Skip to main content
Klinische Angiologie
Info
Publiziert am: 17.01.2024

Klinisches Bild, diagnostisches Vorgehen und Risikostratifizierung bei Lungenembolie

Verfasst von: Lukas Hobohm und Stravos V. Konstantinides
Die Risikostratifizierung der prognostisch heterogenen Gruppe von Patienten mit akuter Lungenembolie dient der Abschätzung des individuellen Risikos, während der Akutphase zu versterben oder schwere Lungenembolie-assoziierte Komplikationen zu erleiden, und ermöglicht die Anwendung von risikoadaptierten diagnostischen Algorithmen. Dank der Optimierung klinischer Wahrscheinlichkeitsscores und der Interpretation des D-Dimer-Tests können unnötige computertomografische Untersuchungen im Hinblick auf den Ausschluss einer akuten Lungenembolie – auch bei Schwangeren – vermieden werden.

Klinisches Bild der akuten Lungenembolie

Die Patienten präsentieren sich in ihrer Symptomatik sehr unspezifisch. Häufig imponiert die Symptomatik als Dyspnoe oder reversibler Bewusstseinsverlust (Tab. 1). Dieser kurzzeitige reversible Bewusstseinsverlust kann aus dem Abfall des Herzzeitvolumens als Synkope auftreten. In einer Metanalyse basierend auf 29 Studien und 21.956 Patienten mit Lungenembolie (LAE) hatten 16,8 % der Patienten eine Synkope, welche mit einem 1,73-fach erhöhten Risiko innerhalb der ersten 30 Tage zu versterben assoziiert war (Barco et al. 2018). Insgesamt stellt dennoch die Dyspnoe das häufigste Symptom dar. Patienten berichten sowohl von akut einsetzender Atemnot als auch von progredienten belastungsabhängigen Beschwerden. Weitere typische Symptome und klinische Zeichen der akuten LAE sind Zeichen einer tiefen Beinvenenthrombose (unilaterale Schwellung, Schmerzen und Rötung eines Beines), anginöser oder pleuritischer Thoraxschmerz sowie Tachypnoe (> 20 Atemzüge pro Minute).
Tab. 1
Symptome und klinische Zeichen einer akuten LAE
Symptome
Dyspnoe
80 %
Tachypnoe (> 20/min)
70 %
Pleuritischer Thoraxschmerz
52 %
Tachykardie (> 100/min)
26 %
20 %
Synkope
17 %
Zeichen einer TVT
15 %
Substernaler Thoraxschmerz
12 %
11 %
Zyanose
11 %
Fieber > 38,5 °C
7 %
Die klinische Symptomatik variiert in ihrer Ausprägung vom asymptomatischen Verlauf bis hin zum kardiogenen Schock. Durch die Variabilität der Symptomatik und ihrer Ausprägung stellt die akute LAE eine Herausforderung für die Diagnosestellung, differenzialdiagnostische Abgrenzung und Einleitung einer risikoadaptierten Therapie dar. Zusätzlich zu den Symptomen ist die Kenntnis der prädisponierenden Faktoren für eine venöse Thromboembolie (VTE) wichtig für die Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit der Erkrankung, die mit der Anzahl der prädisponierenden Faktoren zunimmt. Bei bis zu 40 % der Patienten mit LAE werden jedoch keine prädisponierenden Faktoren gefunden (White 2003).

Allgemeines diagnostisches Vorgehen bei akuter Lungenembolie

Aktuelle Leitlinien empfehlen eine risikoadaptierte Diagnostik, um der prognostisch heterogenen Gruppe von Patienten mit akuter LAE optimal zu begegnen. Das Vorhandensein eines kardiogenen Schocks bei Aufnahme ist mit einer frühen und hohen Letalitätsrate von bis zu 65 % assoziiert (Wood 2002). Bei Patienten mit einer solchen hämodynamischen Instabilität (Abb. 1) soll zur Diagnosesicherung ein diagnostischer Notfall-Algorithmus bei Verdacht auf LAE angewendet werden, der auf einen raschen Ausschluss anderer möglicher Ursachen der hämodynamischen Instabilität abzielt.
