Neurohypophyse
Die Hirnanhangsdrüse oder Hypophyse besteht anatomisch aus 3 Sektionen. Der Hypophysenhinterlappen (HHL), auch Neurohypophyse genannt, setzt 2 Hormone frei: das antidiuretische Hormon (ADH), auch als Arginin-Vasopressin (AVP) bezeichnet, und Oxytocin. Über die Rolle des antidiuretischen Hormons im
Flüssigkeitshaushalt wird in „Mineralstoffwechsel und Volumenregulation“ berichtet. Wie aus den Essays „Urogenitalsystem“ und „Enuresis und Harninkontinenz“ hervorgeht, ist der ADH-Mangel bei Kindern und Jugendlichen eine mögliche Ursache für eine organisch bedingte sekundäre
Enuresis. Auch beim nächtlichen Bettnässen im höheren Alter kann ein relativer ADH-Mangel während der Schlafphase eine Ursache für Enuresis sein. Ein Mangel an antidiuretischem Hormon führt zum
Diabetes insipidus centralis, bei dem die renale Flüssigkeitsausscheidung mangels Rückresorption von Wasser mehr als 10 ml/Minute erreichen kann. Bei normal entwickeltem Durstgefühl kann der Wasserverlust durch Trinken ausgeglichen werden. Gefürchtet ist die sogenannte durstlose
Hypernatriämie, bei der eine spontane Flüssigkeitssubstitution durch ausreichendes Trinken trotz fehlender ADH-Ausschüttung nicht zustande kommt. Geschnupftes
antidiuretisches Hormon wirkt schlafinduzierend und fördert den Tiefschlaf (Born et al.
2002).
Der Hypophysenmittellappen ist eine schmale, zwischen dem Hinterlappen und dem Vorderlappen gelegene Struktur ohne relevante Aufgaben in der Hormonbildung oder Hormonsekretion.
Hypophysenvorderlappen
Der Hypophysenvorderlappen (HVL) regelt die Speicherung und Freisetzung der 2 peripheren Hormone „Wachstumshormon“ (GH) und „Prolaktin“, über die unter besonderer Berücksichtigung der Zusammenhänge mit dem
Schlaf in eigenen Beiträgen berichtet wird. Unter dem Einfluss von hypothalamisch freigesetztem
Thyreotropin-releasing-Hormon (TRH) beziehungsweise von hemmendem
Somatostatin wird in der Hypophyse das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH) gebildet. Der Beitrag „Schilddrüsenerkrankungen“ berichtet von der übergeordneten Regulation der peripheren Schilddrüsenhormone und über Zusammenhänge von „Hypothyreose“ und „Hyperthyreose“ mit
Schlafstörungen und
schlafmedizinischen Erkrankungen. Bezüglich Ovulation, Spermatogenese und anderer Sexualfunktionen werden in Abhängigkeit vom stimulierenden Einfluss des Hypothalamus mittels GnRH oder von den hemmenden Einflüssen der peripheren „Sexualhormone“
Estradiol und
Progesteron bei der Frau beziehungsweise
Testosteron und
Inhibin beim Mann, stimulierende Einflüsse auf die Gonaden ausgeübt durch Freisetzung der gonadotropen Hormone LH (
luteinisierendes Hormon) und FSH (Follikel-stimulierendes Hormon) aus dem Hypophysenvorderlappen. Siehe hierzu auch „Erektionsstörungen und
nächtliche penile Tumeszenz (NPT)“ und „Schwangerschaftsbezogene Schlafstörung“.
Ein weiterer über die Hypophyse vermittelter Steuerungsmechanismus beeinflusst den Intermediärstoffwechsel, das Immunsystem und den
Schlaf. Er besteht in Gestalt der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse. Sie reguliert sowohl die Konzentration des in der Peripherie frei verfügbaren
Kortisols als auch die Gewährleistung von Zellhomöostase und Zellfunktion. Das Corticotropin-releasing-Hormon (CRH) und das Hypophysenvorderlappenhormon
adrenokortikotropes Hormon (ACTH) unterliegen einem Rückkopplungsmechanismus durch die peripheren
Glukokortikoide. Steigt der Glukokortikoidspiegel beispielsweise durch die Gabe eines Kortison-haltigen Medikaments an, wird die Expression von CRH und ACTH gehemmt.
