Molekulare Marker und Prognosefaktoren finden in der Diagnostik und Therapieplanung der
Hodentumoren in verschiedenen Bereichen Anwendung. Dabei werden sie im Rahmen der Diagnostik hauptsächlich bei der primären Diagnosestellung, der differenzialdiagnostischen Abgrenzung zu anderen Tumorentitäten und der Vorhersage nicht sichtbarer (okkulter) Metastasen angewandt. Eine wichtige Rolle können sie auch in der Prädiktion und dem Monitoring des Therapieansprechens bzw. der Resistenz gegenüber der konventionellen Chemotherapie spielen, sowie im Rahmen des Follow-up zum frühzeitigen Erkennen eines Rezidivs. Vor allem die immunhistochemischen Marker kommen schon in der histopathologischen Routinediagnostik zum Einsatz. Die meisten molekularen Prognosemarker befinden sich jedoch noch in der Erforschung. Viele Studien haben Marker bisher
in vitro untersucht oder an kleinen Patientenkollektiven zunächst den diagnostischen Nutzen untersucht. Eine
Validierung der Daten oder die routinemäßige Anwendung in der Klinik steht oft noch aus. Die bekannten Proteintumormarker im
Serum (ß-HCG, AFP und LDH) haben eine eingeschränkte Sensitivität und Spezifität. Mit der neuen miRNA 371a-3p ist ganz neu ein
Tumormarker kommerziell erhältlich geworden, der in multizentrischen Studien eine deutlich höhere Sensitivität und Spezifität zeigt. Im folgenden Kapitel werden die verschiedenen Arten von Markern und ihre mögliche klinische Anwendung dargestellt.
Proteinmarker in der Immunhistochemie
Bei den histopathologischen Markern handelt es sich zumeist um Proteine im Zellkern, dem Zytoplasma oder der Zelloberfläche, die nach entsprechender Färbung bei der histopathologischen Begutachtung der Tumoren sichtbar gemacht werden können. Sie werden zur Differenzierung zwischen den histologischen Subgruppen des Keimzelltumors sowie zur Abgrenzung gegenüber Nicht-Keimzelltumoren oder zur Detektion der Germ Cell Neoplasie In Situ (GCNIS) (früher TIN genannt) genutzt. Zusätzlich scheint die Expression bestimmter Proteine mit einer Metastasierung oder einem schlechteren Ansprechen auf die Chemotherapie assoziiert zu sein.
Eine Auswahl der häufigsten immunhistochemischen Marker sind das HCG, AFP, PLAP, OCT3/4, NANOG, SALL-4, SOX2, Glypican-3, c-Kit, Aurora-B, HMGA1 und HMGA2.
Dabei sind das OCT3/4 und NANOG relativ neue, aber schon routinemäßig eingesetzte Marker. Diese Transkriptionsfaktoren werden in der Unterscheidung der Tumorhistologie genutzt und sind in TIN Zellen, Seminomen (S) und Embryonalzellkarzinomen (EC) nachweisbar, nicht aber in Dottersacktumoren (YST). SALL-4 als Stammzellmarker ist in allen Keimzelltumorentitäten nachweisbar mit Ausnahme des Teratoms. Damit ist der Marker besonders in der Abgrenzung gegenüber anderen Tumoren des Hodens und in der Diagnostik des YST hilfreich. Bei bis zu 5 % der Nicht-Keimzelltumoren des Hodens kann SALL-4 auch positiv sein, eine Expression von SALL-4 ist also nicht beweisend für einen Keimzelltumor. SOX-2 ist nur in EC nachweisbar, nicht aber in TIN, S oder YST oder normalem Hodengewebe.
Glypican-3 färbt ebenfalls YST mit einer geringeren Sensitivität im Vergleich zu SALL4.
Dagegen ist c-kit nur in S, nicht aber in EC oder YST nachweisbar. HCG kommt v. a. bei Chorionkarzinomen und synzytiotrophoblastären Riesenzellen in Seminomen zur Darstellung und geht meist mit einer Erhöhung des Tumormarkers im Blut einher. Die Aurora-B Expression konnte in den TIN Zellen, Seminomen und EC nachgewiesen werden, nicht aber in YST und T. HMGA1 und HMGA2 finden sich vor allem bei wenig differenzierten
Keimzelltumoren und sind beim pluripotenten EC nachweisbar. Seminome exprimieren nur HMGA1, Dottersacktumoren exprimieren nur noch HMGA2 und
Teratome keines der beiden Proteine.
OCT 4 Spiegel scheinen auch eine Rolle im Rahmen der Cisplatinresistenz zu spielen. Bei cisplatinresistenten Zellen fanden sich erniedrigte OCT4 Spiegel und es fanden sich auch Hinweise darauf, dass die Spiegel beeinflussbar sind. Hier findet sich ein möglicher Angriffspunkt, die Cisplatinresistenz zukünftig zu durchbrechen.
