für letzteres ist, wie weit der Tumor radiologisch über die Sella turcica hinausreicht (suprasellar extension, SSE). Eine retrospektive Kohorte von 98 Patienten mit Hypophysenadenomen fand eine Sehminderung bei Patienten mit SSE > 12 mm auf koronaren und > 8 mm auf sagittalen MRT-Schnitten (Sensitivität/Spezifität je 87 %/72 % und 87 %/76 %) (Schmalisch et al. 2012). Risikofaktoren für ein schlechtes visuelles Outcome sind im Abschn. 9 beschrieben.
Die Assoziation mit Allgemeinerkrankungen wurde in einer schwedischen Nationalkohorte an 2795 Patienten mit hormonell inaktiven Hypophysenadenomen untersucht: Es bestand ein erhöhtes Risiko für Diabetes mellitus Typ 2, Schlaganfälle und Sepsis für beide Geschlechter sowie ein erhöhtes Risiko für Myokardinfarkte bei Frauen (Olsson et al. 2016). Eine erhöhte Sterblichkeit im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung bestand bei jungen Patienten (< 40 Jahren) und bei Frauen (Olsson et al. 2015).

Symptome

Hauptsymptome

Das Leitsymptom hormonell inaktiver Tumore ist eine langsam fortschreitende Gesichtsfeldeinschränkung. Der zentrale Visus dagegen ist meist nicht oder nur wenig mitbetroffen. Patienten stellen sich oft erst dann vor, wenn die Gesichtsfeldeinschränkung bereits weit fortgeschritten ist. Kopfschmerzen können durch einen Dehnungsschmerz der Dura mater (z. B. des Diaphragma sellae) entstehen; sie sind jedoch kein obligates oder typisches Zeichen. Kleine Hypophysenadenome sind oft symptomlose Zufallsbefunde bei aus anderer Indikation veranlasster Bildgebung (sog. „Inzidentalome“) und werden meist nur beobachtet. Hormonell aktive Läsionen äußern sich entsprechend ihrer Hormonproduktion und führen den Patienten somit oft bereits früh zum Arzt. Ausnahmen sind Prolaktinome und Wachstumshormon produzierende Tumore beim Mann, die diffuse und stigmatisierende Symptome (verminderte Libido, erektile Dysfunktion bzw. Akromegalie) auslösen. Auch hormonell inaktive Läsionen können durch Verdrängung von funktionellem Hypophysengewebe endokrinologisch auffällig werden (Hypophyseninsuffizienz) (Schneider et al. 2007).

Spezielle neuroophthalmologische Symptome

Doppelbilder. Falls Doppelbilder vorhanden sind, entstehen diese meist ohne assoziierte Motilitätseinschränkung als sog. hemifield slide. Der Patient muss ein latentes Schielen (Phorie) haben und die Gesichtsfeldeinschränkung so stark sein, dass das geteilte Gesichtsfeld für einen Fusionsreiz nicht mehr ausreicht. Die Augen gleiten dann in ihre anatomische Primärposition zurück, was bei Esophorie zu einem fehlenden zentralen Seheindruck und bei Exophorie zu einer doppelten Wahrnehmung des zentralen Gesichtsfeldes führt. Besteht eine Motilitätseinschränkung, muss dies als Tumorinfiltration oder Einblutung in den Sinus cavernosus gewertet werden, in dessen Wand die okulomotorischen Hirnnerven III, IV und VI verlaufen (Abb. 1). Insbesondere bei raschem Symptombeginn muss hier bei Verdacht auf einen Hypophysenapoplex eine notfallmäßige Zuweisung zur baldigen operativen Versorgung erfolgen.
Post-fixational blindness. Fixiert man auf ein Objekt in der Nähe, gibt es einen Bereich direkt hinter dem Fixationspunkt, der nur vom temporalen Gesichtsfeld abgedeckt wird. Er ist bei kompletter bitemporaler Hemianopsie also nicht sichtbar (Kidd 2014). Nach Erfahrung der Autoren wird dies von den Patienten meist nicht bemerkt.
Seesaw-Nystagmus. Namensgebend für diese spezielle, sehr seltene Form des Nystagmus ist eine Wippe (engl. seesaw), wie man sie vom Kinderspielplatz kennt. Jeweils ein Auge bewegt sich nach oben und rotiert nach innen, während sich das andere nach unten bewegt und nach außen rotiert. Pathophysiologische Grundlage ist vermutlich eine Schädigung von vestibulären Axonen, die mit dem Nucleus interstitialis Cajal assoziiert sind. Es handelt sich um eine der wenigen lokalisierenden Nystagmusformen und weist auf eine paraselläre oder diencephale Läsion hin (Kidd 2014).

