Kinder und Jugendliche verletzen sich sehr oft. Schürfwunden, Quetschwunden, Schnittwunden, Platzwunden oder eingebrachte Fremdkörper als Beispiele für Verletzungen der Haut lassen regelhaft eine unverzügliche Therapie notwendig werden und sind ständige Praxis in der kinderchirurgischen Akutversorgung. Dieses Kapitel will mit der Darstellung der unterschiedlichen Verletzungsmuster, deren Therapie und möglichen Komplikationen eine Orientierung bieten. Auch besondere Hautverletzungsformen, wie Wunden im Gesicht und die Themen primäre und sekundäre Wundheilung werden erläutert. Weiterhin werden Therapiealgorithmen zu den Gesichtspunkten Dringlichkeit,
Wundreinigung, Infektionsprophylaxe und zu Methoden des Wundverschlusses angeboten.
Allgemeines
Verletzungen der Haut und Unterhaut bei Kindern und Jugendlichen sind häufig. Insbesondere im Kleinkindesalter sind diese durch Neugier und Unsicherheit bei gleichzeitig mangelnder Erfahrung mit gefährlichen Situationen oder Gerätschaften bedingt. Bei älteren Kindern und Jugendlichen finden sich vermehrt Verletzungen durch handwerkliche Tätigkeiten, durch Spiel und Sport oder durch Verkehrsunfälle.
Die typischsten Verletzungen sind Platz-, Quetsch-, Schürfwunden und Schnittverletzungen und die Einbringung von Fremdkörpern in oder unter die Haut. Zumeist lässt sich die Art der Hautverletzung direkt aus dem Unfallmechanismus ableiten. Dieser beeinflusst auch im hohen Maße durch die vorausgegangene mechanische Belastung des Gewebes und die daraus folgende mehr oder weniger ausgeprägte Gewebeschädigung und durch die in der Regel immer vorliegende Kontaminierung den Heilungsverlauf (Al-Abdullah et al.
2007; Hojjat et al.
2016; Mendelson und Fallat
2007).
Dringlichkeit der Wundversorgung
Generell gilt, dass jede Wunde
unmittelbar, d. h. sobald wie möglich versorgt und verschlossen werden muss, um eine sekundäre Infektion mit den möglichen Folgen einer Wundheilungsstörung mit
Lymphangitis,
Phlegmone oder sogar einer Abszessbildung zu verhindern.
Als Zeitfenster wird hier nach wie vor ein Intervall von 5–7 h nach dem Trauma gefordert, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen, z. B. die Versorgung von Verletzungen im Gesichtsbereich. Gesondert sind hier auch
Bissverletzungen zu betrachten (Kap. „Bisswunden bei Kindern und Jugendlichen“) (Mendelson und Fallat
2007).
Verletzung der Haut – en dash to do first: Vor jeder Manipulation an einer Wunde muss eine ausreichende Analgesie erfolgen. Gegebenenfalls kann eine Wundinspektion nur in Sedierung oder Narkose durchgeführt werden. Eine unzureichende
Schmerztherapie bedeutet Stress für die Patienten und damit neben dem psychischen Trauma auch ein Risiko für
Wundheilungsstörungen.
Wundreinigung
Unabdingbar ist aber in jedem Falle eine gründliche Reinigung
und Desinfektion der Wunde, die immer als kontaminiert anzusehen ist, auch dann, wenn sie makroskopisch und vom Aspekt her unverschmutzt erscheint. Die
Wundreinigung sollte stets
mechanisch und chemisch erfolgen, beispielsweise mit einer desinfizierenden Lösung (Octenisept®) mithilfe einer Kompresse, einem sterilen Schwamm oder Ähnlichem. Bei grob verschmutzten Wunden muss zunächst eine gründliche Entfernung von aufliegenden oder eingedrungenen Fremdkörpern erfolgen mit nachfolgender Desinfektion. Die früher praktizierte Wundausschneidung ist nicht erforderlich.
Infektionsprophylaxe und Tetanusschutz
Eine systemische Infektionsprophylaxe
ist im Prinzip nicht notwendig, insbesondere wenn die Wunden sich gut reinigen und desinfizieren lassen. Probleme können allerdings bei mit biologischem Material (z. B. Holz) stark verschmutzten Wunden auftreten. Hier sollte der Wundverschluss unter einer einmaligen Antibiotikaprophylaxe mit einem Breitspektrumantibiotikum (z. B. einem Cephalosporin der 2. Generation oder Ähnlichem) erfolgen. Ansonsten sollte erst bei lokalen Infektionszeichen mit
Phlegmone oder Lymphknotenschwellung innerhalb der ersten 24–72 h eine Antibiotikabehandlung erfolgen. Bei systemischen Infektionszeichen ist diese in jedem Fall obligatorisch.
Prinzipiell kann in unseren Regionen von einer vollständigen Tetanus-Immunisierung
der Kinder und Jugendlichen ausgegangen werden. Trotzdem sollte immer der Impfausweis eingesehen werden. Ist der Impfschutz nicht vorhanden oder nicht komplett, gelten die Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission am
Robert Koch-Institut (STIKO). Dies trifft auch in besonderem Maße für Flüchtlinge aus Krisengebieten zu.
