Einleitung
Die Toxizität nach Radiotherapie
des lokalisierten
Prostatakarzinoms und die damit verbundenen postradiogenen Funktionsstörungen sind in den letzten Jahren geringer geworden. Angaben zur Häufigkeit variieren aber zum Teil erheblich. Die Nebenwirkungen betreffen die Harnblasen-, Darm- und Sexualfunktion. Hinzu kommen das tumorassoziierte Erschöpfungssyndrom (Fatigue) sowie die psychische Belastung. Ein evidenzbasiertes multimodales Therapiekonzept in einem uroonkologischen Rehabilitationszentrum dient der Reduzierung der postradiogenen Funktionsstörungen, der psychischen Stabilisierung und damit der Verbesserung der
Lebensqualität mit Teilnahme am normalen gesellschaftlichen Leben entsprechend der S3-Leitline-Prostatakarzinom (Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms Version 5.1 – Mai 2019). Eigene Ergebnisse bei der Wiederherstellung der Lebensqualität werden in einer Tabelle dargestellt.
Die
perkutane Radiatio und die
Low-dose-Brachytherapie zur Behandlung des
lokalisierten Prostatakarzinoms (PCA) sind primäre Therapieoptionen gemäß der aktuellen S3-Leitlinie-Prostatakarzinom. Statistische Erhebungen zum Anteil primär bestrahlter oder low dose- brachytherapierter Prostatakarzinompatienten pro Jahr gibt es in Deutschland bisher nicht. In der bekannten HAROW-Studie wurden 13,5 % der Patienten mit einer primären Radiatio behandelt (Herden et al.
2016). Wie jede Behandlungsform hat auch die Radiotherapie Nebenwirkungen. Diese können die
Lebensqualität der Patienten z. T. erheblich beeinträchtigen.
Die postradiogenen Funktionsstörungen sind Folge der Zytotoxizität der Strahlen auf den Genitourethral (GU)- und Gastrointestinaltrakt (GI) sowie die Belastung des Organismus mit den Zellabbauprodukten.
Die Wiederherstellung einer hohen
Lebensqualität als der entscheidende Parameter in der Ergebnisqualitätssicherung erfordert eine leitliniengerechte und
fachspezifische uroonkologische Rehabilitationsmaßnahme. Die Rehabilitationsziele sind:
2.
Wiederherstellung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit;
3.
Wiederbefähigung zur Teilhabe am normalen gesellschaftlichen Leben;
4.
Reintegration in das Berufsleben (S3-Leitline-Prostatakarzinom (Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des
Prostatakarzinoms Version 5.1 – Mai 2019)).
Nach
Strahlentherapie können Schäden akut, verzögert und nach vielen Jahren auftreten.
In der Literatur finden sich sehr differente Angaben zu den Toxizitäten nach Bestrahlung des
Prostatakarzinoms den Genitouerthral- (GU) und Gastrointestinaltrakt (GI)
betreffend.
Diese korrelieren sowohl mit den Strahlendosen wie auch der verwendeten Bestrahlungstechnik einschließlich dem Therapieprozedere.
Durch die Einführung der intensitätsmodulierten
Strahlentherapie (
IMRT) in Verbindung mit der bildgeführten Strahlentherapie (IGRT
) können höhere Strahlendosen mit geringeren Toxizitäten für Harn- und Darmtrakt als mit der älteren 3-D-konformalen Bestrahlungstechnik appliziert werden (Yu et al.
2016).
In den letzten Jahren hat sich zunehmend die Methode der Hypofraktionierung etabliert.
Um die Datenlage zu verdeutlichen werden im Folgenden einige ausgewählte Studien der letzten Jahre dargestellt (siehe auch Tab.
1).
Tab. 1
GU – und GI-Toxizitäten nach RTOG/EORTC-Klassifikation
Liu et al. 2004 n = 1192 konventionell/3-D-konformal (52,5 Gy bis 78 Gy) | Spättoxizität 5 Jahre | Spättoxizität 5 Jahre |
Grad 2–3 | 20 % | Grad 2–3 | 12 % |
Grad 3 | 5,5 % | Grad 3 | 2,7 % |
Aluwini et al. 2015 n = 820 (HYPRO) | | | | |
| akute Toxizität 3 Mon | akute Toxizität 3 Mon |
≥Grad 2 | Grad 4 | ≥Grad 2 | Grad 4 |
hypofraktioniert | 23 % | <1 % | 13 % | 0 |
konventionell | 22 % | <1 % | 13 % | 0 |
Wilkins et al. 2015 (CHHiP) konventionell n = 696 (74Gy) hypofraktioniert n = 698 (60 Gy) n = 706 (57Gy) | | | Spättoxizität 2 Jahre |
| | sehr gering | 21–22 % |
| | gering | 6–9 % |
| | moderat | 5–6 % |
| | schwer | <1 % |
Aluwini et al. 2016 n = 782 (HYPRO) | | | | |
| Spättoxizität 3 Jahre | Spättoxizität 3 Jahre |
≥Grad 2 | kumulative ≥Grad 3 – Inzidenz | ≥Grad 2 | kumulative ≥Grad 3 – Inzidenz |
