Synonyme
Episodisch paroxysmale Angst
Englischer Begriff
panic disorder
Definition
Eine
Panikstörung ist nach ICD-10 durch wiederholt auftretende Panikattacken gekennzeichnet, die häufig spontan und nicht ausschließlich in einer spezifischen Situation auftreten. Eine Panikattacke ist eine Episode von intensiver Angst, die abrupt beginnt, innerhalb weniger Minuten ein
Maximum erreicht und einige Minuten andauert. Es müssen mindestens vier der folgenden Symptome vorhanden sein:
Herzklopfen, erhöhte Herzfrequenz; Schweißausbrüche; fein- oder grobschlägiger Tremor; Mundtrockenheit; Atembeschwerden; Beklemmungsgefühl;
Thoraxschmerzen oder Missempfindungen im Thoraxbereich; Übelkeit; Gefühl von
Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit;
Derealisation oder
Depersonalisation; Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden oder Angst zu sterben.
Im Rahmen der Diagnosestellung sollte sichergestellt werden, dass die Panikattacken nicht die Folge einer körperlichen Erkrankung oder anderen psychischen Störung sind. Ein Teil der Patienten erlebt die Panikattacken nicht nur während des Tages, sondern auch während der Nacht aus dem
Schlaf heraus. Häufig zeigen Patienten mit
Panikstörungen auch eine unspezifische Beeinträchtigung des Schlafs, vor allem mit Ein- und Durchschlafstörungen.
Genetik, Geschlechterwendigkeit
Die Störung tritt häufiger bei Frauen als bei Männern auf, das Verhältnis liegt bei 2:1–3:1.
Angehörige ersten Grades von Patienten mit
Panikstörung haben ein erhöhtes Risiko, in ihrem Leben ebenfalls an einer Panikstörung zu erkranken. Insgesamt wird der genetische Einfluss auf die Entstehung von Panikstörungen mit oder ohne
Agoraphobie von vielen Autoren auf 30–40 % geschätzt.
Epidemiologie und Risikofaktoren
Die
Panikstörung ist eine der häufigsten „Angststörungen“. Die Lebenszeitprävalenz für Panikstörungen wird in westlichen Industrienationen auf zirka 2,4 % geschätzt. Die Lebenszeitprävalenz für
Agoraphobie liegt bei zirka 5,7 %. Die in einer Studie beobachtete 7-Jahres-Inzidenz für Panikstörungen lag bei 1,2 %, während sie für
Agoraphobien bei 1,3 % lag.
Belastende Lebensereignisse, wie z. B. der Tod oder eine plötzliche schwere Erkrankung von nahen Angehörigen oder Freunden, können als Auslöser für die Störung fungieren. Das erstmalige Auftreten einer Panikattacke erfolgt zu etwa 90 % an einem öffentlichen Ort.
Pathophysiologie, Psychophysiologie
Für die
Panikstörung wird ein psychophysiologisches Bedingungsmodell angenommen. Die zentrale Annahme ist dabei, dass Panikattacken durch eine positive Rückkoppelung zwischen körperlichen Symptomen, deren kognitiver Assoziation mit Gefahr und Bedrohung und der daraus resultierenden Angstreaktion entstehen. Die Panikreaktion wird als eine besonders intensive Form der Angst gesehen, die sich nicht qualitativ von anderen Angstreaktionen unterscheidet. Typischerweise beginnt eine Panikattacke mit physiologischen Veränderungen wie Herzklopfen, Schwitzen und
Schwindel. Die Symptomatik kann dabei die Folge sehr unterschiedlicher konkreter Auslöser sein, wie z. B. körperlicher Anstrengung oder Einnahme von
Koffein. Die Wahrnehmung der körperlichen Veränderungen durch die betroffenen Personen und die Assoziation dieser Veränderungen mit Gefahr führt zu Angst und Panik, was in einer Verstärkung der physiologischen Veränderungen und damit einer Verstärkung der Symptome resultiert. Dieser Prozess läuft sehr schnell im Sinne eines Teufelskreises ab und führt häufig bis zu Todesangst.
