Historie
Die anatomischen Grundlagen des männlichen Kontinenzmechanismus sind komplex und Gegenstand anatomischer Forschungen von mehr als 200 Jahren. Es existieren zum Teil unterschiedliche Definitionen der Struktur und Funktion des unteren Harntraktes. Gemein ist den meisten Beschreibungen die Existenz eines sog. inneren und eines sog. äußeren Schließmuskels. Große Diskrepanz der Meinungen gibt es dagegen bei der glatten Harnröhrenmuskulatur, wobei zirkuläre als auch longitudinale Anteile beschrieben werden. Einige „Fehlbeschreibungen“ in der Literatur sind das Resultat methodischer Schwierigkeiten von Studien zum Kontinenzmechanismus. Solche Schwierigkeiten traten beispielsweise im Rahmen von Untersuchungen an Kadavern auf. Zudem wurden Ergebnisse von Studien an Föten in vielen Fällen unkritisch auf die adulte Anatomie übertragen.
Deutsche Anatomen wie J. Henle, W. Waldeyer und M. Holl lieferten im 18. und 19. Jahrhundert entscheidende Beiträge zum morphologischen Verständnis des Kontinenzmechanismus. Henle beschrieb 1866 erstmalig einen quer gestreiften und einen glattmuskulären Muskel. Den quer gestreiften Sphincter vesicae externus beschrieb er auf der ventralen Seite der Prostata und zirkulär im Apexbereich, nicht aber distal davon (Henle
1866). Holl erwähnte 1897 das
Diaphragma urogenitale mit dem Musculus transversus perinei profundus als Muskelplatte zwischen den Schambeinästen. Im Bereich der membranösen Harnröhre beschrieb er eine sphinkterartige Kondensation von Muskelfasern als Musculus sphincter urethrae membranaceae. Fasern dieses Muskels erstreckten sich zudem über die anterolaterale Fläche der Prostata (Holl
1897).
Obwohl sich eine im Becken quer verlaufende Muskelplatte später als Irrtum herausstellen sollte, ist sie bis in die heutige Zeit in zahlreichen anatomischen Illustrationen wiederzufinden. Die Existenz des Musculus transversus perinei profundus
als quer verlaufende Muskelplatte wurde später von zahlreichen Autoren widerlegt. In einer Studie an histologischen Großflächenschnitten von 50 adulten Kadavern sowie anhand von Becken-MRT-Untersuchungen an 12 Männern konnten Dorschner et al.
1999 zeigen, dass im Bereich der membranösen Harnröhre kein quer verlaufender Muskel existiert. Der Harnröhrenschließmuskel
wurde vielmehr, wie von anderen Autoren auch, als eine vom Musculus levator ani unabhängige anatomische Struktur beschrieben (Dorschner et al.
1999,
2001).
Es scheint erwähnenswert, dass der Begriff der „membranösen Harnröhre“ auf das Konzept von Littré (1700) zurückgeht, nach dem die Urethra aus zwei Membranen, einer äußeren (externe Faszie) sowie einer inneren (Mukosa) besteht. Obwohl der Begriff irreführend ist, wurde er durch spätere Artefakte bei der Kadaverpräparation gefestigt. Obwohl er im heutigen klinischen Sprachgebrauch häufig verwendet wird, ist damit im engeren Sinne der Abschnitt der sphinkterischen Harnröhre gemeint.
Der amerikanische Anatom Thomas M. Oelrich führte 1980 die Beschreibungen aus dem 19. Jahrhundert im Detail fort und lieferte zusätzlich die embryologische Grundlage des urethralen Sphinkters („der urethrale Schließmuskel des Mannes ist einer der am wenigsten verstandenen Muskeln im menschlichen Körper“). In seiner Untersuchung an fetalen und adulten Beckenblöcken zeigte er, dass der quer gestreifte Schließmuskel aus einem Primordium um die Harnröhre vor Entwicklung der Prostata entsteht. Mit der Entwicklung der Prostata kommt es zu einem Einwachsen in den Sphinkter. Mit beschleunigtem Prostatawachstum zu Beginn der
Pubertät kommt es zu einem weiteren Einwachsen in den Sphinkter, wodurch isolierte Sphinkterfragmente zurückbleiben, welche die Prostata zum Teil ventral überlappen (Oelrich
1980).
