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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 10.11.2024

Berufliche und soziale Rehabilitation bei Gefäßerkrankungen

Verfasst von: Gesine Dörr, Michael Marx, Reimund Prokein, Wolfram Oettler, Raik Severin, Robert Nechwatal und Karin Meng
Die sozialmedizinische Begutachtung des Leistungsvermögens im Erwerbsleben von Patienten mit Gefäßerkrankungen wird in der Regel durch sozialmedizinisch ausgebildete Ärzte durchgeführt. Häufig wird jedoch eine fachspezifische Stellungnahme angefordert, sodass die Autoren in diesem Kapitel die Grundlagen der Begutachtung der sozialmedizinisch bedeutsamen Gefäßerkrankungen für interessierte Gefäßmediziner zusammengefasst haben.
Die sozialmedizinische Begutachtung umfasst die exakte Erhebung der krankheitsspezifischen und tätigkeitsbezogenen Anamnese, des bisherigen klinischen Verlaufs sowie die Objektivierung des Leistungsvermögens durch verschiedene apparative Techniken sowie spezifische klinische Untersuchungen. Die krankheitsspezifischen Möglichkeiten der Indikationsstellung zur Rehabilitation und der Beantragung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsplatz sowie die Beurteilung des erwerbsbezogenen Leistungsvermögens und einer Berentung wegen Erwerbsminderung werden dargelegt.
Bezüglich der verwendeten Begrifflichkeiten wird auf das Kap. „Definitionen und Begrifflichkeiten“ verwiesen.

Sozialmedizinische Beurteilung von Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK)

Die sozialmedizinische Einschätzung von Patienten mit pAVK ist sowohl von der bestehenden Mobilität als auch durch die Einschränkungen aufgrund der Komorbiditäten bestimmt.

Klinisch-angiologische Diagnostik

Folgende Punkte sollten im Rahmen der Anamnese bei der sozialmedizinischen Begutachtung explizit erfragt werden:
  • subjektive schmerzfreie Gehstrecke
  • bisherige Interventionen, Operationen, Amputationen
  • atherosklerotische Komorbiditäten und dadurch bedingte Einschränkungen der Leistungsfähigkeit
  • Einschränkungen in der Teilhabe am sozialen Leben
  • Hinweis auf Depressivität
  • individuelle Risikofaktoren
In der klinisch-angiologischen Untersuchung sollte auf die im Folgenden aufgeführten Befunde besonderes Augenmerk gelegt werden:
  • Ulzerationen, Hauttemperatur, Venenfüllung, Nekrosen oder Narben
  • Bewegungseinschränkung im Sprung- und Hüftgelenk sowie Kniegelenk, Arthrose
  • kompletter Pulsstatus der unteren Extremitäten
  • Ratschow-Probe
  • Berücksichtigung von Amputationen mit funktionellem Ersatz durch Prothesen oder Hilfsmittel sowie der Mobilität
  • Beurteilung der Stumpfqualität und der bisherigen Stumpfversorgung
Bezüglich der erforderlichen apparativen Diagnostik der pAVK wird auf das Kap. „Stufendiagnostik bei Verdacht auf pAVK“ von U. Hoffmann verwiesen.

Bestimmung der Wegefähigkeit

Für das Vorliegen einer Wegefähigkeit ist es erforderlich, viermal täglich eine Strecke von mindestens 500 Metern in jeweils weniger als 20 min (inkl. Pausen) zurückzulegen, ggf. unter Verwendung von Hilfsmitteln (Unterarmgehstütze, Elektro-Rollstuhl, E-Mobil, E-Bike, Rollator, Rollstuhl etc.), sowie zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel zur Hauptverkehrszeit benutzen zu können.
Ist diese Wegefähigkeit eingeschränkt, gilt eine der üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes als nicht erfüllt. Eine eingeschränkte Wegefähigkeit kann beispielsweise durch Besitz eines Führerscheins und Nutzung eines PKWs oder Elektrofahrrads kompensiert werden. Es ist zu prüfen, ob durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben die Wegefähigkeit wiederhergestellt werden kann.