hypofraktioniert | 41,3 % | 19,0 % | 21,9 % | 3,3 % |
konventionell | 39,0 % | 12,9 % | 17,7 % | 2,6 % |
Dearnaley et al. 2016 konventionell/hypofraktioniert | Spättoxizität 5 Jahre ≥Grad 2 | Spättoxizität 5 Jahre ≥Grad 2 |
n = 1065 (74Gy) | 9,1 % | | 13,7 % | |
n = 1074 (60Gy) | 11,7 % | | 11,9 % | |
n = 1077 (57Gy) | 6,6 % | | 11,3 % | |
Carvalho et al. 2018 n = 7317 | akute Tox. | Spättox. >12 Mon | akute Tox. | Spättox. >12 Mon |
moderat hypofraktioniert | 32,6 % | 28,7 % | 27,5 % | 12,9 % |
konventionell | 31,9 % | 28,0 % | 21,9 % | 16,2 % |
| | | | |
moderat hypofraktioniert | >Grad 3 | 6 % | ≥Grad 3 | 7 % |
extrem hypofraktioniert | Spättoxizität 5 Jahre | Spättoxizität 5 Jahre |
≥Grad 2 | 3–9 % | ≥Grad 2 | 0–4 % |
Brachymonotherapie | ≥Grad 3 | 6–8 % | selten Spättox. |
| Spättoxizität 5,5 Jahre (median) | Spättoxizität 3 Jahre (median) |
| Grad 3 | 2 % | 1 % | |
| Grad 4 | 0,3 % | | |
Murray et al. 2020 n = 293 | Spättoxizität 2 Jahre ≥Grad 2 | Spättoxizität 2 Jahre ≥Grad 2 |
no IGRT, IGRT-Standard, IGRT (reduce margins) | 3,9 % bis 8,4 % in Abhängigkeit der Methode | 5,8 % bis 8,3 % in Abhängigkeit der Methode |
Vassis et al. 2020 n = 110 | | | | |
moderat hypofraktioniert (60 Gy) | akute Toxizität | akute Toxizität |
| Grad 1 | 56,4 % | Grad 1 | 19,9 % |
| Grad 2 | 7,2 % | Grad 2 | 3,6 % |
| Grad 3 | 1,8 % | Grad 3 | 0 |
konventionell (<78 Gy) | Grad 1 | 72,8 % | Grad 1 | 23,7 % |
| Grad 2 | 16,3 % | Grad 2 | 16,3 % |
| Grad 3 | 3,6 % | Grad 3 | 0 |
moderat hypofraktioniert | Spättoxizität | Spättoxizität |
| Grad 1 | 16,4 % | Grad 1 | 16,3 % |
| Grad 2 | 3,6 % | Grad 2 | 0 |
| Grad 3 | 3,6 % | Grad 3 | 0 |
konventionell | Grad 1 | 21,8 % | Grad 1 | 14,6 % |
| Grad 2 | 5,5 % | Grad 2 | 3,6 % |
| Grad 3 | 3,6 % | Grad 3 | 0 |
| Grad 4 | 0 | Grad 4 | 3,6 % |
Heemsbergen et al. 2020 (HYPRO) n = 593 | | | | |
| | | Spättoxizität 5 Jahre |
konventionell (78 Gy) | | | | |
| | | ≥1 Symptom | 30,2 % |
| | | ≥2 Symptome | 12,4 % |
| | | ≥3 Symptome | 3,4 % |
hypofraktioniert (64,6 Gy) | | | ≥1 Symptom | 36,3 % |
| | | ≥2 Symptome | 19,3 % |
| | | ≥3 Symptome | 7,1 % |
| | | Spättoxizität 15 Jahre |
konventionell-3-D-konformal o.IMRT (<74 bis 79,2 Gy) | | | 4,3-fache Zunahme ≥Grad 3 rektale Blutungen |
In einem kritischen Review der Literatur der letzten 10 Jahre wurden von Matta et al.
2019 GI- und GU-Toxizitäten ≥Grad 3 nach moderater hypofraktionierter Bestrahlung von 6 % und 7 % angegeben. Nach extremer Hypofraktionierung lag die 5 Jahres-Inzidenz der GU- und GI-Toxizität ≥Grad 2 bei 3–9 % und 0–4 %. Nach Brachymonoytherapie wurden GU-Toxizitäten ≥Grad 3 von 6–8 % gemessen, späte GI-Toxizitäten traten selten auf.
Akuttoxizitäten ≥Grad 2 nach 3 Monaten wurden im Vergleich der hypofraktionierten mit der konventionellen Bestrahlungstechnik bzgl. des Harntraktes in 22 % vs. 23 % und Darmtoxizitäten in 13 % berichtet. (Aluwini et al.
2015).
Von Wilkins et al. 2016 wurden allgemeine Darmstörungen sowohl nach konventioneller als auch hypofraktionierter Bestrahlung nach 2 Jahren (sehr geringe/geringe/moderate Ausprägung) in 21–22 %, 6–9 %, 5–6 % sowie schwere Störungen in <1 % und somit kein wesentlicher Unterschied der Methoden festgestellt.
Weg et al. berichteten 2019 nach dosiseskalierter
IMRT (81 Gy bzw. 86,4 Gy) über 3-Jahres-Grad-3-Spättoxizitäten am Darmtrakt von 1,0 %. Späte Harntrakttoxizitäten
Grad 3 und 4 traten in 2,0 % und 0,3 % auf.
Aluwini et al.
2016 berichtet über Spättoxizitäten
am Harntrakt ≥Grad 2 nach 3 Jahren von 39 % in der standardfraktionierten und 41,3 % in der hypofraktionierten Gruppe und Darmtoxizitäten ≥Grad 2 von 17,7 % in der standardfraktionierten und 21,9 % in der hypofraktionierten Gruppe.
In einer großen randomisierten Phase-III-Studie mit Vergleich der konventionellen mit der hypofraktionierten Bestrahlungstechnik wurde eine kumulative 5-Jahresinzidenz der Spättoxizitäten an Harn- und Darmtrakt ≥Grad 2 nach Radiation Therapy Oncology Group (RTOG) zwischen 6,6 und 13,7 % (Dearnaley et al.
2016) beschrieben. Hinsichtlich der akuten GI- und GU-Toxizität berichteten Vassis et al.