Aus diesem Grund wird der Stellenwert der transthorakalen Echokardiografie (TTE) hervorgehoben, da diese am Patientenbett einen raschen Nachweis oder Ausschluss eines RV-Versagens durch eine „massive“ LAE schnell und mit ausreichend großer Sicherheit ermöglicht. Da der rechte Ventrikel (RV) eine komplexe Geometrie aufweist, gibt es nicht nur „einen“ zuverlässigen echokardiografischen Parameter, der die RV-Größe bzw. RV-Funktion abschätzen lässt. Insbesondere die RV-Dilatation im Vierkammerblick (gemessen als Verhältnis vom rechtsventrikulären zum linksventrikulären (LV) Durchmesser [RV/LV-Quotient]) ist relativ leicht und schnell zu erheben und stellt ein wichtiges Kriterium der RV-Dysfunktion in der TTE-Untersuchung dar. Zu weiteren wichtigen echokardiografischen Zeichen gehören u. a. noch das 60/60-Zeichen (verkürzte Akzelerationsphase von unter 60 Millisekunden [ms] der RV-Ejektion durch die Pulmonalklappe sowie mittsystolischem „Notch“ bei gleichzeitig mäßig erhöhtem systolischen Spitzengradienten von unter 60 mmHg an der Trikuspidalklappe) und das McConnell-Zeichen (normale Kontraktilität der RV-Spitze bei deutlicher Hypokinesie der mittleren freien RV-Wand) (Dresden et al. 2014). Auch kann der direkte Nachweis rechtskardialer Transitthromben oder von Thromben im Pulmonalarteriensystem durch eine TTE-Untersuchung erfolgen. Dies gelingt jedoch in weniger als 4 % in unselektierten Patienten mit LAE und bei bis zu 18 % der Patienten mit LAE auf Intensivstation (Torbicki et al. 2003). Der direkte Nachweis von Thromben ermöglicht eine rasche Reperfusionsbehandlung und dadurch sofortige Entlastung des rechten Ventrikels.
Die Durchführung einer computertomografischen Pulmonalisangiografie (CTPA) gilt weiterhin als diagnostischer Standard, insofern die hämodynamische Stabilität einen Transport ermöglicht und keine Kontraindikationen zur Durchführung einer CTPA vorliegen. Wenn allerdings der klinische Zustand des Patienten keinen Transport zur CTPA-Untersuchung zur definitiven Bestätigung der LAE erlaubt, kann auf der Basis des TTE-Untersuchung alleine eine sofortige Reperfusionsbehandlung indiziert sein.
Eine RV-Funktionsstörung wird in der Praxis am häufigsten über die Dilatation des rechten Ventrikels (gemessen als Verhältnis von rechtsventrikulärem zum linksventrikulären Durchmesser [RV/LV-Quotient]) definiert. Als Grenzwert für eine RV-Dilatation wird sowohl in der CTPA als auch im TTE ein Quotient von ≥ 1,0 verwendet.
Die Kriterien einer hämodynamischen Instabilität und damit einer akuten Lungenembolie mit hohem Risiko wurden in der aktuellen ESC-Leitlinie erweitert. Die aktualisierten Kriterien beschreiben die folgenden Parameter:
  • den Herz-Kreislauf-Stillstand mit Notwendigkeit einer kardiopulmonalen Reanimation,
  • den obstruktiven Schock (systolischer arterieller Blutdruck < 90 mmHg oder Bedarf an Vasopressoren, um einen systolischen Blutdruck von ≥ 90 mmHg zu erhalten),
  • die persistierende Hypotension (systolischer arterieller Blutdruck < 90 mmHg, oder Abfall des systolischen Blutdruckes um ≥ 40 mmHg über mindestens 15 min), wenn diese nicht durch neu aufgetretene Hypovolämie, Arrhythmie oder Sepsis bedingt ist.
Bei Patienten mit Verdacht auf LAE mit hämodynamischer Instabilität wird empfohlen, die Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin (UFH) unverzüglich einzuleiten.
