Die Durchblutung des Uterus beträgt am Termin 600–800 ml/min. Daher ist z. B. bei einer Uterusatonie ein hämodynamisch relevanter Blutverlust innerhalb kürzester Zeit möglich.
Pathophysiologie
Als Folge der Zunahme von Plasma- und
Erythrozytenvolumen resultiert in der Schwangerschaft eine Steigerung des zirkulierenden
Blutvolumens um ca. 37 % (1,5–2 l).
Dieser „protektiven Hypervolämie
“, verstärkt durch die hämodynamisch relevante postpartale Umverteilung des
Blutvolumens aus dem uteroplazentaren Strombett in die mütterliche Zirkulation, steht der Blutverlust unter der Geburt gegenüber. Solange die von Patientin zu Patientin unterschiedliche physiologische
Pufferkapazität ausreicht, bleibt der Zustand der Mutter kompensiert und hämodynamisch stabil, kann aber für den Geburtshelfer plötzlich und unerwartet in einen dekompensierten Zustand übergehen mit hämorrhagischem Schock und nachfolgender Koagulopathie. Dabei führt die Substitution großer Blutverluste mit
kristalloiden Lösungen sowie Erythrozytenkonzentraten zu einer Verdünnung mit Abfall aller
Gerinnungsfaktoren.
Aufgrund der physiologischen
Pufferkapazität bleibt eine gesunde normovolämische Schwangere bis zu einem Blutverlust
von 1000–1200 ml meist klinisch unauffällig und kann vorübergehend sogar einen Blutverlust bis 1500 ml ohne eindeutige Zeichen hämodynamischer Instabilität tolerieren (Mori et al.
2021). Bei einem kontinuierlichen Blutverlust > 1500 ml besteht jedoch ein signifikant erhöhtes Risiko für einen schweren hämorrhagischen Schock. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist daher nicht nur das Volumen des Blutverlustes, sondern auch dessen Dynamik. Das sollte vor allem vor dem Hintergrund bedacht werden, dass ein Blutverlust von 1000–1500 ml innerhalb von 10 min. nach der Geburt entstehen kann.
Dem Anstieg der Herzfrequenz über die physiologische Sinustachykardie hinaus folgt ein systolischer Blutdruckabfall. So ist bei Unterschreiten von 90 mmHg systolisch oder 30 % des Ausgangswertes mit einem Verlust des
Blutvolumens von 25–35 % zu rechnen. Der diastolische Blutdruck kann infolge einer Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstandes (Vasokonstriktion) über längere Zeit konstant bleiben. Mit einer
Oligurie ist spätestens bei einem Blutverlust von 1,5–2 l zu rechnen, mit einer
Anurie ab einem Blutverlust von > 2 l.
Klinisches Vorgehen und Diagnostik
(Übersichten bei Kadir und Davies
2013 sowie Lier und Rath
2011)
Ziel des klinischen Vorgehens ist immer die Vermeidung des Volumenmangelschocks und einer durch Verlust und Verdünnung entstehenden Koagulopathie durch folgende Maßnahmen (Lier und Rath
2011):
Visuell wird der Blutverlust um 33–75 % bei vaginaler Geburt und bei der Sectio (selbst bei Messung) um ca. 20 % unterschätzt, insbesondere durch unerkannte Blutverluste in Tücher, Laken und auf dem Fußboden. Dabei gilt: Je höher der Blutverlust ist, desto größer ist das Ausmaß der visuellen Unterschätzung. Wichtig ist deshalb das Trainieren der visuellen Beurteilung des Blutverlustes z. B. durch bildliche Algorithmen, die im Kreißsaal verfügbar sein sollten, oder durch Simulationstraining.
-
Rasche Diagnosestellung und
Beseitigung der Blutungsursache: Medikamentös und/oder chirurgisch: u. a. rechtzeitige Applikation von Uterotonika
(Oxytocin/
Prostaglandine) bei Uterusatonie
, unverzügliche chirurgische Versorgung von geburtstraumatischen Verletzungen.
-
Logistische Maßnahmen:
Frühzeitige Information anderer benötigter Fachdisziplinen: Ruf nach kompetenter Hilfe (erfahrener Geburtshelfer, dann Anästhesist) möglichst innerhalb von 10 min nach Diagnose der postpartalen Blutung und bei Persistenz der Blutung (multidisziplinäres Team).
