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Die Augenheilkunde
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Publiziert am: 24.10.2024

Tumoren im Bereich der Sehbahn

Verfasst von: Heimo Steffen
Das Optikusscheidenmenigeom (OSM) ist eine seltene Erkrankung und betrifft hauptsächlich Frauen zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr. Als typisch gilt eine einseitige, schmerzlose, langsam progressive Sehverschlechterung. Klinisch imponiert das Bild einer kompressiven Optikusneuropathie, wobei neben einem relativen afferenten Pupillardefizit (RAPD) funduskopisch eine Papillenschwellung oder aber einer Optikusatrophie sowie retinochoroidalen Shuntgefäßen vorhanden sind. Die Diagnose wird mit neuroradiologischer Bildgebung gestellt. Therapeutisch kann mit einer fraktionierten Bestrahlung der klinische Befund stabilisiert, manchmal auch verbessert werden.
Die Gliome des Sehnervs manifestieren sich meist in der ersten Lebensdekade und treten entweder isoliert oder im Rahmen einer Neurofibromatose Typ 1 (NF1) auf. Ähnlich wie beim OSM steht klinisch eine schmerzlose Sehverschlechterung im Vordergrund, die funduskopisch je nach Lokalisation des Glioms und Diagnosezeitpunkt von einer Papillenschwellung und -abblassung begleitet wird. Die meist vorhandene Protrusio bulbi ist von variabler Ausprägung. Die Diagnose wird neuroradiologisch gestellt. Patient:innen mit Neurofibromatose sollten regelmäßig auf das Vorhandensein eines Sehnervenglioms gescreent werden. Therapeutisch hat sich in den letzten Jahren eine Chemotherapie als Behandlungsoption durchgesetzt.

Optikusscheidenmenigeom

Definition
Das primäre Optikusscheidenmeningeom (OSM) ist ein gutartiger Tumor. Er kann vom Bulbus bis zum Chiasma reichen und bildet sich aus den meningoepithelialen Deckzellen der Arachnoidea, die den Sehnerven im Canalis opticus und in seinem intrakraniellen Verlauf bedecken. Als sekundäre OSM werden Meningeome bezeichnet, die an anderen Abschnitten der Schädelbasis entstehen, z. B. der Sella turcica, dem Keilbeinflügel oder dem Processus clinoideus und sekundär mit ihrem Wachstum auf den Sehnerven übergreifen.
Pathophysiologie und Ursachen
Das primäre Optikusscheidenmeningeom bildet sich aus den meningoepithelialen Deckzellen der Arachnoidea, die den Sehnerven im Canalis opticus und in seinem intrakraniellen Verlauf bedecken. Viele Meningeome, einschließlich des primären OSM exprimieren Östrogen-Progesteron- und Somatistatinrezeptoren, weshalb sie z. B. in der Schwangerschaft einen Wachstumsschub erfahren können.
Epidemiologie, Alter und Geschlecht
Knapp 1 % aller Meningeome, 5–10 % aller Orbitatumoren und knapp ein Drittel aller primären Sehnerventumoren sind primäre Optikusscheidenmeningeome. 90 % aller primären OSM liegen intraorbital, 10 % intrakanalikulär (Douglas et al. 2020). Frauen sind – wie auch bei anderen Meningeomen – häufiger betroffen. Das mittlere Erkrankungsalter ist mit 40–45 Jahren jedoch niedriger als bei anderen Meningeomen. Allerdings kann das primäre OSM in jedem Lebensalter auftreten. Der jüngste Patient in Publikationen mit einem primären OSM war 2 Jahre alt. Das primäre OSM kommt fast immer unilateral vor.
Risikofaktoren
Eine beidseitige Manifestation, ein multifokaler Befall oder aber ein Vorkommen im Kindesalter sollten immer ein Anlass sein, nach einer Neurofibromatose Typ 2 zu fahnden. Andere Systemerkrankungen oder Risikofaktoren für ein OSM sind nicht bekannt (Bosch et al. 2006).
