Epidemiologie und Ätiologie
Als
akute Zystitis wird die symptomatische bakterielle Besiedlung des normalerweise sterilen
Urins in der Harnblase bezeichnet. Erleidet eine Frau 2-mal in 6 Monaten oder 3-mal in 12 Monaten eine Infektion der Blase sind die Kriterien für die Diagnose einer
chronischen Zystitis erfüllt.
Die unkomplizierte Zystitis ist die häufigste bakterielle Infektion in der ambulanten Patientenversorgung. Frauen erleiden etwa 80 % aller Harnwegsinfekte, Männer nur etwa 20 %. Die Hälfte aller Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens an mindestens einem Harnwegsinfekt, ein Drittel aller Frauen erkranken an einem antibiotisch behandlungsbedürftigen Harnwegsinfekt bis zum Alter von 24 Jahren.
Unkompliziert bedeutet die Erkrankung betrifft eine Frau. Sobald ein Kind oder ein Mann betroffen sind oder die Infektion mit funktionellen oder anatomischen Besonderheiten, Begleiterkrankungen mit Immunsuppression,
Diabetes, Erkrankungen des urologischen Systems, Schwangerschaft, Konkrementen oder urinführenden Kathetern vergesellschaftet ist, wird die Infektion als
komplizierter Harnwegsinfekt klassifiziert (Silverman et al.
2013; Schmiemann et al.
2010).
Der mit etwa 85 % am häufigsten vorkommende
Erreger ist das darmständige Bakterium
Escherichia coli. Andere seltener vorkommende Erreger sind Staphylococcus saprophyticus, Vertreter der Klebsiella-Spezies, Proteus mirabilis und Vertreter der Enterococcus-Spezies.
Harnwegsinfekte der Frau entstehen hauptsächlich
aszendierend. Die Keimflora des Rektums besiedelt das Perineum sowie den Vaginalbereich und aszendiert anschließend über die kurze Harnröhre in die Blase (Yamamoto et al.
1997). Deutlich seltener sind hämatogene Infektionen, meist verursacht durch spezielle Erreger wie Staphylococcus aureus, Mycobacterium tuberculosis, Vertreter der Salmonella-Spezies oder Vertreter der Candida-Spezies. Weiterhin möglich sind lymphogene Infektionen oder Infektionen per continuitatem bei Entzündungen der benachbarten Organe oder Strukturen.
Patienten mit chronischer Zystitis haben, trotz nachgewiesener Eradikation der Keime mittels
Urinkultur, eine Chance von etwa 45 % innerhalb von 12 Monaten erneut einen Harnwegsinfekt zu erleiden (Barber et al.
2013). Mögliche Erklärungen dieser hohen Reinfektionsrate sind zum einen ständige erneute extrinsische Infektionen, zum anderen die Möglichkeit, dass bestimmte
Bakterien (z. B. uropathogene
Escherichia coli, UPEC) in die Zellen der Blasenmukosa eindringen, sich intrazellulär vermehren und bei Abstoßung dieser Zellen erneut in den
Urin gelangen. Durch diesen Mechanismus erklären sich auch Reinfektionen mit dem gleichen Keim nach längeren Zeiten, trotz nachgewiesener vorheriger Eradikation des Bakteriums.
Klinik
Typische Beschwerden eines Harnwegsinfektes sind
-
Schmerzen bei der Miktion ( Dysurie),
-
häufige Miktion mit kleinen Portionen ( Pollakisurie),
-
eine Drangsymptomatik bis hin zur Inkontinenz sowie
-
ein retropubischer Schmerz.
In schweren Fällen kann geröteter oder dunkler
Urin im Sinne einer Makrohämaturie vorhanden sein (
hämorrhagische Zystitis). Sind sehr viele
Leukozyten im Urin vorhanden, stellt sich dieser flockig bis hin zu eitrig dar (
Pyozystis).
Diagnostik
Eine
Anamnese mit den zuvor genannten Symptomen und die
körperliche Untersuchung mit eventuell druckschmerzhaftem Abdomen sollten durch eine Urindiagnostik komplettiert werden. Genutzt werden sollte
Mittelstrahlurin, das Genitale zuvor desinfiziert werden.