Kontrolle der Vitalparameter (Blutdruck, Puls, Urinausscheidung).
Rechtzeitig Erythrozytenkonzentrate, u. U. Thrombozytenkonzentrate und gefrorenes Frischplasma bestellen, Antifibrinolytika (Tranexamsäure) und
Gerinnungsfaktorkonzentrate (vor allem Fibrinogenkonzentrat) im Kreißsaal bereithalten!
Voraussetzungen für rasche operative Intervention schaffen (manuelle Plazentalösung, Nachkürettage, Uteruskompressionsnähte, Hysterektomie)
Die Zielwerte für die Substitution von
Erythrozyten,
Thrombozyten und
Gerinnungsfaktoren bei akuter und anhaltender Blutung sind in Tab.
2 dargestellt (AWMF-Leitlinie 015/063).
Tab. 2
Zielwerte für die Substitution von Erythrozyten, Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren bei akuter und anhaltender Blutung (AWMF-Leitlinie 015/063)
| Bei massiver Blutung: Hämoglobinkonzentration von 7–9 g/dl (4,3–5,5 mmol/l) | Im Notfall: 2–4 EK |
Thrombozytenzahl | Bei transfusionspflichtiger Blutung: ≥ 100 G/l | |
Faktor XIII* | > 60 % | Faktorenkonzentrat 1250 E |
| ≥ 2 g/l | Fibrinogenkonzentrat 2–4 g intravenös Gefrorenes Frischplasma > 20–30 ml/kgKG |
Rahmenbedingungen beachten: | Körpertemperatur > 34 °C |
Ionisiertes Ca2+ > 0,9 mmol/l |
pH-Wert > 7,2 |
Diese Transfusionsempfehlungen basieren nicht auf Studien, die bei Schwangeren mit postpartaler Blutung durchgeführt wurden. In Terminnähe liegt die Fibrinogenkonzentration mit 3,5–9 g/l (im Mittel 4,8 g/l) deutlich über den Konzentrationen bei Nichtschwangeren (1,5–4 g/l) (Szecsi und Jorgensen
2010). Ab einer Fibrinogenkonzentration von 0,75 g/l beginnt bei suffizienter Stimulation die Bildung des stabilen Blutgerinnsels und ist unter In-vitro-Bedingungen (optimierte Rahmenbedingungen, kein FXIII-Verlust) bei gesunden, Nichtschwangeren bei einer Konzentration von 2–2,5 g/l optimal (Bollinger et al.
2009).
Der negative prädiktive Wert für eine schwere postpartale Blutung lag nach einer prospektiven Studie bei einer Fibrinogenkonzentration > 5 g/l bei 79 %, der positive prädiktive Wert einer Fibrinogenkonzentration < 2 g/l bei 100 % (Charbit et al.
2007). Allerdings konnte die präventive Gabe von Fibrinogenkonzentraten in den bisherigen randomisierten kontrollierten Studien (mit oder ohne Steuerung durch
viskoelastische Testverfahren) bei Schwangeren mit schwerer postpartaler Blutung keine signifikante Verbesserung des Outcomes zeigen (Collins et al.
2017; Ducloy-Bouthors et al.
2021).
Des Weiteren legt die größte bisher verfügbare prospektive Studie zur Pathophysiologie der
Hämostase bei PPH nahe, dass insbesondere die Einschränkung der Bildung eines stabilen Gerinnsels das entscheidende Problem darstellt. Dabei ist weniger die Fibrinogenkonzentration allein, sondern vor allem die verfügbare Quervernetzungskapazität (als FXIII
) relevant (Haslinger et al.
2020).
In Ergänzung zu den globalen Gerinnungstests werden daher zunehmend
viskoelastische Testverfahren im
Vollblut als neue Point-of-care-Methode
für die Beurteilung der Gerinnselfestigkeit eingesetzt (z. B.ROTEM, TEG), zu denen auch Untersuchungen bei
postpartalen Blutungen und Gerinnungsstörungen vorliegen (Solomon et al.
2012; de Lange et al.
2012).
Der große Vorteil liegt in der raschen Verfügbarkeit dieser Globalverfahren, was eine zeitnahe Einschätzung der Situation als Grundlage für eine Therapieentscheidung (insbesondere Gabe von
Gerinnungsfaktoren,
Thrombozyten) erlaubt. Konventionelle Labortests benötigen i. A. 30–60 min. und sind daher in der Akutsituation wenig hilfreich.
