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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 22.02.2020

Stimulanzienabhängigkeit

Verfasst von: Kai Spiegelhalder und Magdolna Hornyak
Zu den am häufigsten benutzten Stimulanzien gehören Koffein, Amphetamine und Amphetaminderivate, wie Metamphetamin, sowie Methylphenidat, Pemolin, das in Deutschland nicht mehr erhältlich ist, und Modafinil. Psychostimulanzien finden in der Behandlung der Narkolepsie oder der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung medizinische Anwendung. Die Entwicklung einer Abhängigkeit kommt am häufigsten bei den Amphetaminderivaten sowie bei Methylphenidat vor. Modafinil scheint ein geringeres Suchtpotenzial als Amphetamine zu besitzen. Stimulanzien führen zur Erhöhung der Vigilanz, Verlängerung der Schlaflatenz und Verkürzung der Schlafdauer. Beim Absetzen der Stimulanzien kommt es meistens zu Rebound-Phänomenen, im akuten Entzug wurde eine Zunahme der Schlafdauer und des REM-Schlafs beschrieben.

Englischer Begriff

stimulant dependence

Definition

Zu den am häufigsten benutzten „Stimulanzien“ gehören „Koffein“, Amphetamine und Amphetaminderivate, wie Metamphetamin, sowie Methylphenidat, Pemolin, das in Deutschland nicht mehr erhältlich ist, und Modafinil. Psychostimulanzien finden in der Behandlung der „Narkolepsie“ oder der „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“ (ADHS) medizinische Anwendung. Die Entwicklung einer Abhängigkeit kommt am häufigsten bei den Amphetaminderivaten sowie bei Methylphenidat vor. Modafinil scheint ein geringeres Suchtpotenzial als Amphetamine zu besitzen (Jasinski und Kovacevic-Ristanovic 2000). Stimulanzien führen zur Erhöhung der Vigilanz, Verlängerung der Schlaflatenz und Verkürzung der Schlafdauer (Bonnet et al. 2005). Beim Absetzen der Stimulanzien kommt es meistens zu Rebound-Phänomenen, im akuten Entzug wurde eine Zunahme der Schlafdauer und des REM-Schlafs beschrieben.

Genetik, Geschlechterwendigkeit

Es besteht eine genetische Vulnerabilität für die Entwicklung einer Stimulanzienabhängigkeit. Sie ist jedoch geringer ausgeprägt als bei der Alkoholabhängigkeit oder Nikotinabhängigkeit (Wilhelmsen und Ehlers 2005).

Epidemiologie und Risikofaktoren

Der Missbrauch bzw. die Abhängigkeit von Stimulanzien scheint vor allem im jüngeren Lebensalter verbreitet zu sein. Eine aktuelle Untersuchung an US-amerikanischen Studenten ergab, dass 6,9 % der Studenten (n = 10.904) in ihrem Leben mindestens einmal Stimulanzien benutzt haben. 2,1 % gaben an, Psychostimulanzien aktuell zu gebrauchen. Als Risikofaktoren konnten männliches Geschlecht und Zugehörigkeit zu einer Studentenverbindung festgestellt werden (McCabe et al. 2005). Eine hohe Komorbidität besteht zwischen Stimulanzienabhängigkeit und der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung.

Pathophysiologie, Psychophysiologie

Aktuelle bildgebende Untersuchungen ergaben, dass die Veränderungen der Hirnfunktion bei Stimulanzienabhängigkeit Gemeinsamkeiten mit denen bei Depression oder bei der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung zeigen. Im Weiteren wurde nachgewiesen, dass die Einnahme von Psychostimulanzien zu einer Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse führt. Die subjektive Response auf Psychostimulanzien und somit das Ausmaß des „aufputschenden Effekts“ scheint genetisch mitbedingt zu sein. Die genaue Pathophysiologie der Stimulanzienabhängigkeit ist noch nicht geklärt.

Symptomatik

Die Diagnosekriterien für eine Abhängigkeitserkrankung sind im ICD-10 wie folgt definiert:
Symptome einer körperlichen Abhängigkeit:
  • Entwicklung einer Toleranz
  • Körperliche Entzugserscheinungen
  • Einnahme der Substanz, um Entzugserscheinungen zu vermeiden oder zu lindern
Symptome einer psychischen Abhängigkeit:
  • Verlangen, die Substanz zu konsumieren
  • Verminderte Kontrolle über den Beginn und das Ende des Konsums sowie über die Menge des Substanzgebrauchs
  • Die Alltagsaktivitäten sind auf Möglichkeiten und Gelegenheiten zum Substanzkonsum hin ausgerichtet
  • Soziale, familiäre und berufliche Interessen werden vernachlässigt
  • Trotz auftretender schädlicher Folgen wird der Konsum fortgesetzt
Die Entwicklung einer Abhängigkeit kommt am häufigsten bei den Amphetaminderivaten sowie bei Methylphenidat vor. Modafinil scheint ein geringeres Suchtpotenzial als Amphetamin zu besitzen (Jasinski und Kovacevic-Ristanovic 2000). Beim regelmäßigen Koffeinkonsum besteht eher ein Missbrauch als eine Abhängigkeit.
Psychostimulanzien führen im Allgemeinen zu einer Steigerung der Vigilanz und Verminderung des Schlafbedürfnisses. Die Wirkung kann nach ausreichendem Schlaf und nach Schlafentzug unterschiedlich ausfallen (Übersicht siehe Bonnet et al. 2005). Koffeinkonsum tagsüber scheint vor allem nach Schlafentzug aktivierend und belebend zu wirken. Die Gabe von Koffein zwei Stunden vor der Bettzeit führt zu einer Verlängerung der Einschlaflatenz und Verminderung der Schlafdauer. Die Wirkung von Amphetaminen auf den Schlaf wurde in einer Studie untersucht. Durch die akute Gabe von 10 mg Metamphetamin morgens und abends nahm die Schlafeffizienz, Schlafdauer und Zeit, die im NREM-Schlaf verbracht wurde, ab. Die Anzahl der Aufwachepisoden und Bewegungen stieg signifikant im Vergleich zu Placebo. Pemolin, eine in seiner Wirkung den Amphetaminen ähnliche Substanz führt bei Patienten mit Narkolepsie zu einer Verlängerung der Einschlaflatenz im „Multipler Schlaflatenztest und Multipler Wachbleibetest“. Aufgrund seiner lebertoxischen Wirkung wurde Pemolin u. a. in Deutschland und Kanada vom Markt genommen. Modafinil vermindert, wenn abends vor dem Schlafengehen gegeben, die Schlafeffizienz und die Gesamtschlafzeit und führt zu einer kürzeren Schlafepisode in der ersten, nicht jedoch in der zweiten Nacht nach Schlafentzug.

