Allgemeines
Nachdem die Laparoskopie im Kindesalter zunächst hauptsächlich zu diagnostischen Zwecken eingesetzt wurde, konnte das Spektrum mit der Verfügbarkeit kleinerer Instrumente und Optiken nicht nur in Bezug auf Patientengröße und -alter, sondern auch in Bezug auf die Komplexität der Eingriffe zunehmend erweitert werden. Roboter-assistierte Verfahren verfügen über Vorteile gegenüber der konventionellen Laparoskopie aufgrund von verbesserter Ergonomie, besserer Visualisierung und Beweglichkeit der Instrumente sowie Herausfiltern des natürlichen Tremors durch das Robotersystem.
Für verschiedene Operationsverfahren bei Kindern konnte gezeigt werden, dass die Langzeitergebnisse nach minimal-invasiven Eingriffen vergleichbar sind mit denen nach offener Operation. Vorteile minimal-invasiver Operationen für Kinder sind das geringere Gewebetrauma mit geringerem Analgetikabedarf, kürzerer postoperativer Rekonvaleszenz und kleineren Narben auch bei komplexen Eingriffen sowie die geringere Ausbildung von Verwachsungen. Die physiologischen Besonderheiten im Kindesalter sind grundsätzlich bei der Operationsdurchführung zu beachten und die Operationstechnik ist individuell an die Gegebenheiten des Patienten anzupassen.
Die Kosten der laparoskopischen, insbesondere Roboter-assistierten Operation sind bekanntermaßen höher als bei offen operativen Verfahren.
Zu betonen ist, dass minimal-invasive Operationstechniken bei Kindern kinderurologischen Zentren mit hoher laparoskopischer bzw. robotischer Expertise vorbehalten sind und daher nicht flächendeckend angeboten werden.
Physiologische Besonderheiten bei Kindern
Neben der operativen und allgemeinen kinderurologischen Expertise ist in Zentren, in denen minimal-invasive Operationen bei Kindern durchgeführt werden, insbesondere eine hohe
kinderanästhesiologische Expertise notwendig. Kinder sind grundsätzlich nicht wie „kleine Erwachsene“ zu behandeln. Unter Anderem reagieren insbesondere Säuglinge und Neugeborene deutlich vulnerabler auf die Anlage eines Pneumoperitoneums. Der erhöhte intraabdominelle Druck durch die CO
2-Insufflation führt über eine Kompression der venösen Gefäße zu einer Einschränkung des venösen Rückstromes mit abdominaler venöser Stase und damit zu einer
relativen Hypovolämie. Dies wiederum bedingt ein niedrigeres ventrikuläres Auswurfvolumen mit konsekutiv
eingeschränkter zerebraler und abdominaler Durchblutung (Waal et al.
2002). Daher kann bei Kindern mit längerdauernden laparoskopischen Operationen eine
Oligurie oder
Anurie auftreten.
Zusätzlich kommt es durch den Zwerchfellhochstand
zu einer
Einschränkung der Lungenventilation. Durch die CO
2-Absorption über das Peritoneum kann es zusätzlich zu der Ausbildung einer Hyperkapnie und Azidose kommen. Daher ist eine Gegenregulation mit Hyperventilation zur Elimination des absorbierten CO
2 notwendig (McHoney et al.
2003). Zusätzlich spielen pulmologische Besonderheiten eine Rolle: es besteht eine geringere funktionelle Residualkapazität und ein erhöhter Atemwegswiderstand durch den geringeren Atemwegsdurchmesser und die geringere Atemwegsstabilität. Dies bedingt bei jüngeren Kindern einen umso höheren Sauerstoffbedarf. Hinzukommend muss bei der Lagerung bedacht werden, dass eine Kopftieflagerung die Lungencompliance
reduziert.
Die oben genannten Faktoren müssen bei den technischen Einstellungen zur Aufrechterhaltung des Pneumoperitoneums in Abhängigkeit vom Alter des Kindes und der Kreislauf- und Stoffwechselsituation berücksichtigt werden. Insgesamt ist ein möglichst geringer Insufflationsdruck bei niedriger Flussrate sinnvoll.
Lagerung und Trokarpositionierung bei Kindern
Die Lagerung des Patienten richtet sich nach den anatomischen Gegebenheiten und dem Operationsgebiet. Bei laparoskopischen Eingriffen an der Blase oder im kleinen Becken wie zum Beispiel der Antirefluxplastik, kann ein Kleinkind möglichst nah am Kopfende in Rückenlage gelagert werden, sodass der Operateur am Kopfende steht. Bei größeren Kindern befindet sich der Operateur in der Regel seitlich vom Patienten. Bei Eingriffen an der Niere kann zwischen transperitonealem und retroperitoneoskopischem Zugang unterschieden werden. Entsprechend wird der Patient in Bauch-, Seiten- oder Rückenlage mit angehobener Flanke gelagert.