Klinik
Die klinische Symptomatik hängt von der genauen Lage, Größe und Ausdehnung des OSM ab. 90 % aller OSM manifestieren sich im orbitalen Anteil des Sehnervs und führen dort meist zur Symptomatik einer Sehnervenkompression mit einer ausgeprägten Farbensinnstörung und einem relativen afferenten Pupillendefekt. In etwa der Hälfte aller Patient:innen führt die Störung des axoplasmatischen Flusses zu einer Stauungspapille, die andere Hälfte weist eine primäre Abblassung des Sehnervs auf. Der Visus ist je nach Zeitpunkt der Diagnosestellung entweder nur leicht reduziert und beträgt bei 50 % aller Patient:innen 0,5 oder mehr. Das Gesichtsfeld kann jede Art von Ausfall zeigen. Im Gegensatz zum Optikusgliom beobachtet man beim OSM entweder keine oder allenfalls eine milde Protrusio bulbi.
Wichtiger Hinweis
Die als klassisch geltende Trias von progredientem Sehverlust, Optikusatrophie und retinochorioidalen Shuntgefäßen findet man nur bei etwa einem Drittel aller Patient:innen mit OSM.
Die venösen retinochoroidalen Shuntgefäße gelten zwar als typisch für ein OSM, sind jedoch auch bei anderen Ursachen einer chronischen Kompression des Sehnervs (und damit auch der V. centralis retinae) zu finden (wie dem Optikusgliom, dem Keilbeinflügelmeningeom oder bei einer chronischen Stauungspapille). Am häufigsten beobachtet man die retinochoroidalen Shuntgefäße jedoch bei einem Zentralvenenverschluss. Normalerweise fließt das venöse Blut über die V. centralis retinae in den Sinus cavernosus. Bei einem chronischen Verschluss der V. centralis retinae wird das Blut über präformierte Shuntgefäße in die Choroidea und über die Vortexvenen direkt in die V. ophtalmica superior et inferior drainiert.
Als geradezu typisch für das OSM gilt ein langes Intervall von Symptombeginn bis zur Diagnosestellung. In einer kürzlichen Studie (Kahraman-Koytak et al. 2019) wurden retrospektiv 35 Patienten mit OSM ausgewertet. Während nur bei weniger als einem Drittel der Patienten (n = 10) nach weniger als einem Jahr nach Symptombeginn die richtige Diagnose gestellt wurde, dauerte es bei den anderen 25 Patienten im Mittel 5 Jahre. Die häufigste Fehldiagnose war hierbei mit großem Abstand die Optikusneuritis (Kahraman-Koytak et al. 2019).
Diagnostik
Eine neuroradiologische Diagnostik führt fast immer zur richtigen Diagnose. Im Gegensatz zu den Optikusgliomen ist bei den OSM das Tumorgewebe vom Sehnervengewebe gut zu unterscheiden (Abb. 1). Die Aufweitung des Sehnervs/Optikusscheidenkomplexes ist, wie auch eine Erweiterung des Canalis opticus, manchmal besser in der CT zu erkennen. Auch die Tendenz der Calciumaufnahme vieler OSM kann in der CT gut visualisiert werden (Abb. 2). In der MRT sind OSM sowohl in der T1-gewichteten als auch in der T2-gewichteten Aufnahme im Vergleich zu normalem Hirngewebe hypodens oder isodens und zeigen (wie auch die CT) eine deutliche Signalverstärkung bei der Gabe von Kontrastmittel. Diese Signalverstärkung ist ausgeprägter als bei Optikusgliomen. Die hyperdense Signalverstärkung der Meningen, die einen isointensen Sehnerven umgeben, können in axialen Aufnahmen zum sog. „Tram-track-Zeichen, in coronaren Aufnahmen zum sog. Ring- oderDonut-Zeichen führen (Abb. 1). Das „Tram-track“-Zeichen ist bei Calciumaufnahme eines OSM auch gut in der CT zu erkennen (Abb. 2). Manchmal ist die zirkumferentielle Signalverstärkung so ausgeprägt, dass der zentrale, nicht KM-aufnehmende Teil des Sehnervs übersehen wird, was der Fehldiagnose einer Optikusneuritis Vorschub leistet (Kahraman-Koytak et al. 2019). Immer mehr Kliniken sichern die Diagnose eines OSM mit der Durchführung eines DOMITATE- oder DOTATOC-PET-CT (Eckert et al. 2019; Graef et al. 2021). OSM exprimieren (wie auch neuroendokrine Tumoren) Somatostatinrezeptoren. DOMITATE und DOTATOC sind dem Somatostatin ähnliche Substanzen, die in Geweben mit Somatostatinrezeptoren anreichern. Durch Koppelung dieser Substanzen mit einem radioaktiven Tracer (z. B. Gallium) wird in der PET-CT der Tumor sichtbar.