Der Großteil der Patienten (> 90 %) mit Verdacht auf eine akute LAE präsentiert sich jedoch hämodynamisch stabil (Abb. 2). In diesem Patientenkollektiv sind die sichere Diagnosestellung und die Wahl von adäquaten diagnostischen Schritten von vordergründiger Priorität. Bei diesen stabilen Patienten sollten auf Basis von Symptomatik und klinischen Befunden sowie prädisponierender Faktoren für eine VTE die klinische oder Vortest-Wahrscheinlichkeit eingeschätzt werden. Für die Erfassung der klinischen Wahrscheinlichkeit empfiehlt sich die Anwendung eines standardisierten, explizit validierten, klinischen Vorhersagescores, wie dem simplifizierten Genfer-Score oder dem Wells-Score. Diese stellen die Vortestwahrscheinlichkeit des Vorliegens einer akuten LAE entweder zweidimensional (LAE wahrscheinlich vs. unwahrscheinlich) oder dreidimensional (geringe, intermediäre oder hohe Wahrscheinlichkeit) dar. Ein Überblick zur Berechnung des Wells- oder Genfer-Scores ist in Tab. 2 und Tab. 3 illustriert.
Tab. 2
Wells-Score zur klinischen Vorhersage einer LAE
Wells-Score
 
Originalversion
Simplifizierte Version
Frühere TVT oder LAE
1,5
1
Herzfrequenz
≥ 100/min
1,5
1
Operation oder
Immobilisierung*
1,5
1
1
1
Aktive Krebserkrankung
1
1
Klinische Zeichen einer TVT
3
1
Alternative Diagnose unwahrscheinlicher als LE
3
1
Klinische Wahrscheinlichkeit
Drei-Stufen-Score
  
Niedrig
0–1
-
Intermediär
2–6
-
Hoch
≥ 7
-
Zwei-Stufen-Score
  
LAE unwahrscheinlich
0–4
0–1
LAE wahrscheinlich
≥ 5
≥ 2
*innerhalb der letzten 4 Wochen
Abkürzungen: TVT, tiefe Venenthrombose; LAE, Lungenembolie
Tab. 3
Revidierter Genfer-Score zur klinischen Vorhersage einer LAE
Revidierter Genfer-Score
 
Originalversion
Simplifizierte Version
Frühere TVT oder LAE
3
1
Herzfrequenz
75–94/min
3
1
≥ 95/min
5
2
Operation oder
Knochenfraktur*
2
1
Hämoptysen
2
1
Aktive Krebserkrankung
2
1
Einseitiger Beinschmerz
3
1
Schmerzen bei tiefer Palpation der unteren Extremität oder bei einseitigem Beinödem
4
1
Alter > 65 Jahren
1
1
Klinische Wahrscheinlichkeit
Drei-Stufen-Score
Niedrig
0–3
0–1
Intermediär
4–10
2–4
Hoch
≥ 11
≥ 5
Zwei-Stufen-Score
LAE unwahrscheinlich
0–5
0–2
LAE wahrscheinlich
≥ 6
≥ 3
*innerhalb des letzten Monats
Abkürzungen: TVT, tiefe Venenthrombose; LAE, Lungenembolie

Spezielles diagnostisches Vorgehen bei akuter Lungenembolie

Bei allen Patienten mit hoher oder intermediärer klinischer Wahrscheinlichkeit einer LAE sollte die Antikoagulation (mit niedermolekularem Heparin [NMH] oder Fondaparinux, alternativ mit Apixaban oder Rivaroxaban) eingeleitet werden, während noch auf die Ergebnisse der Diagnostik gewartet wird.
Bei niedriger oder intermediärer Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer akuten LAE wird eine D-Dimer-Bestimmung unter Verwendung altersadjustierter Grenzwerte (500 μg/l für Patienten bis 50 Jahre, für Patienten über 50 Jahre 10 μg/l x Alter) empfohlen (Righini et al. 2014). Alternativ kann die Verwendung des sog. „YEARS“-Modells, bestehend aus drei Parametern des Wells-Scores in Kombination mit dem Ergebnis des D-Dimer-Tests, angewendet werden. Nach diesem Schema wird bei Patienten, die keines dieser klinischen Kriterien erfüllen, eine Lungenembolie bei einem D-Dimer-Wert von < 1000 μg/l als sehr unwahrscheinlich eingestuft, dagegen bei jenen mit mindestens einem dieser Kriterien unterhalb des Standard-Grenzwertes von 500 μg/l (van der Hulle et al. 2017).
Bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit sollte die unverzügliche Einleitung einer therapeutischen Antikoagulation und Durchführung einer CTPA ohne vorherigen D-Dimer-Test erfolgen.
Eine besondere Herausforderung stellt die Diagnose bzw. der Ausschluss einer LAE in der Schwangerschaft dar. Die bei der Lungenembolie unspezifischen Symptome stellen sich in der Schwangerschaft noch unspezifischer dar, und auch die D-Dimer-Werte steigen über die Zeit der Schwangerschaft kontinuierlich an, sodass auch konkordant die Spezifität abnimmt (Murphy et al. 2015). In einer prospektiven Studie konnte mithilfe einer schrittweisen Strategie (Berechnung der klinischer Wahrscheinlichkeit, Bestimmung des D-Dimers, Durchführung einer Kompressionsultrasonografie der Beinvenen und je nach Kategorie dem Bedarf einer CTPA) eine LAE zuverlässig ausgeschlossen werden (Righini et al. 2018). Auch zeigte sich in einer weiteren Studie, dass die Kombination eines Schwangerschafts-adaptierten „YEARS“-Algorithmus mit verschiedenen D-Dimer-Grenzwerten ebenfalls als zuverlässiger diagnostischer Ansatz für Patientinnen mit dem Verdacht auf eine akute LAE in der Schwangerschaft gilt (van der Pol et al. 2019). Bei den „YEARS“-Kriterien werden drei Parameter erhoben:
Nach diesem Schema wird bei Patienten, die keines der oben genannten klinischen Kriterien erfüllen, eine LAE bei einem D-Dimer-Wert von < 1000 μg/l als sehr unwahrscheinlich eingestuft, dagegen bei jenen mit mindestens einem dieser Kriterien bereits unterhalb des Standard-Grenzwertes von 500 μg/l. Diese Strategie darf allerdings auf keinen Fall zu einer flächendeckenden D-Dimer-Testung von Patienten mit diffusen Beschwerden und ohne expliziten Verdacht auf eine Lungenembolie führen. Falls Kontraindikationen für ein bildgebendes Verfahren (CTPA oder VQ-Szintigraphie) bestehen, kann auch ein Kompressionsultraschall (KUS) der Beinvenen durchgeführt werden. Der KUS zeigt bei 30–50 % der Patienten mit LAE eine TVT und kann eine akute LAE indirekt bestätigen, aber nicht ausschließen (z. B. in der überwiegenden Zahl zu bevorzugendes Verfahren bei Schwangerschaft). Insgesamt hat die CTPA die Ventilations-/Perfusionsszintigrafie (V/Q-Scan) und die Pulmonalisangiografie in der Diagnostik der akuten LAE weitestgehend ersetzt. Jedoch bleibt der V/Q-Scan ein wertvolles, strahlungsarmes, kontrastmittelfreies Diagnostikum zum Nachweis einer akuten Lungenembolie bei Patienten mit absoluten Kontraindikationen zur Durchführung einer CTPA (z. B. schwere Niereninsuffizienz, Kontrastmittelallergie, Hyperthyreoidismus) oder um eine unnötige Strahlenbelastung in vulnerablen Patientinnenkollektiven zu vermeiden (Schwangerschaft, stillende Mütter, Frauen in gebärfähigem Alter; siehe auch Kapitel „Nuklearmedizinische Verfahren“). Bei Vorliegen relativer Kontraindikationen zur Durchführung einer computertomografischen Diagnostik (z. B. moderate renale Funktionseinschränkung, Schwangerschaft) kann auch eine Kompressionsduplexsonografie mit Nachweis einer TVT bei entsprechend begleitender lungenembolietypischer Klinik die Diagnose einer LAE sichern.