Bei vesikoskopischen Eingriffen wie z. B. einer intravesikalen Ureterozystoneostomie können nach maximalem Auffüllen der Blase und Fixation derselben an der Bauchdecke unter zystoskopischer Kontrolle Trokare in die Blase eingelegt werden. Es wird sodann nach Ablassen der eingefüllten Kochsalzlösung über den Blasenkatheter ein Pneumovesicum installiert.
Der Kameratrokar wird üblicherweise am Nabel eingelegt (infra-, supraumbilikal, manchmal auch seitlich). Des Weiteren richtet sich die Trokarposition nach der Instrumentenlänge und der Größe des Kindes: je kleiner das Kind, desto weiter entfernt vom Zielgebiet müssen die Trokare platziert werden. Die Anzahl der Trokare, gerade bei Roboter-assistierten Operationen, kann durch Haltenähte reduziert werden, die an Strukturen angebracht und aus der Bauchdecke ausgeleitet werden, um so Zielstrukturen platzsparend zu exponieren, anstatt von einem Operationsassistenten festgehalten zu werden.
Zugang und Instrumente
Für das Einlegen des Kameratrokares kann zwischen dem minimal-offenen Vorgehen mit Anklemmen und Durchtrennen der Faszie und des Peritoneums (Hasson-Technik) und dem Einbringen einer Veres-Nadel unterschieden werden. Die Veres-Nadel enthält eine atraumatische Schutzkappe, die bei Verlust des Widerstandes (Eintritt in die Bauchhöhle) vor die Nadel springt. Je kleiner und schlanker das Kind ist, umso größer ist jedoch hierbei die Gefahr der Verletzung von Darm oder Gefäßen. Zu empfehlen ist daher die Mini-Laparotomie nach Hasson mit primärer optischer Kontrolle der korrekten Trokarposition im Abdomen. Ein Eingehen durch den Nabelgrund empfiehlt sich insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern nicht, da die letale Komplikation einer Luftembolie über eine nicht vollständig obliterierte V. umbilicalis beschrieben ist.
Durch die Verwendung einer Winkeloptik werden dem Operateur unterschiedliche Blickwinkel ermöglicht. Außerdem blickt der Operateur so auf die Instrumente hinab und eine Behinderung der Instrumente durch die Optik wird vermieden, was insbesondere bei Operationen auf engem Raum vorteilhaft ist.
Das Einlegen der Arbeitstrokare erfolgt unter optischer Kontrolle nach Anlage des Pneumoperitoneums, um Darmverletzungen zu vermeiden.
Bei der konventionellen Laparoskopie können 2- und 3-mm Instrumente im Neugeborenen-, Säuglings- und Kleinkindalter, aber auch bei älteren schlanken Kindern verwendet werden. 2-mm Instrumente können auch ohne Trokar direkt über eine Stichinzision eingebracht werden, was sich zur Vermeidung einer Gasleckage jedoch nur empfiehlt, wenn kein häufiger Instrumentenwechsel erforderlich ist. Bei älteren Kindern und Jugendlichen werden üblicherweise 5-mm Instrumente verwendet.
Mittlerweile gibt es ein großes Armamentarium an verschiedenen laparoskopischen Instrumenten: Trokare (Einmaltrokare oder wiederverwendbare Trokare, glatte oder Schraubtrokare), verschiedene Fasszangen, gebogene Präparationsinstrumente, unterschiedliche Scheren, Nadelhalter und Bergebeutel. Zur Ligatur von Gefäßen oder Präparation von Gewebe unter vaskulärer Kontrolle können Clips (5 oder 10 mm), Stapler (5 oder 10 mm), und vorgefertigte Schlingenligaturen (Röder®-Schlinge) verwendet werden. Zusätzlich stehen Versiegelungsinstrumente (sealing-devices) zur Verfügung: Ligasure® (5 und 10 mm), JustRight® Sealer (3 mm).
Die Trokare und Instrumente, die bei Roboter-assistierten Operationen eingesetzt werden, sind nicht in sehr kleinen Durchmessern verfügbar (8 mm Kameratrokar, 5 mm Arbeitstrokare). Hierdurch ist der Einsatz der Roboter-assistierten Chirurgie auch bei kleinen Kindern möglich, insgesamt scheint jedoch bei Säuglingen und Kleinkindern kein sicherer Benefit vorzuliegen, die vorliegende Datenlage ist derzeit noch unzureichend, um ein Cut-off hinsichtlich des Alters festzulegen.