Differenzialdiagnostik
Die zeitnahe richtige Diagnose ist bei OSM deshalb wichtig, weil ein einmal eingetretener Zellverlust irreversibel ist. Insbesondere bei atypischer klinischer Manifestation oder auch falsch interpretierter Bildgebung kommt es häufig zu Diagnoseverzögerungen. Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen zählen andere Tumoren des Sehnervs, insbesondere das im nächsten Abschnitt behandelte Optikusgliom, aber auch entzündliche Sehnervenerkrankungen (einschließlich der Sarkoidose mit Sehnervenbefall).
Therapie
Die Therapieentscheidung sollte – wie bei den meisten Tumoren – interdisziplinär von einem Expertengremium („Tumorboard“) gefällt werden, nachdem die voraussichtliche Progredienz des Funktionsverlustes abgeschätzt wurde. Dies setzt, insbesondere nach Diagnosestellung, eine engmaschige Verlaufskontrolle voraus, auch wenn die meisten Patient:innen mit unbehandeltem OSM langfristig auf der betroffenen Seite erblinden. Meist wird die Empfehlung zu einer systematischen fraktionierten Bestrahlung gegeben, bei der eine Gesamtdosis von etwas mehr als 50 Gy in mehreren Sitzungen (meist > 20 Sitzungen) appliziert wird (Rogers et al. 2015; Ratnayake et al. 2019; Pandit et al. 2019). Eine Variante der stereotaktischen fraktionierten Radiotherapie, bei der im Bestrahlungsfeld eine einheitliche Strahlungsdosis appliziert wird, ist die sog. intensitätsmodulierte Radiotherapie. Die Bestrahlungsintensität wird hier im Bestrahlungsfeld verändert und z. B. an der Grenze zu kritischen Strukturen wie der Bulbuswand reduziert. Diese Art der Strahlenapplikation soll schonender sein und zu weniger Strahlennebenwirkungen bei gleicher Effektivität führen (Sasano et al. 2019; Inoue et al. 2019). Schließlich wird bei einigen Patient:innen auch die radiochirurgische Therapie angewendet, bei der in einer einzigen Sitzung um die 50 Gy appliziert werden. Die Bestrahlung kann entweder zu einer Befundstabilisierung, zu einer Befundbesserung (Visus und/oder Gesichtsfeld) oder zur weiteren Befundverschlechterung führen. In der Studie von Raytnake et al. (Ratnayake et al. 2019) waren die funktionellen Ergebnisse positiv mit dem Ausgangsvisus korreliert. Die häufigsten Nebenwirkungen einer Strahlenbehandlung sind das Sicca-Syndrom, die strahleninduzierte Katarakt, eine Strahlenretinopathie sowie eine strahleninduzierte Neuropathie des Sehnervs. Während die Strahlenretinopathie mit Anti-VEGF-Substanzen günstig beeinflusst werden kann, gibt es für die strahlenbedingte Optikusneuropathie noch keine allgemeine Empfehlung, auch wenn in Studien die systemische Gabe von Steroiden, eine hyperbare Sauerstofftherapie oder die Gabe von Bevazicumab empfohlen werden (Carey et al. 2022).