Die agoraphobische Symptomatik, die sich im Rahmen vieler
Panikstörungen entwickelt, wird durch die Zwei-Faktoren-Theorie der Angst erklärt. So entsteht die
Agoraphobie als Vermeidungsreaktion nach dem Auftreten von Panikattacken und wird operant verstärkt, da durch agoraphobes Verhalten Panikattacken vermieden werden können.
Symptomatik
Beschwerden und Symptome
Die
Panikstörung ist durch paroxysmale Panikattacken gekennzeichnet, die oft spontan und nicht ausschließlich in spezifischen Situationen auftreten. Bei einer Panikattacke tritt intensive Angst oder Unbehagen auf, die abrupt beginnt und meist einige Minuten andauert. Es kommt zu einer Vielzahl von körperlichen Symptomen, zudem besteht eine massive Angst, verrückt zu werden oder zu sterben. Im Rahmen von Panikstörungen entwickelt sich häufig ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten im Sinne einer
Agoraphobie, was den Lebensradius der Betroffenen erheblich einschränken kann.
Erstmanifestation
Die Störung beginnt in der Regel im jungen Erwachsenenalter. Für die
Panikstörung wird ein mittleres Ersterkrankungsalter von 24 Jahren angegeben, während dieses für die
Agoraphobie bei zirka 21 Jahren liegt.
Auslöser
Auslöser können belastende Lebensereignisse oder die Einnahme von stimulierenden Substanzen sein.
Verlauf
Der Verlauf der Störung ist, soweit unbehandelt, eher ungünstig. Nur bei etwa einem Siebtel der Betroffenen zeigte sich in einer Katamneseuntersuchung eine Spontanremission. Häufige Folgeprobleme sind „Affektive Störungen“ sowie Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch, wobei letztere in vielen Fällen als fehlgeschlagener Selbstbehandlungsversuch aufgefasst werden. Bei schweren Fällen findet sich eine starke psychosoziale Beeinträchtigung und eine hohe Inanspruchnahme des Gesundheitssystems.
Schlaf bei Patienten mit Panikstörung
Epidemiologische Untersuchungen zeigten, dass Insomnische Störungen bei Patienten mit
Panikstörung häufiger auftreten als bei gesunden Kontrollpersonen (Baglioni et al.
2016). Polysomnographische Studien wiesen eine reduzierte Schlafeffizienz und verkürzte
Schlafdauer bei den betroffenen Patienten nach. Einige Schlaf-EEG-Untersuchungen sind allerdings schwierig zu interpretieren, da eine hohe Komorbidität zwischen Panikstörungen und depressiven Erkrankungen besteht, sodass z. B. Auffälligkeiten des
REM-Schlafs unter Umständen nur dann auftreten, wenn zusätzlich eine Affektive Störung besteht. Bei etwa einem Drittel aller Patienten treten Panikattacken auch aus dem
Schlaf heraus auf. Hierbei empfiehlt sich eine differentialdiagnostische Abklärung im Hinblick auf „Schlafbezogene Atmungsstörungen“. Bei Patienten mit Panikstörungen treten zudem häufiger „Albträume“ auf als bei Personen, die nicht an einer Angststörung leiden.
Psychosoziale Faktoren
Die
Panikstörung kann in schweren Fällen mit einer erheblichen psychosozialen Beeinträchtigung einhergehen, insbesondere wenn eine starke agoraphobische Symptomatik besteht. Diese kann dazu führen, dass Betroffene nicht mehr in der Lage sind, ihren Beruf auszuüben und soziale Kontakte vernachlässigen. Häufig besteht dann eine starke Abhängigkeit von nahen Bezugspersonen, die die Betroffenen zu Hause versorgen müssen. Die nicht selten auftretende Komorbidität mit affektiven Erkrankungen sowie Alkohol- und Medikamentenmissbrauch führt zu noch erheblicherer psychosozialer Beeinträchtigung.
Komorbide Erkrankungen
Es besteht eine hohe Komorbidität mit
Affektiven Störungen. Diese können als Reaktion auf die bestehende Angsterkrankung angesehen werden und mit dem Modell der erlernten Hilflosigkeit erklärt werden. Zudem besteht eine erhöhte Komorbidität für Alkohol- und Medikamentenmissbrauch, wobei diese Formen des Missbrauchs als fehlgeschlagene Selbstbehandlungsversuche interpretiert werden. Dasselbe gilt für den Missbrauch von
Benzodiazepinen.
