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Die Urologie
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Publiziert am: 20.08.2022

Varikozele

Verfasst von: Thorsten Diemer und Wolfgang Weidner
Die Therapie der Varikozele testis wird seit langem in der Urologie und Andrologie sehr kontrovers diskutiert. Es ist bekannt, dass viele Varikozelenträger durch die Varikozele keine negativen Konsequenzen für die globale Hodenfunktion zu befürchten haben. Eine automatische Stellung einer Therapieindikation würde also zu einer relevanten Anzahl von Übertherapien führen Andererseits ist die Varikozele aber in relevanten Fallzahlen ursächlich für eine verminderte testikuläre Funktion anzusehen, ihre Behandlung ist somit eine gut durchzuführende, ätiologische Therapie in der Hand des Urologen. Letzte Metaanalysen von Studien mit sterilen Partnerschaften, bei welchen der Mann eine klinische Varikozele und reduzierte Ejakulatparameter aufwies, konnten zeigen, dass sich neben konventionellen Ejakulatparametern auch die resultierenden Schwangerschaftsraten nach Varikozelentherapie durchaus verbessern ließen.

Einführung und Epidemiologie

Die Varikozele ist definiert als tast- und sichtbare Erweiterung der Venen des Plexus pampiniformis. Eine nur duplex-sonographisch zu diagnostizierende Varikozele wird als subklinische Varikozele bezeichnet. Die Inzidenz der Varikozele liegt zwischen 8 und 42 %. In einer umfassenden Literatur-Zusammenstellung mit insgesamt 20.088 Probanden betrug die Häufigkeit bis zu 30,7 %. Bei zirka 15 % der Männer mit Varikozele kommt es zu Fertilitätsstörungen im Vergleich zu 3 % bei Männern ohne Varikozele. Bei Patienten, die wegen unerfüllten Kinderwunsches unsere andrologische Sprechstunde aufsuchen, findet sich die Varikozele in 13,2 % (Weidner et al. 2010).

Ätiologie und Pathogenese

Die Varikozele ist durch einen retrograden Blutfluss in der V. testicularis charakterisiert. Eine Insuffizienz oder Fehlen der Venenklappen sind dafür die häufigste Ursache. Die Pathophysiologie der Varikozele ist nicht eindeutig geklärt. Diskutiert wird eine venöse Stase, welche zur Hyperthermie und Hypoxie sowie Mikrozirkulationsstörungen des Hodengewebes führen soll. Zudem werden durch den Reflux von Katecholaminen verursachte metabolische Veränderungen im Hodenbereich mit einer Störung der Spermatogenese angenommen. In den meisten Fällen kann daraus ein OAT-Syndrom (Oligo-Astheno-Teratozoospermie-Syndrom) resultieren.
Ätiologie der Varikozele (Noxe = Reflux)
  • Venenplexus erweitert
  • Hydrostatischer Druck erhöht
  • Intratestikuläre Temperatur erhöht
  • Reflux toxischer Metaboliten
  • Als Folge testikuläre Funktion eingeschränkt (Spezifikation der testikulären Funktionseinschränkung: Apoptose, SPAK [Spermatozoenantikörper], DNA-Integrität, OAT-Syndrom)

Symptomatik und Diagnostik

Etwa 90 % der Patienten haben eine linksseitige Varikozele, bei etwa 3 % ist sie nur rechtsseitig und bei ca. 7 % beiderseitig lokalisiert. Subjektive Beschwerden bei Varikozele bestehen in skrotaler Schwellung sowie Schmerzen im Skrotum bei 2–10 % aller Patienten (schmerzhafte Varikozele). Die klinische Diagnostik beinhaltet die körperliche Untersuchung im Stehen und Liegen, die Verifizierung des Reflux mittels Duplexsonografie sowie eine Nieren- und Hodensonografie mit Volumetrie der Hoden. Eine Varikozele wird klinisch nach WHO in 4 Grade eingeteilt (0 = nicht sichtbar, nicht tastbar, Reflux nachgewiesen; 1 = tastbar unter Valsalva; 2 = tastbar; 3 = tastbar und sichtbar).
Für die Beurteilung der testikulären Funktion sollte immer ein Spermiogramm und ein Hormonstatus (zumindest FSH und Serumgesamttestosteron) durchgeführt werden. Ein für die Varikozele typisches, pathologisches Spermiogramm oder Spermiogrammkriterien sind nicht akzeptiert, häufig liegt jedoch ein OAT-Syndrom vor. Die Bestimmung von FSH und Testosteron ist zur Beurteilung eines Hodenparenchymschadens, insbesondere bei bereits reduziertem Hodenvolumen, empfehlenswert.