Im
Urinstatus finden sich zumeist Nitrit,
Bakterien,
Leukozyten und gegebenenfalls auch
Erythrozyten. Bei unkomplizierten, nicht rezidivierenden Harnwegsinfekten ist diese Diagnostik mit einer
Sensitivität von bis zu 80 % ausreichend. Bei allen anderen Patienten sollte eine, möglichst steril gewonnene,
Urinkultur angelegt werden, welche den
Goldstandard der Harnwegsinfektdiagnostik
darstellt. Die Gewinnung von
Urin erfolgt in diesem Falle mittels sterilem Einmalkatheterismus.
Als signifikante Keimzahl sind bisher 10
5 koloniebildende Einheiten pro Milliliter angesehen worden. Da zusehends
Bakterien auftreten, die auch in geringerer Zahl Symptome verursachen, wird diskutiert ob die Grenze für eine Signifikanz in Gegenwart von klinischer Symptomatik auf bis zu 10
3 koloniebildende Einheiten pro Milliliter reduziert werden sollte.
Differenzialdiagnosen
Sowohl Entzündungen des gynäkologischen oder gastrointestinalen Formenkreises als auch Erkrankungen ohne organisch fassbare Ursache wie die überaktive Blase oder psychisch bedingte Störungen können zu Symptomen einer Zystitis führen. Bei einer Radiation oder Chemotherapie in der Anamnese muss an eine radiogene bzw. zytostatikainduzierte Entzündung der Blase gedacht werden. Eine interstitielle Zystitis wird, falls notwendig, mittels Biopsie der Blasenschleimhaut ausgeschlossen.
Therapie
Die antibiotische Therapie ist das Mittel der Wahl bei Harnwegsinfekt en. Die Auswahl des Antibiotikum s sollte sich nach folgenden Kriterien richten.
Zu Empfehlungen für junge gesunde erwachsene Frauen mit unkomplizierten Harnwegsinfekten im europäischen Raum nach EAU-Leitlinien (European Association of Urology), Tab.
1.
Tab. 1
Empfehlungen für eine antibiotische Therapie nach EAU-Leitlinien
Erstlinientherapie |
Fosfomycin-Trometamol | 3 g | Einmalgabe |
Nitrofurantoin | 100 mg | 2-mal/Tag für 5–7 Tage |
Pivmecillinam | 400 mg | 2-mal/Tag für 3 Tage |
Zweitlinientherapie |
Ciprofloxacin | 250 mg | 3-mal/Tag für 3 Tage |
Levofloxacin | 250 mg | 4-mal/Tag für 3 Tage |
Norfloxacin | 400 mg | 2-mal/Tag für 3 Tage |
Ofloxacin | 200 mg | 2-mal/Tag für 3 Tage |
Cefpodoxim Proxetil | 100 mg | 2-mal/Tag für 3 Tage |
Bei bekannt niedrigerer Resistenzlage von Escherichia coli unter 20 % |
Trimethoprim-Sulphamethoxazol | 160/800 mg | 2-mal/Tag für 3 Tage |
Trimethoprim | 200 mg | 2-mal/Tag für 5 Tage |
Komplizierte Harnwegsinfekte werden mit den gleichen Substanzen behandelt wie unkomplizierte Infekte, allerdings über einen längeren Zeitraum, empfohlen werden 7–10 Tage. Komplizierende organische Faktoren sollten mit entsprechender Diagnostik (z. B. Bildgebung oder invasive Diagnostik abgeklärt werden.
Bei Patientinnen mit chronischen Harnwegsinfekten ist je nach Leidensdruck der Patienten eine prophylaktische Therapie sinnvoll. Diese sollte jedoch erst nach Sicherstellung momentaner Keimfreiheit mittels negativer
Urinkultur begonnen werden. Zu Möglichkeiten einer dauerhaften antibiotischen Prophylaxe, Tab.
2. Stellen sich die Infekte maßgeblich nach Geschlechtsverkehr ein, so kann eine postkoitale Einmalgabe sinnvoll sein (Tab.
3).
