Englischer Begriff
stimulant dependence
Definition
Zu den am häufigsten benutzten „Stimulanzien“ gehören „Koffein“,
Amphetamine und Amphetaminderivate, wie Metamphetamin, sowie Methylphenidat, Pemolin, das in Deutschland nicht mehr erhältlich ist, und Modafinil. Psychostimulanzien finden in der Behandlung der „Narkolepsie“ oder der „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“ (
ADHS) medizinische Anwendung. Die Entwicklung einer Abhängigkeit kommt am häufigsten bei den Amphetaminderivaten sowie bei Methylphenidat vor. Modafinil scheint ein geringeres Suchtpotenzial als Amphetamine zu besitzen (Jasinski und Kovacevic-Ristanovic
2000).
Stimulanzien führen zur Erhöhung der Vigilanz, Verlängerung der Schlaflatenz und Verkürzung der
Schlafdauer (Bonnet et al.
2005). Beim Absetzen der Stimulanzien kommt es meistens zu Rebound-Phänomenen, im akuten Entzug wurde eine Zunahme der Schlafdauer und des
REM-Schlafs beschrieben.
Genetik, Geschlechterwendigkeit
Es besteht eine genetische Vulnerabilität für die Entwicklung einer Stimulanzienabhängigkeit. Sie ist jedoch geringer ausgeprägt als bei der
Alkoholabhängigkeit oder Nikotinabhängigkeit (Wilhelmsen und Ehlers
2005).
Epidemiologie und Risikofaktoren
Der Missbrauch bzw. die Abhängigkeit von
Stimulanzien scheint vor allem im jüngeren Lebensalter verbreitet zu sein. Eine aktuelle Untersuchung an US-amerikanischen Studenten ergab, dass 6,9 % der Studenten (n = 10.904) in ihrem Leben mindestens einmal Stimulanzien benutzt haben. 2,1 % gaben an, Psychostimulanzien aktuell zu gebrauchen. Als Risikofaktoren konnten männliches Geschlecht und Zugehörigkeit zu einer Studentenverbindung festgestellt werden (McCabe et al.
2005). Eine hohe Komorbidität besteht zwischen Stimulanzienabhängigkeit und der
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung.
Pathophysiologie, Psychophysiologie
Aktuelle bildgebende Untersuchungen ergaben, dass die Veränderungen der Hirnfunktion bei Stimulanzienabhängigkeit Gemeinsamkeiten mit denen bei Depression oder bei der
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung zeigen. Im Weiteren wurde nachgewiesen, dass die Einnahme von Psychostimulanzien zu einer Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse führt. Die subjektive Response auf Psychostimulanzien und somit das Ausmaß des „aufputschenden Effekts“ scheint genetisch mitbedingt zu sein. Die genaue Pathophysiologie der Stimulanzienabhängigkeit ist noch nicht geklärt.
Symptomatik
Die Diagnosekriterien für eine Abhängigkeitserkrankung sind im ICD-10 wie folgt definiert:
Symptome einer körperlichen Abhängigkeit:
Körperliche Entzugserscheinungen
Einnahme der Substanz, um Entzugserscheinungen zu vermeiden oder zu lindern
Symptome einer psychischen Abhängigkeit:
Verlangen, die Substanz zu konsumieren
Verminderte Kontrolle über den Beginn und das Ende des Konsums sowie über die Menge des Substanzgebrauchs
Die Alltagsaktivitäten sind auf Möglichkeiten und Gelegenheiten zum Substanzkonsum hin ausgerichtet
Soziale, familiäre und berufliche Interessen werden vernachlässigt
Trotz auftretender schädlicher Folgen wird der Konsum fortgesetzt
Die Entwicklung einer Abhängigkeit kommt am häufigsten bei den Amphetaminderivaten sowie bei
Methylphenidat vor.
Modafinil scheint ein geringeres Suchtpotenzial als Amphetamin zu besitzen (Jasinski und Kovacevic-Ristanovic
2000). Beim regelmäßigen Koffeinkonsum besteht eher ein Missbrauch als eine Abhängigkeit.
Psychostimulanzien führen im Allgemeinen zu einer Steigerung der Vigilanz und Verminderung des Schlafbedürfnisses. Die Wirkung kann nach ausreichendem Schlaf und nach
Schlafentzug unterschiedlich ausfallen (Übersicht siehe Bonnet et al.