Beschwerden und Symptome

Nach Gebrauch von Stimulanzien, vor allem wenn dies in den Abendstunden geschieht, ist die subjektive Schlafqualität vermindert (Übersicht siehe Bonnet et al. 2005).

Verlauf

Chronischer Gebrauch von Psychostimulanzien kann zu anhaltenden neuropsychologischen Veränderungen führen, z. B. zu einer Verminderung der Aufmerksamkeit und der motorischen Fähigkeiten (Toomey et al. 2003).

Psychosoziale Faktoren

In der oben zitierten Studie benutzten die befragten Studenten die Psychostimulanzien bis zu 70 % als Freizeitdrogen, „recreational drugs“, vorzugsweise am Wochenende und meistens zusammen mit anderen Drogen wie Cannabis, Ecstasy oder Alkohol (McCabe et al. 2005). Die verbleibenden 30 % nahmen Stimulanzien nur während der Prüfungszeit als „Lernhilfe“.

Komorbide Erkrankungen

Stimulanzienabhängigkeit zeigt hohe Komorbidität mit der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Zudem gibt es Depressive, die Psychostimulanzien als „Selbstmedikation“ zur Verbesserung des Antriebs und zur Stimmungsaufhellung einnehmen.

Diagnostik

Die Diagnose wird nach den gültigen Diagnosekriterien (ICD-10 oder DSM-IV-R) gestellt („Diagnostische Klassifikationssysteme“).

Differentialdiagnostik

Auf Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen, vor allem mit der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung muss geachtet werden.

Prävention

Die Prävention gestaltet sich ähnlich wie bei anderen Substanzen mit hohem Abhängigkeitsrisiko.

Therapie

Ambulanter oder stationärer Entzug.

Rehabilitation

Die Rehabilitation gestaltet sich ähnlich wie bei anderen Substanzen mit hohem Abhängigkeitsrisiko.

Nachsorge

Die Nachsorge gestaltet sich ähnlich wie bei anderen Substanzen mit hohem Abhängigkeitsrisiko.

Psychosoziale Bedeutung

Der Gebrauch von Psychostimulanzien nahm in den letzten Jahrzehnten zu. Spezielle Präventionsprogramme sowie Erforschung der Folgeschäden, insbesondere die Auswirkungen auf den Schlaf und die Vigilanz, sind erforderlich.

Prognose

Da Psychostimulanzien meistens zusammen mit anderen Drogen, d. h. im Rahmen einer Polytoxikomanie, genommen werden, ist die Prognose als eher ungünstig anzusehen.

Zusammenfassung, Bewertung

Psychostimulanzien sind zur Behandlung der Narkolepsie und der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zugelassen. Amphetaminderivate und Methylphenidat haben ein hohes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. Die Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung scheint unter Modafinil geringer als bei den herkömmlichen Psychostimulanzien zu sein, dennoch ist bei der derzeitigen Datenlage ein kritischer Umgang geboten.
Literatur
Bonnet MH, Balkin TJ, Dinges DF et al (2005) Sleep deprivation and stimulant task force of the American academy of sleep medicine. The use of stimulants to modify performance during sleep loss: a review by the sleep deprivation and stimulant task force of the American academy of sleep medicine. Sleep 28:1163–1187CrossRef
Jasinski DR, Kovacevic-Ristanovic R (2000) Evaluation of the abuse liability of modafinil and other drugs for excessive daytime sleepiness associated with narcolepsy. Clin Neuropharmacol 23:149–156CrossRef
McCabe SE, Knight JR, Teter CJ, Wechsler H (2005) Non-medical use of prescription stimulants among US college students: prevalence and correlates from a national survey. Addiction 100:96–106CrossRef
Toomey R, Lyons MJ, Eisen SA et al (2003) A twin study of the neuropsychological consequences of stimulant abuse. Arch Gen Psychiatry 60:303–310CrossRef
Wilhelmsen KC, Ehlers C (2005) Heritability of substance dependence in a native American population. Psychiatr Genet 15:101–107CrossRef