Tab. 2
Antibiotikaprophylaxe bei chronischer Zystitis
Nitrofurantoin | 50 mg/Tag | 0–0,6 |
Nitrofurantoin | 100 mg/Tag | 0–0,7 |
Trimetoprim-Sulfmethoxazol | 40+200 mg/Tag | 0–0,2 |
Trimetoprim-Sulfmethoxazol | 40+200 mg 3-mal/Woche | 0,1 |
Trimethoprima | 100 mg/Tag | 0–1,5 |
Cefaclor | 250 mg/Tag | 0 |
Cephalexin | 125 mg/Tag | 0,1 |
Cephalexin | 250 mg/Tag | 0,2 |
Norfloxacin | 200 mg/Tag | 0 |
Ciprofloxacin | 125 mg/Tag | 0 |
Fosfomycin | 3 g/10 Tage | 0,14 |
Tab. 3
Möglichkeiten der postkoitalen Antibiotikaprophylaxe
Nitrofurantoin | 50 mg oder 100 mg | 0,1 |
Trimetoprim-Sulfmethoxazol | 40+200 mg | 0,3 |
Trimetoprim-Sulfmethoxazol | 80+400 mg | 0 |
Cephalexin | 250 mg | 0,03 |
Norfloxacin | 200 mg | 0 |
Ciprofloxacin | 125 mg | 0 |
Ofloxacin | 100 mg | 0,06 |
Zu
Alternativen zur prophylaktischen Anwendung von
Antibiotika, Tab.
4.
Tab. 4
Nichtantibiotische Substanzen zur Prophylaxe eines Harnwegsinfekts
Z. B. Urovaxom | OM-89 | 0,15–0,82 |
Orale/vaginale Anwendung von Lactobacillus-Stämmen | Lactobacillus rhamnosus GR-1 Lactobacillus reuteri RC-14 | Keine Angaben |
Preiselbeerextrakte (Cranberry) | Proanthocyanidin A | 0,45 |
Angocin | Senföle aus Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel | Keine Angaben |
Mannose | | Keine Angaben |
Östrogencreme | Lokale Anwendung im Bereich der Vaginalmukosa | |
Bei
Urovaxom handelt es sich um ein Extrakt aus 18 verschiedenen Serotypen durch Hitze abgetöteter uropathogener Escherichia-coli-Bakterien. Die orale Einnahme dieser Substanz stimuliert das Immunsystem durch Erhöhung der Neutrophilen- und Makrophagenzahl, vermittelt über
dendritische Zellen. In Studien zeigt sich im Vergleich zu Placebo eine Reduktion der Harnwegsinfektfrequenz ohne relevant vermehrte Nebenwirkungen (Beerepoot et al.
2013; Grabe et al.
2013).
Die orale oder vaginale Anwendung von
Lactobacillen (Probiotika) stellt die physiologische vaginale Bakterienflora wieder her und soll so die Kolonisierung der Vagina mit uropathogenen Keimen verhindern (Anukam et al.
2006). Ob dies eine Auswirkung auf die Rezidivrate bei chronischen Harnwegsinfekten hat, muss in weiteren Studien noch geklärt werden, da hier widersprüchliche Literatur existiert.
Preiselbeerextrakte (Cranberry) sind als Saft sowie in Tablettenform verfügbar. Die Wirkstoffe, die Proanthocyanidine
, behindern die Ausbildung von P-Fimbrien bei
Bakterien und damit die Adhäsion an die Zellwände der Blasenschleimhaut. Eine Studie zeigt eine Reduktion der Infektfrequenz von 20 % gegenüber einer Kontrollgruppe ohne relevantes Nebenwirkungsprofil (Kontiokari et al.
2001). Allerdings existieren auch für Preiselbeerextrakte mehrere Studien, welche keine Wirksamkeit nachweisen können. Es wird diskutiert, ob lediglich bestimmte Patientengruppen mit hohem Rezidivrisiko, die Reinfektionsrate durch eine solche Therapie senken können (Eells et al.
2011).
Bei postmenopausalen Frauen stellen ein atrophes Genitale, eine Zystozele, bestehender Restharn und eine Inkontinenz Risikofaktoren für rezidivierende Harnwegsinfekte dar. Die durch Östrogenmangel-vermittelten Probleme können durch lokale Anwendung von Hormonen vermindert werden. Die Vaginalmukosa wird durch lokale Östrogenapplikation aufgebaut und vermehrt durchblutet. Eine etwa erbsengroße Portion östrogenhaltiger Creme wird auf den Finger aufgebracht und von proximal nach distal im ventralen Scheidenanteil über der Harnröhre verstrichen. Eine orale Hormontherapie verbietet sich aufgrund von dadurch induzierten kardiovaskulären Ereignissen oder
Mammakarzinomen.