Metabolismus, Schlaf und Endokrinum
Sieht man den Stoffwechsel als Teil des vegetativ-autonomen Funktionssystems, dann sei hier erwähnt, dass sich im Schlaf auch die
Atmung, die Aktivität des Kreislaufsystems, die Körperkerntemperatur, die „Elektrodermale Aktivität“, die Aktivität des gastrointestinalen Systems und endokrine Funktionen ändern. So verändern sich im Nachtschlaf auch die Hormonspiegel der hypothalamo-hypophysären Achse, der Karbohydratmetabolismus, der Appetit, der Wasser- und Elektrolythaushalt und die Hormonfreisetzung auf der gonadotropen Achse. Das „Wachstumshormon“ steigt an und Dopamin wird inhibiert.
Kortisol und Thyroxin zeigen fallende Pegel zum Schlafbeginn. Luteotropes Hormon (LH) und
follikelstimulierendes Hormon (FSH) steigen im Schlaf an, somit auch
Testosteron und Östrogen („Sexualhormone“). Die Amplitude der Testosteron-/Östrogenänderungen ist in jungen Jahren am größten und nimmt mit zunehmendem Alter ab (siehe auch „Endokrinium“ und „Hypophyse und Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse“). Schlafen Heranwachsende dauerhaft zu kurz oder schlecht, dann können durch die Beeinträchtigung der Schlafqualität die nächtlichen Anstiege von Wachstumshormon- und luteotropem Hormon ausblieben bzw. gering ausfallen, was das Wachstum und die Geschlechtsreife verzögern kann.
Schlaf steht somit in engem Zusammenhang mit endokrinen und metabolischen Funktionen. Schlaf beeinflusst des Weiteren auch den Glukose- und Insulinspiegel, und in Analogie zu den Verhältnissen beim
Wachstumshormon (GH) und beim „Prolaktin“ ist der Einfluss des Schlafs stärker als derjenige des zirkadianen Systems. Diese Hormone sind stärker homöostatisch geprägt. Im Gegensatz dazu sind die
Thermoregulation, die Schilddrüsenhormone und der Kortisolspiegel sehr stark durch den zirkadianen Rhythmus geprägt („Chronobiologie“). Hormone, die sowohl durch das zirkadiane System als auch durch den Schlaf getriggert werden, sind
Leptin und
Ghrelin (Frenette et al.
2012).
Ob Hormonveränderungen ihrerseits den Schlaf beeinflussen, ist nicht eindeutig erwiesen, ausgenommen das
Kortisol, das den Schlaf in hohen Dosen negativ beeinflusst, durch eine Abnahme von
NREM-Schlaf und Zunahme von Wach und
REM-Schlaf. In niedrigen Dosen ist es bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen eher schlaffördernd. Postmenopausale
Schlafstörungen weisen darauf hin, obwohl hier nicht die Konzentration der gonadotropen Hormone gestört ist, sondern ihr zirkadianer Rhythmus, dass Änderungen der Geschlechtshormone den Schlaf auch beträchtlich ändern können. Bei stillenden Müttern beispielsweise gibt es erste Hinweise darauf, dass sie nicht besser, aber zirka 30 Minuten länger schlafen als nicht stillende Mütter (siehe auch „Sexualhormone“).
Der nächtliche Anstieg der Plasmaspiegel von
Glukose und
Insulin um zirka 20–30 % hängt mit der Reduktion des Glukoseverbrauchs im Gehirn von 20–40 % sowie mit dem Absinken des peripheren Verbrauchs angesichts des im Schlaf herabgesetzten Muskeltonus zusammen. Daher sinkt auch die
Glukosetoleranz in der ersten Nachthälfte. Wenn man fastet, bleibt der Glukosespiegel stabil oder sinkt im Schlaf gering ab. In der zweiten Nachthälfte steigt die Glukosetoleranz wieder, vornehmlich weil der Verbrauch im Rahmen des auf die zweite Nachthälfte konzentrierten
REM-Schlafs wieder steigt und weil dann das in der ersten Nachthälfte vermehrt ausgeschüttete
Insulin wirkt.
Schlafentzug lässt den nächtlichen Blutzuckerspiegel sinken. Chronisch schlechter Schlaf hingegen kann mit einem gewöhnlichen nächtlichen Anstieg von Glukose einhergehen. Grund dafür ist eine sich entwickelnde Insulinresistenz (siehe auch „Diabetes mellitus“).
Neben den genannten Substanzen erfahren weitere für den Stoffwechsel relevante Hormone eine Änderung im Schlaf. Adiponektin, das in den Adipozyten gebildet wird, hat Einfluss auf die Insulinsensitivität.
