Hereditäre Sphärozytose
Die
hereditäre Sphärozytose (HS)
ist die häufigste angeborene hämolytische
Anämie in Mitteleuropa, mit einer
Prävalenz von 1:2000 bis 1:5000 (Eber und Andres
2016; Eber und Lux
2004). Ursache der HS sind Mutationen in Genen, die für Proteine kodieren, die für die Verankerung der Erythrozytenmembran mit dem Zytoskelett verantwortlich sind (Ankyrin [etwa 50 % der Fälle], Bande-3-Protein oder α-/β-Spektrin [je etwa 20 %], in selteneren Fällen Protein 4.2). 90 % der Fälle sind durch autosomal-dominante Mutationen verursacht, davon etwa ein Drittel durch Neumutationen, die anderen folgen einer klassischen Vererbung. Etwa 10 % sind durch rezessive Mutationen verursacht und meist mit schwereren Verläufen assoziiert. Die genannten Veränderungen führen zu einer verminderten Verformbarkeit und einem vorzeitigen Abbau der
Erythrozyten in der Milz.
Die klinischen Folgen sind eine hämolytische
Anämie und
Hyperbilirubinämie (mit/ohne
Cholelithiasis) unterschiedlichen Schweregrades (Tab.
2), wobei letztere v. a. durch die zusätzliche Präsenz eines Morbus Gilbert-Meulengracht in ihrer Ausprägung modifiziert werden kann.
| 11,0–15,0 | 8,0–11,0 | 6,0–9,0 | <6,0 |
| 1,5–6 | ≥6 | ≥10 (meist >15) | ≥10 |
| 1–2 | ≥2 | >2–3 | ≥3 |
Transfusionen | Nie (kaum) | Kaum | ≥3 jenseits des NG-Alters | Regelmäßig |
Indikation zur Splenektomie | Sehr selten | Mehrere hämolytische Krisen Leistungsminderung Symptomatische Cholelithiasis, belastender Ikterus | In der Regel indiziert Vollständige Splenektomie erst ab >6 Jahre | Immer indiziert. Vollständige Splenektomie erst ab >6 Jahre |
Da der Abbau der
Erythrozyten bei der HS ganz überwiegend in der Milz stattfindet, sind durch eine
Splenektomie sämtliche unmittelbaren klinischen Folgen der HS behandelbar.
Auch bei Patienten mit HS sind nach
Splenektomie das Infektionsrisiko sowie das Risiko für arterielle und venöse thromboembolische Komplikationen erhöht (Eber und Lux
2004; Schilling et al.
2008). Vor diesem Hintergrund ergibt sich zum einen die Notwendigkeit einer sorgfältigen Indikationsstellung, zum anderen die Frage nach dem Stellenwert der partiellen oder subtotalen Splenektomie bei der HS.
Die Indikation zur
Splenektomie ist bei allen schweren und sehr schweren Verlaufsformen gegeben (Tab.
2), wobei eine vollständige Splenektomie erst ab dem Alter von 6 Jahren vorgenommen werden sollte (Eber und Andres
2016; Iolascon et al.
2017). Bei mittelschweren Verlaufsformen wird eine individuelle Entscheidung in Abhängigkeit vom Schweregrad der
Anämie, der Häufigkeit von hämolytischen Krisen, der Milzgröße und damit verbundenen sowie anderen Symptomen getroffen. Eine milde
Sphärozytose erfordert in der Regel keine Splenektomie (Eber und Andres
2016; Iolascon et al.
2017).
Umstritten ist die Frage, ob bei Notwendigkeit einer
Cholezystektomie eine parallele
Splenektomie vorgenommen werden sollte. Diese Frage wird von allen Autoren einschließlich derer der jüngsten EHA-Empfehlung für die Fälle bejaht, in denen auch die Schwere der HS ansonsten eine Indikation für eine Splenektomie darstellen würde (Eber und Andres
2016; Iolascon et al.
2017). Verschiedene Autoren sehen die Indikation der parallelen Splenektomie aus Sorge vor späteren Gallengangsteinen auch unabhängig vom Schweregrad der HS, wenn zu erwarten ist, dass die
Hyperbilirubinämie durch die Operation deutlich reduziert werden kann, wozu verständlicherweise ein gewisser Grad an Basis-Hämolyse vorliegen muss (Bolton-Maggs et al.
2004; Marchetti et al.
1998). Insgesamt wird diese Frage wegen des potenziellen Komplikationsrisikos aber kontrovers diskutiert und letztlich eine individuell fallbasierte Entscheidung empfohlen (Alizai et al.
2010; Davies et al.
2011; Iolascon et al.