Sozialmedizinische Beurteilung

Folgende Punkte sind für die sozialmedizinische Beurteilung von wesentlicher Bedeutung:
  • differenzierte Berufs-/Tätigkeitsanamnese
  • Begleiterkrankungen (insbesondere Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, koronare Herzerkrankung, neurologische Defizite) bitte nächsten Unterpunkt Erfassung eine etwaigen Polyneuropathie
  • Erfassung eine etwaigen Polyneuropathie
  • bisheriger klinischer Verlauf (Interventionen, Operationen, Rest- und Re-Stenosen) und Erfolg der Revaskularisation
  • Lokalisation, Art und funktionelle Ausprägung von Beeinträchtigungen
  • Berücksichtigung der Kompensationsfähigkeit nach Amputationen (Gehstreckenbegrenzung) und Schmerzverarbeitung
  • Selbstversorgung oder anstehender persistierender Unterstützungs- und Hilfebedarf

Beurteilung des erwerbsbezogenen Leistungsvermögens

Hier steht bei Patienten mit pAVK vor allem die Mobilität im Vordergrund. Dabei sind Wege zur Arbeit und während der eigentlichen Tätigkeit zu erfassen. Die verbleibende Durchblutungssituation nach Intervention/Operation und das erreichte Maß der Kollateralbildung durch konservative Therapie stellen die Rahmenbedingungen dar. Es ist zu beurteilen, ob in absehbarer Zeit (sechs Monate) durch eine zumutbare konservative Therapie eine Verbesserung erwartet werden kann oder ob der Versicherte sich zeitnah einer invasiven Therapie unterziehen wird. In diesen Fällen kann von einem Behandlungsfall zu Lasten der Krankenversicherung ausgegangen werden.
Übersicht
A)
Positives Leistungsvermögen:
 
Hinsichtlich der Arbeitsschwere können oft bis mittelschwere Tätigkeiten bewältigt werden. In Abhängigkeit von der Ausprägung der Funktionsstörungen ist eine überwiegend bis ständig sitzende Arbeitshaltung mit gelegentlichem Haltungswechsel möglich. Arbeitsorganisation: Tagesschicht (Früh- und Spätschicht) sowie Nachtschicht sind bei fehlenden Komplikationen und Komorbiditäten möglich.
B)
Negatives Leistungsvermögen:
 
In Abhängigkeit von Art, Lokalisation und Ausprägung der aus der vaskulären Erkrankung resultierenden Schädigungen von Körperstrukturen und -funktionen können erhebliche Beeinträchtigungen von Aktivitäten und Teilhabe auftreten. Weitere Einschränkungen können sich bei den folgenden erwerbsrelevanten Anforderungen ergeben:
  • Heben und Tragen von schweren Lasten
  • Arbeiten überwiegend im Gehen
  • andauernde kniende Tätigkeiten
  • Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten
  • Tätigkeiten mit erhöhter Unfall- und Verletzungsgefahr (bei Antikoagulation) insbesondere Tätigkeiten mit Absturzgefahr ohne Schutzmaßnahmen

Stadienabhängige sozialmedizinische Beurteilung (nach Fontaine)

Stadium I:
  • keine Einschränkungen
Stadium IIa:
Stadium IIb:
  • Die Beurteilung ist abhängig von der Länge der schmerzfreien und maximalen Gehstrecke.
  • Körperlich leichte, überwiegend sitzende Tätigkeiten sind bei Fehlen von Komplikationen meist sechs Stunden und mehr möglich. In der Beschreibung des negativen Leistungsvermögens ist auf die Länge der möglichen Gehstrecke und die benötigte Zeit einzugehen.
  • Sind zum Zeitpunkt der Begutachtung interventionelle und operative Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft oder bisher nicht durchgeführt worden, sind diese nicht duldungspflichtig und gehen nur insoweit in die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung ein, als eine Befristung der Leistungsminderung vorgenommen wird.
Stadium III und IV:
  • Bei Fehlen von Therapieoptionen ist das quantitative Leistungsvermögen in der Regel aufgehoben. Die Wegefähigkeit ist nicht mehr gegeben.
  • Bei vorhandener Therapieoption muss eine Überprüfung nach Revaskularisation oder Amputation unter Berücksichtigung der wiedererlangten Mobilität erfolgen.