In Abb. 3 ist nach aktuellen Empfehlungen der ESC-Leitlinie 2019 das Vorgehen bei dem Verdacht auf eine LAE dargestellt.

Risikostratifizierung der Lungenembolie

Eine Risikostratifizierung der Patienten mit akuter Lungenembolie (LAE) spielt eine entscheidende Rolle und ist Voraussetzung für die Wahl einer dem klinischen Schweregrad angepassten effektiven und sicheren Diagnostik und Behandlung. Die initiale, einfache, rein klinische Risikostratifizierung basiert auf dem hämodynamischen Zustand der Patienten und unterteilt in jene Patienten mit hohem Risiko (mit hämodynamischer Instabilität) und jene mit nicht hohem Risiko (hämodynamische Stabilität) bei Erstvorstellung.
Bei Patienten mit bestätigter LAE und hämodynamischer Instabilität ist das Fortführen kreislauf- und ventilationsunterstützender Maßnahmen und der sofortige Beginn einer therapeutischen Antikoagulation, i. d. R. noch vor Diagnosesicherung notwendig (siehe → Abb. 2). Diese Patienten benötigen eine (potenziell lebensrettende) primär reperfundierende Therapie in Form einer systemischen Thrombolyse oder alternativ eine Katheter-gestützte Thrombolyse oder eine chirurgische Embolektomie (Linnemann et al. 2023) (siehe Kap. „Therapie der Lungenembolie“).
Bei allen anderen Patienten mit bestätigter LAE und hämodynamischer Stabilität sollte das Vorhandensein von Komorbiditäten und anderen verschlimmernden Umständen, die die frühe Prognose ungünstig beeinflussen können, erhoben (mittels verschiedener Scores oder Kriterien, Tab. 3) sowie das Vorliegen einer RV-Funktionsstörung evaluiert werden. Auf klinischen Parametern basierende Scores, wie der simplifizierte „Pulmonary Embolism Severity Index“ (sPESI) oder die Hestia-Kriterien, ermöglichen eine valide Prognoseabschätzung über den weiteren Verlauf der ersten 30 Tage nach akuter LAE. Bei einem niedrigen sPESI-Score oder keinem erfülltem Hestia-Kriterium sind die Patienten möglicherweise für eine frühe Entlassung und ambulante Therapie geeignet. Diese Empfehlung wurde kürzlich durch die Ergebnisse der „Home Treatment of Pulmonary Embolism“(HoT-PE)-Studie unterstützt. Darin war eine frühzeitige Entlassung (innerhalb 48 h) von Patienten mit „niedrigem Risiko“ (basierend auf den modifizierten Hestia-Kriterien) mit einer niedrige LAE-Rezidiv-Rate (3/525; 0,6 %) assoziiert; kein Patient verstarb (Barco et al. 2019b). Bei dieser Studie wurde allerdings auch die Evaluation der RV-Funktion vorgenommen. In einer Metaanalyse von 22 Studien mit 3295 Patienten mit „niedrigem Risiko“ basierend auf klinischen Scores hatten nämlich Patienten mit RV-Dysfunktion in der Bildgebung (Echokardiografie oder CTPA) ein 4,2-fach erhöhtes Risiko, innerhalb der ersten 30 Tage zu versterben (Barco et al. 2019a).
Weist ein Patient weder einen positiven Prognosescore noch Zeichen einer RV-Funktionsstörung auf, kann die LAE mit sehr hoher Sicherheit als „Niedrigrisiko“-LAE klassifiziert werden und der Patient wäre für eine frühe Entlassung geeignet (Abb. 4).
Liegt bei einem hämodynamisch stabilen Patienten ein erhöhter Wert für einen prognostischen Score (mindestens ein Hestia-Kriterium oder mindestens ein Punkt im sPESI) und/oder Zeichen einer RV-Funktionsstörung vor, wird auch die Bestimmung des kardialen Biomarkers Troponin T oder I empfohlen. Ist das Troponin erhöht, gilt das Frührisiko des Patienten mit LAE als „intermediär-hoch“, wenn das Troponin dagegen nicht erhöht ist, als „intermediär-niedrig“. Bei Patienten mit einem intermediär-hohen Risiko ist ein weiteres Monitoring auf einer Überwachungsstation zu empfehlen und die Therapie mit parenteralem Heparin fortzuführen, um bei einer hämodynamischen Verschlechterung eine Reperfusionstherapie einleiten zu können (Abb. 4).