Limitationen bei Kindern
Die größte Herausforderung beim Einsatz der laparoskopischen Operationstechnik sowohl konventioneller als auch Roboter-assistierter Art bei Kindern stellt das begrenzte Platzangebot bei den kleinen Patienten dar. Die optimale Lagerung des Kindes auf dem Op-Tisch vor Beginn der Operation ist die erste Voraussetzung, um die begrenzten Platzverhältnisse bestmöglich zu nutzen und somit eine laparoskopische Operation mit größtmöglichem Erfolg und kurzer Operationszeit durchführen zu können. Durch eine überlegte, möglicherweise zwar etwas zeitaufwendigere Lagerung können daraus resultierende Probleme bei der folgenden Operation vermieden werden.
Die Platzierung der Trokare muss aufgrund des begrenzten Platzangebotes gut geplant werden. Es sollte im Rahmen der Möglichkeiten auf einen ausreichenden Abstand zwischen Arbeitsinstrumenten, Kamera und Zielorgan geachtet werden, um einen größtmöglichen Bewegungsradius und eine geringe Kollisionswahrscheinlichkeit der Instrumente zu erzielen.
Im Vergleich zur Erwachsenenchirurgie sind kinderurologische Eingriffe vordergründig rekonstruktiver Art. Hierbei ist ein hoch präzises Arbeiten erforderlich, welches mitunter durch die Vorteile eines Operationsroboters deutlich erleichtert werden kann. Das Angebot an Trokaren und Arbeitsinstrumenten gerade für Roboter-assistierte Eingriffe ist jedoch im Vergleich zum verfügbaren Instrumentenarmamentarium bei Erwachsenen wie oben bereits beschrieben geringer.
Allgemeine Vorerkrankungen (z. B. pulmonale Erkrankungen) und Voroperationen der pädiatrischen Patienten können das anästhesiologische und operative Risiko von laparoskopischen Operationen mitunter erhöhen und Einschränkungen bei deren Einsatz darstellen.
Aufgrund unserer Erfahrung nach mehr als 6000 Roboter-assistierten urologischen Eingriffen würden wir insbesondere das robotische Operationsverfahren aufgrund der durch das begrenzte Platzangebot bei Säuglingen und Kleinkindern möglichen technischen Schwierigkeiten sowie der durch Addieren der Hautschnitte im Vergleich zur offenen Technik doch relevanten Invasivität eher bei größeren Kindern mit einer Körpergröße von mindestens 110 cm und Adoleszenten empfehlen.
Indikationen
Im Folgenden werden die Besonderheiten spezieller operativer Eingriffe beschrieben, die typischerweise bei kinderurologischen Krankheitsbildern durchgeführt werden.
Antirefluxplastik nach Lich-Grégoir und Ureterozystoneostomie
Alle Antirefluxplastiken zeichnen sich durch eine hohe Erfolgsrate von weit über 90 % aus. Allen Verfahren gemeinsam ist das Ziel, einen ausreichend langen submukösen Tunnel zu bilden und so einen Refluxschutz zu erreichen. Weltweit haben sich bei einem nicht dilatierten Ureter die extravesikale Technik nach Lich-Grégoir und im Falle eines dilatierten Ureters die Psoas Hitch-Ureterozystoneostomie bewährt. Zu den intravesikalen Techniken gehören weiterhin das Verfahren nach Politano-Leadbetter und die gekreuzt-trigonale Reimplantation nach Cohen.
Goldstandard der operativen Therapie des höhergradigen vesikoureterorenalen Reflux mit oder ohne Begleitanomalien (z. B.
Doppelniere,
Ureterozele) bei Kindern ist die offen operative Antirefluxplastik. Die extravesikale Technik nach Lich-Grégoir ist hierbei bekanntermaßen im Vergleich zu den intravesikalen Techniken der Antirefluxplastik mit einer reduzierten Morbidität verbunden.
Sämtliche offen chirurgische Verfahren können konventionell laparoskopisch und Roboter-assistiert durchgeführt werden. Daten zur laparoskopischen und Roboter-assistierten Antirefluxplastik nach Lich-Grégoir konnten vergleichbare Ergebnisse mit denen nach offener Antirefluxplastik zeigen (Soulier et al.
2017; Orvieto et al.
2012). Der Eingriff kann unter Nutzen einer einzigen Trokarpositionierung ein- oder beidseitig durchgeführt werden (Riquelme et al.
2013). Allerdings kann es insbesondere bei der einzeitigen Korrektur des bilateralen vesikoureterorenalen Reflux nach Lich-Grégoir durch Nervenläsion zu einer denervationsbedingten Blasenentleerungsstörung kommen (Kranz und Steffens
2020). Die Inzidenz einer Blasenentleerungsstörung nach Antirefluxplastik nach Lich-Grégoir wird in der Literatur mit 3–20 % beschrieben (Leissner et al.
2001; Bustangi et al.
2018).
Es werden in der Regel sowohl beim konventionell laparoskopischen als auch beim Roboter-assistierten Vorgehen drei Trokare verwendet, ein Kameratrokar und zwei Arbeitstrokare.
