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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 14.01.2020

Infektionskrankheiten ohne Befall des Zentralnervensystems

Verfasst von: Hans K. Meier-Ewert
Eine Wechselwirkung zwischen Schlaf und Infektionskrankheiten wird seit dem Altertum vermutet. Diese intuitive Vermutung äußert sich in der volkstümlichen Redensart „sich gesund schlafen“ beziehungsweise dem Begriff „Rekonvaleszensschlaf“. Belegt ist heute, dass Schlafdauer und -effizienz durch Zytokine direkt beeinflusst werden. Neuere Ergebnisse legen nahe, dass Schlaf die Aktivität bestimmter Zytokine beeinflusst und so möglicherweise die Prägung der spezifischen humoralen und zellulären Immunantwort unterstützt. Schlafentzug zum Zeitpunkt einer Impfung vermindert die resultierenden Antikörperspiegel über Tage und Wochen. Eine habituell verkürzte Schlafdauer erhöht die Wahrscheinlichkeit einer klinischen Rhinoviruserkrankung nach experimenteller Infektion. Dies lässt vermuten, dass ausreichender Schlaf zum Zeitpunkt einer Infektionserkrankung deren Verlauf mildert.

Englischer Begriff

infectious diseases excluding CNS infections

Genetik

Über genetische Ursachen einer Wechselwirkung zwischen Immunsystem und Schlaf liegen zurzeit keine gesicherten Erkenntnisse vor. Manche Phänomene (zum Beispiel die Assoziation bestimmter Phänotypen des HLA-Systems mit Narkolepsie) lassen jedoch eine solche Wechselwirkung vermuten. So zeigte sich zum Beispiel bei einer Untersuchung genetischer Einflüsse auf die Schlafdauer rekombinanter Mäuse, dass für viele der identifizierten Gene eine Rolle im Rahmen der Immunfunktion bereits bekannt war. Dieser Befund untermauert tierexperimentelle Hinweise auf eine Rolle von Zytokinen bei der Regulation der Schlafdauer (Bryant et al. 2004).
Siehe auch „Neurotransmitter“; „Schlafregulation“.