Die operative Behandlung war viele Jahre kontraindiziert, da eine Tumorentfernung ohne gleichzeitige Entfernung der pialen nutritiven Gefäße des N. opticus nicht möglich ist. In letzter Zeit wurde mehrfach eine endonasale Dekompression des Canalis opticus als erfolgreiche Methode vorgestellt (Maza et al. 2019; Zoia et al. 2018), um die druckbedingte Schädigung des Sehnervs durch ein intrakanalikulär wachsendes OSM zu reduzieren.
In Zukunft werden eventuell der Einsatz von Farnesol (Zeng et al. 2019) und Diogenin (Zhu et al. 2019) das Spektrum der Therapiemöglichkeiten erweitern.
Verlauf und Prognose
Bei adäquater Behandlung kann bei vielen OSM eine Befundstabilisierung oder gar eine Verbesserung erreicht werden.
Klinischer Tipp
OSM können wie andere Meningeome auch im letzten Schwangerschaftsdrittel ein rasches Wachstum erfahren und nicht selten erst während der Schwangerschaft manifest werden, wobei sie sich mit einer eher akuten Visusreduktion manifestieren können. Die Farbensinnstörung und ein RAPD führen dann häufiger zur Fehldiagnose einer Optikusneuritis. Die nach Entbindung und Steroidgabe beobachtete Funktionsverbesserung erhärtet die falsche Diagnose. Das Fehlen der bei Neuritis nervi optici typischen Missempfindungen bzw. Schmerzen und eine kritische Wertung der MRT (die nach Entbindung mit einer CT ergänzt werden kann) schützten vor einer Fehldiagnose.
Zusammenfassung
Das OSM ist eine seltene Erkrankung, von der hauptsächlich Frauen zwischen 45 und 55 Jahren betroffen sind. Eine langsam progrediente Sehverschlechterung mit einer eher geringen oder fehlenden Protrusio bulbi ist typisch. Funduskopisch fällt eine Papillenschwellung oder -ablassung auf. Die als typisch geltenden retinochoroidalen venösen Shuntgefäße sind nur bei einem Drittel aller Patient:innen zu sehen. Eine fraktionierte Bestrahlung von ca. 50 Gy in mindestens 20 Sitzungen stabilisiert bei vielen Patient:innen die Funktion.

Gliom des Sehnervs

Definition
Gliome sind Tumoren des Nervenstützgewebes. Bei den Gliomen der Sehnerven handelt es sich histologisch i. d. R. um gutartige Tumore, sog. pilozytische Astrozytome (WHO-Grad I).
Pathophysiologie und Ursachen
Die Tumorentstehung bei Patient:innen mit Neurofibromatose Typ 1 (NF1) ist mit einer Mutation des NF1-Gens auf dem langen Arm des Chromosoms 17 (17q11.2) assoziiert. Das Genprodukt dieses Gens, das Neurofibromin, spielt bei der Tumorsuppression und Zell-Zyklus-Regulierung eine besondere Rolle und weist im ZNS eine hohe Expression auf.
Epidemiologie, Alter und Geschlecht
Gliome des Sehnervs repräsentieren etwa 1 % aller Hirntumoren und 7 % aller Gliome. Im Kindesalter sind Gliome für 2–5 % aller Hirntumoren verantwortlich. Rund ein Viertel aller Gliome der Sehbahn sind auf den Sehnerven beschränkt. Sie manifestieren sich zu 70 % während der ersten Lebensdekade. 90 % werden bis zum 20. Lebensjahr manifest. Die Hälfte aller Sehbahngliome sind auf die Orbita beschränkt, die andere Hälfte zeigt ein intrakranielles Wachstum. Etwa ein Drittel aller Patient:innen mit einem Optikusgliom sind von einer Neurofibromatose Typ 1 betroffen, umgekehrt erkranken ca. 15–20 % aller Patient:innen mit Neurofibromatse Typ 1 an einem Optikusgliom, das jedoch lediglich bei der Hälfte der Patient:innen zu einer klinischen Symptomatik führt (de Blank et al. 2017).