In den letzten Jahren wurden weitere Biomarker zur Risikostratifizierung der akuten LAE untersucht und hierbei auch das Konzept der Identifizierung von „Intermediär-Hochrisikopatienten“ adressiert. Einer dieser myokardialen Ischämiemarker ist das Copeptin oder das „heart-type fatty acid-binding protein“ (H-FABP), für welche bei einer erhöhten Plasmakonzentration ein erhöhtes Risiko für Komplikationen oder Tod in der Akutphase bei normotensiven Patienten mit akuter LAE nachgewiesen wurde. Der auf H-FABP, Synkope und Tachykardie basierende FAST-Score erscheint insbesondere für die Identifizierung von Patienten mit „intermediärem“ Risiko geeignet (Lankeit et al. 2013). Zwar stellte sich in den meisten Kohortenstudien H-FABP den etablierten Biomarkern (NT-pro)BNP und Troponin I/T hinsichtlich der prognostischen Aussagekraft als überlegen dar, jedoch besteht eine relevante Anwendungseinschränkung durch die limitierte Verfügbarkeit von Messverfahren zur Bestimmung von H-FABP in der klinischen Routinediagnostik. Aus diesem Grund wurde der modifizierte FAST-Score entwickelt. Es zeigte sich in einer Entwicklungs- und Validierungskohorte, dass dieser modifizierte FAST-Score unter der Verwendung von Troponin anstelle von H-FABP ein vielversprechender Score für die Risikostratifizierung von normotensiven Patienten mit akuter LAE ist und in der prognostischen Aussagekraft den etablierten Algorithmen und Scores (wie dem Bova-Score) mindestens gleichwertig scheint (Tab. 45) (Hobohm et al. 2020).
Tab. 4
Klinische Scores zur Identifizierung von Patienten mit einer LAE mit niedrigem Risiko modifiziert nach (Hobohm und Lankeit 2019)
Score
Parameter
Risiko
sPESI
Alter > 80 Jahre (+1 Punkt)
Krebserkrankung (+1 Punkt)
Chronische Herz-/Lungenerkrankung (+1 Punkt)
Tachykardie (HF ≥ 100/min) (+1 Punkt)
Systolischer Blutdruck < 100 mmHg (+1 Punkt)
Arterielle Sauerstoffsättigung < 90 % (+1 Punkt)
Niedrig:
0 Punkte
Hoch:
≥ 1 Punkte
Hestia-Kriterien
Hämodynamische Instabilität)?
Notwendigkeit einer Thrombolyse oder chirurgischen Embolektomie?
Aktive Blutung oder erhöhtes Blutungsrisiko?
Sauerstoffbedarf?
LAE unter vorbestehender therapeutischer Antikoagulation?
Notwendigkeit einer intravenösen Schmerztherapie?
Schwere Niereninsuffizienz (CrCl < 30 ml/min)?
Schwere Leberinsuffizienz?
Schwangerschaft?
Z. n. Heparin-induzierte Thrombozytopenie?
Vorliegen von medizinischen oder sozioökonomischen Gründen gegen die Durchführung einer ambulanten Therapie?
Wird mindestens eine Frage mit „Ja“ beantwortet, muss der Patient stationär behandelt werden.
