Seltene Erkrankungen mit retroperitonealer Beteiligung
Verfasst von: Alexander Sascha Brandt und Daniel Goedde
Neben dem Morbus Ormond existieren noch andere gutartige Erkrankungen, die das Retroperitoneum befallen können und oftmals ein typisches Erscheinungsbild haben. Zu diesen Erkrankungen zählen die Weber-Christiansche Erkrankung und die Erdheim-Chester-Krankheit, die an dieser Stelle als Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit fungieren sollen.
Die Weber-Christiansche Erkrankung ist eine Pannikulitis, die neben dem subkutanen Fettgewebe ebenfalls Fettgewebe im Retroperitoneum befallen kann. Darüber hinaus ist der Befall von viszeralem und mesenterialem Fett beschrieben.
Historie und Epidemiologie
Die Erstbeschreibung der Erkrankung erfolgte von Pfeifer in Deutschland im Jahre 1892, Gilchrist und Ketron beschrieben einen zweiten Fall im Jahre 1916. Brill gab der Krankheit den Namen Weber-Christiansche Erkrankung, nachdem Weber im Jahr 1925 einen weiteren Fall und die Krankheit als „relapsing nodular non-suppurative panniculitis“ beschrieben hatte. Christian veröffentlichte 1928 einen weiteren Fall und fügte den Begriff „febrile“ hinzu.
Der Begriff Weber-Christiansche Erkrankung wurde eine Zeitlang als Überbegriff für verschiedene Pannikulitiden verwendet, ist jedoch aufgrund der besseren Spezifizierung der Pannikulitis in der Dermatologie mit genaueren Bezeichnungen wieder verlassen worden. Dennoch wird der Begriff bei Beteiligung des retroperitonealen Fettgewebes insbesondere in der Pathologie und auch in Rheumatologie bei Gelenkbefall weiter genutzt.
Über die Epidemiologie ist wenig bekannt, da über eine Beteiligung des retroperitonealen Fettgewebes meist nur in Fallreporten berichtet wurde. Bekannt ist jedoch, dass die Erkrankung typischerweise Frauen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr befällt.
Pathologie
Die Weber-Christiansche Erkrankung ist eine akute Form der Pannikulitis und wird ebenfalls als idiopathische, rezidivierende, febrile, nicht eiternde Pannikulitis („idiopathic relapsing febrile non-suppurative panniculitis“) oder als lobuläre Pannikulitis ohne Anzeichen einer Vaskulitis bezeichnet. Die Pathogenese der Weber-Christianschen Erkrankung ist bisher nicht geklärt. Es wird jedoch eine immune bzw. autoimmune Ursache vermutet.
Die histologischen Veränderungen im Retroperitoneum können in drei Phasen unterteilt werden: 1.) fokale Degeneration von Fettzellen begleitet von inflammatorischen Infiltraten, 2.) Aufnahme von degenerierten Fettzellen durch Makrophagen, 3.) Fibrosierung.
Symptomatik und Diagnostik
Normalerweise beginnt die Erkrankung mit subkutanen Knötchen, die hauptsächlich an der unteren Extremität auftreten. Diese Knötchen können spontan abnehmen und bilden dann Grübchen auf der Haut, die für die Erkrankung pathognomisch sind.
Bei der systemischen Form der Erkrankung ist vornehmlich das Retroperitoneum befallen. Darüber hinaus kann die Entzündung des Fettgewebes die Lunge, das Herz, den Gastrointestinaltrakt, die Leber, die Milz, die Nieren und Nebennieren mit einbeziehen. Eine generalisierte viszerale Beteiligung des Fettgewebes geht mit einer schlechten Prognose einher.
Die Symptomatik der Erkrankung ist geprägt von den betroffenen Organsystemen. Bei der retroperitonealen Form treten in erster Linie unspezifische Rückenschmerzen auf. Rezidivierendes Fieber kann auftreten, ist jedoch, auch wenn in der ursprünglichen Definition der Erkrankung so benannt, nicht immer vorhanden. Darüber hinaus können insbesondere gastrointestinale Symptome und Gelenkbeschwerden wie bei einer Polyarthritis auftreten.