Risikofaktoren
Der größte Risikofaktor ist das Vorhandensein eine Neurofibromatose Typ 1 (s. o.).
Klinik
Die Klinik der Optikusgliome hängt von der genauen Lokalisation im Bereich der Sehbahn bzw. des Sehnervs ab. Bei den Gliomen der vorderen Sehbahn ist eine Protrusio bulbi häufig das erste Zeichen, das von den Eltern bemerkt wird. Diese ist meist sehr viel ausgeprägter als bei Optikusscheidenmeningeomen. Hinzu können Symptome einer kompressiven Optikusneuropathie mit variablem Funktionsverlust kommen. Ein durch die Tumorgröße mechanisch bedingter sekundärer Strabismus führt nur manchmal zur Doppelbildwahrnehmung. In seltenen Fällen kann ein unilateraler Nystagmus erstes klinisches Zeichen eines Optikusglioms sein (Ertiaei et al. 2016). Bei diesem durch Kompression des Sehnervs verursachten sog. Heimann-Bielschowsky-Phänomen handelt es sich um einen einseitigen, vertikalen Nystagmus niedriger Frequenz und variabler Amplitude. Da häufig Kinder von Optikusgliomen betroffen sind, führen eher die beschriebenen sichtbaren Zeichen und weniger die Symptome einer Visusreduktion oder eines Gesichtsfeldverlustes zum Augenarzt.
Diagnostik
Bei der Diagnostik unterscheidet man zwischen Patient:innen mit bekannter NF1, die regelmäßig gescreent werden sollten, von den Patient:innen mit sporadischem Optikusgliom, bei denen eine Diagnose erst nach Auftreten klinischer Symptome oder im Rahmen eines Zufallsbefundes gestellt wird. Die Empfehlungen, in welchem zeitlichen Abstand bei bekannter NF1 eine Untersuchung durch den Augenarzt erfolgen sollte und ob bei fehlenden Symptomen die Durchführung einer MRT der Sehbahn sinnvoll ist, sind nicht einheitlich. Als Konsens gilt die Empfehlung, bei bekannter NF1 eine mindestens einmal jährliche ophthalmologische Untersuchung bis zum 8. Lebensjahr (Listernick 2007). Einige bekannte Zentren untersuchen insbesondere Kleinkinder alle 6 Monate (Heidary 2016). Ab dem 8. Lebensjahr gilt die Empfehlung von mindestens zweijährlich stattfindenden augenärztlichen Kontrollen, wobei auch einige Zentren Kinder mit bekannter NF1 mindestens einmal jährlich untersuchen. Neben der Bestimmung von Visus, Gesichtsfeld, Pupillomotorik, Farbensinn und Fundus, ist eine OCT-Untersuchung mit Messung der peripapillären Nervenfaserschichtdicke und des Makulavolumens der Ganglienzellschicht hilfreich (Parrozzani et al. 2013; Topcu-Yilmaz et al. 2014; Avery et al. 2015; Zahavi et al. 2018). Bei Kindern mit bekannter NF1, bei denen der Verdacht auf eine Visusbeinträchtigung besteht und die klinisch schwer zu untersuchen sind, sollte eine MRT zum Ausschluss eines Opikusglioms erfolgen, genauso wie bei allen Kindern, bei denen funduskopisch eine Papillenschwellung oder Abblassung imponiert. „Routine-MRT’s“ bei Kindern mit bekannter NF1-Erkrankung ohne klinischen Hinweis auf eine Sehstörung oder Augenhintergrundveränderungen sind genauso wenig indiziert wie „Routine VEP’s“.