Zum Verschlussmechanismus der Harnblase finden sich in der Literatur viele widersprüchliche Beschreibungen. Sehr frühe Schilderungen gehen von Detrusorschlingen aus, die sich um den Blasenauslass lagern. In den letzten Jahrzehnten wurde von zahlreichen Autoren die Theorie vertreten, dass der innere Schließmuskel eine zusammengesetzte Struktur ist, die ventral von Detrusormuskulatur und dorsal von Trigonalmuskulatur gebildet wird und so ein Schlingensystem um den Blasenauslass bildet. Häufig verwendete Begriffe waren „Basisplatte“ und Lissosphinkter
(Elbadawi
1984; Hutch und Shopfner
1968). Dorschner konnte später zeigen, dass der Irrtum einer zusammengesetzten Struktur die Folge einer streng transversalen Schnittführung im Bereich des Blasenhalses war. Bei Berücksichtigung der physiologischen Krümmung der Harnröhre durch eine ventrale Kippung der Schnittführung zeigt sich im Blasenauslass ein zirkulärer unabhängiger Schließmuskel aus glatter Muskulatur, den er Musculus sphincter vesicae nannte (Dorschner et al.
2001).
Im Gegensatz zu den beschriebenen Sphinktersystemen finden longitudinale Muskelsysteme der Urethra in der Literatur weit weniger Beachtung. Die Darstellungen verschiedener Autoren können damit zusammengefasst werden, dass sich longitudinale Muskelzüge von Detrusor- oder Trigonummuskulatur auf die Urethra fortsetzen (Henle
1866).
Kalischer sieht die longitudinale Muskulatur der Urethra als vom Detrusor unabhängig und schreibt ihr besondere funktionelle Bedeutung zu (Kalischer
1900). Dorschner beschreibt ein ventrales longitudinales Muskelsystem der Urethra ebenfalls als unabhängige Struktur ohne direkte Verbindung zur Detrusormuskulatur (Dorschner et al.
2001). Glatte Muskelzellbündel dieses Systems entspringen am Unterrand der Symphyse und ziehen durch den Blasenauslass nach kaudal bis zum Bulbus penis. Obwohl keine funktionellen Untersuchungen durchgeführt wurden, postulierten Dorschner et al., dass dieser ventrale longitudinale Muskel durch seinen spezifischen Verlauf zur trichterförmigen Öffnung des Blasenhalses bei Miktionseinleitung mitverantwortlich sein kann („Musculus dilatator urethrae“) (Dorschner et al.
2001). Diese Hypothese wird durch eine aktuelle funktionelle MRT-Studie mittels Real-time- Magnetresonanztomografie gestützt, in der die Autoren eine der Miktion vorausgehende Verkürzung der Harnröhre nachweisen konnten (Hocaoglu et al.
2013).
Weiterhin finden sich einige Beschreibungen zur Ansammlung glatter longitudinaler Muskelzellbündel im dorsalen oberen Bereich der männlichen Urethra. Dorschner et al. zeigten ein dorsales longitudinales Muskelsystem der Urethra streng unterhalb des Colliculus seminalis. Die Muskelzellbündel entspringen auf Höhe des Colliculus seminalis an den Ausführungsgängen der Ductus ejaculatorii und verlaufen unterhalb der Schleimhaut nach kaudal bis zum Bulbus. Dieser Muskel bildet die morphologische Grundlage der Crista urethralis. Da diesem longitudinalen Muskelsystem Bedeutung bei der Ejakulation zugeschrieben werden kann, wird er als Musculus ejaculatorius
bezeichnet (Dorschner et al.
2001).