Der anglisierte französische Begriff Fatigue bezeichnet die Beschwerden vermehrter Erschöpfbarkeit und überproportionalen Erschöpftseins, das auch unabhängig von körperlicher Belastung anhält und nicht im Zusammenhang mit einer Affektiven Störung beziehungsweise einer Depression steht. Der Begriff Fatigue wird benutzt, um Müdigkeit zu charakterisieren, die nicht zur
Tagesschläfrigkeit führt, sodass die Betroffenen in der Untersuchung im Schlaflabor weder einen pathologischen Befund in der
Kardiorespiratorischen Polysomnographie (siehe „Kardiorespiratorische Polysomnographie“) noch im Multiplen Schlaflatenztest (MSLT; siehe „Multipler Schlaflatenztest und Multipler Wachbleibetest“) aufweisen. Im Bereich der Inneren Medizin fand der Begriff Fatigue vor mehr als 20 Jahren Eingang in die Rheumatologie, um Befindensstörungen zu charakterisieren, die häufig in Kopplung an Muskel- und Gelenkbeschwerden gefunden werden, im Zusammenhang mit dem sogenannten Fibrositissyndrom oder
Fibromyalgie (siehe „Fibromyalgiesyndrom“). Wie im gleichnamigen Beitrag dargelegt, wird darunter heute ein multilokuläres Schmerzsyndrom unklarer Genese verstanden. In früheren Publikationen geäußerte Vermutungen, dass es ein für die Diagnose der Fibromyalgiepatienten zielführendes zyklisch alternierendes EEG-Muster mit Wechsel zwischen Theta- und Alpharhythmus in der „Polysomnographie“ (PSG) gäbe, haben keine Beweiskraft erlangt, wenngleich es die Intrusion von phasischen Alphawellen im
Schlaf-EEG bei 50 % der Fibromyalgiepatienten gibt (sogenannte
Alphawellen-Intrusion). Gleichwohl sind sie der Anlass dafür gewesen, dass der Begriff Fatigue im Zusammenhang mit dem klinischen Erscheinungsbild bei Fibromyalgie Eingang in die erste Version der ICSD erlangte und dass das Krankheitsbild damals unter den
symptomatischen Schlafstörungen bei internistischen Erkrankungen eingegliedert wurde. Eine internationale Arbeitsgruppe unter der Leitung von Fukuda hat 1994 klinische Kriterien für ein Chronic Fatigue Syndrome beschrieben, das auch als chronisches Erschöpfungssyndrom oder Ermüdungssyndrom beziehungsweise als Müdigkeitssyndrom in Abgrenzung zu den
Affektiven Störungen (siehe „Affektive Störungen“) Eingang in die psychiatrische Diagnostik gefunden hat.
In der Neurologie wird der Begriff Fatigue im Zusammenhang mit der Encephalitis disseminata gebraucht. Über die Einzelheiten informiert der Beitrag „Multiple Sklerose“. Dort wird auch über die Fatigue Severity Scale nach Krupp (1995) berichtet, die anhand von 7 Items auf jeweils 7 Rangstufen das Ausmaß von Erschöpfung und Erschöpfbarkeit erfasst und die mit paralleler Nutzung von Schläfrigkeitsskalen wie der Epworth Sleepiness Scale (ESS) oder von Depressionsfragebögen Hilfestellung bei der Differentialdiagnostik zur vermehrten Erschöpftheit/Erschöpfbarkeit/Fatigue leisten kann. Während bei unkritischer Anwendung der Fatigue-Skalen bei Krebspatienten
Prävalenzen für Fatigue von bis zu 76 % berichtet wurden, fanden Cella und Mitarbeiter 1998 unter Anwendung eines eigenen Erhebungsinstruments eine Prävalenz von 17 %. Nach ausreichender Evaluation, Ausschluss oder adäquater Therapie möglicher organischer, psychiatrischer oder verhaltensbedingter Ursachen der Symptomatik kann nach den von Cella vorgeschlagenen Kriterien Fatigue bestätigt werden, wenn
Ancoli-Israel (2005) gebraucht im Zusammenhang mit malignen Erkrankungen den Begriff Fatigue-Syndrom ebenfalls im Sinne einer Ausschlussdiagnose, ohne allerdings von einem Tumor-Fatigue-Syndrom zu reden. Vielmehr weist die Autorin auf die zwingende Notwendigkeit hin, zwischen Fatigue, organischen Krankheitsfaktoren und Depression zu differenzieren. Chronobiologische Mechanismen wie eine Desynchronisierung des zirkadianen Rhythmus spielen bei der Tumor-Fatigue eine wesentliche Rolle.