Ist bei einem Kind mit bekannter NF1 ein Optikusgliom diagnostiziert worden, gilt es zunächst, eine Vorstellung über eine mögliche Progredienz des Tumorwachstums zu bekommen, weshalb Verlaufskontrollen in dreimonatigem Abstand erfolgen.
Bei klinisch manifestem Optikusgliom weisen nahezu alle Patient:innen eine Farbsinnstörung und ein afferentes Pupillendefizit auf. Letzteres kann bei beidseitiger, annähernd symmetrischer Manifestation fehlen. 90 % aller Patient:innen mit Optikusgliom weisen eine Visusreduktion sowie einen sehr variablen Gesichtsfelddefekt auf (Ertiaei et al. 2016). Der Fundusbefund zeigt je nach Tumorlokalisation und -ausdehnung entweder eine Papillenschwellung oder -abblassung.
Die endgültige Diagnose wird neuroradiologisch gestellt. Bei Kindern sollte, insbesondere bei (Verdacht auf) Neurofibromatose Typ 1, wegen einer Strahlenbelastung auf eine CT verzichtet werden. Die MRT-Untersuchung sollte koronare und axiale dünngeschichtete T1-gewichtete sowie fettunterdrückte T2-gewichtete Sequenzen beinhalten, außerdem T1-gewichtete Sequenzen nach Gabe von Gadolinium sowie FLAIR-Aufnahmen. In der MRT sind Gliome in der T1-gewichteten Aufnahme gegenüber normalem Hirngewebe iso- oder hypodens, in der T2-gewichteten Aufnahme hyper- bis hypointens. Während die zystischen Anteile eines Optikusglioms sich in der MRT stärker von normalem Hirngewebe abgrenzen als die soliden Anteile, zeigen letztere eine ausgeprägtere Signalverstärkung nach der Gabe von Kontrastmitteln. Insgesamt ist die Signalverstärkung bei Optikusgliomen jedoch weniger ausgeprägt als bei primären Optikusscheidenmeningeomen. Typisch für Optikusgliome, die meist aus einem zystischen und soliden Anteil bestehen, ist eine fusiforme Auftreibung des Sehnervs (Abb. 3 und 4). Neben der fusiformen Auftreibung gilt als typischer, jedoch viel seltenerer, neuroradiologischer Befund das sog. „Kinking“, einem Abknicken des Sehnervs an der Grenze von Tumorgewebe und normalem Sehnervengewebe. Nicht immer ist die Diagnose eines Optikusgliom zweifelsfrei zu stellen. In atypischen Fällen wird insbesondere bei blinden Augen eine Biopsie zur Diagnosesicherung empfohlen. Gliome unterliegen allerdings in ihrem Randbereich einer sog. Menigoepithelialisierung, die bei zu peripherer Biopsieentnahme zu einer falschen Diagnose eines OSM führen können.
Differenzialdiagnostik
Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen zählen das Optikusscheidenmeningeom, eine Sarkoidose des Sehnervs sowie eine leukämische Infiltration. In der Regel ist die Diagnosestellung neuroradiologisch möglich.