Methoden zum Wundverschluss
Für den Wundverschluss
stehen mehrere Verfahren zur Verfügung. Sehr kleine Wunden, deren Wundränder sich schon spontan angenähert haben, können nach Reinigung und Desinfektion mit einem einfachen Pflaster abgedeckt werden
(Zempsky et al.
2005).
Wundverschluss mit Gewebekleber
Für Wunden bis ca. 3–4 cm Länge – dies betrifft insbesondere Platzwunden am behaarten Schädel oder im Gesicht – hat sich die Wundrandadaptation mit Gewebekleber sehr bewährt. Hierzu darf die Wunde allerdings nicht mehr bluten, sollte sauber und nicht infiziert sein. Die Tiefe der Wunde, z. B. an der Kopfschwarte, ist dabei eher unerheblich, allerdings müssen sich die Wundränder ohne Spannung annähern lassen. Ein wesentlicher Vorteil dieses Verfahrens ist, dass keine Lokalanästhesie notwendig ist. Auch bei größeren Wunden kann der Gewebekleber nach vorausgegangener subkutaner Adaptation mit einer Naht verwendet werden.
Selbstverständlich ist bei der Aufbringung dieses innerhalb von Sekunden abbindenden Klebstoffs sorgfältig darauf zu achten, dass insbesondere bei Wunden in der Nähe der Augen kein Klebstoff auf die Bindehaut oder zwischen die Lidkanten gerät.
Wundverschluss mit Naht
Größere Wunden oder nur unter Spannung anzunähernde Wundränder, z. B. bei Quetschverletzungen mit gleichzeitiger Schwellung, erfordern in der Regel einen mechanisch stabilen Hautverschluss mit einer Naht. Prinzipiell sollte hier der Einzelknopfnaht der Vorzug gegeben werden, da sie eher als eine fortlaufende Naht den Durchtritt von Wundsekret nach außen ermöglicht und weniger die Mikrodurchblutung der ohnehin mechanisch belasteten Wundränder beeinträchtigt.
In der Regel wird
nichtresorbierbares, monofiles Material verwendet, da dieses geringere Umgebungsreaktionen auslöst, was insbesondere bei Einzelknopfnähten zu einem kosmetisch besseren Ergebnis führt. Ein Nachteil ist, dass diese Nähte wieder entfernt werden müssen, was gerade bei Kleinkindern aufgrund der geringen
Compliance erschwert sein kann. Im Einzelfall kann auch die Verwendung von resorbierbaren Fäden sinnvoll sein, beispielsweise bei Verletzungen am Augenlid, um hier die Nahtentfernung zu vermeiden. Dies gilt auch für Wunden im Bereich der Schleimhäute (Oral- oder Genitalbereich) oder am Lippenrot (Abschn.
3.6). Im Gegensatz zur vorgenannten Wundklebung ist für eine Naht häufig eine Lokalanästhesie (topisch oder ggf. infiltrativ), evtl. sogar eine
Allgemeinanästhesie erforderlich, insbesondere im Genitalbereich. Letztere ist oft auch die einzige Möglichkeit, um bei kleineren oder ängstlichen Kindern eine Wundversorgung durchführen zu können (s. auch im Folgenden) (Al-Abdullah et al.
2007; Evans und Jones
2006; Gaufberg et al.
2007; Quinn et al.
1998; Tremblay und Sullivan
2009).
Wundverschluss mit alloplastischem Material
Schürfwunden und ausgedehnte Verletzungen mit einer weitreichenden Gewebedestruktion oder Gewebeverlust erfordern in der Regel eine differenzierte und individuelle Behandlung. Häufig ist kein primärer Wundverschluss im Sinne einer Wundrandadaptation möglich. Hier muss nach einer gründlichen
Wundreinigung eine sterile Abdeckung der Wundfläche erfolgen. Dabei können unterschiedliche Konzepte verfolgt werden (Tab.
1):
-
Auflage von Fett-, Hydrokolloid- oder Silikongaze, die zum einen eine Feuchtigkeitsregulierung des abgedeckten Gewebes erlaubt und zum anderen durch die Gitterstruktur eine gute Drainage von Wundsekreten gewährleistet und vor Verklebungen schützt.
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Besonders bei oberflächlichen Schürfwunden bietet sich die Auflage von selbstklebenden Hydrokolloidverbänden an, die in unterschiedlichen Stärken verfügbar sind. Ein Vorteil ist der gute mechanische Schutz und die Förderung der Epithelialisierung. Darüber hinaus sind diese Verbände bedingt flexibel und können somit über Gelenke angelegt werden. Eine zusätzliche Fixierung mit Pflasterfolien oder Bandagen wie bei Gazeverbänden ist nicht notwendig.
