Einleitung
Aneurysmen
in den Arterien der unteren Extremitäten treten am zweithäufigsten nach denen an der infrarenalen Aorta und Beckenarterien auf (Sidawy und Perler
2022). Die meisten dieser Aneurysmen sind in der Arteria femoralis
, Arteria poplitea
und Arteria crural
lokalisiert und entweder degenerativer Genese oder posttraumatische Pseudoaneurysmen
, die durch Katheterisierung oder Instrumentierung entstanden (Corriere et al.
2005). Echte Aneurysmen
treten bei Männern im Alter von 60 bis 80 Jahren im Verhältnis 30:1 weitaus häufiger auf als bei Frauen (Graham et al.
1980; Dawson et al.
1997). Dabei sind echte Aneurysmen der Arteria femoralis oder Arteria poplitea häufiger mit
Aortenaneurysmen und Aneurysmen am kontralateralen Bein assoziiert. Die Koinzidenz mit Aortenaneurysmen
reicht von 50 bis 90 % bei femoralen Aneurysmen
(Dent et al.
1972; Diwan et al.
2000), 30 bis 50 % bei poplitealen Aneurysmen und bis zu 70 % bei bilateralen poplitealen Aneurysmen (Graham et al.
1980; Dawson et al.
1997).
Aneurysmen der Arterien der oberen Extremitäten werden sehr viel seltener beschrieben und treten als echte Aneurysmen im Bereich der Arteria subclavia
oder Arteria axillaris
als prä- bzw. poststenotische Aneurysmen am häufigsten aufgrund eines kostoklavikulären bzw. Musculus-pectoralis-minor-Kompressionssyndroms auf (siehe Kap. „Thoracic-outlet-Syndrom“), an der Arteria brachialis
oder Arteria radialis
auch als postpunktionelle Pseudoaneurysmen. Eine weitere Besonderheit von Arteria subclavia oder Arteria axillaris sind klinisch unauffällige Aneurysmen, welche nach Schulter- oder
Thoraxtrauma entstehen und sich als Zufallsbefund darstellen (Tachtsi et al.
2011).
Femoralarterienaneurysma
Die Inzidenz von Aneurysmen der Femoralarterien (Arteria femoralis communis, AFC
; Arteria femoralis superficialis, AFS
; Arteria profunda femoris, APF
) ist im Vergleich zu anderen
peripheren Aneurysmen relativ niedrig und macht bis zu 5 % aller peripheren Aneurysmen
aus (Tab.
1). Dabei treten ca. 57 % in der AFC auf (Piffaretti et al.
2011), 26 % in der AFS und 17 % in der APF; 26 % aller Aneurysmen der Oberschenkelarterien kommen beidseitig vor und 48 % werden mit weiteren Aneurysmen assoziiert (Piffaretti et al.
2011).
Tab. 1
Prävalenz und Risikofaktoren für infrainguinale Aneurysmen. (Quellen: Sapienza et al.
1996; Sidawy und Perler
2022)
Arteria femoralis communis | 3–5 % | |
Arteria femoralis superficialis | < 1 % | |
Arteria profunda femoris | < 1 % | Arteriosklerose, Entzündungen |
Arteria poplitea | 70–85 % | Männliches Geschlecht, Alter, AAA-Assoziation |
Crurale Arterien | < 1 % | Arteriosklerose, entzündliche Prozesse |
Wahre Aneurysmen
der AFC sind dabei vor allem mit Nikotinkonsum und
arterieller Hypertonie assoziiert (Sapienza et al.
1996) (Tab.
1). Ihre Pathogenese ähnelt der von Aneurysmen in anderen großen Arterien. Dabei spielen eine Mediadegeneration sowie chronische Entzündungsprozesse und mechanische Belastungen eine zentrale Rolle (Tab.
2). Aneurysmen der AFC werden jedoch auch bei selteneren Erkrankungen wie
Morbus Behçet (Kalko et al.
2005), Parkes-Weber-Syndrom
(Ferrero et al.
2011a,
b) oder
Wegener-Granulomatose entdeckt (Luebke et al.
2009).
Tab. 2
Pathogenetische Mechanismen bei infrainguinalen Aneurysmen. (Quellen: Sapienza et al.
1996; Sidawy und Perler
2022)
Media-Degeneration | Verlust elasticher Fasern und glatter Muskelzellen |
Chronische Entzündung | |
| Überexpression von MMPs und anderen proteolytischen Enzymen |
Mechanische Belastung | Erhöhter Druck und Scherkräfte auf die Gefäßwand |
Genetische Prädisposition | Mutationen und familiäre Häufung von Aneurysmen |
Pseudoaneurysmen der AFC (siehe Kap. „Pseudoaneurysmen von Herold“) treten häufiger aufgrund iatrogener Ursachen auf, wie z. B. nach Punktionen im Rahmen von Katheterinterventionen oder nach offen chirurgischen Rekonstruktionen (Corriere et al.
2005). Sie können ebenfalls im Rahmen einer Infektion und fokalen Erosion der Arterienwand durch kontaminierte Kanülen verursacht werden. Das Pseudoaneurysma der AFC erscheint in der Regel als sackförmige Ausstülpung des Gefäßes und hat einen schmalen Hals, der einen Defekt in der Gefäßwand darstellt.
Die Unterscheidung zwischen einem echtem und einem Pseudoaneurysma an dieser Lokalisation ist von großer Bedeutung, weil die Therapie beider Entitäten sehr unterschiedlich ist.