Häufige klinische Probleme, wie die Wirkung von
Thrombozytenaggregationshemmern oder das Vorliegen eines
von-Willebrand-Syndroms, können mit den klassischen
viskoelastischen Testverfahren allerdings nicht detektiert werden. Hierzu sind andere Analysen (z. B. Thrombozytenfunktionstests) erforderlich. In diesen Fällen ist eine Abstimmung zwischen Geburtshilfe und Labor im Sinne eines Algorithmus hilfreich, um im Notfall Zeit zu sparen.
Mit der Point-of-care-Analytik können die Auswirkungen der Verlust- und
Verdünnungskoagulopathie zeitnah erkannt und das Vorliegen einer (ausgeprägten)
Hyperfibrinolyse schnell erfasst werden. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Therapie der Gerinnungsstörung.
Therapie
Entscheidend für das Ausmaß der Hämostasestörung und für die Prognose ist die rechtzeitige Beseitigung der Krankheitsursache (z. B. durch Entbindung bei schwerer
vorzeitiger Plazentalösung). Bei persistierender Blutung sollte auf ein konsequentes Procedere geachtet werden (Lier und Rath
2011).
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Adäquate Volumenzufuhr
mit vorgewärmten
kristalloiden Lösungen: initial z. B. 1500 ml Ringerlaktat bei Blutverlust > 1000 ml oder Zeichen der hämodynamischen Instabilität.
Volumenmangelschock
, Mikrozirkulationsstörungen und Minderperfusion der Organe können Gerinnungsstörungen im Sinne einer DIC verstärken. Ein protrahierter
Volumenmangel (protrahierter Schockzustand) sollte im Hinblick auf die mütterliche Morbidität und Mortalität daher immer vermieden werden!
Ein Blutverlust von 20–30 % des
Blutvolumens (≥ 1,2–1,5 l) erfordert die rasche Gabe von Erythrozytenkonzentraten und gefrorenem Frischplasma (GFP):
> 20–30 ml/kgKG, bei vital bedrohlichen Blutungen in einem Verhältnis von 1:1. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die aktuelle Querschnittsleitlinie der
Bundesärztekammer (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten (Gesamtnovelle 2020).
Hilfreich ist die vorbereitende interdisziplinäre Klärung, ob durch den Einsatz von lyophilisiertem
Plasma eine Zeitverzögerung vermieden bzw. reduziert werden kann. Eine Kontrolle der Hämostaseparameter sollte in der akuten (Blutungs-) Situation regelmäßig (ca. alle 30 min.) erfolgen, in der nicht akuten (aber noch ungeklärten) Situation alle 4–6 Std.
Gefrorenes Frischplasma muss aufgetaut werden (Zeitverlust: 30–45 min). daher ist eine vorherige Klärung sinnvoll, ob lyophilisiertes
Plasma verwendet werden kann.
Damit können möglicherweise die Dynamik des weiteren, potenziell schweren Verlaufs reduziert und das Sicherheitsprofil der Tranexamsäure verbessert werden (Brenner et al.
2019).
Zeigt sich, dass in Kombination mit anderen parallel zu beginnenden medikamentösen (Uterotonika), mechanischen (Uterustamponade) bzw. operativen (z. B. Uteruskompressionsnähte) Maßnahmen die Blutung nicht kontrolliert werden kann, ist unverzüglich eine weitergehend hämostatische Therapie einzuleiten.
Bei der Verwendung von GFP sind hohe Transfusionsvolumina (> 20–30 ml/kgKG) erforderlich, um einen signifikanten Anstieg der Spiegel an
Gerinnungsfaktoren zu erreichen. Damit besteht die Gefahr der Volumenüberlastung und des Lungenödems bei diesen Risikopatientinnen!
Ein TRALI (Transfusion-Related Acute Lung Injury) kommt bei 1/2000–5000 transfundierten Einheiten GFP, insbesondere bei Schwangeren mit kardialen und hämatologischen Grunderkrankungen, vor.
Die Volumenüberlastung (TACO: Transfusion-Associated Circulatory Overload) kann vermindert werden, indem
Gerinnungsfaktorkonzentrate zur hämostatischen Therapie eingesetzt werden. Transfusionsbedingte Komplikationen sind sehr selten, die Sicherheit von Faktorenkonzentraten ist infolge einer Virusinaktivierung hoch.