Leistungsfähigkeit nach Amputation

Für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit nach Minor-/Major-Amputationen der unteren Extremitäten sind die noch zurücklegbaren Wegstrecken und Gehzeiten bedeutsam. Ebenso muss beurteilt werden, ob öffentliche Verkehrsmittel benutzt werden können. Neben der Höhe der Amputation und den hierbei bestehenden Möglichkeiten der prothetischen Versorgung sind die Stumpfverhältnisse zu berücksichtigen und die Beeinträchtigungen durch Phantomschmerzen. Komorbiditäten, Kompensations- und Adaptationsfähigkeit prägen den weiteren Verlauf. Nach prothetischer Versorgung sind Tätigkeiten unter feuchten und warmen Umgebungseinflüssen zu vermeiden.
Unterschenkelamputation
Versorgung mit einer Unterschenkel-Kurzprothese
  • mittelschwere körperliche Arbeiten sechs Stunden und mehr in allen Arbeitshaltungen möglich
  • Vermeidung von häufigem Knien und Arbeiten in der Hocke sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten
  • gelegentliches Arbeiten auf unebenem Gelände bei zusätzlicher Oberschenkelschaftversorgung möglich
  • Gehen mit Gehhilfen bei doppelseitiger Amputation der unteren Extremitäten unterhalb des Kniegelenkes bei entsprechender prothetischer Versorgung möglich
  • leichte, überwiegend sitzende Tätigkeiten möglich
Kniegelenksexartikulation
Voraussetzung: voll belastbarer Stumpf mit gut sitzender Prothese und normalen Stumpfverhältnissen
  • selten eingeschränkte Wegefähigkeit
  • Vermeidung von Gehen auf unebenem Gelände, Besteigen von hohen Leitern und Gerüsten
  • leichte körperliche Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen für sechs Stunden und mehr möglich
Oberschenkelamputation
Voraussetzung: ausreichende Stumpflänge, prothetische Versorgung mit einem in der Regel Tuber-umgreifendem Schaft
  • Wegefähigkeit meist erhalten
  • häufig Benutzung von Unterarmgehstützen
  • Vermeidung von Tätigkeiten mit häufigem Steigen von Treppen
  • Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten nicht möglich
  • leichte, überwiegend sitzende Tätigkeiten für sechs Stunden und mehr möglich
  • Stuhl mit der Möglichkeit der Sitzflächenabsenkung (Arthrodesestuhl)
  • sitzende Tätigkeiten möglich, sofern der Versicherte den Arbeitsplatz erreicht
Wichtig
Bei kurzen Stümpfen kann dennoch die Sitzfähigkeit beeinträchtigt sein, sodass das Leistungsvermögen für eine überwiegend sitzende Tätigkeit quantitativ gemindert ist.
Bei doppelseitiger Oberschenkelamputation sollten LTA Maßnahmen eingeleitet werden, um einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu schaffen. Sollte dies nicht möglich sein, ist das Leistungsvermögen aufgehoben.
Amputation im Beckenbereich (Versorgung mit Beckenkorbprothese bei einseitiger Amputation im Beckenbereich)
  • aufgehobenes Leistungsvermögen bei doppelseitiger Amputation
  • Bewältigung kurzer Gehstrecken mit Unterarmgehstützen möglich
  • überwiegend gehende und stehende Tätigkeit nicht möglich
  • leichte körperlich Tätigkeiten im Sitzen möglich

Voraussetzungen für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

Übersicht
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind zu prüfen, wenn:
  • dauerhafte Beeinträchtigungen mit Auswirkungen auf Aktivitäten und Teilhabe bestehen.
  • Rehabilitationsfähigkeit gegeben ist.
  • eine günstige Prognose bezüglich der Rückbildung der Defizite, Vermeidung einer wesentlichen Verschlechterung bei Gefährdung der Erwerbsfähigkeit besteht.
  • einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit entgegengewirkt werden kann.
Günstige Rehabilitationsprognose:
  • Vorliegen einer pAVK im Stadium IIa und IIb
  • Fehlen von Ruheschmerzen oder Ulzerationen
  • Rückbildungstendenz der Claudicatio unter Therapie
Ungünstige Rehabilitationsprognose:
  • erhöhte Verletzlichkeit der Haut bei fortgeschrittener Durchblutungsstörung
  • fortgeschrittenes diabetisches Fußsyndrom
  • therapieresistente artikuläre und pseudoradikuläre Schmerzsyndrome
  • schwere Neuropathien (z. B. Tiefensensibilitätsstörungen)