Von urologischer Seite ist insbesondere die Beteiligung des Retroperitoneums und der Nieren beachtenswert. Bei späten Stadien der Fibrosierung im Retroperitoneum kann die Erkrankung zur Obstruktion der Ureteren mit konsekutiver Hydronephrose bis hin zum postrenalen Nierenversagen führen. Veränderungen des perirenalen und insbesondere des Hilusfettes können in der Bildgebung mittels CT oder MRT als tumoröse Raumforderungen imponieren (Abb. 1).
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Therapie
Es gibt bis heute keine spezifische Therapie der Weber-Christianschen Erkrankung. In der Akutphase der Erkrankung werden vorwiegend Kortikosteroide verwendet. Im weiteren Therapieverlauf ist die erfolgreiche Behandlung mit unterschiedlichen Immunsuppressiva und hier insbesondere mit Cyclosporin A beschrieben. Bei persistierender Hydronephrose oder unklaren tumorösen Veränderungen der Niere kann jedoch ebenfalls eine operative Therapie indiziert sein.
Erdheim-Chester Krankheit
Die Erdheim-Chester Krankheit (ECD) ist eine seltene systemische non-Langerhans-Zell Histiozytose. ECD betrifft in erster Linie das Skelettsystem, zeigt aber auch einen Befall extraskeletaler Organe. Die Beteiligung des Retroperitoneums tritt in bis zu 59 % der Fälle auf.
Epidemiologie
Erstmals 1930 von Chester beschrieben, sind bislang ca. 400 Fallberichte in der englischen und deutschen Literatur publiziert worden. Bei Männern wird im Verhältnis von 2:1 gegenüber Frauen ECD häufiger diagnostiziert. ECD tritt gehäuft um das 40. bis zum 70. Lebensjahr auf, wobei Einzelfälle vom 6. bis zum 87. Lebensjahr, bei einem mittleren Altersdurchschnitt von 57 Jahren, beschrieben wurden.
Pathologie
Die ECD wurde bislang nach der Histiocyte Society in die Klasse II der Histiozytosen eingeordnet wie auch die Retikulohistiozytose, die Rosai-Dorfman Erkrankung oder die familiäre bzw. reaktive hämophagozytische Lymphohistiozytose. Die wichtigste Differentialdiagnose ist die Langerhans-Zell Histiozytose (früher Histiocytosis X), welche als Klasse I Histiozytose eingeordnet wurde, neben dem eosinophilien Granulom, der Hand-Schüller-Christian Erkrankung und der Letterer-Siwe Erkrankung. Maligne Histiozytosen, wie das histiozytäre Sarkom oder die akute monozytäre Leukämie wurden in die Klasse III eingruppiert.
Ein Durchbruch im Verständnis dieses seltenen Krankheitsbildes wurde erreicht, als nachgewiesen wurde, dass der MAP-Kinase Signalweg in nahezu allen Patienten mit ECD verändert ist. 67 % aller Patienten zeigen dabei eine BRAF-V600E-Mutation, die eine konstante Aktivierung des BRAF-MEK Signalweges induziert, sodass man davon ausgehen muss, dass es sich bei der ECD um eine niedrig-maligne monoklonale inflammatorische Neoplasie handelt.
Histologisch ist die ECD gekennzeichnet als eine fibrosierende xanthogranulomatöse Entzündung mit Makrophagen, mehrkernigen Riesenzellen, durchsetzt von einem entzündlichen Infiltrat. Immunhistochemisch kann die ECD durch den Nachweis von CD68 und CD163, beides Marker für die monozytische-histiozytäre Differenzierung, und das Fehlen von CD1a von der Langerhans-Zell Histiozytose differenziert werden, welche einen ähnlichen histologischen Aufbau zeigt.
Die Theorie, dass es sich bei den unterschiedlichen Histiozytose-Formen nur um unterschiedliche Ausprägungen einer einzelnen Krankheit handelt, wird durch ein inkonstantes Expressionsmuster anderer immunhistochemischer Marker, wie z. B. S100 unterstützt. Zudem wird ein gemeinsames Auftreten von ECD, Langerhans-Zell-Histiozytose und eosinophilen Granulom im gleichen Patienten berichtet.