Isolierte Aneurysmen
der AFS sind noch deutlich seltener als die der AFC. Sie manifestieren sich häufig als proximale Erweiterungen von Aneurysmen der Arteria poplitea. In einem ausführlichen Review wurden insgesamt nur 61 Fälle identifiziert (Leon et al.
2008). Man fand sie am häufigsten (87 %) bei Männern mit einem höheren Durchschnittsalter (75,7 Jahre). Dabei befanden sich die meisten dieser Aneurysmen im mittleren Drittel der Arterie und hatten einen Durchmesser von durchschnittlich 84 mm. Ihre vornehmliche Manifestationsform war ein pulsierender Oberschenkeltumor (59 %), der mit lokalisierten Schmerzen einherging. Eine Aneurysmaruptur wurde dabei häufiger beobachtet (42 %) als die distale Ischämie (13 %).
Degenerative Aneurysmen
der
APF werden am seltensten beobachtet und machen weniger als 3 % aller Oberschenkelarterienaneurysmen
aus (Gemayel et al.
2010). Die meisten sind unilateral lokalisiert. 70 % treten gemeinsam mit Poplitealarterienaneurysmen
auf (Harbuzariu et al.
2008). Sie können sich entweder als Ruptur
oder als kritische Ischämie
durch Embolisation
nach distal manifestieren, insbesondere wenn gleichzeitig ein AFS-Verschluss
vorliegt.
Aneurysmen der Unterschenkel- und Pedalarterien
Die exakten
Inzidenzen und Prävalenzen von Aneurysmen der cruralen
und pedalen
Arterien sind schwer zu ermitteln, da sie äußerst selten sind und in der medizinischen Literatur nur vereinzelt dokumentiert werden. Der Großteil der Daten stammt aus Fallberichten und kleineren Fallserien, was auf eine sehr geringe Häufigkeit hinweist (Faccenna et al.
2011; Ferrero et al.
2011a,
b; Murakami et al.
2011). Ursächlich nach Trauma oder iatrogen nach unfallchirurgischen/orthopädischen Operationen oder
peripheren Katheterinterventionen fallen sie klinisch durch schmerzhafte Schwellungen oder Ischämiezeichen
aufgrund distaler Embolisation auf oder werden als Zufallsbefund im Rahmen einer
digitalen Subtraktionsangiographie (oder selten im Rahmen einer Schnittbildgebung) auffällig.
Aneurysmen der oberen Extremität
Epidemiologie
Aneurysmen der oberen Extremität sind sehr selten und machen nur ca. 1 % aller peripheren arteriellen Aneurysmen aus. Klinisch dominiert als Symptomatik der thromboembolische periphere Verschluss
mit Ischämie, während Rupturen selten beschrieben werden und ihre Häufigkeit nach peripher zur Hand hin weiter abnimmt (Sidawy und Perler
2022). Weitaus häufiger ist das Auftreten von Pseudoaneurysmen an Arterien der oberen Extremität, insbesondere an der Arteria brachialis nach interventionellen Eingriffen, wo aufgrund der Anatomie eine Kompression der Punktionsstelle deutlich erschwert ist. Eine historische Bedeutung haben Pseudoaneurysmen der Arteria brachialis nach Aderlassbehandlung
. Da diese Phlebotomien
mit lanzettenartigen Schneidewerkzeugen vorgenommen wurden, kam es dadurch häufig zu größeren
Gefäßverletzungen. Es gibt allerdings auch neuere Fallberichte, die ein Aneurysma spurium
nach Phlebotomie beschreiben (Popovsky et al.
1994).
Pathogenese
Die Hauptursachen peripherer
Aneurysmen der oberen Extremität sind äquivalent der zur unteren Extremität. Aneurysmen können sowohl degenerativer (atherosklerotisch oder aufgrund einer Bindegewebserkrankung, siehe Tab.
2), infektiöser als auch posttraumatischer Genese sein. Iatrogen treten sie nach unfallchirurgischen/orthopädischen Operationen im Bereich des Oberarmes auf oder nach
peripherer Katheterintervention im Rahmen einer
digitalen Subtraktionsangiographie mit Zugang über die Arteria brachialis.
Klinisch fallen sie vor allem durch Schmerzen, lokale Schwellung oder Ischämiezeichen aufgrund distaler Embolisation auf. Eine Besonderheit sind Aneurysmen im Bereich der arterialisierten Vene bei einer chirurgisch angelegten Dialysefistel. Hier führen die Scherkräfte zu einer schnellen Zunahme des Diameters. Dies ist teils gewollt, kann aber auch enorme Ausmaße annehmen.
Darüber hinaus kann ein prä-
oder poststenotisches
Aneurysma durch ein
Thoracic-outlet-Syndrom (TOS)
im Bereich der Arteria subclavia oder Arteria axillaris und selten auch der Arteria brachialis ausgelöst werden (siehe Kap. „Vaskuläre Kompressionssyndrome“).
Eine weitere einzigartige Ursache für Aneurysmen an der Arteria subclavia ist eine aberrante Arteria subclavia mit Abgang aus der Aorta descendens (Arteria lusoria). Diese ist mit 20–60 % mit aneurysmatischer Degeneration aufgrund der mit der veränderten Anatomie erhöhten Scherkraft direkt am Abgang assoziiert und wird Kommerell-Divertikel genannt.
Die Prävalenz einer aberranten rechten Arteria subclavia mit Abgang aus der regelrecht verlaufenden Aorta descendens liegt bei 0,5–2 %, einer aberranten linken Arteria subclavia bei rechtsseitigem Aortenbogen bei 0,04–0,4 % (siehe Kap. „Anatomie und Physiologie des arteriellen Gefäßsystems“).