2005). Koffeinkonsum tagsüber scheint vor allem nach Schlafentzug aktivierend und belebend zu wirken. Die Gabe von
Koffein zwei Stunden vor der Bettzeit führt zu einer Verlängerung der Einschlaflatenz und Verminderung der
Schlafdauer. Die Wirkung von
Amphetaminen auf den Schlaf wurde in einer Studie untersucht. Durch die akute Gabe von 10 mg Metamphetamin morgens und abends nahm die Schlafeffizienz, Schlafdauer und Zeit, die im
NREM-Schlaf verbracht wurde, ab. Die Anzahl der Aufwachepisoden und Bewegungen stieg signifikant im Vergleich zu Placebo. Pemolin, eine in seiner Wirkung den Amphetaminen ähnliche Substanz führt bei Patienten mit
Narkolepsie zu einer Verlängerung der Einschlaflatenz im „Multipler Schlaflatenztest und Multipler Wachbleibetest“. Aufgrund seiner lebertoxischen Wirkung wurde
Pemolin u. a. in Deutschland und Kanada vom Markt genommen. Modafinil vermindert, wenn abends vor dem Schlafengehen gegeben, die Schlafeffizienz und die Gesamtschlafzeit und führt zu einer kürzeren Schlafepisode in der ersten, nicht jedoch in der zweiten Nacht nach Schlafentzug.
Beschwerden und Symptome
Nach Gebrauch von
Stimulanzien, vor allem wenn dies in den Abendstunden geschieht, ist die subjektive Schlafqualität vermindert (Übersicht siehe Bonnet et al.
2005).
Verlauf
Chronischer Gebrauch von Psychostimulanzien kann zu anhaltenden neuropsychologischen Veränderungen führen, z. B. zu einer Verminderung der Aufmerksamkeit und der motorischen Fähigkeiten (Toomey et al.
2003).
Psychosoziale Faktoren
In der oben zitierten Studie benutzten die befragten Studenten die Psychostimulanzien bis zu 70 % als Freizeitdrogen, „recreational drugs“, vorzugsweise am Wochenende und meistens zusammen mit anderen Drogen wie Cannabis,
Ecstasy oder Alkohol (McCabe et al.
2005). Die verbleibenden 30 % nahmen
Stimulanzien nur während der Prüfungszeit als „Lernhilfe“.
Komorbide Erkrankungen
Stimulanzienabhängigkeit zeigt hohe Komorbidität mit der
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Zudem gibt es Depressive, die Psychostimulanzien als „Selbstmedikation“ zur Verbesserung des Antriebs und zur Stimmungsaufhellung einnehmen.
Diagnostik
Die Diagnose wird nach den gültigen Diagnosekriterien (ICD-10 oder DSM-IV-R) gestellt („Diagnostische Klassifikationssysteme“).
Prävention
Die Prävention gestaltet sich ähnlich wie bei anderen Substanzen mit hohem Abhängigkeitsrisiko.
Therapie
Ambulanter oder stationärer Entzug.
Rehabilitation
Die Rehabilitation gestaltet sich ähnlich wie bei anderen Substanzen mit hohem Abhängigkeitsrisiko.
Nachsorge
Die Nachsorge gestaltet sich ähnlich wie bei anderen Substanzen mit hohem Abhängigkeitsrisiko.
Psychosoziale Bedeutung
Der Gebrauch von Psychostimulanzien nahm in den letzten Jahrzehnten zu. Spezielle Präventionsprogramme sowie Erforschung der Folgeschäden, insbesondere die Auswirkungen auf den Schlaf und die Vigilanz, sind erforderlich.
Prognose
Da Psychostimulanzien meistens zusammen mit anderen Drogen, d. h. im Rahmen einer Polytoxikomanie, genommen werden, ist die Prognose als eher ungünstig anzusehen.
Zusammenfassung, Bewertung
Psychostimulanzien sind zur Behandlung der
Narkolepsie und der
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (
ADHS) zugelassen. Amphetaminderivate und Methylphenidat haben ein hohes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. Die Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung scheint unter Modafinil geringer als bei den herkömmlichen Psychostimulanzien zu sein, dennoch ist bei der derzeitigen Datenlage ein kritischer Umgang geboten.