Die Expression von Bcl-2 und MDR-1 im Primärtumor ist als prädiktiver Marker in der Vorhersage der Histologie retroperitonealer Resttumoren nach Chemotherapie beschrieben worden. Gerade die Mitbetrachtung des MDR-1 sollte eine Vorhersage von Narbengewebe in 85 % ermöglichen. An einer Studie mit 77 Patienten konnte bei 47 Patienten die MDR-1 Färbung am Primärtumor und an 73 Gewebeproben aus dem retroperitonealen Resttumor durchgeführt werden. Hier war die MDR-1 Expression in der univariaten, nicht aber in der multivariaten Analyse mit einem Teratom oder vitalem Tumorgewebe im Restttumor nach Chemotherapie vergesellschaftet.
In der Risikobewertung für das Vorliegen einer okkulten Metastasierung bei Nichtseminomen im klinischen Stadium I spielt das Vorhandensein von Lymph- oder Gefäßinvasion den entscheidenden Risikofaktor. An einer Studie mit 77 Patienten wurden die Lymphgefäße mit LYVE-1 gefärbt und die Dichte der Lymphgefäße in verschiedenen Regionen des Hodens gemessen. Eine hohe Lymphgefäßdichte konnte als unabhängiger Risikofaktor für das Vorliegen einer Metastasierung identifiziert worden. Ein zusätzlicher Molekularer Prognosemarker ist das CXCL12, ein chemotaktisch wirkendes Chemokin der CXC-Motiv-Gruppe. Bei 182 Patienten fand sich bei Nichtseminomen im klinischen Stadium I bei einer starken immunhistochemischen Expression des Markers eine Rezidivfreiheit von 80 %, wohingegen Patienten ohne CXCL12 Expression im Primärtumor in 65 % rezidivfrei blieben. In der multivariaten Analyse waren neben der Gefäßinvasion die Expression des CXCL12 unabhängige Prognosefaktoren für das Auftreten einer Metastasierung.
Die S3 Letilinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der
Keimzelltumoren des Hodens vom Mai 2019 empfiehlt daher im Rahmen der histopathologischen Untersuchung des Primärtumors die immunohistochemische Untersuchungen: AFP und Beta-hCG für alle Tumoren.
Zur besseren Differenzierung in diagnostischen Zweifelsfällen werden die folgenden Marker zusätzlich empfohlen:
-
bei Seminomen: Oct3/4, CD117, D2-40, CD30
(alternativ Podoplanin, SOX17, AE1/3, SOX2)
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bei Embryonalen Karzinomen: OCT 3/4, CD117, CD30
(alternativ Podoplanin, SOX17, AE1/3, SOX2)
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bei Dottersacktumoren: OCT3/4, Glypican-3, AFP, Beta-hCG, PLAP
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bei spermatocytischen Tumoren: OCT3/4, Gypican-3, AFP, Beta-hCG, PLAP,
-
bei Chorionkarzinomen: OCT3/4, Gypican-3, AFP, Beta-hCG, PLAP
-
in GCNIS: PLAP, c-kit
-
Tab. 1
Einsatzbereiche der Protein Marker beim Hodentumor
Seminom | + | + | + | | - | + | + | + | + | - | | |
Embrionalzell carcinom | + | + | + | | + | - | - | + | + | + | | |
Teratom | - | - | - | | +/- | - | - | - | - | - | | |
Yolk sac | - | - | + | + | - | - | - | - | - | + | | |
Chorionkarzinom | | | | | | | + | | | | | |
TIN | + | + | | | - | | | + | | | | |
Metastasiert | | | | | | | | | | | | x |
Cisplatin Resistenz | x | | | | | | | | | | | |
Histologie Resttumor | | | | | | | | | | | x | |
Molekulare Marker im Blut
Der Nachweis von Kopien kurzer, codierender und nicht codierender DNA Abschnitte, den mRNAs
und
miRNAs, wird beim Hodentumor immer ausführlicher untersucht. Eine Verbesserung der Diagnostik scheint mit diesen neuen Markern möglich zu sein. Vor allem als
Tumormarker im Blut scheinen die miRNAs eine Rolle zu spielen.
Mehrere Publikationen verschiedener Arbeitsgruppen zeigen den Nachweis des miRNA Cluster miR371-73
sowie die miRNA 302 als assoziiert mit dem Vorhandensein eines Seminoms. Bei über 90 % der Seminompatienten sind im Blut mehr Kopien dieser miRNA nachweisbar als in einem gesunden Kollektiv bzw. bei Patienten mit gutartigen Hodenveränderungen. In der Hodenvene sind die
miRNAs in einer etwa 50-fach höheren Konzentration nachweisbar.