2020 in einem Vergleich der moderaten hypofraktionierten (HRT) zur konventionellen Radiotherapie (CRT) 2016–2018 an 110 Patienten über akute Toxizitäten Grad 1–3 von 62 % vs. 78 %. GI-Spättoxititäten Grad 1 wurden in der HRT-Gruppe mit 14,5 % und in der CRT- Gruppe mit 9,1 % angegeben, in der CRT-Gruppe fanden sich auch jeweils 1,8 % Grad 2- und 4-Spätereignisse. GU-Spättoxizitäten Grad 1 traten in der HRT-Gruppe in 16,4 % auf, Grad 2 und 3 jeweils 3,6 % und in der CRT-Gruppe 21,8 % Grad 1, 5,5 % Grad 2 und 3,6 % Grad 3.
Murray et al. berichteten 2020 über ≥Grad 2 GI-Toxizitäten nach 2 Jahren von 5,8 % bis 8,3 % und GU-Toxizitäten von 3,9 % bis 8,4 % in Abhängigkeit der IGRT-Methode (no-IGRT, IGRT- Standard, IGRT-reduced margins).
Ein systematischer Review und
Metaanalyse von 7317 Patienten im Vergleich der konventionellen (CRT) mit der moderat hypofraktionierten Radiatio (HRT) zeigte vergleichbare akute GU-Toxizitäten (31,9 % vs. 32,6 %) und GU-Spättoxizitäten von 28,0 % vs. 28,7 %. Die akuten GI-Toxizitäten waren in der HRT-gruppe höher mit 27,5 % vs. 21,9 % in der CRT-Gruppe. Nach 12 Monaten und länger waren die GI-Toxizitäten jedoch vergleichbar (12,9 % HRT vs. 16,2 % CRT) (Carvalho et al.
2018).
Ausreichende Langzeituntersuchungen bzgl. Tumorkontrolle und Toxizitäten bei der Anwendung der Methode der Hypofraktionierung liegen bisher noch nicht vor.
Weg et al. berichteten 2019 über eine Rate an Sekundärmalignomen
in einem 15 Jahres-Zeitraum von 12,6 %. Hierbei handelte es sich in 26 % um sogenannte in-field-Karzinome wie um kolorektale- und Blasenkarzinome. Auch Lungen-, Ösophagus-und Magen-, Pankreas-, Nieren- und
Schilddrüsenkarzinome,
Osteosarkome sowie auch
Leukämien,
Lymphome und Myelome wurden als späte primäre Zweitmalignome nachgewiesen. Die mediane Zeit bis zum Auftreten lag bei 9 Jahren nach der Radiotherapie. Die Autoren stellten fest, dass sich die Rate an Sekundärmalignomen mit längerer Nachbeobachtungszeit etwas erhöht. Sie führen aus, dass der Begriff der in-field-Karzinome nicht strahleninduzierte Malignome benennt, gehen aber davon aus, dass das Risiko hinsichtlich der in-field-Karzinome für prostatabestrahlte Patienten wahrscheinlich höher ist als das der gleichaltrigen Männer in der Gesamtbevölkerung.
In einem systematischen Review und Metaanalayse berichten Wallis et al.
2016 über die höchsten absoluten Raten für Blasen-, kolorektale und
Rektumkarzinome als Sekundärmalignome in 3,8 %, 4,2 % und 1,2 %.
Ursächlich sind DNA-Schäden durch Partickel-DNA-Wechselwirkungen, durch Superoxid-Anionen und Steigerung der Wasserstoffperoxidproduktion sowie Veränderungen der Genexpression im Sinne der intrazellulären Kommunikation (Bystander-Effekt) und durch die Erzeugung extrazellulärer Faktoren, die zu übermäßigem Schwesterchromatid-Austausch führen (Lehnert et al.
1997; Narayanan et al.
1997; Azzam et al.
1998).
DNA-Schäden, Zelltod und Schäden an Zellorganellen wie z. B Mitochondrien lösen Signalwege aus, die zur Reaktion von Immunzellen führen. Massive Zellschäden nach hoher Strahlenexposition
verursachen die Sekretion von Entzündungsmediatoren und
Zytokinen wie z. B.
Interleukine, Interferone, TNF und
Chemokinen, welche die Veränderungen im Gewebe verursachen. Zusätzlich können chronische Entzündungsreaktionen durch kontinuierliche Produktion von freien Radikalen zur Entstehung von Zweitmalignomen beitragen (Najafi et al.
2018).
Nach Seed-Implantation (LDR-Brachytherapie) kann es unmittelbar nach der Intervention besonders innerhalb der ersten 6 Monate postinterventionell zu einer erheblichen Verschlechterung der Miktionssymptomatik in Form von Pollakisurie, Nykturie, Algurie, Harnstrahlabschwächung, Restharnbildung bis zum Harnverhalt kommen.
Die Ausprägung der Störung hängt vor allem von den präinterventionellen Miktionsparametern (IPSS-Score, Restharn) und nicht isoliert vom Prostatavolumen ab (Niehaus et al.
2006).
Das Risiko für Harnverhalte wird in der Literatur mit 2,9–13,4 % beziffert. Patienten, die präoperativ mit einem alpha-Blocker behandelt wurden, eine neoadjuvante Hormontherapie (ADT) zum „Downsizing“ erhielten, die ohne zusätzliche percutane Radiatio therapiert wurden und die ein Prostatvolumen von >45 cm
3 aufwiesen hatten ein erhöhtes Risiko für postinterventionelle Harnverhalte
(Lee et al.
2010). Auch die Anzahl der verwendeten Seeds (Tanimoto et al.
2013) bzw. die Gesamtdosis der applizierten Dosis auf den Blasenhals und das Ausmaß der Protrusion des in die Blase hineinragenden Prostataanteils (>3,5 mm) sind Prognoseparameter für das Risiko postinterventioneller Harnverhalte (Roeloffzen et al.
2011).