Empfehlungen zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA)

Ist die Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die letzte ausgeübte Tätigkeit erheblich gefährdet oder gemindert, kann möglicherweise
  • ein Verbleib am vorhandenen Arbeitsplatz durch eine behinderungsgerechte (leidensgerechte) Arbeitsplatzausstattung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) erreicht werden.
  • eine Prüfung durch den Leistungsträger erfolgen, ob eine ausreichende stabile Belastbarkeit für qualifizierende Maßnahmen der Fort-, Aus- und Weiterbildung besteht.
  • die Gewährung einer Kraftfahrzeughilfe in Betracht kommt, sofern der Versicherte behinderungsbedingt auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs (Kfz) angewiesen ist, um seinen Arbeitsort zu erreichen.
  • bei Fehlen der Möglichkeit zum eigenständigen Führen eines Kfz die Gewährung von Beförderungskosten in Betracht kommen.

Renten wegen Erwerbsminderung

Die Feststellung einer medizinischen Leistungsminderung auf Dauer wird vorgenommen, wenn Art und Schwere der Beeinträchtigungen keine weiteren funktionalen Verbesserungen erwarten lassen und es damit unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben werden kann. Sollten Therapiemöglichkeiten bestehen, solle die Feststellung des aufgehobene Leistungsvermögens zeitlich begrenzt werden

Sozialmedizinische Beurteilung von Patienten mit chronisch venöser Insuffizienz

Medizinische Folgen der CVI mit Einfluss auf die sozialmedizinische Beurteilung umfassen:
  • einen Progress der CVI mit stadienabhängiger Zunahme der Ödeme >> persistierende Hautschäden >> Entwicklung einer Dermatolipofasziosklerose >> Ulcus cruris >> Leistungseinschränkung.
  • Eine Einschränkung der Sprunggelenksmobilität durch Ödeme >> eingeschränkte Gesamtmobilität >> Claudicatio venosum >> Leistungseinschränkung.

Klinisch-angiologische Diagnostik

Folgende Punkte sollten im Rahmen der Anamnese bei der sozialmedizinischen Begutachtung explizit erfragt werden:
  • Ausprägung der Ödeme
  • Varikose
  • Hautekzeme
  • aktuelles Ulcus cruris oder Z. n. Ulcus cruris
  • Z. n. Unfällen, Frakturen/Operationen mit Wundheilungsstörungen
  • Z. n. Becken-Beinvenenthrombosen
  • Z. n. operativen Eingriffen am venösen System
  • aktuelle Weichteilinfektionen oder Z. n. Weichteilinfektion
In der klinisch-angiologischen Untersuchung sollte auf die im Folgenden aufgeführten Befunde besonderes Augenmerk gelegt werden:
  • Varikose
  • Ödem
  • Hyperpigmentierung
  • Hautatrophie
  • Ekzem
  • Ulcus cruris
  • Narben
  • Pulsstatus zur Erfassung einer pAVK, ggf. ABI
  • Bewegungsumfang der Gelenke (insbesondere Sprunggelenke)
  • Umfangsdifferenz der Beine
Die klinische Untersuchung von Venenerkrankungen erfolgt immer im Liegen und Stehen.
Bezüglich der erforderlichen apparativen Diagnostik der CVI wird auf das Kap. „Klinisches Bild und diagnostisches Vorgehen bei chronisch venöser Insuffizienz“ von Schwarz und Werth verwiesen.

Sozialmedizinische Beurteilung

Folgende Punkte sind für die sozialmedizinische Beurteilung von wesentlicher Bedeutung:
  • Begleiterkrankungen, bisheriger klinischer Verlauf
  • Antikoagulationsnotwendigkeit
  • Notwendigkeit der Kompressionstherapie
  • klinisches Ausmaß der Sekretbildung bei Ulcus cruris
  • Motivation und/oder Motivierbarkeit

Beurteilung des erwerbsbezogenen Leistungsvermögens

Das erwerbsbezogene Leistungsvermögen bei der CVI wird maßgeblich bestimmt durch Ulcera, Superinfektionen und Mobilitätseinschränkung. In die Begutachtung einbezogen werden die Notwendigkeit einer Kompressionstherapie sowie ggf. eine Antikoagulation bei PTS und vorhandene Kompensationsmechanismen.
Übersicht
A)
Positives Leistungsvermögen:
  • Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen, Gehen
  • Früh-, Spät-, Nachtschicht
  • Einschränkungen in der Arbeitsorganisation durch Komorbiditäten
 