Es sollte darauf geachtet werden, dass der Fibrinogenspiegel nicht unter 2 g/l absinkt. Auch wenn über den genauen
Cut-off-Wert bisher keine Klarheit besteht (Cortet et al.
2012), ist nach bisherigem Wissensstand davon auszugehen, dass die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufes bei Fibrinogenspiegeln unterhalb von 2 g/l um das bis zu 12-fache erhöht ist (Charbit et al.
2007).
Bisher wurde der Bildung eines stabilen Fibringerinnsels zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Auch nach Korrektur der vorliegenden Fibrinogenkonzentrationen ist die präpartale FXIII-Aktivität der wichtigste prädiktive Parameter für den späteren Blutverlust (Haslinger et al.
2020). Dies trifft im Allgemeinen bei operativen Settings zusammen mit der Thrombozytenzahl auch für die Prädiktion der Gerinnselfestigkeit mittels
viskoelastischer Testverfahren (Rotationsthromboelastometrie, ROTEM
, von Rappard et al.
2017) und den intraoperativen Transfusionsbedarf zu (Listyo et al.
2020). Daraus leitet sich ab, vor der Gabe von mehr Substrat (
Fibrinogen) zunächst die Quervernetzung durch adäquate Verfügbarkeit von FXIII (FXIII im Normbereich mind. > 60 %) sicherzustellen. Allerdings steht die FXIII-Bestimmung in den meisten Laboren noch nicht zur Verfügung. Ob ein (nicht spezifizierter) Faktorenmangel vorliegt, kann aber mittels ROTEM-Diagnostik frühzeitig erkannt und dann, der Epidemiologie folgend, FXIII in der akuten Blutungssituation substituiert werden.
Außerdem stellt eine Thrombozytopenie < 75 G/l bei einer persistierenden Blutung und der Notwendigkeit zur Erythrozytensubstitution oder zur operativen Intervention eine zwingende Indikation zur Gabe von
Thrombozyten dar. Bei transfusionspflichtiger Blutung sollte ein Wert von 100 G/l angestrebt werden (AWMF 015/063).
In einer akuten Blutungssituation sollten keinerlei antithrombotische Substanzen (z. B. Heparin) verabreicht werden, da a priori von einer erhöhten Blutungsgefahr auszugehen ist (Blutungsverstärkung!).
Bei fortbestehender Blutung und nach Ausschöpfen aller chirurgischen und die
Hämostase stabilisierenden Maßnahmen kann die intravenöse Applikation von
rekombinantem FVIIa (rFVIIa) mit 90 μg/kgKG als probatorische Therapie erwogen werden (Off-Label-Use), möglichst vor einer geplanten Hysterektomie. rFVIIa bindet an den
Tissue factor mit der Folge der Aktivierung von FX und einem konsekutiven Thrombin-Burst
Aus Fallserien geht hervor, dass die Anwendung von rFVIIa in durchschnittlich 85 % d. F. zu einem Sistieren oder einer klinisch nachweisbaren Reduktion der Blutung und bei ca. 60 % zu einem Erhalt des Uterus führen kann (Übersicht bei Rath
2012).
Die rasche Verfügbarkeit von Blutbild und Gerinnungslabor sowie von Erythrozytenkonzentraten und gefrorenem Frischplasma ist heute unverzichtbare Voraussetzung für jede geburtshilfliche Tätigkeit.
Schwangere mit hohem peripartalem Blutverlust, erschwerter Plazentalösung und ausgedehnten geburtstraumatischen Verletzungen sind hinsichtlich thromboembolischer
Komplikationen im
Wochenbett besonders gefährdet. Bei Blutverlust > 1000 ml mit chirurgischer Intervention und/oder Notwendigkeit zur Gabe von Erythrozytenkonzentraten ist mit einem bis zu 12-fach hohem Risiko für thromboembolische Komplikationen post partum zu rechnen (Übersicht bei Rath et al.
2016). Daher empfiehlt sich nach Stabilisierung der Gerinnungssituation (adäquate lokale
Hämostase und Normalisierung der Laborparameter) der Beginn einer medikamentösen Thromboseprophylaxe. Diese Beurteilung sollte 6 Std. post interventionem ein 1. Mal erfolgen. Ist eine medikamentöse Thromboseprophylaxe
zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, sollte bis zu deren Beginn eine physikalische Thromboseprophylaxe (z. B. pneumatische Kompression) durchgeführt werden.