GU-Spättoxizitäten Grad 2 wurden in 5 % ohne vorherige TUR-P und in 18 % nach vorheriger TUR-P beschrieben. Eine Grad 3-GU-Toxizität trat in 5 % unabhänging von einer präinterventionellen TUR-P auf (Chao et al.
2018). Stish et al. (
2018) erwähnen das Auftreten von Grad 3 oder 4 GU- und GI-Spättoxizitäten zwischen 1 % und 4 %.
Harnblasenfunktionsstörungen
Die Bestrahlung der Prostata und der Samenblasenregion geht häufig mit einer akuten
radiogenen Zystitis einher, welche sich durch eine Störung des Prostaglandinmetabolismus sowie eine daraus resultierende Störung der urothelialen Barrierefunktion, u. a. der
Glykosaminoglykanschicht, ergibt (Hoffmann
2012; Krakau
2002). Hierdurch kommt es zur Irritation der Blasenschleimhaut und durch die Schwellung der Prostata zur
Obstruktion. Daraus resultiert eine Störung der Speicherphase mit z. T. ausgeprägter Urge-Symptomatik bis hin zur Urge-Inkontinenz. So entsteht die Symptomatik aus Pollakisurie, Nykturie, Dys- bzw. Algurie und Restharnbildung, in seltenen Fällen bis zum Harnverhalt (Risiko 3–5 %) (Cosset et al.
2013).
Die Symptomatik kann mit dem Fragebogen des International Prostate Symptom Score (IPSS)
gut erfasst werden. Die diagnostischen Maßnahmen erfordern:
-
die Uroflowmetrie mit anschließender sonografischer Restharnbestimmung,
-
das Führen eines Trink- und Miktionsprotokolls mit Ermittlung der Miktionsfrequenz und der Miktionsvolumina,
-
ggf. bei Harninkontinenz den standardisierten 24-h-Vorlagen-Test.
Mittels einer
visuellen Analogskala (VAS) wird das Ausmaß der Urge-Symptomatik sowie der Dys- bzw. Algurie erfasst. So wird die Therapiebedürftigkeit bei den betroffenen Patienten objektiviert.
Als eine sehr wirksame Methode zur Behandlung der radiogenen Zystitis – wenn derzeit auch nicht evidenzbasiert – hat sich eine
intravesikale Instillationstherapie mit
Natriumchondroitinsulfatlösung mit oder ohne
Hyaluronsäure erwiesen, womit dem Urothel wichtige
Glykosaminoglykane (GAG) zugeführt werden zur Wiederherstellung der basalen GAG-Schicht der Harnblasenwand (Gacci et al.
2016; Lazzeri et al.
2016; Sommariva et al.
2014; Hoffmann
2012; Shao et al.
2012). So wird die Regeneration des Urothels und seine Schutzfunktion verbessert und das Anheften von
Bakterien,
Immunkomplexen und Harnsalzen gehemmt.
Die Instillationstherapie ist eine kausale Therapie, die schneller zur Ausheilung der abakteriellen radiogenen Zystitis führt und möglicherweise Langzeitschäden wie Fibrosierung und Entstehung einer Schrumpfblase sowie auch der entzündungbedingten möglichen Entstehung von Blasenkarzinomen vorbeugt.
Die Gabe eines Anticholinergikums oder des Beta-3- Sympathomimetikums Mirabegron ist als eine ausschließlich symptombezogene Therapie der radiogenen Zystitis anzusehen. Bei älteren Patienten muss dabei besonders auf die Verträglichkeit dieser Medikamente geachtet werden. Bei erfahrungsgemäß guter Verträglichkeit führen Trospiumchlorid und Propiverin zu einer verlängerten Speicherphase der Harnblase und damit zu geringerer Miktionsfrequenz.
Die Obstruktion nach Bestrahlung der Prostata kann medikamentös mit Alpha-1-Rezeptorblockern wie z. B. Tamsulosin gebessert werden. Bei signifikant erhöhten Restharnmengen ist eine passagere transurethrale Harnableitung (Dauerkatheter) erforderlich. Bei verzögerter Rückbildung der Obstruktion sollte über einen suprapubischen Katheter abgeleitet werden.
Eine wesentliche Komponente
des multimodales Therapiekonzepts des Urologischen Kompetenzzentrums für die Rehabilitation (UKR) stellt die
Physiotherapie dar (Otto
2011). Die Einzelbehandlung erfolgt durch in osteopathischen Behandlungstechniken ausgebildete Physiotherapeuten. Es werden vor allem durchblutungsfördernde Techniken wie auch viszerale Behandlungstechniken angewandt, die zur Lösung von möglichen Verklebungen und Vernarbungen im Bereich des gesamten Beckenbodens, der Harnblase und Harnröhre führen.
Parietale Behandlungskonzepte mobilisieren die gesamte Wirbelsäule vor allem vegetativ im Bereich S2–S4 und Th9–L2, ferner die Ileosakralgelenke, die Symphyse, das Foramen obturatorium und das Steißbein. Die kraniosakrale Technik schließt das gesamte Nervensystem mit ein. So wird ein optimaler Stoffwechsel im traumatisierten Behandlungsgebiet erreicht. Dadurch kommt es zu einer Entstauung in Bezug auf das venolymphatische System und zu einer optimalen Druckverteilung im Gewebe. Drucknervale und organische Irritationen können so gemindert werden. Das Therapiekonzept führt im Ergebnis zu einer Verringerung der postradiogenen Harnblasendysfunktion
und der Miktionsfrequenz (Butea-Bocu et al.
2021; Brock et al.
2013).
