Aufgrund der oben dargestellten Unschärfe bei der Erfassung von vigilanzverändernden Wirkungen wird in der Beschreibung der Häufigkeit von Nebenwirkungen wichtiger neurologischer Präparate auf die gesetzlich festgelegten Begriffe „sehr häufig“ (>1/10), „häufig“ (>1/100), „gelegentlich“ (>1/1000) und „selten“ (>1/10.000) zurückgegriffen.
Antiepileptika
Müdigkeit und Sedierung sind sehr häufige Nebenwirkungen der meisten Antikonvulsiva (vgl. Tab.
1; Jain und Glauser
2014). Akute
Intoxikationen durch zahlreiche Antikonvulsiva können sogar zu Somnolenz und
Koma führen.
Tab. 1
Häufigkeit schläfrigmachender Nebenwirkungen gängiger
Antiepileptika (nach Rote Liste
2015)
Eslicarbazepin (z. B. Zebinix) Phenobarbital (z. B. Luminal) Primidon (z. B. Liskantin, Mylepsinum, Resimatil) Topiramat (z. B. Topamax) Benzodiazepine [div. Substanzen] (z. B. Frisium, Rivotril, Tavor u. v. a. m.) | Valproinsäure (z. B. Ergenyl, Convulex, Depakine, Leptilan, Orfiril, u. a. m.) Primidon (z. B. Mylepsinum) | Diphenylhydantoin (z. B. Phenhydan, Zentropil, Epanutin) Lamotrigen (z. B. Lamictal) | Mesuximid (z. B. Petinutin) |
Tiagabin (z. B. Gabitril) Lacosamid (z. B. Vimpat) Rufinamid (z. B. Inovelon) | Felbamat (z. B. Taloxa) | | |
Eine verstärkte Müdigkeit oder Schläfrigkeit tritt insbesondere in der Eindosierungsphase auf. So treten unter
Carbamazepin bei bis zu 45 % der Behandelten initial Müdigkeitserscheinungen auf, die zumeist innerhalb von 14 Tagen vorübergehen. Dosisreduktionen oder ein langsamer Spiegelaufbau führen oftmals zu einer Verbesserung des Befindens. Da
Oxcarbazepin und Eslicarbazepin einen ähnlichen Wirkmechanismus über seinen Metaboliten besitzen, sind auch die zu erwartenden Nebenwirkungen hinsichtlich des Zentralnervensystems vergleichbar.
Die Verabreichung von
Valproinsäure führt ebenfalls in der ersten Zeit bei bis zu 50 % der Patienten zu einer leichten Sedation, die im Verlauf abnimmt. Ursächlich wird unter anderem ein erhöhter, dosisabhängiger Blutammoniakwert diskutiert. Gegebenenfalls kann eine Umverteilung der Applikation mit nur noch einmaliger abendlicher Gabe die Problematik reduzieren.
Diphenylhydantoin kann im Rahmen der Langzeitbehandlung im oberen therapeutischen Bereich (>20 μg/ml) vermehrt Müdigkeit, aber auch Doppelbilder,
Sehstörungen und Gleichgewichtsstörungen hervorrufen. Diese unerwünschten Effekte sind möglicherweise Frühzeichen einer beginnenden Intoxikation und sollten zur Dosisreduktion Anlass geben. Die unterschiedliche Galenik der auf dem Markt befindlichen Präparate kann bei Präparatwechsel zu
Intoxikationen trotz gleich bleibender Nominaldosis führen.
Gabapentin, eine Substanz mit GABA-agonistischen und glutamatergen Wirkungen, erzeugte in klinischen Studien dosisunabhängig innerhalb der ersten 15–20 Tage Müdigkeit,
Schwindel und Ataxie in zahlreichen Fällen. Innerhalb weiterer 14 Tage war die meist mild ausgeprägte Symptomatik jedoch wieder abgeklungen. Für
Pregabalin und Topiramat gilt Vergleichbares.
Lacosamid und Rufinamid, Antikonvulsiva mit Wirkung auf spannungsabhängige Natriumkanäle, führen ebenso mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer deutlichen Vigilanzminderung als Nebeneffekt.
Vigabatrin in Kombinationstherapie führt bei Erwachsenen sehr häufig zu einer deutliche Ermüdung, während die Substanz auf Kinder eher erregend wirkt.
