Sowohl die Synaptische Homöostase-Hypothese (Tononi und Cirelli
2003) als auch die Systemkonsolidierungshypothese (Born et al.
2006) – zwei gängige Theorien zur Funktion des
Schlafes – gehen davon aus, dass die elektrophysiologischen Schlafcharakteristika auf neuronaler Ebene mit Veränderungen der Verbindungsstärken assoziiert sind. Dies bedeutet, dass lokale Unterschiede auch auf neuronaler Ebene vorhanden sein sollten. Untersuchungen bei Patienten, bei denen intrakranielle
Elektroden implantiert wurden, zeigen klar, dass sowohl die „slow waves“ als auch die Spindeln lokal auftreten (Nir et al.
2011).
Durch die simultane Untersuchung von Tiefen-EEG und Einzelzellableitungen in verschiedenen Regionen des menschlichen Gehirns konnte nachgewiesen werden, dass On- und Off-Perioden (das heißt aktive und Ruhephasen) der Spontanaktivität und die zugehörigen „slow waves“ typischerweise nur eine begrenzte Anzahl Hirnregionen betreffen. In gleicher Weise sind Schlafspindeln meistens lokal anzutreffen. „Slow waves“ haben die Tendenz, sich vom Präfrontalkortex zum medialen Temporallappen (MTL) und Hippocampus auszubreiten. Ebenfalls spiegelt die Aktivität einzelner Wellen afferente Verbindungen zwischen Regionen wider. Die wichtigste Beobachtung ist aber vermutlich die, dass die meisten „slow waves“ an lokale Regionen gebunden sind. Das heißt, wenn einige Gebiete in einem On-Status sind, sind Neuronen in anderen Gehirnregionen in den meisten Fällen komplett ruhig. Typischerweise waren weniger als 30 % der überwachten Gehirnregionen an einem „Slow wave“-Ereignis beteiligt. Die global beobachteten On- und Off-Phasen waren im Oberflächen-EEG assoziiert mit großen „slow waves“, normalerweise während des Tiefschlafs früh in der Nacht oder mit K-Komplexen während der ganzen Nacht. Lokale „slow waves“ hatten die Tendenz, zeitgleich in homotopischen präfrontalen Regionen aufzutreten oder in homotopischen Regionen im MTL. Dies deutet auf die Rolle des Corpus callosum bei der Synchronisierung und Ausbreitung der „slow waves“ hin (Amzica und Steriade
1995). Am häufigsten waren mediale präfrontale Regionen, wie das anteriore Cingulum und der Orbitofrontalkortex, am Auftreten von „slow waves“ beteiligt.
Aus physiologischer Sicht wird vermutet, dass Spindeln ein Ausdruck der globalen Signalübertragung zwischen Kortex und Thalamus sind (Steriade
2003; Contreras und Steriade
1996). Obwohl Spindeln im Thalamus generiert werden, wird ihre Synchronisierung durch kortikothalamische Projektionen gesteuert (Steriade
2003). Asynchron auftretende Spindeln konnte man während der Entwicklung (Khazipov et al.
2004) oder in nicht physiologisch Zuständen, wie Dekortikation, kortikaler Unterdrückung und akutem
Schlaganfall, beobachten, also Konstellationen, in denen der Kortex nicht mehr in der Lage ist, seinen synchronisierenden Einfluss auszuüben (Contreras und Steriade
1996; Gottselig et al.
2002). Ähnlich den „slow waves“ treten die meisten Schlafspindeln im natürlichen
Schlaf lokal, das heißt jeweils nur in einer Minderheit von Hirnregionen auf.
Die Tatsache, dass sowohl „slow waves“ als auch Schlafspindeln im Wesentlichen an lokale Regionen gebunden sind, bekräftigt die Hinweise, dass
Schlaf auf der Aktivität von lokalen Schaltkreisen beruht und nicht ein exklusives globales Phänomen darstellt (Krueger et al.
2008).
Klinische Relevanz: Oberfläche vs. Tiefe
Sowohl aus der Tier- wie auch aus der Humanforschung gibt es Belege für „wachtypische“ Gehirnaktivität im
Schlaf (Vyazovskiy et al.
2011; Nobili et al.
2011). Zum Beispiel hat man bei therapieresistenten Epilepsiepatienten intrakraniell Signale aufgezeichnet, die typischerweise im Wachzustand über sensomotorischen Arealen auftreten (Nobili et al.
