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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 08.08.2024

Antihistaminika

Verfasst von: Sebastian Herberger und Michael H. Wiegand
Antihistaminika sind eine chemisch heterogene Gruppe von Substanzen, deren Gemeinsamkeit in der Blockade von Histaminrezeptoren (H1- oder H2-Rezeptoren) und damit der Hemmung der Histaminwirksamkeit besteht. Als Hypnotika im Rahmen der Insomniebehandlung sind in erster Linie die H1-Rezeptorantagonisten der ersten Generation von Interesse.

Synonyme

Histaminrezeptorantagonisten; Histaminrezeptorblocker

Englischer Begriff

antihistamines; histamine receptor antagonists; histamine receptor blockers

Definition

Eine chemisch heterogene Gruppe von Substanzen, deren Gemeinsamkeit in der Blockade von Histaminrezeptoren (H1- oder H2-Rezeptoren) und damit der Hemmung der Histaminwirksamkeit besteht (siehe auch „Neurotransmitter“). Als Hypnotika im Rahmen der Insomniebehandlung sind in erster Linie die H1-Rezeptorantagonisten der ersten Generation von Interesse.

Grundlagen

H1-Rezeptorantagonisten der ersten Generation passieren die Blut-Hirn-Schranke und bewirken eine reversible Blockade zentralnervöser H1-Rezeptoren; dies führt zu Sedierung und Schlafförderung. Zugleich bewirken sie eine Blockade muskarinerger Acetylcholinrezeptoren, was im Ausmaß zwischen den Substanzen variiert; darauf beruhen die teils lästigen, zum Teil aber auch bedenklichen anticholinergen Nebenwirkungen. Einige Substanzen wirken ferner schwach inhibitorisch an noradrenergen und serotonergen Rezeptoren.
Die meisten Substanzen dieser Gruppe finden in erster Linie als Antiallergika und Antiemetika Verwendung; die Sedierung stellt hier meist eine unerwünschte Nebenwirkung dar. Als Hypnotika sind in Deutschland derzeit lediglich zwei Substanzen in Gebrauch: die Ethanolamine Diphenhydramin und Doxylamin (siehe Tab. 1). Die Substanzen sind als freiverkäufliche Hypnotika im Handel und auch Bestandteil von Kombinationspräparaten.
Tab. 1
Charakteristika von Diphenhydramin und Doxylamin. Die Angaben zu Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Kontraindikationen können nur Akzentuierungen setzen; ausführliche Angaben finden sich in der Roten Liste (2022) und den Gebrauchsinformationen der Hersteller. Bei Bewertung werden zur Vermeidung von Redundanzen die allgemeinen Charakteristika der Antihistaminika nicht erneut erwähnt, sie stehen oben im Text. Die Bewertungen beziehen sich ausschließlich auf die Nutzen-Risiko-Relation innerhalb der Gruppe der Antihistaminika
Substanz
Diphenhydramin
Doxylamin
Substanzklasse
Antihistaminikum; Dimethylethylamin
Antihistaminikum; Dimethylethylamin
Englischer Begriff
Diphenhydramine
Doxylamine
Gebräuchliche Handelsnamen
Betadorm D, Dolestan, Hevert-Dorm, Moradorm, Nervo Opt N, S 8 Tabletten, Sedativum-Hevert, Sediat, Sedopretten, Vivinox Sleep
Gittalun, Hoggar Night, SchlafTabs, Sedaplus, Schlafsterne
Schlafmedizinische Indikation
Leichte Ein- und Durchschlafstörungen, falls Benzodiazepinrezeptoragonisten oder sedierende Antidepressiva nicht indiziert sind bzw. vom Patienten nicht akzeptiert werden
Leichte Ein- und Durchschlafstörungen, falls Benzodiazepinrezeptoragonisten oder sedierende Antidepressiva nicht indiziert sind bzw. vom Patienten nicht akzeptiert werden
Wirkungsweise
Überwiegend H1-Antagonismus, zusätzlich anticholinerg
Überwiegend H1-Antagonismus, zusätzlich anticholinerg
Dosierung
50–100 mg
25–50 mg
Darreichungsform
Tabletten, Dragees, Injektionslösung
Tabletten, Saft
Spezifische Nebenwirkungen
Exantheme, Sehstörungen, Glaukomauslösung, Mundtrockenheit, gastrointestinale Störungen, Blutbildveränderungen, Miktionsstörungen, Photosensibilisierung, Steigerung der zerebralen Erregbarkeit, Delirauslösung, vor allem in höherem Alter; und andere
Exantheme, Sehstörungen, Glaukomauslösung, Mundtrockenheit, gastrointestinale Störungen, Blutbildveränderungen, Miktionsstörungen, Photosensibilisierung, Steigerung der zerebralen Erreg-barkeit, Delirauslösung, vor allem in höherem Alter; und andere
Spezifische Wechselwirkungen
Zentraldämpfende Pharmaka und Alkohol: Verstärkung der zentraldämpfenden Wirkung; andere Anticholinergika: Verstärkung anticholinerger Effekte; und andere