Darmfunktionsstörungen
Die Epithelien des Intestinums haben eine sehr hohe Strahlensensibilität im negativen Sinne aufgrund ihrer hohen Teilungs- und Apoptoserate. Sie nimmt im Verdauungstrakt nach aboral kontinuierlich ab. Das Risiko für chronische toxische Strahlenfolgen am Darm liegt nach Applikation von 50 Gy am Kolon bei 20 % und am Rektum bei 5 % (Müller
2008). Bei einer Bestrahlung der Prostata liegt die Rektumvorderwand fast bis zum Schließmuskel in unmittelbarer Nähe zum Bestrahlungsfeld. Daraus kann eine
Strahlenproktitis resultieren. Sie tritt in ca. 20–50 % der Fälle auf und ist eine der meistberichteten Nebenwirkungen der perkutanen
Strahlentherapie im Rektumbereich mit negativen Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens (Dearnaley et al.
1999; Yeoh et al.
2012). Für die Spätfolgen nach 3D-konformaler Radiatio im Sinne der analen und rektalen
Toxizität wie z. B. Blutungen sind die lokalen Volumeneffekte bei Dosen zwischen 55 und 65 Gy verantwortlich (Peeters et al.
2006). Liu et al. (
2004) verwiesen auf eine Langzeittoxizität (Grad 2–3) nach 5 Jahren von 12 % bei konventioneller und 3D-konformaler Technik. Andere Studien zeigten einen höheren Anteil an Spättoxizitäten (Aluwini et al.
2016; Heemsbergen et al.
2020).
In der HYPRO-Studie (Heemsbergen et al.
2020) wurde die GI-Toxizität untersucht.
Das Ziel dieser Studie war die Festellung der lokalen Dosiseffekte für die konventionell fraktionierte (CF) und hypofraktionierte (HF) moderne
Strahlentherapie sowie der Bezug der lokalen Verteilung der Strahlendosis im Rektum auf die von Patienten berichteten gastrointestinalen (GI) Spättoxizitäten. 298 Patienten, die 78 Gy in 2 Gy-Fraktionen und 295 Patienten, welche 64,6 Gy in 3,4 Gy-Fraktionen erhielten wurden zu Spättoxizitäten innerhalb von 2 bis 5 Jahren befragt. Es wurden mittelschwere bis schwere GI-Symtome bewertet. Eine signifikant höhere Inzidenz bestand im Vergleich zur CF (22,8 %) nach HF (37,3 %) für das Auftreten von rektalen Blutungen und erhöhte Stuhlfrequenz. HF-Patienten zeigten die ausgeprägtesten lokalen Dosiseffekte in Regionen mit mittlerer bis hoher Dosis.
Eine Dosiseskalation >74 Gy war über 15 Jahre mit einer 4,3-fachen Zunahme an ≥Grad 3 rektalen Blutungen verbunden (Meng et al.
2020).
Einige aktuelle Untersuchungen berichten aber auch bei intensitätsmodulierter (
IMRT) und bildgeführter
Strahlentherapie (IGRT) und Hypofraktionierung über geringere gastrointestinale Toxizitäten (siehe hierzu auch Tab.
1).
Ein systematischer Review zeigt, dass mittlere Dosen <40 Gy auf den Analkanal die Entstehung von Spättoxizitäten verringern, insbesondere die
Stuhlinkontinenz (Jadon et al.
2019).
In den letzten 10 Jahren wurden zunehmend Spacer-Systeme (z. B. Polyethylen-glycol-hydrogel) zur Verminderung der rektalen Toxizität eingesetzt (Tang et al.
2018). Diesen wie auch Rektalballonsystemen wird jedoch bisher nur geringe Evidenz bescheinigt (Lawrie et al.
2018).
Die Strahlenproktitis
führt zu gehäuften, z. T. schleimigen und auch blutigen Stuhlgängen bzw. Diarrhöen bis hin zu schmerzhaften Tenesmen (Müller
2008). Patienten klagen über gehäuften Stuhldrang und veränderte Stuhlkonsistenz, selten auch über
Stuhlinkontinenz. Mögliche seltene Spätkomplikationen sind Fisteln, Strikturen und Nekrosen mit deren Folgen.
Aufgrund der oben beschriebenen Schädigungen des Rektumepithels ist aus rehabilitationsmedizinischer Sicht die Einleitung frühzeitiger lokaler Therapien sinnvoll, d. h. schon während, aber insbesondere gleich nach Abschluss der Bestrahlung. Diese sollen zur Vermeidung von Spätfolgen die Ausprägung der Frühtoxizität verringern.
Bei Proktitis soll eine
Obstipation durch angepasste Ernährung und die Gabe von leichten Laxanzien
vermieden werden. Bei rektaler Mukositis mit verstärktem Stuhldrang, Schleim- und Blutabgängen ist optional die Gabe von rektal wirksamen
Salicylaten (Anmerkung: nur als „off-label-use“) z. B. Mesalazin als Klistier, Rektalschaum oder Suppositorium als
lokale antiphlogistische Therapie möglich. Bei akuter Blutung ist die Applikation
topischer Kortikoide (z. B. Rektalschaum) kurzzeitig sinnvoll und effektiv (Böhmer
2012).
In einer Literaturecherche zu Interventionen zur Verminderung von akuten und späten gastrointestinalen Toxizitäten wurde aber hinsichtlich pharmakologischer Maßnahmen (Aminosalicylate, Sucralfat, Amifostin, Famotidin,
Selen, Korticosteroideinläufe und Gallensäurebinder wie Cholestyramine, Colestipol, Colesevelam) keine bis sehr geringe Evidenz in verschiedenen Studien nachgewiesen (Lawrie et al.
2018). Für diese Therapieoptionen besteht aus rehabilitationsmedizinischer Sicht somit keine primäre Empfehlung.
In besonders schweren Fällen wie bei einer ausgeprägten Blutung aus dem unteren Gastrointestinaltrakt ist die endoskopische Abklärung anzustreben, um andere Ursachen wie z. B.