Therapie
Ob überhaupt therapiert wird, sollte im Konsens von einem Expertengremium („Tumorboard“) festgelegt werden. In der Regel entscheidet man sich bei eindeutiger Befundprogredienz, bei fortgeschrittenen Stadien oder bei drohender Chiasmabeteiligung zu einer Therapie, bei der eine Chemotherapie mit einer Kombination von Vincristin und Carboplatin erste Wahl ist. Procarbazin und Etoposid sind mit einem erhöhten Auftreten von Leukämien assoziiert, weshalb diese Substanzen bei NF1-Patient:innen kontraindiziert sind (die ohnehin schon ein erhöhtes Leukämierisiko aufweisen). Obwohl Optikusgliome sehr strahlensensibel sind, ist eine Bestrahlung insbesondere von NF1-assoziierten Gliomen wegen der Nebenwirkungen kontraindiziert. Gefürchtete Komplikationen sind neben neurokognitiven Störungen, Zweitneoplasien, endokrinen Störungen auch eine maligne Transformation des Glioms. Eine Bestrahlung ist heute lediglich als Ultima Ratio bei therapierefraktären Gliomen und älteren Kindern oder Erwachsenen in Erwägung zu ziehen, wenn andere therapeutische Maßnahmen nicht greifen. Bei einer chirurgischen Therapie besteht immer ein Erblindungsrisiko. Ein sog. „Debulking“ erfolgt bei ausgeprägter Protrusio, wenn ästhetische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen und das Auge erblindet ist.
Als weitere neuere Therapieansätze gelten neben einer Behandlung mit dem VEGF-Inhibitor Bevacizumab (Gorsi et al. 2018; Zhukova et al. 2019) der molekulare Therapieansatz mit MAP/ERK/MEK-Signalweg-Inhibitoren bei NF1-assoziierten Optikusgliomen (Banerjee et al. 2017).
Verlauf und Prognose
Das individuelle Wachstum eines Glioms des Sehnervs ist nicht vorhersagbar. Mehrere Arbeiten assoziieren NF1-assoziierte Gliome mit einer besseren funktionellen Prognose als sporadisch auftretende Gliome (Falzon et al. 2018; Czyzyk et al. 2003), andere sehen in der früheren Diagnose der NF1-assoziierten Gliome im Rahmen des systematischen Screenings gegenüber sporadischen Gliomen den Grund für diese Beobachtung. Viele NF1-assoziierte Gliome des Sehnervs zeigen nach dem 12. Lebensjahr kein oder nur noch ein minimales Wachstum. Die Kriterien, ab wann von einer Befundprogression gesprochen werden kann, sind nicht einheitlich. Eine alleinige Größenzunahme des Glioms in der MRT wird von den meisten als nicht ausreichend angesehen. Von einer klinischen Befundprogression spricht man, wenn der Visus sich um mindestens 0,2 logMAR verschlechtert oder bei kleineren Kindern eindeutig eine Abnahme des Visus um zwei Zeilen im LEA-Test, HOTV-Test oder der Snellen-Sehschärfe vorliegt. Eine Abnahme der peripapillären Nervenfaserschichtdicke kann den klinischen Befund ergänzen (Parrozzani et al. 2013; Topcu-Yilmaz et al. 2014; Avery et al. 2015; Zahavi et al. 2018). Die Ergebnisse einer Gesichtsfelduntersuchung sind häufig so variabel, dass sie bei der Entscheidung zwischen weiterer Beobachtung und Therapie häufig unbrauchbar sind.
Zusammenfassung
Gliome des Sehnervs sind Erkrankungen des Kindes und Jugendalters und kommen bei NF1-gehäuft vor. Ihr Verhalten unterliegt einer großen Variabilität, ihr potenzielles Wachstum ist schwer vorhersagbar. Die Entscheidung, ob therapiert wird, sollte immer von einem Expertengremium gefällt werden. Bei der Beurteilung, ob eine Befundprogression vorliegt, spielt neben klinischen Parametern die OCT eine immer größere Rolle. Entscheidet man sich zu einer Therapie, ist die Chemotherapie mit Vincristin/Carboplatin erste Wahl. Molekulare Behandlungsansätze mit MEK-Inhibitoren und Bevacizumab werden möglicherweise das therapeutische Vorgehen ändern. Kinder mit bekannter NF1 sollten regelmäßig (mindestens 1–2-mal jährlich) klinisch gescreent werden. Bei bekanntem Optikusgliom sollte zunächst alle 3 Monate, bei mindestens zweijähriger Befundstabilität alle 6 Monate eine ophthalmologische Untersuchung erfolgen.
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