2017). Ein Argument für diese Position kann die Tatsache darstellen, dass in solchen Fällen häufig eine Cholezystotomie an die Stelle der Gallenblasenentfernung treten kann. Die Entscheidung für die gleichzeitige Durchführung beider Eingriffe fällt vermutlich leichter, wenn anstelle der vollständigen Splenektomie eine partielle oder subtotale Splenektomie tritt. Auch für Patienten mit mittelschwerer HS wird man sich in diesem Fall leichter zu einer Operation entscheiden können.
Tatsächlich zeigen Daten bei HS, dass der angestrebte teilweise Erhalt der Milzfunktion bei der subtotalen
Splenektomie gelingt (Bader-Meunier et al.
2001; Pincez et al.
2016). Auch die Daten zur Effektivität bezüglich der Behandlung der Grunderkrankung sind durchaus vielversprechend, wenngleich die postoperativen Veränderungen von Hämoglobingehalt (Anstieg) und Retikulozytenzahl (Abfall) bei der vollständigen Splenektomie etwas ausgeprägter sind (Guizzetti
2016). In einer unlängst veröffentlichten Langzeitstudie zu insgesamt 79 HS-Patienten wurde allerdings gesehen, dass von den Patienten, die aufgrund einer schweren oder sehr schweren HS schon im Alter von <5 Jahren operiert wurden, im späteren Verlauf fast die Hälfte eine zweite Operation in Form einer vollständigen Splenektomie benötigte (Pincez et al.
2016). Die EHA-Arbeitsgruppe hat sich daher entschieden, bei dem gegenwärtigen Stand der Daten keine Präferenz für die partielle oder subtotale Splenektomie auszusprechen – abgesehen davon, dass vor dem Alter von 6 Jahren ausschließlich letztere zum Einsatz kommen sollte (Iolascon et al.
2017).
Im Gegensatz dazu befürworten die Autoren der deutschen Leitlinie zur HS eher eine Vorgehensweise mit einem Verfahren zur subtotalen
Splenektomie (Eber und Andres
2016).
Auch die Tatsache, dass viele Operationen bei Patienten mit eher mittelschwerer HS erfolgen, für die in o. g. Langzeitstudie eine Re-Operationsrate von nur 8 % angegeben wurde (Guizzetti
2016), spricht für den primären Einsatz der subtotalen
Splenektomie bei Patienten mit HS. Es muss angestrebt werden, einen möglichst kleinen Milzrest zu belassen (in der Regel <10 % der Ausgangsmilz) (Stoehr et al.
2006). Bei der von den federführenden Autoren der deutschen Leitlinie besonders favorisierten nahezu totalen Splenektomie, für die sehr gute Ergebnisse publiziert wurden, werden in der Regel nur 10 ml Milzrest belassen.
Die Entscheidung für eine
vollständige oder für eine subtotale Splenektomie sollte nach vorheriger sorgfältiger Abwägung von Indikation und Risiken im Konsens unter Beteiligung der Familie, des Kinderhämatologen und des Kinderchirurgen getroffen werden. Klar indiziert ist die subtotale
Splenektomie
Begrenzt sind leider derzeit noch die Daten zur laparoskopischen Durchführung einer subtotalen
Splenektomie, die theoretisch die oben erwähnten Vorteile der Laparoskopie mit denen der subtotalen Operation verbinden kann, allerdings sicher nur in der Hand des erfahrenen Operateurs (Rogulski et al.
2016; Slater et al.
2010).
Sichelzellkrankheit
Die
Sichelzellkrankheit ist eine der häufigsten monogenen Erkrankungen weltweit, die ursprünglich v. a. Zentral- und Westafrika, im Nahen Osten, Teilen Indiens sowie regional in verschiedenen Mittelmeerstaaten vorkam. Namensgebend ist die typische Form von
Erythrozyten im
Blutausstrich. Der Sichelzellkrankheit liegt eine qualitative Störung der β-Globinsynthese zugrunde. Diese führt primär zur Hämolyse. Im Mittelpunkt des Krankheitsbildes stehen jedoch klinische Komplikationen aufgrund von Gefäßverschlusskrisen im Sinne einer komplexen Multiorganerkrankung (Lobitz et al.
2014; Stuart und Nagel
2004).
Eine
Sichelzellkrankheit entsteht bei
Homozygotie für HbS aufgrund einer Punktmutation mit Aminosäureaustausch an Position 6 des β-Globingens (HBB p.Gln6Val) oder bei
-
Compound-Heterozygotie für HbS und einer β-thalassämischen Mutation auf dem 2. Allel. Unterscheidung HbS/β
0-Thalassämie und HbS/β
+-Thalassämie klinisch relevant.
-
Compound-Heterozygotie für HbS und HbC (HbSC).