Leptin, ebenfalls aus den Adipozyten, ist nachts erhöht und gibt Informationen über den Energiestatus an den Hypothalamus weiter. Auf diesem Weg wird der Hunger verringert. Ist viel Energie da, ist auch der Leptinspiegel leicht erhöht. Das im Magen gebildete
Ghrelin ist ebenfalls nachts erhöht und verursacht im Gegensatz zu
Leptin Hunger sowie eine Stoffwechselaktivierung. Somit sind die beiden auf den Hunger bezogenen hormonellen Gegenspieler aktiviert (siehe auch „Gastrointestinalsystem“).
Schlafentzug führt zu einer Abnahme der nächtlichen Leptin- und Zunahme der Ghrelinkonzentration. Das macht Hunger und Appetit, was gerade Jugendliche zu vermehrter Nahrungsaufnahme und damit Gewichtszunahme verführt. Auch Traumschlaf macht Hunger.
Hypocretin (Orexin) ist ein Wachmacher, der über den Locus coeruleus und andere Hirnstamm- und Hypothalamusareale das zentralnervös-aktivierende System stimuliert und der zugleich mittels seines Einflusses auf
Leptin ebenfalls Hunger provoziert.
Renin ist im
NREM-Schlaf und vor allem im Tiefschlaf signifikant erhöht, im
REM-Schlaf aber wird seine Ausschüttung gehemmt (siehe auch „Mineralstoffwechsel und Volumenregulation“ und „Neuropeptide“). Schlafapnoepatienten haben nachts einen verringerten Reninspiegel, was eine Nykurie provozieren kann.
Neben diesen Hormonen gibt es eine Reihe weiterer Hormone und
Enzyme, die entscheidend den Schlaf-Wach-Status beeinflussen können. Die bekannten Hormone der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse und Hormone des neuroendokrinen Systems, wie das schon genannte Hypocretin oder Glutamat und die
Substanz P im Liquor beziehungsweise im
Serum nachweisbar, gehören zum aktivierenden System. Andere Substanzen wie Adenosin,
Neuropeptid Y oder GABA (Gamma-Aminobuttersäure) im Liquor oder die Hormone
Insulin und
Prolaktin im Serum gehören zum schlafaktivierenden System. Das Immunsystem ist mit schlafinduzierenden und schlafhemmenden
Zytokinen zusätzlich an der Schlaf-Wach-Regulation beteiligt. Zu den schlaffördernden Zytokinen gehören so zum Beispiel IL-1, IL-2 und IL-6, TNF-alpha oder Interferon-alpha (siehe auch „Neurotransmitter“ und „Schlafregulation“).
Schlafdeprivation von mehr als 205 Stunden verursacht beim Menschen keine Veränderungen, was die Katecholaminspiegel und die Spiegel von
Kortisol und
Melatonin betrifft. Auswirkungen zeigen sich hingegen auf den Glukosespiegel, die Hypoxieschwelle, die Schmerzempfindlichkeit, die Reflexe, die Sprache, die Konzentration, den Nystagmus, die Ptosis, die
Thermoregulation, die Schilddrüsenfunktion und das Immunsystem. Auch ist bekannt, dass chronisch andauerndes Schlafdefizit, selbst wenn es sich nur um partielles Schlafdefizit handelt, in Schlafdeprivationsexperimenten nicht nur zu einer Abnahme von
Leptin, sondern auch zu einer Zunahme des abendlichen Kortisols, einem Anstieg der sympathischen Nervenaktivität (SNA), einem Abfall von TSH (Thyroidea-stimulierendes Hormon) und einer Abnahme der Glukosetoleranz führt. Kurzschläfer haben eine kurze biologische Nacht hinsichtlich der zirkadianen Regulation von Melatonin, Körpertemperatur, Kortisol und Schläfrigkeit.