Diagnostik

Die klinisch-ophthalmologische Untersuchung besteht aus Visus, Swinging-flashlight-Test, Motilitätsprüfung und Spaltlampenuntersuchung des vorderen und hinteren Augenabschnittes. Dabei ist eine klinische Beurteilung des Sehnervs prognoseweisend: Zeigt sich eine Blässe (typischerweise temporal und nasal), dann sind die entsprechenden Axone wahrscheinlich bereits durch die Tumorkompression im Chiasmabereich abgestorben (siehe Abschn. 9). Ein relatives afferentes Pupillendefizit (RAPD) wird meist nicht nachgewiesen, da chiasmale Läsionen die kreuzenden Axone beider Augen gleichermaßen betreffen. Eine anteriore Läsion mit Beteiligung des N. opticus führt zu einem ipsilateralen RAPD. Eine posterior gelegene Tractus-opticus-Läsion hingegen geht mit einem milden kontralateralen RAPD einher, da die Tracti jeweils mehr gekreuzte als ungekreuzte (54:46 %) Axone enthalten.
Von zentraler Bedeutung und obligat ist eine Gesichtsfelduntersuchung. Eine statische Perimetrie der zentralen 30° ist ausreichend, denn das zentrale Gesichtsfeld ist aufgrund des gefächerten Axonverlaufs im Chiasma fast immer mit betroffen (Abb. 3). Alternativen sind die kinetische Perimetrie, welche ggf. mittellinienbegrenzte Defekte sensitiver nachweisen kann, sowie die Konfrontationsperimetrie bei Kindern oder kooperationsunfähigen Patienten. Der typische und häufigste Befund ist eine bitemporale Hemianopsie. In Abhängigkeit von Tumorlokalisation und anatomischer Chiasmaposition können sich jedoch auch eine Vielzahl weiterer Ausfallmuster zeigen (Abb. 3, Tab. 3). Eine einseitige Kompression im Bereich des hinteren Sehnervs bzw. anterioren Chiasma führt zu einem spezifischen Defektmuster mit ausgeprägter Sehminderung auf der betroffenen Seite und kontralateralem keilförmigem, meist lateral superior lokalisiertem Gesichtsfelddefekt. Es wird anterior junctional scotoma oder Traquair-Syndrom genannt und ist nach der bitemporalen Hemianopsie das zweithäufigste Defektmuster bei Tumoren im Chiasmabereich. Das Gegenstück (posterior junctional scotoma) entsteht bei unilateraler Kompression des posterioren Chiasmas bzw. anterioren Tractus opticus und besteht aus einer homonymen, kontralateralen Hemianopsie mit zusätzlichem ipsilateralem, meist temporal inferior lokalisiertem Defekt. Es ist sehr selten (Schiefer et al. 2004). Generell sollte man bei jedem Gesichtsfelddefekt, der die vertikale Mittellinie respektiert, eine Bildgebung in Erwägung ziehen.
Sofern verfügbar, sollte eine optische Kohärenztomografie (OCT) der peripapillären Nervenfaserschicht sowie der Makula (mit Bestimmung der Ganglienzellschichtdicke) erfolgen. Korrespondierend zur bitemporalen Gesichtsfeldeinschränkung kann sich eine binasale Atrophie der retinalen Ganglienzellschicht zeigen (Abb. 5). Da die Papille nicht im optischen Zentrum liegt, ist ihr Atrophiemuster nicht binasal: Es folgt dem anatomischen Verlauf der Axone aus dem nasalen retinalen Feld (temporalen Gesichtsfeld), welche temporal und nasal in den Sehnerven eintreten. Dieses horizontale Muster bezeichnet man als bandförmige Atrophie (Abb. 2).
Sofern noch nicht geschehen, muss eine MRT der Sellaregion mit Kontrastmittelgabe (Abb. 4) veranlasst werden. Eine Alternative bei Kontraindikation ist eine CT mit möglichst kleiner Kollimation (z. B. Spiral-CT mit 0,6 mm Schichtdicke) (AWMF 2019). Bestätigt sich die Verdachtsdiagnose, sollte der Patient in einem interdisziplinären Zentrum angebunden werden. Wichtig bei Hypophysentumoren ist zudem eine endokrinologische Abklärung.