Abkürzungen: HF, Herzfrequenz; CrCl, Kreatinin-Clearance
Tab. 5
Klinische Scores zur Identifizierung von Patienten mit einer LAE mit intermediär-hohem Risiko
Score
Parameter
Risiko
Modifizierter FAST-Score
Erhöhtes Troponin (+1,5 Punkte)
Synkope (+1,5 Punkte)
Tachykardie (HF ≥ 100/min) (+2 Punkte)
Systolischer Blutdruck < 100 mmHg (+1 Punkt)
Arterielle Sauerstoffsättigung < 90 % (+1 Punkt)
Niedrig:
< 3 Punkte
Intermediär-hoch:
≥ 3 Punkte
Bova-Score
Erhöhtes Troponin (+2 Punkte)
Tachykardie (HF ≥ 110/min) (+1 Punkt)
Systolischer Blutdruck < 100 mmHg (+2 Punkte)
RV Dysfunktion (TTE oder CT) (+2 Punkte)
Niedrig:
0–2 Punkte
Intermediär-niedrig:
3–4 Punkte
Intermediär-hoch:
> 4 Punkte
Abkürzungen: CT, Computertomografie; HF, Herzfrequenz; TTE, transthorakale Echokardiografie; RV, rechter Ventrikel
Patienten mit intermediär-hohem Risiko sollten für mindestens 48–72 h ein erweitertes Monitoring zur frühzeitigen Detektion einer sekundären hämodynamischen Verschlechterung bzw. ausbleibender hämodynamischer Verbesserung erhalten (Abb. 4).
Literatur
Barco S, Ende-Verhaar YM, Becattini C, Jimenez D, Lankeit M, Huisman MV, Konstantinides SV, Klok FA (2018) Differential impact of syncope on the prognosis of patients with acute pulmonary embolism: a systematic review and meta-analysis. Eur Heart J 39(47):4186–4195CrossRefPubMed
Barco S, Mahmoudpour SH, Planquette B, Sanchez O, Konstantinides SV, Meyer G (2019a) Prognostic value of right ventricular dysfunction or elevated cardiac biomarkers in patients with low-risk pulmonary embolism: a systematic review and meta-analysis. Eur Heart J 40(11):902–910CrossRefPubMed
Barco S, Schmidtmann I, Ageno W, Bauersachs RM, Becattini C, Bernardi E, Beyer-Westendorf J, Bonacchini L, Brachmann J, Christ M, Czihal M, Duerschmied D, Empen K, Espinola-Klein C, Ficker JH, Fonseca C, Genth-Zotz S, Jimenez D, Harjola VP, Held M, Iogna Prat L, Lange TJ, Manolis A, Meyer A, Mustonen P, Rauch-Kroehnert U, Ruiz-Artacho P, Schellong S, Schwaiblmair M, Stahrenberg R, Westerweel PE, Wild PS, Konstantinides SV, Lankeit M, Ho TPEI (2019b) Early discharge and home treatment of patients with low-risk pulmonary embolism with the oral factor Xa inhibitor rivaroxaban: an international multicentre single-arm clinical trial. Eur Heart J. https://​doi.​org/​10.​1093/​eurheartj/​ehz367
Dresden S, Mitchell P, Rahimi L, Leo M, Rubin-Smith J, Bibi S, White L, Langlois B, Sullivan A, Carmody K (2014) Right ventricular dilatation on bedside echocardiography performed by emergency physicians aids in the diagnosis of pulmonary embolism. Ann Emerg Med 63(1):16–24CrossRefPubMed
Hobohm L, Lankeit M (2019) [Pulmonary Embolism]. Dtsch Med Wochenschr 144(18):1286–1300.