Zentraldämpfende Pharmaka und Alkohol: Verstärkung der zentraldämpfenden Wirkung; andere Anticholinergika: Verstärkung anticholinerger Effekte; und andere
Kontraindikationen
Blasenentleerungsstörungen mit Restharnbildung, Engwinkelglaukom, Phäochromozytom, Epilepsie; und andere
Blasenentleerungsstörungen mit Restharnbildung, Engwinkelglaukom, Phäochromozytom, Epilepsie; und andere
Resorption, Distribution, Elimination
t½ = 4–6 h, Tmax = ca. 1 tunde; überwiegend Metabolisierung in der Leber; hauptsächlich renale Elimination
t½ = 8–10 h; Tmax = ca. 1–2 h; überwiegend Metabolisierung in der Leber; hauptsächlich renale Elimination
Verträglichkeit
Interindividuell variierend; eingeschränkt vor allem durch anticholinerge Nebenwirkungen
Interindividuell variierend; eingeschränkt vor allem durch anticholinerge Nebenwirkungen
Bewertung
Schlaffördernde Wirkung von Diphenhydramin wurde durch Studien nachgewiesen (Kudo und Kurihara 1990; Rickels et al. 1983); in Deutschland ist die Substanz zur Behandlung von Schlafstörungen zugelassen
Fehlen von Studien, die den hypnotischen Effekt belegen; die Substanz ist in Deutschland zur Behandlung von Schlafstörungen zugelassen
Pharmakologisch bestehen fließende Übergänge zwischen diesen Substanzen – die keine sonstigen psychotropen, insbesondere antipsychotischen oder antidepressiven Wirkungen haben – und einem Teil der „Neuroleptika“ und „Antidepressiva“, deren schlaffördernde Eigenschaft im Wesentlichen ebenfalls auf einer ausgeprägten H1-Rezeptorblockade beruht.
Wie auch die sedierenden Antidepressiva und Neuroleptika haben die Antihistaminika gegenüber den Benzodiazepinrezeptoragonisten (einschließlich Benzodiazepinen) den Vorteil, dass mangels eines Abhängigkeitspotenzials auch entsprechende Risikopatienten behandelt werden können und sich die Behandlung über einen längeren Zeitraum erstrecken kann. Ihr Nachteil gegenüber Benzodiazepinrezeptoragonisten ist die langsamere Anflutung und die insgesamt schwächere hypnotische Wirkung sowie das breitere Spektrum an Neben- und Wechselwirkungen. Aufgrund der ausgeprägten anticholinergen Komponente bestehen vor allem bei älteren Patienten besondere Risiken wie Delirentwicklung oder zerebrale Krampfanfälle. Es erscheint unter diesem Aspekt problematisch, dass diese Substanzen in Deutschland weiterhin nicht der Rezeptpflicht unterliegen. Zur Vermeidung von Redundanzen werden diese allgemeinen Charakteristika der Gruppe der Antihistaminika bei den Bewertungen der Einzelsubstanzen in Tab. 1 nicht erneut erwähnt; die Bewertungen beziehen sich ausschließlich auf die Nutzen-Risiko-Relation innerhalb der Gruppe der Antihistaminika.
Spezielle Hinweise zum Einsatz von Antihistaminika bei der Behandlung der Primären Insomnie finden sich bei Walsh et al. (2005). Ausführliche Angaben zu Grundlagen und klinischen Aspekten dieser Substanzen geben Riederer, Laux und Pöldinger (1998); nützlich sind auch die Angaben im Kompendium von Benkert und Hippius (2014).
Die in Tab. 1 über die einzelnen Substanzen gemachten Angaben zu Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Kontraindikationen können nur Akzentuierungen setzen; ausführliche Angaben finden sich in der Roten Liste (2022) und den Gebrauchsinformationen der Hersteller.
Literatur
Benkert O, Hippius H (2014) Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie, 10. Aufl. Springer Medizin, Heidelberg
Kudo Y, Kurihara M (1990) Clinical evaluation of diphenhydramine hydrochloride for the treatment of insomnia in psychiatric patients: a double-blind study. J Clin Pharmacol 30:1041–1048CrossRefPubMed
Mayers AG, Baldwin DS (2005) Antidepressants and their effect on sleep. Hum Psychopharmacol Clin Exp 8:533–559CrossRef
Rickels K, Morris RJ, Newman H et al (1983) Diphenhydramine in insomniac family practice patients: a double-blind study. J Clin Pharmacol 23:234–242CrossRefPubMed
Riederer P, Laux G, Pöldinger W (Hrsg) (1998) Neuro-Psychopharmaka. Ein Therapie-Handbuch. Band 4: Neuroleptika. Springer, Wien/New York
Rote Liste (2022) Rote Liste Service GmbH, Frankfurt am Main
Walsh JK, Roehrs T, Roth T (2005) Pharmacologic treatment of primary insomnia. In: Kryger MH, Roth T, Dement WC (Hrsg) Principles and practice of sleep medicine. Elsevier Saunders, Philadelphia, S 749–760CrossRef