B)
Negatives Leistungsvermögen:
  • Tätigkeiten mit langem und anhaltendem Sitzen oder Stehen
  • Tätigkeiten in feuchtwarmer Umgebung (Rieger und Schoop 1998)
  • Tätigkeiten in unsauberer, potenziell infektiöser Umgebung
  • bewegungsarme Tätigkeiten in Zwangshaltung (Fritze und Mehrhoff 2012)
  • Einschränkungen (beruflicher) Fahreignung für PKW/LKW bei arthrogenem Stauungssyndrom mit schwergradiger Beeinträchtigung/Funktionsaufhebung des/der Sprunggelenke, ggf. unter Hinzuziehung eines erfahrenen Arbeitsmediziners (Dörfler et al. 2015)
  • Tätigkeiten mit Verletzungsgefahr bei Antikoagulation ohne spezielle Schutzmaßnahmen
 

Empfehlungen für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

Eine medizinische Rehabilitation bei CVI wird empfohlen bei einer ausgeprägten Stauungssymptomatik und damit verbundener Gefährdung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der Leistungseinschränkung (Rehabilitation vor Rente). Die medizinische Rehabilitation in phlebologisch orientierter Fachkliniken hat die Reduktion/Beseitigung der chronischen Stauung, die Intensivierung und das Erlernen manueller/maschineller Kompressionstherapie und die Anwendung physiotherapeutischer Maßnahmen zum Ziel. Ein bedeutsames Therapieziel ist die Verbesserung der Sprunggelenksbeweglichkeit/Mobilität. Ungünstig auf die Prognose der Rehabilitation einwirkende Faktoren können schwerwiegende Begleiterkrankungen und eine mangelnde Patientenmotivation sein.

Empfehlungen zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA)

Eine Arbeitsplatzanpassung mit Unterstützung des RV-Trägers ist bei ausreichendem und nutzbarem Restleistungsvermögen möglich. Die aktuellen individuellen Arbeitsplatzanforderungen müssen ermittelt werden, ferner eine differenzierte Einschätzung der verbliebenen Kompensationsmechanismen des Betroffenen gemeinsam mit Sozialleistungsträger und Arbeitgeber erfolgen. Vor dem Hintergrund dieser Informationen kann eine Aussage getroffen werden, ob eine Arbeitsplatzanpassung realisierbar ist. In Einzelfällen können auch erweiterte berufsfördernde Leistungen (Umschulung/Umsetzung) erwogen werden.

Renten wegen Erwerbsminderung

Erst nach Ausschöpfung aller therapeutischen Maßnahmen kann in schweren Fällen neben Änderung der bisherigen Tätigkeit auch eine Erwerbsunfähigkeit diskutiert werden (Fritze und Mehrhoff 2012).

Sozialmedizinische Beurteilung von Patienten mit Lymphödem der Extremitäten

Für das Leistungsvermögen ist entscheidend, dass sich das Lymphödem bei inkonsequenter oder fehlender Therapie auf das erwerbsbezogene Leistungsvermögen auswirken kann und Schäden des subkutanen Gewebes möglich sind durch wiederholte Erysipele.

Klinisch angiologische Diagnostik

Es sind Fragen zu typischen Tätigkeiten im ausgeübten Beruf und zum allgemeinen Tagesablauf zu stellen.
Dazu gehören:
  • tagesübliche Wegstrecke
  • Treppen
  • Verhältnis sitzende/stehende Tätigkeiten
  • Arbeiten in Zwangshaltung
  • Therapieverläufe
  • Hilfsbedarf
  • Kompressionstherapie
  • Begleiterkrankungen

Klinisch angiologische Diagnostik

Bei der klinischen Untersuchung sollte insbesondere auf fibrosierende Veränderungen an den Innenseiten der Extremitäten und an den Füßen sowie auf Bewegungseinschränkungen der Gelenke geachtet werden.