ACTH ist ein Polypeptid, das aus dem Prohormon Proopiomelanocortin (POMC) synthetisiert wird. In der Hypophyse wird POMC in äquimolaren Mengen in β-Lipoprotein, ACTH, Verbindungspeptid und ein N-terminales Endstück gespalten. ACTH bewirkt in der Nebennierenrinde durch Bindung an MC2-Rezeptoren die Steroidsynthese, insbesondere die Kortisolproduktion. ACTH und
Kortisol folgen der zirkadianen Rhythmik des CRH, sodass in den frühen Morgenstunden die höchsten Kortisolspiegel gemessen werden und im Tagesverlauf abfallen. Adrenerge Einflüsse wie Stress stimulieren die ACTH- und Kortisolproduktion. Die ACTH- und Kortisolwerte erhöhen sich alle 0,6 Stunden und haben einen zirkadianen Rhythmus mit einem
Maximum um ca. 6:00 Uhr. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Hormonen der hypothalamo-hypophysären Achse und dem
Schlaf. Die Hormone sind Determinanten sowohl des homöostatischen als auch des zirkadianen Schlafdrucks. Der morgendliche Anstieg von Kortisol ist dagegen ein Wachheit-stimulierender Faktor, der ganz wesentlich zur morgendlichen Leistungsfähigkeit nach dem Aufstehen beiträgt. In der Phase ist der zirkadiane Schlafdruck niedrig und das Einschlafen erschwert, selbst wenn der homöostatische Schlafdruck im Anschluss an erfolgte Nachtarbeit hoch ist. Das Fehlen des zirkadianen Kortisolnadirs in der Zeit zwischen 2:00 Uhr und 3:00 Uhr früh ist ein charakteristischer Befund bei Patienten mit Durchschlafstörungen und mit quälendem Früherwachen (siehe dazu auch „Affektive Störungen“; „Stress und Hyperarousal“; „Chronobiologie“; „Neuropeptide“; „Endokrinium“; „Schlafregulation“; „Nachtarbeit und Schichtarbeit“). Häufigster Grund einer Störung des Kortisolnadirs ist die exogene Glukokortikoidzufuhr mittels Tabletten oder Infusionen. Inhalative
Glukokortikoide beeinflussen die HPA-Achse nur in geringem Maße.
Erkrankungen von Hypophyse und Hypothalamus
Eine Reihe von Erkrankungen der Hypophyse und der HHN und weitere mit einer Dysfunktion der Hypophyse zusammenhängende Krankheitsbilder weisen
Schlafstörungen oder Störungen der Wachheit und des Konzentrationsvermögens als Leitsymptome auf. Vor allem bei schleichendem Verlauf der Erkrankungen kommt es vor, dass die Betroffenen zur schlafmedizinischen Untersuchung und nicht in erster Linie zum Endokrinologen beziehungsweise Neurologen überwiesen werden. Um Zeitverluste für die Betroffenen und um diagnostische und therapeutische Fehlentscheidungen zu vermeiden, sollten Schlafspezialisten jeder Arbeitsrichtung die diesbezüglich wichtigsten endokrinen Krankheitsbilder kennen. Sie werden deshalb im Folgenden kurz umrissen, und es wird auf weitere diesbezügliche Beiträge hingewiesen. Mit Ausnahme des
Prolaktins, dessen Freisetzung im Hypophysenvorderlappen durch den Hypothalamus neuroendokrin inhibiert wird, werden das
Wachstumshormon sowie weitere im HVL gebildete Hormone wie die tropen Hormone ACTH, TSH und FSH/LH durch die
Releasing-Hormone aus dem Hypothalamus stimuliert. Vaskuläre, entzündliche oder durch raumfordernde Prozesse bedingte Läsionen im Bereich des Hypothalamus können daher massive Auswirkungen auf die Regulation von Kreislauf, Temperatur und Körpergewicht haben und die Schlaf-Wach-Regulation beeinflussen. Das betrifft insbesondere die Läsionen im Bereich der anterioren und der präoptischen hypothalamischen Regionen (siehe dazu auch „Schlafregulation“; „Wachheit und Schlaf“; „Thermoregulation“). Durch hämorrhagische Insulte in der Region kann es zur Hyperthermie kommen oder auch zu Poikilothermie.
Kraniopharyngeome oder Traumata können die Nuclei ventromediales schädigen und damit Hyperphagie und
Adipositas auslösen („Metabolismus“; „Körpergewicht“). In der frühen Kindheit können hypothalamische
Gliome zu schwerer Abmagerung und zum Ausbleiben des Wachstums führen. Auch die zentralen Osmorezeptoren der Nuclei preoptici können ausfallen, Folgen davon können sowohl Polydipsie als auch Hypodipsie sein.