-
Seltener ist die Kombination von HbS mit anderen Hb-Varianten (z. B. HbSD, HbSOarab, HbS/Lepore).
Im Zentrum der Pathophysiologie steht die Polymerisation des HbS nach Deoxygenierung, die prinzipiell nach Re-Oxygenierung in der Lunge reversibel ist, aber zu einer Verkürzung der Erythrozytenlebenszeit führt (Stuart und Nagel
2004). Eine Verstärkung des Prozesses bei prolongierter Deoxygenierung (Vasokonstriktion, Viskositätsveränderungen bei Kälte, Dehydratation, Sauerstoffmangel, Inflammation) führt zu Gefäßverschlüssen und Infarkten in verschiedenen Organen (ZNS,
Knochenmark, Niere, Lunge) mit konsekutiven Ischämie-/Reperfusionsschäden. Auch die Milz ist von rezidivierenden Infarkten betroffen, die bei Patienten mit
Sichelzellkrankheit bei
Homozygotie für HbS oder HbS/β
0-Thalassämie im Verlauf der ersten 10 Lebensjahre in der Regel zur Autosplenektomie
fähren. Hintergrund für die Empfindlichkeit des Milzgewebes ist wahrscheinlich der besondere anatomische Aufbau mit sehr langsamer Zirkulation, niedrigem pH und einem hohen pro-oxidativen Milieu.
Diese tragen auch zu einer typischen Komplikation der
Sichelzellkrankheit bei: der
Milzsequestrationskrise (Brousse et al.
2014). Dabei kommt es zum plötzlichen Versacken der
Erythrozyten in den Sinus der Milz, ohne dass damit eine massive Hämolyse einhergeht. Eine zügige, aber aufgrund eines dadurch eingeleiteten Rückverteilungsprozesses unbedingt vorsichtig vorzunehmende Transfusion und Volumenersatztherapie ist lebensrettend.
Die meisten Leitlinien empfehlen nach spätestens zwei Milzsequestrationskrisen
die Durchführung einer
Splenektomie (Iolascon et al.
2017; Lobitz et al.
2014).
Da insbesondere sehr junge Patienten von Milzsequestrationskrisen betroffen sind (fast immer <6 Jahre), stellt sich natürlich die Frage nach Alternativen. Erste positive Erfahrungen mit partieller
Splenektomie wurden publiziert (Englum et al.
2016; Mouttalib et al.
2012). Für sehr junge Patienten (<2 Jahre) soll bis zur Vollendung des 2. Lebensjahrs ein regelmäßiges Transfusionsprogramm mit dem Ziel einer HbS-Kontrolle (<30 %) erwogen werden.
Eine positive Beeinflussung des Langzeitverlaufs, z. B. über eine Hämatokritanhebung, ist jenseits dieser Indikationen nicht gegeben.
Da im natürlichen Krankheitsverlauf bei
Sichelzellkrankheit sehr häufig eine Autosplenektomie zu sehen ist, lassen sich zusätzliche Langzeiteffekte der
Splenektomie z. B. bzgl. des Thromboembolie-Risikos oder des Risikos für eine PAH schlecht bewerten.
Splenektomie bei erworbenen hämatologischen Erkrankungen
Die
Splenektomie wird in verschiedenen Leitlinien und Übersichten als Therapieoption bei ansonsten therapierefraktären Patienten mit chronischer Autoimmunthrombopenie (ITP) und
Autoimmunhämolytischer Anämie (AIHA) aufgeführt. Es muss aber festgestellt werden, dass diesbezüglich bereits in der Vergangenheit in der Pädiatrie ein deutlich restriktiverer Umgang als in der internistischen Hämatologie gepflegt wurde und dass inzwischen u. a. mit Rituximab und anderen
Immunsuppressiva (für ITP und AIHA) sowie mit den Thrombopoietinrezeptor-Agonisten (für ITP) neue medikamentöse Therapieoptionen verfügbar sind (Cooper
2017; Hill et al.
2017; Miano
2016). Außerdem ist vor Erwägung einer Splenektomie bei einer Autoimmunzytopenie immer der Ausschluss eines lymphoproliferativen Syndroms mit
Autoimmunität (ALPS) notwendig, da Patienten mit einer solchen Erkrankung ein extrem hohes Infektionsrisiko nach Splenektomie aufweisen (Rao
2015).
Insgesamt ist also eine sehr sorgfältige Abwägung von potenziellen Nutzen und Risiken einer
Splenektomie in den seltenen Fällen erforderlich, in denen bei ITP oder AIHA trotz der genannten Punkte aufgrund der individuellen Besonderheiten des klinischen Verlaufs eine Splenektomie erwogen wird.