Differenzialdiagnostik

Eine Entzündung des Chiasmas kann im Rahmen einer Neuromyelitis-optica-Spektrumerkrankung (NMOSD) oder selten im Rahmen einer multiplen Sklerose (MS) auftreten (siehe Kapitel Optikusneuritis). Auch ANCA-assoziierte Vaskulitiden, Sarkoidose, lymphatische oder histiozytäre Infiltrationen sowie eine lymphozytische Hypophysitis können zu einer chiasmalen Entzündung führen. Infektionen können das Chiasma mit einbeziehen – hierzu gehören u. a. Tuberkulose, Zysterzikose, virale Erkrankungen und Hypophysenabszesse. Schließlich kann das Chiasma durch Trauma oder Ischämie geschädigt werden (Kidd 2014). Ein wesentlicher Faktor für die differenzialdiagnostische Zuordnung ist die zeitliche Dynamik: Eine Ischämie äußert sich innerhalb von Sekunden, bei einer Entzündung ist meist der Tag des Beschwerdebeginns erinnerlich, Tumore entstehen deutlich langsamer.

Therapie

Nichthormonproduzierende Hypophysentumore werden primär chirurgisch behandelt, wobei die Resektion transsphenoidal in endoskopischer oder mikrochirurgischer Technik stattfindet (Honegger et al. 2021). Das wichtigste Indikationskriterium ist eine manifeste oder drohende Beeinträchtigung des Sehvermögens, sprich: eine tumorbedingte Gesichtsfeldeinschränkung bzw. Visusminderung und/oder ein radiologisch sehr enger Kontakt zur Sehbahn. Hier besteht laut AWMF-Leitlinie eine „Soll-Empfehlung“ zur chirurgischen Resektion. Tumore mit signifikantem Größenwachstum, vor allem in Bezug auf die Sehbahn, „sollten“ operiert werden; zeigt sich endokrinologisch eine signifikante Hypophyseninsuffizienz, „kann“ operiert werden. Kopfschmerzen hingegen sind nur selten durch Hypophysenadenome bedingt, sodass eine Tumorresektion den Patienten oft keine Beschwerdebesserung bringen würde: Die Operationsindikation „sollte“ hier zurückhaltend gestellt werden (Tab. 4, AWMF 2019). Risiken der Operation sind Liquorfisteln (4 %), Hypophyseninsuffizienz (13 %), Diabetes insipidus (vorübergehend: 18 %, dauerhaft: < 1 %), vorübergehende isolierte Hyponatriämie (21 %), neurovaskuläre Schädigungen (0–6 %) und Nasenbluten (1–3 %) (Mehta und Lonser 2016). Für Rest- oder Rezidivtumore kommen eine chirurgische Exzision oder eine Bestrahlung infrage. Eine Chemotherapie ist aggressiven Fällen mit fehlender chirurgischer und strahlentherapeutischer Behandlungsoption vorbehalten (AWMF 2019).
Tab. 4
Operationsindikationen bei hormonell inaktiven Hypophysenadenomen. (Nach AWMF 2019)
Symptom/Befund
Operationsindikation
(Drohende) Gesichtsfeld- oder Visuseinschränkung
„Soll“
Größenprogredienz, insb. mit Bezug zur Sehbahn
„Sollte“
Hypophyseninsuffizienz
„Kann“
Kopfschmerzen
Zurückhaltung
Auch hormonproduzierende Hypophysenadenome werden meist primär chirurgisch behandelt. Nach der Resektion erfolgt eine langfristige (bis zu 20 Jahre!) endokrinologische Anbindung. Wird keine vollständige Remission erreicht, kann mit einer Vielzahl verschiedener Medikamente (z. B. Somatostatinanaloga, Dopaminagonisten, Enzyminhibitoren, Rezeptorblocker) therapiert werden. Eine Strahlentherapie kommt infrage, wenn der Tumor chirurgisch und medikamentös nicht ausreichend kontrolliert werden kann. Prolaktinome werden als Ausnahme meist primär mit Dopaminagonisten (z. B. Cabergolin) behandelt. So kann bereits konservativ oft ein deutlicher Größenrückgang sowie eine Normalisierung des Prolaktinspiegels erreicht werden. Auch bei anderen Tumorentitäten kann in bestimmten Fällen eine primär konservative Behandlung indiziert sein (Molitch 2017).
Auch die meisten anderen benignen Tumorentitäten werden ähnlich gehandhabt: Symptomatische Läsionen werden chirurgisch behandelt, je nach Befund und Entität ggf. mit adjuvanter Bestrahlung. Hierzu zählen Kraniopharyngeome (Pantel et al. 2021) sowie Zysten der Rathke-Tasche und der Arachnoidea. Gliome der Sehbahn werden individuell behandelt. Während pilozytische Astrozytome (WHO °I) oft zunächst beobachtet werden können, ist ansonsten eine Chemotherapie Mittel der Wahl, Second-line eine Strahlenbehandlung. Chirurgische Ansätze, z. B. zum Debulking, können in individuellen Fällen sinnvoll sein. Periselläre Meningeome werden je nach Lokalisation exzidiert, beobachtet oder bestrahlt. Tuberculum-sellae-Meningeome äußern sich meist durch asymmetrische Gesichtsfelddefekte und werden primär chirurgisch behandelt. Meningeome des Sinus cavernosus äußern sich durch Hirnnervenparesen (Abb. 1). Da sie meist langsam wachsen, können asymptomatische Befunde beobachtet werden. Ansonsten werden die Läsionen meist bestrahlt. Meningeome des Diaphragma sellae sowie intraselläre Meningeome werden meist chirurgisch behandelt, letztere oft mit präoperativer Embolisation. Refraktäre oder inoperable Meningeome können basierend auf ihrer Somatostatin-Rezeptor-Expression oder mit weiteren gezielten Therapieansätzen behandelt werden. Clivus-Chordome sind maligne Tumore mit lokal aggressivem Wachstum, die sich oft mit einer Abduzensparese oder mit Gesichtsfeldeinschränkungen äußern. Sie werden primär reseziert. Metastasen im Bereich der Hypophyse und des Chiasmas werden gemäß der Grunderkrankung behandelt. Eine Resektion kann zum Beispiel zur Symptomlinderung oder Diagnosesicherung sinnvoll sein (Honegger 2021).