Nach operativer Entfernung des Tumors und unter weiterer Therapie fallen die Werte ab. Es existieren noch keine Normwerte und die
miRNAs sind bisher an insgesamt rund 100 Patienten untersucht worden. Da gerade beim Seminom
nur ca. 20–50 % der Patienten ein erhöhtes ß-HCG aufweisen, ist ein neuer
Tumormarker in der Diagnosestellung, aber auch in der Nachsorge von besonderem Interesse. Weiterhin scheint die Konzentration bestimmter
mRNAs und miRNAs mit dem Metastasierungsstatus assoziiert zu sein. Die Höhe der mRNA Expression von DRD1 und Fam71F2 ist in einer Studie an 52 Seminompatienten mit dem Metastasierungsstatus assoziiert. Der Metastasierungsstatus konnte hier für 88 % der Patienten richtig vorhergesagt werden. Die Expression von zwei miRNAs zeigte in einer anderen Studie eine Assoziation mit dem Metastasierungsstatus. Dabei konnten metastasierte Stadien von nicht metastasierten unterschieden werden, auch okkult metastasierte Tumoren konnten korrekt zugeordnet werden. mRNA und miRNA Expression im Blut scheint als Tumormarker sowohl eine Differenzierung zwischen
Keimzelltumoren und nicht Keimzelltumoren als auch zwischen unterschiedlichen Stadien der Metastasierung zu ermöglichen. Aufgrund der Homogenität der Daten aus verschiedenen Arbeitsgruppen scheint die miRNA ein vielversprechender zukünftiger Tumormarker zu sein. Eine Assoziation der Expressionshöhe mit dem Tumorstadium und der Einfluss anderer Faktoren auf die Expression ist Gegenstand der aktuellen Forschung.
Besonders geeignet zeigt sich die miRNA 371a-p3. In prospektiven multizentrischen Studien mit über 600 Keimzelltumorpatienten und ca. 250 Kontrollen konnte diese miRNA als neuer Hodentumormarker identifiziert und bestätigt werden. Die Senstivität lag bei ca. 90 %, die Spezifität bei 94 % mit einer
AUC von 0,966 für alle
Keimzelltumoren und 0,996 für die metastasierten Keimzelltumoren. Der Marker ist zur Primärdiagnostik sowie Verlaufskontrolle unter Therapie bei allen Keimzelltumoren des Hodens als Marker geeignet, mit Ausnahme des Teratoms
.
Teratome scheinen die miRNA 371 nicht zu exprimieren. Seit dem Jahr 2020 ist ein kommerzieller KIT für die miR371 in Deutschland verfügbar, sodass eine klinische Anwendung des Tumormarkers möglich ist.
An einem Kollektiv von 74 Hodentumorpatienten wurden die mitochondiralen DNA Fragmente im
Serum gemessen und die Konzentration mit 35 Gesunden verglichen. Dabei zeigte sich bei Nutzung der mtDNA 79 eine Sensitivität von 60 % und eine Spezifität von 94 % (
AUC 0,79) in der Detektion von
Keimzelltumoren. Eine Assoziation mit klinischen Parametern, dem Metastasierungsstatus oder der Höhe der
Tumormarker fand sich nicht.
Bei 32 Patienten mit einem unbehandelten Nichtseminom fanden sich im Blut die Proteine IGF-II und IGFBP-2, im Vergleich zu 38 Gesunden, um den Faktor 1,4 bzw. 2,7 erhöht. Unter Therapie fielen die Spiegel wieder ab, ähnlich dem Verlauf der
Tumormarker AFP und ß-HCG. IGFBP-2 fand sich auch bei Patienten mit einem Tumorrezidiv erhöht.
Micro(mi)RNAs im Gewebe
Die Expression von
miRNAs in Tumorzellen scheint Informationen über biologische Prozesse im Tumor geben zu können. So konnten miRNAs identifiziert werden, deren Level bei einer Resistenz der Tumorzelle gegenüber Chemotherapeutika, wie dem Cisplatin, erhöht oder erniedrigt ist. Dabei wurden die Spezies miR-10b und miR512-3p in allen Zelllinien differenziell exprimiert und 11 weitere miRNA Spezies zeigten einen Expressionsunterschied um das bis zu 10fache. Diese Ergebnisse konnten bisher in verschiedenen Zelllinien dargestellt werden, eine
Validierung am humanen Tumor steht noch aus. Sollten sich die Daten auch an humane Tumoren bestätigen, könnten diese molekularen Marker die Therapieplanung für die Patienten verändern. An 15 testikulären Seminomen konnte anhand der Expression von miRNAs im Primärtumor eine Vorhersage über den Metastasierungsstatus getroffen werden. Eine Unterscheidung zwischen metastasierten und nicht-metastasierten Stadien gelang dabei sehr gut, eine Unterscheidung zwischen okkult und sichtbar metastasierten Stadien gelang gar nicht. Sollten die Ergebnisse an einem unabhängigen Kollektiv bestätig werden, findet sich auch hier großes diagnostisches Potenzial der miRNAs. Die beschriebenen Ergebnisse bieten Einblick in die
Tumorbiologie und die Veränderungen der Genexpression könnten auch Angriffspunkte für eine Targeted-Therapie werden. Ebenfalls an Tumorzelllinien konnte die Relevanz der Caspase-9 gezeigt werden. Für die Cisplatin Resistenz der Tumorzellen scheint eine fehlende Aktivierung des Caspase-9 Weges mit Induktion der
Apoptose verantwortlich zu sein. Bei fehlender Aktivierung dieses Weges zeigt die Zelle eine deutlich erhöhte Cisplatin Resistenz.