Indikation zur Behandlung

Indikationen zur Behandlung sind:
  • schmerzhafte Varikozele,
  • erhebliche kosmetische Beeinträchtigung durch die Varikozele,
  • Hodenvolumenreduktion (z. B. Seitendifferenz über 1,5–2 ml) bzw. Entwicklungsretardierung des Hodens bei Varikozelen im Kinder- und Jugendalter (gesichert durch Volumetrie im Longitudinalverlauf),
  • Fertilitätsindikation beim Erwachsenen (Varikozele als Ursache einer kinderlosen Partnerschaft), wenn gleichzeitig Spermiogrammveränderungen bestehen.
Merke
Das Problem bei der Behandlung der Varikozele bei Fertilitätsindikation besteht darin, dass nicht vorhersagbar ist, ob ein individueller Patient von einer Behandlung profitiert oder nicht.
Im Folgenden werden die Empfehlungen der Male Infertility Guideline Group der EAU (Jungwirth et al. 2013) zur Behandlung der Varikozele wiedergegeben:
1.
Behandlung der Varikozele:
 
2.
Keine Behandlung der Varikozele:
  • Varikozele und normales Spermiogramm
  • Varikozele und Azoospermie, insbesondere bei starker FSH-Erhöhung als Maß für einen fortgeschrittenen Hodenparenchymschaden
  • Bei OAT-Syndrom ohne Kinderwunsch
 
3.
Behandlungsempfehlung unklar bzw. keine klare Rationale für die Behandlung:
  • Varikozele und zusätzliche Ursachen einer Fertilitätsstörung (Zustand nach Orchidopexie, Prostatovesikulitis, Spermatozoenantikörper usw.)
  • Kindliche Varikozele und normales Hodenvolumen. Empfehlung: die Kontrolle des Hodenvolumens in 6-monatigen Abständen bis zum 1. Spermiogramm als Alternative zu einer Behandlung. Ein abwartendes Verhalten ist berechtigt, da kontrollierte prospektive Studien fehlen.
    Varikozele und Azoospermie ohne exzessive FSH-Erhöhung
    Varikozele und funktioneller Hypogonadismus (Testosterondefizit)
 
Der Schweregrad einer Varikozele korreliert nicht mit der Einschränkung des testikulären Status und dem Behandlungsergebnis.

Therapie

Das operative Behandlungsziel besteht in der Beseitigung des venösen Refluxes, das generelle Behandlungsziel bei männlicher Infertilität ist eine Verbesserung des Spermiogrammbefundes mit Erfüllung des Kinderwunsches.

Operative Verfahren

Unter den operativen Verfahren ist die hohe Ligatur der V. spermatica interna mit oder ohne Schonung der A. testicularis allgemein üblich. Bei der ursprünglich von Palomo 1979 angegebenen Methode wird das gesamte Gefäßbündel ligiert und partiell reseziert. Bernardi bemühte sich um eine exakte Schonung der A. testicularis.
Am verbreitesten ist derzeit die mikrochirurgische Dissektion der Venen des Samenstranges distal des äußeren Leistenrings (subinguinal). Dabei ist eine Protektion der A. testicularis, der Nerven und der Lymphgefäße möglich und somit die Komplikationsrate sehr gering. Die mikrochirurgische Behandlung der Varikozele hat nach vorliegenden Literaturdaten die geringste Komplikationsrate unter allen operativen Verfahren (Jungwirth et al. 2013). In jüngerer Zeit wurde dieses chirurgische Verfahren auch erfolgreich roboterchirurgisch erprobt.

Perkutane radiologische Verfahren

Eine erfolgreiche Sklerosierung der V. spermatica interna anlässlich einer diagnostischen Phlebografie ist möglich. Bis zu 20 % der Patienten mit Varikozele testis können mit einer perkutanen Methode nicht behandelt werden, weil:
  • Es bestehen technische Hindernisse.
  • Es liegen anatomische Gefäßverläufe vor, die eine Sklerosierung unmöglich machen.
  • Es liegt ein fehlender phlebographischer Nachweis einer Veneninsuffizienz bei klinisch eindeutiger Varikozele vor.
Als Alternative zur sog. retrograden Sklerosierung wurde von Urologen die antegrade Sklerosierung nach Tauber propagiert. Bei dieser Technik wird der Samenstrang skrotal in Höhe der Peniswurzel über eine kleine Inzision freigelegt, eine Vene des Plexus pampiniformis kanüliert und die V. spermatica unter Bildwandlerkontrolle sklerosiert.
In angloamerikanischen Ländern wird alternativ auch die Venenembolisation durchgeführt.