(Perioperatives) ophthalmologisches Management

Prinzipiell sollten alle Patienten mit Tumoren der Chiasmaregion vor der geplanten Resektion neuroophthalmologisch untersucht werden.
Eine Ausnahme kann bei asymptomatischen Mikroinzidentalomen der Hypophyse gemacht werden, sofern kein Wachstum und keine Nähe zur Sehbahn besteht. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass Gesichtsfeldeinschränkungen, insbesondere durch hormonell inaktive Hypophysenadenome, lange asymptomatisch bleiben. Patienten mit Tumoren in der Nähe der Sehbahn ohne geplante Resektion sollten engmaschig ophthalmologisch angebunden werden, um eine perimetrische oder Visusverschlechterung auszuschließen.
Nach Resektion von Hypophysenadenomen wird nach AWMF-Leitlinie eine Untersuchung nach 2 Wochen empfohlen (AWMF 2019), während die Société franҫaise d’endocrinologie (SFE) eine Untersuchung innerhalb von 3 Monaten (Abouaf et al. 2015; Chanson et al. 2015) und der American Congress of Neurological Surgeons (CNS) eine Untersuchung innerhalb eines Jahres empfehlen (Aghi et al. 2016; Newman et al. 2016). Wissenschaftlich evaluierte Schemata für die ophthalmologische Nachsorge sind derzeit nicht verfügbar. Bestehen keine Tumor-assoziierten Einschränkung des Sehvermögens und keine relevanten Tumorreste in der Nähe der Sehbahn, sind auch keine weiteren augenärztlichen Kontrollen notwendig. Andernfalls sollten ophthalmologische Untersuchungen alle 3–6 Monate bis zur Befundstabilisierung durchgeführt werden. Danach können die Intervalle verlängert werden (Abouaf et al. 2015). Ist eine Strahlentherapie erfolgt, sollten langfristige Kontrollen stattfinden, um eine strahlenbedingte Optikusneuropathie auszuschließen (Küchlin und Lagrèze 2020).