Die Operationstechnik der Antirefluxplastik nach Lich-Grégoir selbst ist analog der offen operativen Technik. Die Dissektion des Ureters bis zur ureterovesikalen Mündung auf einer Länge von bis zu 6 cm erfolgt möglichst stromsparend, um die Perfusion des Ureters zu erhalten und somit koagulationsbedingten Ureternekrosen vorzubeugen. Bei der Inzision des Detrusors sollte auf eine ausreichende Länge des Tunnels geachtet werden (3–4-fach so lang wie der Ureterdurchmesser). Hilfreich bei der Präparation des submukösen Tunnels ist ein moderates Auffüllen der Blase. Der Ureter wird anschließend so platziert, dass die Detrusormuskulatur über dem Ureter spannungsfrei verschlossen wird. Hierbei muss vor allem beim ersten Stich präzise vorgegangen werden, um eine zu enge Naht mit konsekutiver Ureterdilatation zu vermeiden. Zeigt sich der Ureter nach der Einbettung dilatiert, sollten die Nähte wieder eröffnet werden und weniger eng geknotet werden. Meist wird geflochtenes Nahtmaterial der Stärke 3/0 oder 4/0 zum Verschluss des submukösen Tunnels verwendet (Vicryl®).
Die offen operative Antirefluxplastik nach Lich-Grégoir stellt im Allgemeinen einen Eingriff dar, den junge Urologen schnell lernen und rasch selbstständig durchführen können. Im Vergleich dazu ist die laparoskopische oder Roboter-assistierte Technik mit einer deutlich längeren Lernkurve verbunden, wobei gerade zur Durchführung von laparokopischen oder robotischen Eingriffen bei Kindern eine große Erfahrung in der Laparoskopie bzw. robotischen Chirurgie dringend erforderlich ist.
Die intravesikalen Techniken der Antirefluxplastik sind im Vergleich zur extravesikalen Antirefluxplastik nach Lich-Grégoir mit einer aufwendigeren Rekonstruktion verbunden. Prinzipiell eignet sich insbesondere die Roboter-assistierte Technik mit den Vorteilen der Vergrößerung und dreidimensionalen Sicht sowie den hohen Freiheitsgraden der Arbeitsinstrumente exzellent zur Durchführung von solchen rekonstruktiv aufwendigen Eingriffen. Es existieren reichlich positive Daten zur Roboter-assistierten Ureterozystoneostomie bei erwachsenen Patienten, die Datenlage zur technisch herausfordernden Harnleiterneuimplantation bei Kindern ist jedoch spärlich (Baek und Koh
2017; Deng et al.
2018). Die Operationsdauern von sowohl konventionell laparoskopischen als auch Roboter-assistierten Eingriffen sind im Vergleich zu offen operativen Harnleiterneuimplantationen deutlich länger. Zwar scheint die postoperative Katheterliegedauer, die Ausprägung von Blasenkrämpfen und die Hospitalisierung kürzer zu sein, klare Vorteile insbesondere für die robotische Ureterozystoneostomie bei Kindern gibt es bis dato nicht (Marchini et al.
2011).
Pyeloplastik
Die Pyeloplastik
, erstmals beschrieben von Anderson und Hynes im Jahr 1949, stellt den operativen
Goldstandard in der Therapie der
ureteropelvinen Stenose dar (vergleiche Kap. „Ureteropelvine Stenosen“).
Der Einsatz minimal-invasiver Operationstechniken nimmt hierbei in den letzten Jahren deutlich zu (Andolfi et al.
2020). Die Erfolgsrate der laparoskopischen und Roboter-assistierten Pyeloplastik hat sich in Studien äquivalent zu denen der offen operativen Technik gezeigt (90–95 %) (Silay et al.
2016). Die Komplikationsrate ist gering und die Hospitalisierung der Kinder ist kürzer als nach der offen operativen Pyeloplastik. Die Operationsdauern der minimal-invasiven Pyeloplastik bei Kindern sind jedoch meist länger, wobei hier die konventionell laparoskopische Operationstechnik aufgrund des aufwendigeren und schwierigeren Nähens im Vergleich zur Roboter-assistierten Pyeloplastik meist die längsten Operationsdauern aufweist (Andolfi et al.
2020). Die Lernkurve der konventionell laparoskopischen Operationstechnik ist hierbei flacher als bei der Roboter-assistierten Technik. Die Roboter-assistierte Pyeloplastik als deutlich weniger komplexer Eingriff im Vergleich zur Ureterozystoneostomie bietet sich bei größeren Kindern als „Ausbildungseingriff“ in der laparoskopischen und robotischen Chirurgie im Kindesalter an, bevor komplexere rekonstruktive Eingriffe durchgeführt werden.