Pathophysiologie

Die Wechselwirkung zwischen Immunantwort und Schlafdauer wurde mit peripher injizierten Staphylokokken an Kaninchen untersucht. Die „Schlafdauer“ der Versuchstiere war im frühen Stadium des Infektionsverlaufs erhöht und verringerte sich mit dem Fortschreiten der Erkrankung. Ähnliche Veränderungen des Schlafverhaltens wurden nach intravenöser, intraperitonealer und intrazerebraler Injektion lebender Erreger oder bakterieller Zellwandbestandteile bei Mäusen, Ratten und Kaninchen beobachtet. Im frühen Krankheitsstadium fand sich meist eine Verlängerung und Vertiefung des NREM-Schlafs bei Verkürzung der REM-Schlafdauer und erhöhter Gesamtschlafdauer. Mit Fortschreiten oder Intensivierung der Infektionserkrankung kam es zu einer Fragmentierung des NREM-Schlafs mit einer Verringerung der Gesamtschlafdauer. Veränderungen von Schlafdauer und -tiefe waren eng an Zytokinkonzentrationen gekoppelt.
Periphere Injektionen von Interleukin-1 (IL-1) oder Tumornekrosefaktor bei bakteriell infizierten Versuchstieren reproduzierten die Veränderung der Schlafintensität. Antidote gegen diese Zytokine eliminierten oder verminderten sie. Die Veränderung des Schlafs nichtinfizierter Kontrolltiere durch diese Antidote ließ erstmals vermuten, dass auch der physiologische Schlaf durch Zytokinmediatoren reguliert wird. So erreicht die intrazerebrale IL-1-Konzentration in spezifischen ZNS-Arealen bei Schlafbeginn ihr Maximum und verringert sich im Verlauf der Schlafperiode. Abb. 1 zeigt Zytokine und Hormone, die nach heutigem Kenntnisstand die Regulation von NREM-Schlaf beeinflussen (Bryant et al. 2004). Generell wird die Schlafdauer durch proinflammatorische Mediatoren gesteigert und durch antiinflammatorische Mediatoren vermindert (Bryant et al. 2004; Krueger und Majde 2003).
Auf welchem Weg Zytokinsignale aus der Peripherie die schlafregulierenden Zentren im ZNS erreichen, ist nicht genau bekannt. Hinweise gibt es sowohl auf passive und aktive Transportmechanismen durch die Blut-Hirn-Schranke als auch für eine neuronale Signalvermittlung über parasympathische Bahnen (Krueger und Majde 2003).
Veränderungen des menschlichen Schlafverhaltens wurden beschrieben bei Borreliose, Mononukleose, Hepatitis, Influenza, Bruzellose und Tuberkulose. Bei den drei erstgenannten Erkrankungen bleibt ein erhöhter Schlafdrang oft über die eigentliche Infektion hinaus bestehen. Schlafmedizinische Untersuchungen von Patienten mit Infektionskrankheiten legen nahe, dass ein subjektiv erhöhter Schlafdrang nicht notwendigerweise mit einer Erhöhung der Gesamtschlafdauer einhergeht Bei einer Untersuchung der dosisabhängigen Wirkung peripher injizierten Endotoxins auf Schlafdauer, Körpertemperatur und neuroendokrine Parameter bei gesunden Probanden zeigte sich eine statistisch signifikante Verlängerung des NREM-Schlafs nur bei der niedrigsten Endotoxindosis. Diese bewirkte zwar eine messbare geringe Ausschüttung von Zytokinmediatoren, hatte aber auf Kortisolspiegel und Körpertemperatur keinen Einfluss. Höhere Endotoxinkonzentrationen, die auch eine Fieberreaktion zur Folge hatten, störten dagegen die Schlafarchitektur und verringerten die NREM-Schlafdauer (Mullington et al. 2000).
Die unspezifische Immunantwort beeinflusst somit die Schlafdauer. Andererseits zeigte sich an gesunden Probanden, dass peripher gemessene Immunparameter (Leukozytenzahl und -funktion) und Immunmediatoren (zum Beispiel Interleukine) in einem zirkadianen Rhythmus variieren. Probanden mit habituell verkürzter Schlafperiode waren nach experimenteller Infektion mit Rhinoviren anfälliger für einen akuten Krankheitsverlauf (Prather et al. 2015). Chronischer oder akuter Schlafentzug zum Zeitpunkt einer Impfung gegen Hepatitis A, B oder Influenza vermindert sowohl die Spiegel der gebildeten Antikörper als auch die Zahl der infektionsspezifischen T-Helferzellen für Tage bis Wochen nach der Impfung.
Zusammenfassend lässt sich vermuten, dass während der Wachphase überwiegend Komponenten der unspezifischen Immunabwehr aktiviert sind. Dies ermöglicht eine schnelle Reaktion auf die in dieser Phase wahrscheinlichen Infektionen. Dagegen erfolgt in der Ruhephase die Prägung der spezifischen humoralen und zellulären Immunantwort auf Antigene, die in der vorangegangenen Wachphase aufgenommen wurden. NREM-Schlaf fördert diese Prägung durch verstärkte Ausschüttung von Interleukin IL-2 und IL-12, welche die spezifischen T-Zellen aktivieren (Besedovsky et al. 2012).

Zusammenfassung, Bewertung

Eine Wechselwirkung zwischen Schlaf und Infektionskrankheiten wird seit dem Altertum vermutet. Diese intuitive Vermutung äußert sich in der volkstümlichen Redensart „sich gesund schlafen“ beziehungsweise dem Begriff „Rekonvaleszensschlaf“. Belegt ist heute, dass Schlafdauer und Schlafeffizienz durch Zytokine direkt beeinflusst werden. Neuere Ergebnisse legen nahe, dass Schlaf die Aktivität bestimmter Zytokine beeinflusst und so möglicherweise die Prägung der spezifischen humoralen und zellulären Immunantwort unterstützt. Schlafentzug zum Zeitpunkt einer Impfung vermindert die resultierenden Antikörperspiegel über Tage und Wochen. Eine habituell verkürzte Schlafdauer erhöht die Wahrscheinlichkeit einer klinischen Rhinoviruserkrankung nach experimenteller Infektion. Dies lässt vermuten, dass ausreichender Schlaf zum Zeitpunkt einer Infektionserkrankung deren Verlauf mildert.
Literatur
Besedovsky L, Lange T, Born J (2012) Sleep and immune function. Pflugers Arch – Eur J Physiol 463:121–137CrossRef
Bryant PA, Trinder J, Curtis N (2004) Sick and tired: does sleep have a vital role in the immune system? Nat Rev Immunol 4:457–467CrossRef
Krueger JM, Majde JA (2003) Humoral links between sleep and the immune system. Ann N Y Acad Sci 992:9–20CrossRef
Mullington J, Korth C, Hermann DM et al (2000) Dose-dependent effects of endotoxin on human sleep. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol 278:R947–R955CrossRef
Prather AA, Janicki-Deverts D, Hall MH et al (2015) Behaviorally assessed sleep and susceptibility to the common cold. Sleep 38:1353–1359CrossRef