Hämorrhoidalleiden oder Karzinome auszuschließen.
Bei dauerhaften
Diarrhöen können ggf. medikamentöse Behandlungen mit Motilitätshemmern
wie z. B. mit Loperamid und Racecadotril oder die Stuhleindickung mit Quellstoffen wie z. B. Flohsamen oder Pektinen z. B. Apfelpektin hilfreich sein. Als Ultima Ratio ist die
Titration von Opiumtinktur zu erwägen. Eine gezielte Ernährungsberatung
ist obligat.
Eigene langjährige klinische Erfahrungen im UKR zeigen bei bestrahlten AHB-Patienten einen positiven Effekt der kurzzeitigen Anwendung von kortisonhaltigen Applikationen zur Minderung sehr hoher Stuhlfrequenzen, Verminderung eines extremen Stuhldranges sowie der Normalisierung der Stuhlkonsistenz bei ausgeprägten Diarrhoen kurz nach Beendigung der Radiotherapie.
Auch die interstitielle
Brachytherapie führt zu einer rektalen Toxizität zum Teil auch noch nach Jahren im Sinne einer Spättoxizität. Die Symptome sind gehäufte Stuhlfrequenz >5-mal/Tag, verminderte Stuhlkonsistenz
, Bauchkrämpfe, viel Schleim und zeitweiliger Blutabgang (Keyes et al.
2012). Sie beträgt ca. 24 % in geringer Ausprägung (Grad 1 und 2 RTOG [Radiation Therapy Oncology Group]) (Le Fur et al.
2013; Mishra et al.
2007). Die Symptome einer hämorrhagischen Proktitis
nach Brachytherapie treten in einer ersten Häufung nach ca. 4 Monaten und in einem zweiten Häufigkeitsgipfel nach 16 Monaten auf (Mishra et al.
2007). Serrano et al. untersuchten Spättoxizitäten der LDR-Brachytherapie
im Vergleich mit und ohne externe Bestrahlung. Es fanden sich rektale Spättoxizitäten
≥Grad 2 und ≥Grad 3 von 6,9 % und 2,9 % bei einem medianen follow up von 7,5 Jahren über die gesamte Studienkohorte (245 Patienten). Das Risiko für Spättoxizitäten ≥Grad 2 war 2,8-fach und für ≥Grad 3-Spättoxizitäten 11,9-fach bei der Kombination der LDR-Brachytherapie mit der externen Bestrahlung (Serrano et al.
2016).
Okazaki et al. (
2017) berichtete von späten rektalen Blutungen nach LDR-Brachytherapie bis Grad 2 bei einer Kohorte von 245 Patienten in 6 % in einem Zeitintervall von 10,3 bis 38,7 Monaten (median 17,1 Monate).
Rektourethrale Fisteln
wurden in 0,19 % einer großen Kohorte beschrieben (Stone und Stock
2013).
Störungen der Sexualfunktion
Die Raten der
Erektilen Dysfunktion (ED) nach Radiotherapie unterscheiden sich in der aktuellen Literatur auf Grund der multifaktoriellen Ursachen der ED und dem sehr differenten Standard der Erfassung der Daten in den entsprechenden Studien erheblich voneinander (Nukala et al.
2020). Es besteht erfahrungsgemäß bei einem nicht unwesentlichen Anteil der Patienten mit PCA bereits praeradiogen eine
erektile Dysfunktion in unterschiedlicher Ausprägung.
Prospektive und klinisch kontrollierte Studien zeigen einen negativen Effekt der
Strahlentherapie im Bereich des Beckens auf die Sexualfunktion (Incrocci und Jensen
2013).
Nukala et al.
2020 berichteten in einem Literaturreview von 24 Studien über den Zeitraum von 2002 bis 2018 nach externer Bestrahlung oder
Brachytherapie ohne
antiandrogene Therapie über Raten der ED zwischen 17 % bis 90 %.
Sie hängen von verschieden Faktoren wie Studienpopulation, Patientencharakteristika, Therapiemethoden, Androgendepivationstherapie
, Datenerfassung, der Definition einer ED, der zeitlichen Betrachtung und der verwendeten
Hilfsmittel ab (Wortel et al.
2017).
Die ProtecT-Studie zeigte einen langfristigen zunehmenden Rückgang der erektilen Funktion bis auf 30 % bei einer eskalierten
Strahlentherapie (Donovan et al.
2016).
Eine
erektile Dysfunktion nach permanenter interstitieller
Brachytherapie (BT) tritt in bis zu 51 % der Fälle auf, bei einer Kombinationsbehandlung der BT mit der externen Bestrahlung lagen die Raten bei bis zu 89 % (Stember und Mulhall
2012). Außerdem wird die BT häufig zusammen mit der antihormonellen Therapie (ADT) durchgeführt (Shanahan et al.
2010), welche alleine bereits eine ED zur Folge hat.
Tanaka et al. (
2010) berichteten nach Jod
125-Brachytherapie über eine Verschlechterung der Sexualfunktion nach 12 Monaten bei einer kleinen Kohorte von prätherpeutisch potenten japanischen Männern ohne ADT (n = 31; IIEF 5 ≥ 17) in 67,7 %.
In einer prospektiven vierjährigen Bewertung der ED nach BT mit niedriger Dosisrate zeigten 52 Patienten mit einem präoperativen IEFF Score von >21 vier Jahre später in 36 % weiterhin einen IIEF-5-Score von >21, 70 % (33 Patienten) hatten weiterhin einen IIEF-Score von >16 (normale EF bis milde ED) (Schoentgen et al.
2019).