Diagnostik
Eine umfassende somatische Anamnese und Diagnostik dient dem Ausschluss körperlicher Erkrankungen, beispielsweise einer kardiovaskulären Erkrankung. Dazu gehören die Bestimmung von Routinelaborparametern, ein
EKG und gegebenenfalls eine weiterführende kardiale Diagnostik. Wenn „Schwindel“ im Vordergrund der Beschwerden steht, empfiehlt sich eine neurologische Untersuchung. Zudem müssen Patienten mit dem Verdacht auf eine
Panikstörung psychiatrisch untersucht werden, insbesondere im Hinblick auf häufig auftretende komorbide Erkrankungen. So gibt es auch bei Menschen mit der Grunderkrankung einer Depression ein erhöhtes Auftreten von Panikattacken, deren Auftreten dann allerdings auf die
depressive Episode beschränkt ist.
Unter Umständen kann die Abgrenzung von anderen Angsterkrankungen Schwierigkeiten bereiten. Bei anderen Angsterkrankungen, wie z. B. der
sozialen Phobie, ist jedoch das Auftreten der Angst nicht so anfallsartig und nicht so massiv ausgeprägt wie bei der
Panikstörung. Bei den meisten
Phobien besteht zudem ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Angst und einem spezifischen auslösenden Stimulus, was bei der Panikstörung im Regelfall nicht so ist. Ebenso können Schwierigkeiten in der Abgrenzung zur
hypochondrischen Störung und zur
Somatisierungsstörung bestehen. Bei diesen beiden Störungen tritt die Angst jedoch nicht anfallsartig auf, ist eher generalisiert und bezieht sich in der Regel auf Krankheiten oderbestimmte körperliche Symptome.
Prävention
Spezifische präventive Ansätze für das Auftreten einer
Panikstörung sind bislang nicht bekannt. Im Hinblick auf das gleichzeitige Auftreten einer
Agoraphobie ist es sinnvoll anzunehmen, dass die frühe und adäquate Behandlung einer Panikstörung das zusätzliche Auftreten von agoraphoben Symptomen verhindern kann.
Therapie
In medikamentöser Hinsicht wurden bei
Panikstörungen in der Vergangenheit häufig „Benzodiazepine“ eingesetzt, deren Wirksamkeit in der Akutbehandlung einer Panikattacke unumstritten ist. Möglicherweise wird jedoch durch die sofortige Symptomlinderung eine Missbrauchsentwicklung begünstigt, da die Patienten dadurch sehr schnell lernen, dass die Panikattacken effektiv und schnell durch die Einnahme der Substanzen unterbunden werden können.
Medikamentöse Therapie der Wahl bei
Panikstörungen sind „Antidepressiva“, vor allem Serotoninwiederaufnahmehemmer (siehe S3-Leitlinie
Angststörungen).
Als psychotherapeutische Methode der Wahl gilt die
kognitive Verhaltenstherapie, innerhalb derer ein psychophysiologisches Erklärungsmodell für die Symptomatik vermittelt wird. Darauf aufbauend werden Expositionsverfahren eingesetzt, die darauf zielen, Flucht- und Vermeidungsverhalten abzubauen und den Patienten Möglichkeiten zu einem veränderten Umgang mit aufkommenden Angstreaktionen an die Hand zu geben (siehe auch „Kognitive Verhaltenstherapie“).
Zusammenfassung, Bewertung
Panikstörungen sind eine häufige Form von Angsterkrankungen, die mit massiven Beeinträchtigungen der Betroffenen einhergehen und in vielen Fällen auch den
Schlaf betreffen. Aus pharmakologischer und kognitiv-verhaltenstherapeutischer Sicht stehen effektive Behandlungsverfahren zur Verfügung. Eine frühzeitige und adäquate Behandlung ist sinnvoll, um die Entwicklung agoraphoben Vermeidungsverhaltens zu verhindern. Im Falle von
Schlafstörungen kann zudem eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung der insomnischen Symptomatik erwogen werden.