Symptomatik
Die klinische Manifestation der ECD reicht von asymptomatisch bis zu lebensbedrohlichen Bildern. Spezifische klinische Symptome, die die Diagnose einer ECD erlauben und andere Histiozytosen ausschließen, sind bislang nicht definiert.
Die ECD kann jedes Organ im Körper sowie das Skelettsystem betreffen, wobei eine extraskeletale Beteiligung je nach Autor in bis zu über 80 % vorliegt. Hauptsächlich betroffen zeigen sich Femur, Tibia und Fibula, die Weichteile, Gefäße und Organe des Retroperitoneums, das Gehirn sowie Augen und Orbita, Lungen bzw. Pleura und Herz als auch die Haut. Im Retroperitoneum zeigt sich die ECD meist als rindenähnliche Ummauerung der Niere (Abb. 2).
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Die durch eine ECD hervorgerufenen Symptome sind vielgestaltig, wobei ein chronischer Knochenschmerz und eine Osteosklerose insbesondere der unteren Extremität gehäuft auftreten. Als diagnostische Trias wurden Knochenschmerzen, Diabetes insipidus und ein schmerzloser bilateraler Exophthalmus vorgeschlagen. Als häufigstes Symptom wird Diabetes insipidus beschrieben, gefolgt von Dyspnoe, einem Exophthalmus, Xanthomen sowie Perikard- und Pleuraergüssen. Des Weiteren wird auch gehäuft von unspezifischen B-Symptomen wie Schwäche, Fieber, Gewichtsverlust oder Schmerzen z. B. der unteren Extremität berichtet.
Einziger klinischer pathognomonischer Befund für die ECD ist eine symmetrische Osteosklerose der langen Röhrenknochen der unteren Extremität in der radiologischen Untersuchung. Eine definitive Diagnose gelingt nur über eine Probeentnahme und histologische sowie immunhistochemische Aufarbeitung. Letztendlich sollte, bei begründetem Verdacht auf eine ECD, eine weitreichende und tiefgründige Untersuchung des gesamten Körpers mit Probeentnahme und Radiologie erfolgen.
Therapie
Nicht alle Patienten mit ECD benötigen eine Therapie zum Zeitpunkt der Diagnosestellung. Eine aktive Therapie wird jedoch für Patienten mit symptomatischer Erkrankung, Befall des ZNS und bei Dysfunktionen durch Organbefall empfohlen.
Die Entdeckung der Veränderung des MAP-Kinase Signalweges hat in den letzten Jahren zu einem Paradigmenwechsel in der Therapie der ECD geführt. Während die Erkrankung vorher in erster Linie mit Glokokortikoiden oder Interferon-α (IF-α) behandelt wurde, liegt heute die Standardtherapie in der Hemmung des MAP-Kinase Signalweges entweder durch einen BRAF-Inhibitor (Vemurafenib) oder direkt in Kombination mit einem MEK-Inhibitor (Cobimetinib).
Prognose
Für die Prognose ist die extraskeletale Beteiligung entscheidend. Die Prognose ist nicht zweifelsfrei vorhersehbar, in den meisten Fällen jedoch schlecht – vor Entdeckung des Zusammenhangs mit dem MAP-Kinase Signalweg starben ca. 60 % der Patienten innerhalb der ersten 3 Jahren nach Diagnosestellung, wobei Verläufe von 3 Monaten bis zu 10 Jahren beschrieben sind. Todesursächlich ist hierbei in erster Linie eine Beteiligung von Lunge und Herz mit respiratorischer Insuffizienz bzw. Herzversagen. Erkenntnisse zu Überlebenszeiten unter Therapie mit BRAF- und/oder MEK-Inhibitoren liegen noch nicht vor.
Zusammenfassung
Zu den seltenen Erkrankungen mit retroperitonealer Beteiligung zählen z. B. die Weber-Christiansche Erkrankung (WCD) und die Erdheim-Chester Erkrankung (ECD)
Die WCD ist eine Pannikulitis, die mit retroperitonealen, tumorähnlichen Strukturen einhergehen kann
Die ECD ist eine inflammatorische Neoplasie, die in bis zu 59 % der Fälle eine retroperitoneale Beteiligung zeigt
Klassisches retroperitoneales Bild der ECD ist eine rindenförmige Ummauerung der Nieren