Unter Phenobarbital und
Primidon wird eine initiale Müdigkeit beobachtet, die bisweilen auch nach abendlicher Gabe zu einem ausgeprägten Hangover am folgenden Morgen führen kann. Weiterhin sind aber auch paradoxe Effekte mit Schlaflosigkeit oder Hyperaktivität beschrieben.
„Benzodiazepine“ werden gerade aufgrund der sedierenden Nebenwirkungen in der Langzeitbehandlung eher vermieden, sie sind in der Initialbehandlung des epileptischen Status Mittel der ersten Wahl. Clobazam wird im Vergleich zu Clonazepam oder Diazepam eine geringe sedierende Wirkung zugeschrieben.
Unter
Vigabatrin in Kombinationstherapie verspüren Erwachsene sehr häufig eine deutliche Ermüdung, während die Substanz auf Kinder eher erregend wirkt.
Medikamentöse Parkinson-Therapie
Den dopaminergen Substanzen wird älteren tierexperimentellen Befunden zufolge dosisabhängig eine biphasische Wirkung auf das Schlaf-Wach-System zugeschrieben: Während niedrige Dosen eher schlaffördernd sein sollen, wird bei hohen Plasmaspiegeln ein schlafhemmender Effekt beobachtet. Möglicherweise liegt diesen Beobachtungen eine selektive Erregung unterschiedlicher dopaminerger Systeme des Zentralnervensystems beziehungsweise der verschiedenen Dopaminrezeptortypen zugrunde.
Im Rahmen der Therapie bei den Parkinson-Syndromen (siehe „Parkinson-Syndrome“) stellt in besonderem Maße die sedierende Wirkung ein Problem dar. Erhöhte Aufmerksamkeit ist bei Patienten geboten, die – zumeist im Rahmen der Medikamentenumstellung – unter plötzlich auftretender exzessiver Schläfrigkeit am Tage, sogenannten
Schlafattacken, leiden. Inzwischen wurden derartige Episoden bei allen in der Parkinson-Therapie eingesetzten Dopaminergika beschrieben, und verschiedene Arbeitsgruppen gehen von einem Klasseneffekt dieser Substanzen aus. Es scheint einen Dosisbezug zu geben (Tholfsen et al.
2015).
Das Phänomen ist noch nicht hinreichend geklärt (Knie et al.
2011). Untersuchungen hinsichtlich eines Genpolymorphismus der Dopaminrezeptoren lieferten keine aussagekräftigen Befunde. Neurophysiologische Messungen konnten die subjektiven Angaben von raschen Wechseln zwischen alertem Wachsein und Schläfrigkeit teilweise dokumentieren (Schäfer und Greulich
2000). Möglicherweise ist dies auf die biphasische Wirkung der dopaminergen Stimulation zurückzuführen, und die ungewohnt rasche Veränderung der Vigilanz wird von den Patienten als
Schlafattacke empfunden.
Parkinson-Patienten müssen in einer Ein- oder Umstellungsphase auf die Gefährdung durch ungewohnte Schläfrigkeit hingewiesen werden und sollten das Führen eines Kraftfahrzeugs zunächst meiden. Nach 3 Monaten ohne richtungweisende Auffälligkeiten können nach gängiger Meinung diesbezügliche Einschränkungen aufgehoben werden, da die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten derartiger Nebenwirkung sehr gering wird.
Neben der plötzlich auftretenden Schläfrigkeit finden sich andauernde Müdigkeit, Schläfrigkeit oder Abgeschlagenheit als häufige unerwünschte Wirkungen der verschiedenen Parkinson-Medikamente. Tab.
2 zeigt die Daten aus einer früheren
Metaanalyse in einer Übersicht.