Bezüglich des Metabolismus hat man nachgewiesen, dass das Absinken des Leptinspiegels bei
Schlafdeprivation vergleichbar mit dem Umstand ist, drei Tage lang nur 900 kcal zu sich zu nehmen. Damit steigt der Hunger, Hyperphagie wird induziert. Andererseits hat man zeigen können, dass eine Reduktion des
Body-Mass-Index (BMI) um zirka 5 % durch Diät eine zirka 12 %ige Erhöhung von
Ghrelin und einen 15 %igen Abfall von
Leptin bewirkt. Die Veränderungen entsprechen denjenigen bei einer
Schlafdauer von nur zwei bis drei Stunden pro Nacht. Der Leptinmangel bei Schlafdeprivation macht dabei größeren Hunger als der erhöhte Leptinspiegel bei
Adipositas und Leptinresistenz. Zusätzlich verursacht Schlafdeprivation ein Absinken der Glukose- und Insulinspiegel und senkt die Glukose- und Karbohydrattoleranz. Bei zusätzlicher Steigerung der sympathischen Nervenaktivität und Störung der Glukosespeicherung im Zentralnervensystem (ZNS) steigen die Insulinresistenz und der Nüchternblutzucker am Tage. Dies erhöht das Risiko für Übergewicht und
Hypertonie. Kurzschläfer müssten demnach vermehrt über Hunger klagen und eventuell ein höheres „Körpergewicht“ aufweisen als Normal- oder Langschläfer. Im Übrigen zeigte sich auch eine Präferenz zu eher fetthaltiger Nahrung und nicht zu proteinhaltiger Nahrung. Die eventuelle
Gewichtszunahme beim kurzschlafenden Menschen resultiert wohl daraus, dass er mehr Zeit zum Essen zur Verfügung hat und mehr fetthaltige Nahrung aufnimmt sowie dem „nur moderaten“ Stress. Nimmt der Stress des Wachbleibens jedoch zu, führt dies eher zu einem ansteigenden Energieverbrauch. Wenn man seine Essgewohnheiten bei schlechtem und/oder kurzem Schlaf nicht verändert, dann nimmt man eher an Gewicht ab als zu. Das kurze Schlafen ist dann ein Diätprogramm, auf Dauer aber nicht zu empfehlen. Unter Schlafdeprivationsbedingungen hat man bei Tieren zeigen können, dass gewöhnlich sowohl die Nahrungsaufnahme als auch der Energieverbrauch ansteigen. Eine hohe metabolische Rate bedeutet dabei auch eine hohe Aktivität von mitochondrialem Entkopplungsprotein UCP-1 (uncoupling protein 1), einer Substanz, die die ATP-Synthese hemmt und stattdessen Energie in Hitze wandelt. UCP-1 ist ein Membranprotein der Mitochondrien, das für die Thermogenese verantwortlich ist und bei Schlafdeprivationsexperimenten im braunen Fettgewebe von Ratten untersucht werden konnte. Als Ergebnis der Deprivationsexperimente ergab sich mit steigendem Schlafdefizit eine Abnahme des Körpergewichts bis hin zum Hungertod (Rechtschaffen et al.
2002).
Beim Menschen kommt es bei
Schlafdeprivation meist – wie oben ausgeführt – zur Gewichtszunahme. Dies belegen auch epidemiologische Studien in allen Altersstufen. Bei Frauen ist der Zusammenhang deutlicher ausgeprägt. In der Wisconsin-Cohorten-Studie (Taheri et al.
2004) konnten bekannte Änderungen bei Schlafdefizit bestätigt werden, und zwar die Verringerung von
Leptin und Zunahme von
Ghrelin, ähnlich wie bei Gewichtsverlust und Nahrungsentzug und dies unabhängig von
Body-Mass-Index, Alter, Geschlecht, nächtlichen Atmungsstörungen und anderen Kofaktoren. Durch den ansteigenden Appetit hatten Personen mit einer
Schlafdauer von weniger als 7,7 Stunden einen erhöhten Body-Mass-Index als Indikator für Übergewicht. Eine verlängerte Bettzeit und damit verminderte Bewegung mindert auch den Energieverbrauch, was demnach auch bei Langschläfern zu Gewichtszunahme führen kann. Die Studie von Taheri hat aber auch gezeigt, dass zwischen der Schlafdauer und den Stoffwechselhormonen
Insulin,
Glukose und Adiponektin kein eindeutiger Zusammenhang besteht (Taheri et al.
2004).
Das
Leptin im
Serum sinkt nicht nur bei akuter
Schlafdeprivation, sondern auch bei chronischem „Schlafentzug“. Im Vergleich mit
Ghrelin ist es dennoch so, dass Ghrelin eher den akuten
Schlafentzug und den akuten Hunger widerspiegelt und Leptin die chronische Schlafdeprivation beziehungsweise den Langzeiternährungsstatus. Einschränkend muss man sagen, dass bisher nur das stabile inaktive Ghrelin gemessen werden konnte und nicht das instabile aktive Ghrelin.
Der beschriebene Zusammenhang von
Schlafdeprivation und Metabolismus hat Änderungen des Metabolismus unter extremen Bedingungen offen gelegt. Doch da sich unter dem sogenannten Wiederkehrschlaf nach Beendigung der extremen Bedingungen der Metabolismus schnell wieder normalisiert, ist anzunehmen, dass er und seine Regulation bei akuten Experimenten selbst nicht gestört werden. Möglicherweise ist die metabolische Reaktion zu einem erheblichen Anteil auch durch Sympathikusaktivierung vermittelt.