-
Bei komplexeren Wunden, die ohnehin eine chirurgische Rekonstruktion erfordern, bietet sich in der Primärversorgung die Verwendung von einem
gewebten Polyamidnetz (z. B. Tegapore®) als temporärer Hautersatz an. Dieses erlaubt den Durchtritt von Wundexsudat, das dann in einer darüber liegenden Verbandsschicht aufgefangen werden muss und nicht mit dem Wundgrund verklebt, wobei ein Austrocknen vermieden werden sollte (Brown et al.
2007).
Tab. 1
Methoden des Wundverschlusses
Pflaster/Steristrips | Kleine Wunden mit spontaner Wundrandadaptation |
Gewebekleber | Kleine, saubere, nicht mehr blutende Wunden (<4 cm), ohne große Spannung |
Naht | Wunden unter Spannung, über Gelenken (Konvexizitäten) |
Alloplastisches Material | Flächige, verschmutzte Wunden mit Gewebeverlust |
Sämtliche genannte Verfahren der Wundversorgung erfordern eine gewisse Mitarbeit des Patienten. Zudem sind über die Gewebeklebung hinausgehende Maßnahmen schmerzhaft und machen eine entsprechende Analgesie unumgänglich. Diese ist bei älteren Kindern und Jugendlichen abhängig von der Wundart evtl. in Form einer Lokalanästhesie möglich. Ansonsten kann für eine gründliche Wundexploration und Wundversorgung
eine Sedierung bzw.
Allgemeinanästhesie notwendig werden. Da die betreffenden Kinder in der Regel nicht nüchtern sind, besteht hier ein gewisses Narkoserisiko, das immer mit den Eltern in Abwägung der Notwendigkeit der Wundversorgung diskutiert werden muss (Gaufberg et al.
2007; Maier et al.
2010; Sinha et al.
2006).
Typische Wund- und Verletzungsformen
Schnittwunden
Der äußere Aspekt einer Wunde kann über das tatsächliche Verletzungsausmaß hinwegtäuschen!
Fremdkörper
Fremdkörper
werden in der Regel durch einen Sturz (Steine, Sand, Splitter etc.) oder durch Abrieb (Holz, Dornen) in oder unter die Haut eingetrieben. Die Entfernung dieses Fremdmaterials aus größerflächigen Wunden bereitet in der Regel keine Probleme. Lange und dünne Fremdkörper wie Holzspreißel oder Dornen sind oft nur erschwert finden und zu bergen, ggf. nur unter adäquater Analgesie. Auch hier kann die Ultraschalluntersuchung hilfreich sein. Nicht selten verbleiben Reste, die dann z. T. sehr hartnäckige
Weichteilinfektionen, sekundäre
Abszesse und langwierige Heilungsverläufe zur Folge haben (Vargas et al.
2011).
Cave: Prinzipiell ist jeder Fremdkörper als infektiös anzusehen.
Ein Wundverschluss sollte daher nur bei sauberen Wundverhältnissen erfolgen. Gerade nach Bergung von biologischen Fremdkörpern (Holz etc.) kann eine grobe Wundrandadaptation genügen, um den Sekretabfluss zu sichern; evtl. ist die Einlage einer Drainage sinnvoll.
Wunden im Gesicht
Verletzungen im Gesicht
nehmen eine Sonderstellung ein. Es sollte immer versucht werden, unter optimalen Bedingungen – womöglich unter
Allgemeinanästhesie – ein kosmetisch bestmögliches Ergebnis zu erreichen. Dies betrifft v. a. Wunden, die aufgrund der Größe nicht geklebt werden können. Als Nahtmaterial sollten dünne Fadenstärken (4-0 bis 6-0) verwendet werden, am Augenlid und im Bereich des Lippenrots bietet sich resorbierbares Material an. Bei Wunden im Gesicht kann zudem das vorgenannte Zeitfenster von 5–7 h überschritten werden, da einer offenen Wundbehandlung in der Regel eine kosmetische Wund- bzw. Narbenkorrektur folgt, die es zu vermeiden gilt. So kann nach Rücksprache mit den Eltern und einer ausführlichen Aufklärung über eine mögliche Sekundärinfektion mit kosmetisch relevanter Wundheilungsstörung hier auch noch ein Verschluss bis zu 24 h nach dem Unfallereignis erfolgen.
Die Fadenentfernung im Gesicht sollte bereits nach 5 Tagen stattfinden, um Fremdkörperreaktionen an den Stichkanälen zu minimieren. Infizierte Wunden oder Wundabszesse im Gesicht müssen rasch chirurgisch saniert werden, um eine Ausbreitung der Infektion zu vermeiden. In der Regel ist dann eine antibiotische Therapie – womöglich erregeradaptiert – nötig, gefolgt von einem Sekundärverschluss nach Ausheilung (Islam et al.
2006; Luck et al.
2008; Singer et al.
2005; Svider et al.
2016; Vazquez et al.
2016; Webber et al.
2016).
Jede Verletzung, insbesondere eine Schnittwunde, muss sehr gründlich in adäquater Analgesie oder ggf. Narkose exploriert werden, um tiefer liegende
Verletzungen von Gefäßen, Nerven und Sehnen zu erkennen.