Eine Untersuchung aus Montreal von 627 Patienten, welche eine LDR-Brachytherapie zwischen 2005 und 2017 erhielten, berichtet unter Berücksichtigung der Komorbiditäten (bei 61 % der Patienten) nach 5 Jahren (n = 124 Patienten) über eine erhaltenen Potenz in 84 % bei einem medianen Alter von 64 Jahren, wobei hier nach einer Einteilung der ED nach CTCAE V3.0 (
Common Terminology Criteria for Adverse Events) beurteilt wurde, d. h. eine normale Erektion ohne Anwendung von Hilfsmitteln hatten von primär 62 % der Patienten vor Radiatio nach 5 Jahren nach der Bestrahlung noch 31 % (Bazinet et al.
2020).
Alter, IIEF-Score vor Seed-Implantation und Prostatavolumen sind prädiktive Faktoren für eine postradiogene
Erektionsstörung (Huyghe et al.
2013).
Ursächlich für die ED nach Radiatio sind Endothelzellverletzungen
der penilen und kavernösen Arterien, die über Jahre zu luminalen Stenosen und arterieller Insuffizienz führen. Auch die ultrastrukturellen Veränderungen des penilen Gewebes einschließlich der Entwicklung von
Fibrose des Schwellkörpergewebes mit der möglichen Entwicklung eines venösen Leaks führen über einen Zeitraum von 3–5 Jahren zur progressiven
erektilen Dysfunktion (Stember und Mulhall
2012). Eine neurale Alteration wurde in experimentellen Studien am Ratten- und Hundemodel nachgewiesen, Mahmood et al.
2017; Nolan et al.
2015).
Da das gesamte penile Nervensystem bei der Bestrahlung der Prostata im Sinne von nachgeschalteten Klein-nerv-neuropathien geschädigt wird, kommt es zu den häufig auftretenden späten sexuellen Toxizitäten mit erektilen, orgasmischen und ejakulatorischen Störungen. Somit klassifizierten die Autoren den prostatischen Plexus als neues „organ of risk“. Zukünftige Studien zur sexuellen Dysfunktion
nach Radiatio sollten deshalb zur objekiven Beurteilung auch die ejakulatorischen und orgasmischen Störungen mit einbeziehen (Ramirez-Fort et al.
2020).
Das Ziel der Rehabilitation nach
Strahlentherapie besteht in der Verbesserung der Oxygenierung
der Schwellkörper.
Diese soll der Fibrosierung des Gewebes bei prolongierter Flaccidität entgegenwirken, welche in klinischen Beobachtungen/Studien mittels nächtlicher Tumeszenzmessungen
und Pharmako-Cavernosometrie
sowie durch histologische und immunhistochemische Untersuchungen des Schwellkörpergewebes im Rahmen der Implantation von Penisprothesen bei impotenten Männern nach Radiatio (Hall et al.
1995) und in Tierstudien nachgewiesen wurde (Stember und Mulhall
2012; Mahmood et al.
2020).
Als therapeutische Option und erste Wahl gilt die Anwendung von
Phosphodiesterase-5(PDE-5)-Inhibitoren. In 4 randomisierten placebokontrollierten Studien nach Radiotherapie des PCA zeigten Patienten unter Einnahme von PDE-5-Inhibitoren eine signifikant bessere erektile Funktion (Yang et al.
2013; Valicenti et al.
2001). Andere Studien haben einen Langzeiteffekt dieser Therapie aber nicht feststellen können, a. u. auch wegen der häufig präexistenten ED der Probanden (Ilic et al.
2013) und der Enstehung einer postradiogenen ED im Verlauf von Jahren.
Bei Versagen oder Unverträglichkeit bzw. Kontraindikation der PDE-5-Inhibitoren können eine Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT), die MUSE (medikamentöses urethrales Systen zur Erektion) oder ein Vakuumsaugerektionshilfesystem angewandt werden.
Weil die Verschlechterung der erektilen Funktion nach Radiotherapie meist nicht unmittelbar nach Abschluss der Therapie auftritt, sondern erst im Intervall von Monaten bis Jahren, wünschen diese betroffenen Männer rehabilitative Maßnahmen im Rahmen einer Anschlussheilmaßnahme häufig nicht. Insofern ist die Aufklärung der Patienten und die Demonstration von Hilfsmittelalternativen eine wichtige Aufgabe des Rehabilitationsmediziners. Eine beckendurchblutungsfördernde Physiotherapie und das Erlernen von entsprechenden Übungen (physiotherapeutisches ED-Training) erscheinen sinnvoll.
Tumorassoziierte Fatigue
Hierbei handelt es sich um ein „dauerhaftes, subjektives Gefühl von körperlicher, emotionaler und/oder kognitiver Erschöpfung, das im Rahmen einer Krebserkrankung
oder -behandlung auftritt“ (Berger et al.
2020). Die verschiedensten physischen und psychischen Probleme treten isoliert oder gemeinsam auf. Es kommt zu Leistungsknick, erhöhtem Schlafbedürfnis, emotionalen Belastungen, Motivations- und kognitiven Störungen und zu Schwierigkeiten im sozialen Bereich (de Vries et al.
2012).
Die Ursachen erscheinen vielfältig. Sie können durch den Tumor bedingt oder Folge der onkologischen Therapie sein. Genetische Disposition, begleitende somatische oder psychische Erkrankungen, Umwelteinflüsse oder verhaltensbedingte Faktoren werden diskutiert (Horneber et al.
2012).
Nach aktuellen Daten der Literatur entwickeln 60–80 % der PCA-Patienten unter
Strahlentherapie ein
Fatigue-Syndrom in unterschiedlicher Ausprägung (Fransson et al.
2009; Krahn et al.
2009; Pinkawa et al.
2008; Fisch et al.
2014).
Die Leitlinie des National Comprehensive Cancer Network (NCCN Guidelines
® Cancer-Related Fatigue 2020) fordert deshalb während und nach einer Tumorbehandlung eine gezielte Befragung der Patienten nach Müdigkeits- und
Erschöpfungssymptomen (Berger et al.