2011). Ebenso schrieben Vyazovskiy et al. (
2011), dass sie bei wachen Ratten kurze, intermittierende Ruhephasen („off states“) in lokalen Populationen von kortikalen Neuronen beobachtet hätten. Allerdings muss betont werden, dass diese „off states“ im Wachzustand nur lokal und während ein paar Millisekunden erfolgten, im Gegensatz zu den im Tiefschlaf global auftretenden, langsam alternierenden Aktivitätsmustern über beinahe allen kortikalen Neuronen. Die kurze Dauer könnte erklären, warum „off states“ im Wach-EEG vielmehr mit Theta-Aktivität (bis 8 Hz) assoziiert waren, als mit „Slow wave“-Aktivität. Als Vyazovskiy et al. (
2011) die Eigenschaften dieser kurzen Ruhephasen unter
Schlafentzug untersuchten, fanden sie, dass die „off states“ bei ansteigendem Schlafdruck häufiger werden und sich weiter ausbreiten. Dies war wiederum mit Theta-Aktivität assoziiert. Im humanen Wach-EEG war der Anstieg von Theta nach Schlafentzug interessanterweise mit einer Leistungsverschlechterung korreliert (Cajochen et al.
1999; Makeig et al.
2000). Es stellte sich darum die Frage, ob lokaler Schlaf – das heißt diese Phasen von neuronaler Stille im Wachzustand – der Grund ist für die verschlechterte Leistung. Um diese Frage zu beantworten, trainierten Vyazovskiy et al. (
2011) Ratten mit einer Lernaufgabe, bei der sie bei richtiger Betätigung des Hebels eine Futterpille erhielten. Im Vergleich zu korrekten Durchgängen fanden die Forscher, dass einem fehlerhaften Versuch signifikant mehr „off states“ vorausgingen (300–800 ms). Dieses Ergebnis legt nahe, dass lokale Populationen von kortikalen Neuronen „einschlafen“ und für die schlechtere Leistung nach Schlafentzug verantwortlich sind.
Das gleichzeitige Bestehen von unterschiedlichen Aktivitätsmustern in regional unabhängigen Hirnregionen – wobei einige Areale aktiv sind, während andere bereits Anzeichen von
Schlaf zeigen – ist möglicherweise in allen Vigilanzstadien, inklusive dem Übergang von Wach zum Schlaf, zu finden und könnte sowohl für physiologische als auch für pathologische Ereignisse verantwortlich sein (Sarasso et al.
2014a). Intrazerebrale elektroenzephalographische Aufzeichnungen an hippocampalen wie auch über den Neokortex verteilt Punkten zeigten, dass konsistent ein paar Minuten vor Schlafbeginn im Hippocampus Schlafspindeln auftraten. Außerdem gingen Spindeln immer neokortikalen Ereignissen voraus, wobei die Verzögerung entlang der anteroposterioren Achse zunahm. Diese Resultate unterstützen die Auffassung, dass Wachzustand und Schlaf sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr ein Kontinuum darstellen.
In einigen Extremfällen führt die abnormale Mischung von Schlaf- und Wachzustand zu pathologischen Formen, auch bekannt als „Parasomnien“. Im Speziellen wurden die sogenannten nichtorganischen
Schlafstörungen („disorders of arousal“) der Unterbrechung des Mechanismus zugeschrieben, der dem Übergang zwischen
NREM-Schlaf und Wachzustand zugrunde liegt. Nichtorganische Schlafstörungen, zum Beispiel
Schlafwandeln und nächtliche Episoden von Angst und Schrecken, sind die auffälligsten Formen von NREM-Schlaf-Parasomnien und dissoziativen Zuständen bei Menschen. Bei Betroffenen zeigt sich Wachverhalten oft abrupt mitten im NREM-Schlaf, wie beispielsweise Aufsitzen im Bett, Schreien, Weinen oder Umhergehen. Die Patienten sind dabei nicht ansprechbar, ihr
EEG zeigt typische Schlafmuster, und gelegentlich berichten sie von
Träumen (Zadra et al.
2013; Zadra und Pilon
2011). Über die Mechanismen, die den nichtorganischen Schlafstörungen zugrunde liegen, ist bisher nur wenig bekannt. Behaviorale Episoden stehen im Zusammenhang mit dem Auftauchen von wachähnlicher Aktivität in motorischen und limbischen Regionen sowie mit einem paradoxen Anstieg von
Messgrößen der Schlafintensität, wie der „slow waves“ über einem frontoparietalen Netzwerk (Bassetti et al.
2000; Januszko et al.
2016; Sarasso et al.
2014b; Terzaghi et al.
2009).