Ergebnisse der operativen Varikozelentherapie

Für die Therapie der Varikozele stehen effektive operative und Sklerosierungsverfahren zur Verfügung. Die Guideline Gruppe der Europäischen Urologen hat alle genannten interventionellen Verfahren vorläufig grundsätzlich als gleichwertig anerkannt. Die Zusammenstellung wertet Literatur-Angaben der letzten Jahre aus (Tab. 1).
Tab. 1
Hodenatrophie und Varikozelenpersistenz nach unterschiedlichen Formen der interventionellen Varikozelentherapie (Zusammenstellung aus der Literatur, EAU-Guideline on Male Infertility 2013)
Verfahren
Hodenatrophie
Persistenz
Offen-chirurgisch (suprainguinal, retroperitoneal, inguinal)
unklar
0–29 %
Mikrochirurgisch
<1 %
0,8–10 %
Laparoskopisch
keine
3–7 %
Antegrade Sklerosierung
0,6 %
5–9 %
Retrograde Sklerosierung
keine
10–24,3 %
Es ist unbestritten, dass eine Varikozelen-Therapie zu einer Verbesserung der Ejakulatqualität des Varikozelen-Patienten führen kann. Unklar ist jedoch, ob die Therapie zu einer verbesserten Schwangerschaftsrate führt.
In einer prospektiven, randomisierten, kontrollierten Studie kamen Nieschlag et al. zu dem Ergebnis, dass ein „counseling“ des Paares ebenso effektiv ist wie die chirurgische Ligatur oder die angiografische Embolisation. Das „counseling“ bestand in einer intensiven Beratung bezüglich aller Probleme des Geschlechtsverkehrs, insbesondere des Zeitpunkts und der Frequenz, sowie in hormonellen Untersuchungen und Spermiogrammkontrollen in 3-monatigen Abständen. Verbesserungen der Parameter des Spermiogramms sind für die operativen und die radiologischen Methoden in etwa gleich und schwanken zwischen 20 und 80 % (Nieschlag et al. 1998).
Eine kürzlich publizierte, kontrollierte Studie zeigte dagegen die Überlegenheit der mikrochirurgischen Varikozelentherapie (Abdel-Meguid et al. 2011) gegenüber einem abwartenden Verhalten, ebenso bei Patienten mit palpabler Varikozele und Spermiogrammveränderungen, diese wurde auch in einer Metaanalyse bestätigt (Baazeem et al. 2011).
Metanalysen der prospektiven, randomisierten und kontrollierten Studien, die in den letzten Jahren publiziert wurden, ergaben, falls mikrochirurgische Daten berücksichtigt wurden, eine Tendenz zur Verbesserung der Schwangerschaftsrate. Es konnte ein wahrscheinlicher Benefit für Patienten gezeigt werde, welche zum einen eine klinische Varikozele Grad II–III bei pathologischem Spermiogramm aufwiesen, zum anderen sich einem chirurgischen Verfahren unterzogen hatten (Kroese et al. 2012).

Zusammenfassung

  • Einfluss der Varikozele auf Fertilität des Mannes infolge eines fehlenden pathophysiologischen Konzeptes nicht eindeutig geklärt: infertile als auch fertile Varikozelenträger möglich.
  • Operative Therapie, Sklerosierung bzw. Venenembolisation erfolgreich, ggf. aber auch ärztliche Beratung alleine. Behandlungseffekt nicht vorhersehbar, insbesondere hinsichtlich Schwangerschaft bei unerfülltem Kinderwunsch im Vergleich zur Nichtbehandlung.
  • Varikozelenbehandlung verbessert gut dokumentiert mindestens einen Spermiogrammparameter (zumeist Spermatozoendichte und Spermatozoenmotilität).
  • Wahrscheinlicher Therapiebenefit bei Varikozelentherapie des männlichen Partners für infertile Partnerschaften, bei denen der männliche Partner eine palpable Varikozele und eine Spermiogrammverschlechterung aufweist.
Literatur
Abdel-Meguid A, Ahmad A, Toyib A, Farsi HA (2011) Does varicocele repair improve male infertility? An evidence-based perspective from a randomized, controlled trial. Eur Urol 30:157–160
Baazeem A, Belzile E, Ciampi A, Dohle G, Jarvi K, Salonia A, Weidner W, Zini A (2011) Varicocele and male factor infertility treatment: a new meta-analysis and review of the role of varicocele repair. Surgery or embolization for varicoceles in subfertile men. Eur Urol 60:796–808CrossRef
Jungwirth A, Diemer T, Dohle G, Giwercman A, Kopa Z, Tournaye H, Krausz C, EAU Working Group on Male Infertility (2013) EAU guidelines on male infertility: update 2013. EAU Guideline Office, Arnhem
Kroese AC, de Lange NM, Collins J, Evers JL (2012) Cochrane database of systematic reviews issue 10 (Cochrane Collaboration). Cochrane Database Syst Rev 10:CD000479PubMed
Nieschlag E, Hertle L, Fischedick A, Behre HM (1998) Update on treatment of varicocele: counselling as effective as occlusion of the vena spermatica. Hum Reprod 13:101–114CrossRef
Palomo A (1979) Radical cure of varicocele by a new technique; preliminary report. J Urol 61(3):604–607CrossRef
Weidner W, Diemer T, Wagenlehner FME (2010) Male infertility in chronic urogenital infections and inflammation with special reference to ejaculate findings. In: Björndahl L, Giwercman A, Tournaye H, Weidner W (Hrsg) Clinical andrology. Informa Healthcare, New York/London, S 293–300