Langsam um sich greifende Läsionen des Hypothalamus können die Innere Uhr (siehe „Chronobiologie“) nachhaltig verändern und
Tagesschläfrigkeit induzieren. Ferner können sie direkt messbare Störungen der Schlafzyklen bewirken und bei den Patienten zu
Adipositas,
Hypothermie und emotionaler Labilität führen. Patienten mit zentralen Läsionen des Hypothalamus können auch infolge Stimulation zentraler Sympathikusneurone zu kardialen Arrhythmien, zur
arteriellen Hypertonie und zu Magenerosionen prädisponiert sein, als Folge von vermehrt freigesetzten
Katecholaminen und
Kortisol. Hypophysäre Raumforderungen können auch direkt auf den Hypothalamus übergreifen. Klinische Erscheinungsbilder wie
Pubertas praecox beim Kind,
Hypogonadismus,
Diabetes insipidus sowie Störungen der Regulation von
Schlaf, Körperwärme und Appetit sind die Folge.
Unmittelbar in der Hypophyse sind
Hypophysenadenome die häufigste Ursache einer Hyper- oder Hyposekretion von Hypophysenhormonen. Die benignen Neoplasien können einem der 5 im HVL existierenden Zelltypen entstammen. Dementsprechend sind sie imstande, entweder vermehrt
Prolaktin oder
Wachstumshormon freizusetzen oder vermehrt trope Hormone auszuschütten, also ACTH, TSH oder die gonadotropen LH und FSH. Über die daraus eventuell resultierenden Krankheitsbilder informieren die jeweiligen Einzelbeiträge „Prolaktin“, „Wachstumshormon“, „Schilddrüsenerkrankungen“ und „Sexualhormone“. Es gibt aber auch plurihormonelle Adenome, die Störungen der Funktion mehrerer Hormone zugleich aufweisen können.
Cushing-Syndrom und Addison-Krankheit
Dem
Cushing-Syndrom liegt ein
Hyperkortisolismus zugrunde, der unterschiedliche Ursachen haben kann, nämlich entweder durch eine vermehrte ACTH-Produktion bei einem Hypophysenadenom (
Morbus Cushing), durch ein Cortisol-produzierendes Nebennierenrindenadenom (
adrenales Cushing-Syndrom), durch eine seltene ektope ACTH oder auch CRH-Produktion bei einem z.B. Bronchialkarzinom oder iatrogen durch die exogene Gabe von
Glukokortikoiden (letzteres häufigste Form des
Cushing-Syndroms). Das Syndrom ist gekennzeichnet durch die Beschwerden der leichten Erschöpfbarkeit, der Mattigkeit und des körperlichen Schwächegefühls. Phänotypisch fallen ein rundes „Mondgesicht“, Stammfettsucht mit Striae rubrae am Bauch, Büffelnacken und
Ödeme auf. „Bluthochdruck“ und Glukosurie sind regelhaft zu erhebende Befunde. Psychisch kann sich eine depressive Störung manifestieren mit den charakteristischen insomnischen Beschwerden in Gestalt von Früherwachen. Es kann sich im Verlauf der Erkrankung auch das Bild einer Psychose (siehe „Psychosen“) entwickeln (siehe auch „Affektive Störungen“; „Insomnien“; „Stress und Hyperarousal“). Ca. 50 % der Patienten mit Cushing-Syndrom entwickeln eine
Obstruktive Schlafapnoe (Gokosmanoog et al.
2016).
Die Unterfunktion der Nebennierenrinde kann die direkte Folge einer idiopathischen Atrophie oder einer Läsion der peripheren Drüse sein, oder sie kann sekundär auf inadäquater ACTH-Produktion beruhen. Die
primäre Nebenniereninsuffizienz ist auch als
Addison-Krankheit bekannt. Neben körperlicher Schwäche und den Folgen einer herabgesetzten Herzleistung und Übelkeit, Gewichtsabnahme und Inappetenz werden auch allgemeine Mattigkeit, Erschöpftheit und Müdigkeit beklagt. Bei der akuten Form der Nebenniereninsuffizienz, der
Addison-Krise, treten Übelkeit, Erbrechen und unter Umständen hohes
Fieber ein. Die Betroffenen werden von Lethargie bis Somnolenz erfasst, es kann ein lebensbedrohliches hypovolämisches Kreislaufversagen auftreten. Zumeist handelt es sich bei der Addison-Krise um die fulminante Verstärkung einer bereits bestehenden chronischen Nebenniereninsuffizienz. Sie wird oft ausgelöst durch psychischen und organischen Stress, beispielsweise nach Operationen, im Rahmen einer
Sepsis oder einer vergleichbaren kritischen Erkrankung, die den Aufenthalt auf einer Intensivstation erzwingt.