Pathophysiologische Grundlage der Typ-1-Narkolepsie (NT1) beim Menschen ist der erworbene Mangel an Hypocretin. Hypocretine (Synonym:
Orexine) sind
Neuropeptide, die von ca. 50.000–70.000 Neuronen im posterolateralen Hypothalamus synthetisiert werden und eine zentrale Bedeutung für die Regulation der beiden Zustandspaare „Wach – Schlaf“ und „REM – NREM“ haben. Hypocretinerge Neurone projizieren in eine Vielzahl von ZNS-Arealen, unter anderem in sämtliche Regionen, die bekanntermaßen für die Schlaf-Wach-Regulation und im Besonderen für die Erzeugung und Aufrechterhaltung des Wachzustands wesentlich sind, wie beispielsweise Locus coeruleus, präfrontaler Kortex und, Formatio reticularis (Chabas et al.
2003). In Tiermodellen ist ein Mangel an Hypocretinen oder eine defekte Signalübertragung im Hypothalamus eng mit Narkolepsie-ähnlichen Symptomen verbunden. Beim Gesunden ist der hypocretinerge Tonus im Wachzustand hoch, sodass cholinerge und monoaminerge Systeme aktiviert werden, die Wachheit induzieren und stabilisieren. Die Drosselung der Hypocretinausschüttung im
Schlaf führt zu einer Minderaktivierung beziehungsweise Hemmung der vorstehend genannten Kerngebiete, was einen konsolidierten Schlaf ermöglicht. Im
REM-Schlaf ist die Aktivität der hypocretinergen Neurone am geringsten. Neuropathologische Post-mortem-Studien zeigen, dass bei Patient*innen mit NT1 die isoformen Neuropeptide Hypocretin-1 und Hypocretin-2 in Großhirn und Pons praktisch nicht nachweisbar sind, während gleichzeitig die Anzahl der hypocretinergen Neurone im Hypothalamus um bis zu 80–100 % vermindert ist. Es wird angenommen, dass diesem Umstand ein Autoimmunprozess zugrunde liegt, der zu einer weitgehenden Zerstörung der hypocretinergen Zellen führt und unter anderem durch das Vorliegen einer durch die beschriebenen HLA-assoziierten Polymorphismen vermittelten Suszeptibilität begünstigt wird (Chow und Cao
2016). Diese Autoimmunhypothese wird durch zwei wesentliche Beobachtungen gestützt: Zum einen finden sich bei Patient*innen mit NT1 autoreaktive
CD4+ T-Lymphozyten, die gegen Hypocretinfragmente gerichtet sind, wenn diese von MHC-II-Komplexen des Haplotyps DQB1*06:02 präsentiert werden. Zum anderen konnte im Zusammenhang mit
Impfungen gegen und Infektionen durch den H1N1-Influenzastamm (2009) gezeigt werden, dass in der Folge nicht nur die Inzidenzrate bei Kindern und Jugendlichen sprunghaft anstieg, sondern zusätzlich eine molekulare Mimikry zwischen Oberflächenepitopen von H1N1 und Hypocretin wahrscheinlich ist (Liblau et al.
2015).
Eine sekundäre oder symptomatische Narkolepsie (meist mit
Kataplexie) kann bei verschiedenen Erkrankungen auftreten, die zu einer Zerstörung oder Dysfunktion der hypocretinergen Neurone im posterolateralen Hypothalamus führen. Hierzu zählen Schädel-Hirn-Traumen, Tumoren, virale und paraneoplastische Enzephalitiden,
Neurosarkoidose sowie vaskuläre und entzündliche ZNS-Erkrankungen wie die
Multiple Sklerose und Neuromyelitis optica-Spektrum-Erkrankungen (Devic-Syndrom) (De la Herran-Arita et al.
2013). Die Narkolepsie kann hierbei als isoliertes Syndrom oder gemeinsam mit anderen Symptomen der Grunderkrankung auftreten.