2020). Mit Hilfe einer visuellen Analogskala wird die Ausprägung der Beschwerden ermittelt (0 = keine Müdigkeit, 10 = stärkste Müdigkeit). Ab einer Stärke von ≥4 sollte die weitere Diagnostik erfolgen. Bei Werten ≥7 bestehen gravierende Funktionseinschränkungen im Alltag.
In der Diagnostik spielt neben klinischen- und Laboruntersuchungen die Anamnese eine zentrale Rolle. Sie erfragt die Art und Ausprägung sowie den zeitlichen Verlauf der Beschwerden unter Beachtung möglicher Zusammenhänge mit vegetativen Funktionen (Horneber et al.
2012).
In einer prospektiven Studie untersuchten Chao et al. zwischen 1/2010 und 6/2016 bei 681 PCA-Patienten mit einem medianen Alter von 68 Jahren, die sich einer kurativen externen Bestrahlung (
IMRT und/oder Protonenbestrahlung) sowohl standardfraktioniert als auch moderat hypofraktioniert zwischen 6 und 9 Wochen unterzogen, hinsichtlich der Ausprägung einer Fatigue. Fatigue-Scores wurden wöchentlich während der Radiatio mit einer 4-Punkte-Scala erfasst. Der mittlere Fatigue-score lag zu Beginn der Therapie bei 0,15 und erreichte seinen höchsten Punkt in Woche 9 mit 0,59. Ein Alter unter 60 Jahren, depressive Symptome und die gleichzeitige Behandlung mit ADT waren signifikante Faktoren für höhere Fatigue-Level im Verlauf der Bestrahlung (Chao et al.
2018).
Da Fatigue
nachweislich verschiedene Lebensbereiche, darunter den Wiedereintritt in das Berufsleben beeinträchtigt, muss in der
onkologischen Rehabilitation dieses Erkrankungsbild routinemäßig erfasst und behandelt werden (Kuhnt et al.
2017). Die Therapie muss frühzeitig einsetzen, um eine mögliche Chronifizierung zu verhindern (Kuhnt et al.
2011).
So nimmt im Rahmen der uroonkologischen Rehabilitation bestrahlter Patienten die Behandlung der tumorbedingten Fatigue eine zentrale Rolle ein. Diese Patientengruppe stellt sich bezüglich der Ausprägung der Symptomatik bei Eintritt in die Anschlussheilbehandlung (AHB) sehr heterogen dar. Die Verminderung der Erschöpfung und die Steigerung der psychophysischen Leistungsfähigkeit sind ein wesentliches Rehabilitationsziel.
Wirkungsvolle nichtmedikamentöse Therapieoptionen sind die Steigerung der körperlichen Aktivität und psychosoziale Interventionen.
In randomisierten klinischen Studien wurde der positive Effekt eines
Ausdauer- und Krafttrainings bei PCA-Patienten nach
Strahlentherapie zur signifikanten Minderung des FatigueSyndroms sowie zur Verbesserung der
Lebensqualität beschrieben (Bourke et al.
2016; Horgan und O'Donovan
2018). Insbesondere gruppenbasierte Übungen 2- bis 3-mal/Woche, vor allem mit Krafttraining zeigen eine signifikaten Vorteil gegenüber home-based exercise für die Besserung des Fatigue-Syndroms (Keogh und MacLeod
2012)
Zu den psychosozialen Interventionen gehören
kognitive Verhaltenstherapien, Stressmanagement, Problemlösetraining, Aktivitäts- und Energiesparmanagement, Entspannungstechniken und Einzelberatungen wie auch strukturierte psychotherapeutische Verfahren
(de Vries et al.
2012).
Als sinnvoll erwies sich, Patienten und Angehörige bereits im Vorfeld der Behandlung über tumorassoziierte Fatigue aufzuklären (Berger et al.
2020). Hilfreich ist im Rahmen der Selbstbeobachtung das Führen eines Fatigue-Tagebuches zur Ermittlung von Pflichten und Tageszeiten mit hohem Energieaufwand mit dem Ziel optimierter Tagesstrukturierung sowie aktiver Entspannung und der Gestaltung von Pausen (de Vries et al.
2012).
Psychische Belastungsreaktion
Die Konfrontation mit der Diagnose „Krebs“stellt immer einen tiefen Einschnitt in der Biografie eines Menschen dar. Bei den bestrahlten Patienten ergibt sich zudem eine besondere Situation. Sie haben kein „I-have-it-out-Phänomen“! Deshalb besteht bei dieser Patientenklientel ein erhöhter Bedarf an
psychoonkologischer Betreuung. So nahmen 40,2 % der Patienten nach primärer perkutaner Radiatio ein psychoonkologisches Einzelgespräch in Anspruch, wie Brock et al.
2018 darstellen konnten.
Die psychologische Zuwendung soll einerseits die seelischen Empfindungen des Patienten während der ersten Wochen nach Bestrahlungsbehandlung stabilisieren und andererseits Möglichkeiten für eine stabile seelische Zukunft eröffnen.
Zur Unterstützung bei der
Krankheitsbewältigung der Patienten, bei Stimmungsschwankungen (auch unter Berücksichtigung einer hormonablativen begleitenden Therapie), innerer Unruhe und Anspannung, Konzentrations- und
Schlafstörungen, bei familiären und partnerschaftlichen Problemen im Umgang mit der sexuellen Situation nach der Therapie sowie anderen Problemen sind Maßnahmen wie Einzelgespräche, Paargespräche, Gesprächskreise der Betroffenen, Vorträge und Gespräche zur Stressbewältigung sowie Entspannungsgruppen hilfreich. Die professionelle, einfühlsame und individuelle Betreuung durch speziell ausgebildete
Psychoonkologen in der Rehabilitation hat sich bewährt.