Sozialmedizinische Beurteilung

A)
Positives Leistungsvermögen
  • Tätigkeiten im Wechsel von Stehen, Sitzen, Stehen und Gehen
 
B)
Negatives Leistungsvermögen
  • Tätigkeiten mit länger anhaltendem Sitzen oder Stehen oder in Zwangshaltungen (z. B. vorgebeugt oder in der Hocke)
  • Einschränkungen bei Tätigkeiten in warmer/heißer Umgebung
  • Einschränkungen der Fahreignung auf langen Fahrstrecken
  • Bewegungseinschränkungen durch Fibrosierung im Bereich der großen Gelenke
 
Quantitatives Leistungsvermögen
Das quantitative Leistungsvermögen ist in Abhängigkeit von der Schwere des Lymphödems eingeschränkt.
Qualitative Leistungseinschränkungen
Das qualitative Leistungsvermögen beinhaltet kein andauerndes Sitzen als Arbeitshaltung, keine extremen klimatischen Verhältnisse, insbesondere keine übermäßige Hitzbelastung, kein andauerndes Stehen, keine Arbeiten mit erhöhter Verletzungsgefahr an den unteren Extremitäten, kein erhöhtes expositionelles Infektionsrisiko zur Vermeidung von rezidivierenden Erysipelen, insbesondere daher auch keine Tätigkeiten in feucht-warmer Umgebung am Arbeitsplatz ohne spezielle Schutzkleidung. Spezielle psychosoziale Aspekte bei Lymphödempatienten sollten im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen beachtet werden (Quendlin 2008; Abbassi et al 2018).
Wichtig
Stadienabhängige Beurteilung:
Stadium I:
quantitatives Leistungsvermögen in der Regel nicht beeinträchtigt
Stadium II:
leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung in der Regel noch möglich, Arbeitsplätze mit Verletzungsgefahr oder Hitzebelastung ungeeignet
Stadium III:
schwer eingeschränktes bis aufgehobenes Leistungsvermögen

Empfehlungen zur Rehabilitation

Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation können das Leistungsvermögen verbessern und langfristig erhalten. Da sich die Phase I der KPE überwiegend an Rehabilitationskliniken etabliert hat, kann in der Regel mit Folge-Rehabilitationen erst nach Ablauf eines Zeitraumes von vier Jahren gerechnet werden.
Eine gute Compliance für die Kompressionstherapie ist häufig ein Indikator für eine gute Rehabilitationsprognose.
Eine ungünstige Rehabilitationsprognose muss angenommen werden bei wiederholten Erysipelen, fibrosierenden Hautveränderungen, Bewegungseinschränkungen und schlechter Compliance für die Kompressionstherapie.

Empfehlungen zur Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben

Zu den Leistungen zur LTA gehören insbesondere Maßnahmen zur leidensgerechten Anpassung bzw. Umgestaltung des jeweiligen Arbeitsplatzes unter Beachtung der o. g. qualitativen Leistungseinschränkung.

Renten wegen Erwerbsminderung

Sollte als Ergebnis der sozialmedizinischen Begutachtung das Leistungsvermögen aufgehoben sein, ist die Empfehlung zur Berentung auszusprechen. Alle rehabilitativen Ansätze sollten ausgeschöpft sein. Eine deutliche Ausprägung im Stadium III des Lymphödems jeder Lokalisation oder Genese geht in der Regel mit der Empfehlung zur Berentung wegen Erwerbsminderung einher. Häufig sind die zugrunde liegenden Erkrankungen (z. B. Tumorleiden) dabei führend.
Literatur
Abbasi B, Mirzakhany N, Oshnari LA et al (2018) The effect of relaxation techniques on edema, anxiety and depression in post-mastectomy lymphedema patients undergoing comprehensive decongestive therapy: a clinical trial. PloS one 13:e0190231CrossRefPubMedPubMedCentral
Dörfler H, Eisenmenger W, Lippert H-D et al (Hrsg) (2015) Medizinische Gutachten. Springer, Berlin/Heidelberg
Fritze J, Mehrhoff F (2012) Die ärztliche Begutachtung. Springer, Berlin/HeidelbergCrossRef
Quendler S (2008) Lebensqualität von Lymphödempatienten und ihre emotionalen und kognitiven Komponenten. Diplomarbeit, Universität Wien
Rieger H, Schoop W (Hrsg) (1998) Klinische Angiologie. Springer, Berlin/Heidelberg