Verlauf und Prognose

Die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen zum Verlauf und zur Prognose wurden bei Patienten mit Hypophysenadenomen durchgeführt. Sie sollten prinzipiell auf andere benigne, kompressive perichiasmale Läsionen übertragbar sein und werden nachfolgend zusammengefasst.
Der wichtigste Prognosefaktor für die Seherholung ist das Verhältnis zwischen visueller Einschränkung und neuronaler Atrophie.
Bei funduskopisch vitaler Papille (Cohen et al. 1985; Schmalisch et al. 2012) und kohärenztomografisch regelrechter peripapillärer Nervenfaser- und makulärer Ganglienzellschicht (Abouaf et al. 2015; Danesh-Meyer et al. 2015) können auch ausgedehnte Gesichtsfelddefekte nach Behandlung eines Hypophysenadenoms reversibel sein. Ein hohes Patientenalter und ein lange anhaltender Sehverlust vor Therapie sind negative Prognosefaktoren (Aghi et al. 2016). Hormonaktive und -inaktive Hypophysenadenome haben eine ähnliche visuelle Prognose (Muskens et al. 2017). Da die Zeit zwischen klinischer Vorstellung und Operation die Prognose nicht beeinflusst, muss die chirurgische Entfernung von Hypophysenadenomen nicht als Notfall geplant werden (Küchlin und Lagrèze 2021).
Insgesamt ist die funktionelle Prognose gut:
Nach chirurgischer Behandlung verbessert sich das Gesichtsfeld in 80 % der Fälle.
In 30 % gelingt eine vollständige Wiederherstellung. Eine Verschlechterung besteht nur in 4 %. Auch der Visus erholt sich in 60 %, eine Verschlechterung besteht in 4,5 %. Der mittlere Anstieg beträgt 0,6 bis 1,3 Zeilen (Muskens et al. 2017). Auch ein bestehender hemifield slide mit Doppelbildern sollte mit Wiederherstellung des zentralen, geteilten Gesichtsfeldes und somit der Fusionsfähigkeit nach Operation zurückgehen (Küchlin und Lagrèze 2020).
Die zeitliche Dynamik der Gesichtsfelderholung nach Resektion von Hypophysenadenomen ist gut untersucht: Bereits in der ersten postoperativen Woche kann sich eine deutliche Verbesserung zeigen, indem der druckbedingte axonale Leitungsblock aufgehoben wird (early fast phase). Insgesamt erfolgt in den ersten 3–4 postoperativen Monaten der Großteil der zu erwartenden perimetrischen Verbesserung. Diese Erholung nach initialer Aufhebung des Leitungsblocks wird am ehesten auf eine Remyelinisierung zurückgeführt (early slow phase). Schließlich gibt es einzelne Berichte über Gesichtsfelddefekte, die sich noch bis zu 5 Jahren nach der OP gebessert haben. Dies wird auf eine Remyelinisierung oder ggf. Neuroplastizität zurückgeführt (Gnanalingham et al. 2005; Moon et al. 2011; Küchlin und Lagrèze 2021).

Zusammenfassung

  • Die häufigsten Raumforderungen im Chiasmabereich sind Hypophysenadenome, wovon etwa die Hälfte hormonell aktiv ist. Ist eine Behandlung erforderlich, erfolgt diese fast immer chirurgisch.
  • Ophthalmologisches Leitsymptom bei chiasmalen Läsionen ist eine bitemporale Hemianopsie. Atypische perimetrische Defektmuster sind jedoch häufig und sollten nicht zum Verwurf der Verdachtsdiagnose führen.
  • Die Gesichtsfelduntersuchung ist obligat und erfolgt am besten als automatische statische Perimetrie der zentralen 30°.
  • Die visuelle Prognose ist abhängig vom Patientenalter, Erkrankungsdauer und insbesondere vom Verhältnis zwischen funktioneller Einschränkung und neuronaler Atrophie.
  • Chiasmale Läsionen erfordern ein interdisziplinäres Management. Die Ophthalmologie nimmt hierbei in initialer Diagnosestellung, Prognostik, Indikation zur OP und Nachsorge eine wichtige Rolle ein.
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