Tab. 2
Häufigkeit vigilanzsenkender Nebenwirkungen von Parkinson-Medikamenten. Die Daten sind der Metaanalyse von Reichmann et al. mit Abrufdatum 18.05.2005 entnommen (alle Angaben in % der Anwender)
Benzatropin | – | Ach | ∗ | 2,0 | – | – | – | 0,6 | – | 0,4 | 1,2 | – | – |
Biperiden | Akineton, Generika | Ach | – | 5,7 | 0,1 | – | – | – | 0,3 | – | 0,1 | – | – |
Bornaprin | Sormodren | Ach | – | – | – | – | – | – | 2,3 | – | 4,6 | – | – |
Metixen | Tremarit, Tremaril | Ach | – | 1,5 | – | – | – | 1,5 | 4,5 | – | – | – | – |
Pridinol | Myoson, Parks 12 | Ach | – | – | – | – | – | – | – | – | – | – | – |
Procyclidin | Osnervan | Ach | – | 2,0 | – | – | – | – | – | – | 1,0 | – | – |
Trihexyphenidyl | Artane, Parkopan | Ach | – | 3,6 | – | – | – | 0,5 | 0,5 | – | 0,1 | – | – |
a-Dihydroergocryptin | Almirid, Cripar | DA | 0,6 | – | – | – | – | – | 0,7 | – | – | – | – |
| APO Go, Apomorphin, Uprima | DA | – | 0,9 | – | – | 0,4 | – | 14,7 | – | 4,3 | 3,0 | – |
Bromocriptin | Kirim, Parlodel, Pravidel, Generika | DA | 0,1 | 11,3 | – | – | – | 0,1 | 0,5 | – | 7,3 | 0,2 | – |
Cabergolin | Dostinex, Cabaser, Cabaseril | DA | – | – | – | – | – | – | 2,4 | – | – | – | – |
Lisurid | Dopergin | DA | 0,2 | 6,0 | – | – | – | – | – | 0,1 | 4,6 | 0,1 | – |
Pergolid | Parkotil, Celance, Generika | DA | 0,2 | 0,8 | – | – | – | – | 0,7 | – | 0,4 | 0,2 | – |
Pramipexol | Sifrol, Mirapexin | DA | 0,5 | 15,3 | – | – | 0,1 | – | 2,8 | 0,5 | 12,4 | – | 0,1 |
Ropinirol | ReQuip | DA | 0,5 | 0,1 | – | – | – | – | 10,4 | – | 6,5 | – | 0,1 |
Levodopa | Dopaflex | Dop | – | – | – | – | – | – | 16,3 | – | – | – | – |
Levodopa + Benserazid | Madopar, PKLevo, Prolopa, Restex, Generika | Dop | – | – | 0,3 | – | – | – | 1,5 | – | – | – | – |
Levodopa + Carbidopa | Nacom, Isicom, Dopadura, Sinemet, Stalevo∗∗, Generika | Dop | 0,4 | 0,2 | – | – | – | – | 6,0 | 0,0 | 1,0 | – | – |
Selegilin | Antiparkin, Movergan, Xilopar, Generika | MAO | 0,6 | 1,4 | – | – | – | – | 2,2 | – | – | – | – |
Entacapon | Comtess, Stalevo∗∗ | COMT | – | 3,1 | – | – | – | – | 3,0 | – | 0,2 | – | – |
Tolcapon | Tasmar | COMT | – | – | – | – | – | – | 0,4 | – | 8,6 | – | – |
Amantadin | PK-Merz, Generika | NMDA | 0,4 | 0,6 | – | 0,1 | – | 0,3 | 0,6 | – | 0,9 | – | – |
| Parkinsan | NMDA | – | 3,0 | – | – | – | – | – | – | – | – | – |
Sonstige Substanzgruppen
Zu den häufig eingesetzten neurologischen Präparaten gehören
Muskelrelaxantien. Diese besitzen einerseits einen unmittelbar zentral sedierenden Effekt. Andererseits können sie über eine Störung der
Atmung im
Schlaf, beispielsweise in Gestalt von periodischer Atmung, der Verstärkung einer partiellen beziehungsweise kompletten Obstruktion oder der Verminderung der Atemtiefe, den Schlaf unerholsam machen.
Die Immunmodulatoren zur Multiple-Sklerose-Therapie (β-Interferone, Glatirameracetat) können, betont in den ersten Wochen der Einstellung, zu unspezifischen Müdigkeitsempfindungen oder Abgeschlagenheit führen. Auch bei der Neueinstellung auf Fingolimod wurden Bradykardien und Müdigkeit innerhalb der ersten Stunden nach Einnahme beschrieben.
Antiverginosa besitzen zumeist über ihre antihistaminische Wirkkomponente sedierende Effekte.
Übermäßige Schläfrigkeit und Müdigkeit wurden auch bei bis zu 8 % der Patienten nach Einnahme von Triptanen zur akuten Migränetherapie beobachtet.