Hobohm L, Becattini C, Konstantinides SV, Casazza F, Lankeit M (2020) Validation of a fast prognostic score for risk stratification of normotensive patients with acute pulmonary embolism. Clin Res Cardiol 109(8):1008–1017. https://​doi.​org/​10.​1007/​s00392-019-01593-w
Hulle T van der, Cheung WY, Kooij S, Beenen LFM, van Bemmel T, van Es J, Faber LM, Hazelaar GM, Heringhaus C, Hofstee H, Hovens MMC, Kaasjager KAH, van Klink RCJ, Kruip M, Loeffen RF, Mairuhu ATA, Middeldorp S, Nijkeuter M, van der Pol LM, Schol-Gelok S, Ten Wolde M, Klok FA, Huisman MV, YS group (2017) Simplified diagnostic management of suspected pulmonary embolism (the YEARS study): a prospective, multicentre, cohort study. Lancet 390(10091):289–297
Konstantinides S, Lankeit M, Erbel C, Tiefenbacher C, D. G. K. Kommission für Klinische Kardiovaskuläre Medizin der (2020a) Kommentar zu den Leitlinien (2019) der European Society of Cardiology zum Management der akuten Lungenembolie. Der Kardiologe 14(4):248–255CrossRef
Konstantinides SV, Meyer G, Becattini C, Bueno H, Geersing GJ, Harjola VP, Huisman MV, Humbert M, Jennings CS, Jimenez D, Kucher N, Lang IM, Lankeit M, Lorusso R, Mazzolai L, Meneveau N, Ainle FN, Prandoni P, Pruszczyk P, Righini M, Torbicki A, Van Belle E, Zamorano JL, ESCSD Group (2019) 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of acute pulmonary embolism developed in collaboration with the European Respiratory Society (ERS). Eur Heart J 41(4):543–603
Konstantinides SV, Meyer G, Becattini C, Bueno H, Geersing GJ, Harjola VP, Huisman MV, Humbert M, Jennings CS, Jimenez D, Kucher N, Lang IM, Lankeit M, Lorusso R, Mazzolai L, Meneveau N, Ainle FN, Prandoni P, Pruszczyk P, Righini M, Torbicki A, Van Belle E, Zamorano JL, E. S. C. S. D. Group (2020b) 2019 ESC guidelines for the diagnosis and management of acute pulmonary embolism developed in collaboration with the European Respiratory Society (ERS). Eur Heart J 41(4):543–603CrossRefPubMed
Lankeit M, Friesen D, Schafer K, Hasenfuss G, Konstantinides S, Dellas C (2013) A simple score for rapid risk assessment of non-high-risk pulmonary embolism. Clin Res Cardiol 102(1):73–80CrossRefPubMed
Linnemann B, Blank W, Doenst T, Erbel C, Isfort P, Janssens U, Kalka C, Klamroth R, Kotzerke J, Ley S, Meyer J, Mühlberg K, Müller OJ, Noppeney T, Opitz C, Riess H, Solomayer E-F, Volk T, Beyer-Westendorf J (2023) Diagnostik und Therapie der tiefen Venenthrombose und Lungenembolie – AWMF-S2k-Leitlinie. Stand: 11.01.2023. https://​register.​awmf.​org/​de/​leitlinien/​detail/​065-002. Zugegriffen am 20.11.2023
Murphy N, Broadhurst DI, Khashan AS, Gilligan O, Kenny LC, O’Donoghue K (2015) Gestation-specific D-dimer reference ranges: a cross-sectional study. BJOG 122(3):395–400CrossRefPubMed
Pol LM van der, Tromeur C, Bistervels IM, Ainle FNi, van Bemmel T, Bertoletti L, Couturaud F, van Dooren YPA, Elias A, Faber LM, Hofstee HMA, van der Hulle T, Kruip M, Maignan M, Mairuhu ATA, Middeldorp S, Nijkeuter M, Roy PM, Sanchez O, Schmidt J, Ten Wolde M, Klok FA, Huisman MV, I. Artemis Study (2019) Pregnancy-adapted YEARS algorithm for diagnosis of suspected pulmonary embolism. N Engl J Med 380(12):1139–1149
Righini M, Van Es J, Den Exter PL, Roy PM, Verschuren F, Ghuysen A, Rutschmann OT, Sanchez O, Jaffrelot M, Trinh-Duc A, Le Gall C, Moustafa F, Principe A, Van Houten AA, Ten Wolde M, Douma RA, Hazelaar G, Erkens PM, Van Kralingen KW, Grootenboers MJ, Durian MF, Cheung YW, Meyer G, Bounameaux H, Huisman MV, Kamphuisen PW, Le Gal G (2014) Age-adjusted D-dimer cutoff levels to rule out pulmonary embolism: the ADJUST-PE study. JAMA 311(11):1117–1124CrossRefPubMed
Righini M, Robert-Ebadi H, Elias A, Sanchez O, Le Moigne E, Schmidt J, Le Gall C, Cornuz J, Aujesky D, Roy PM, Chauleur C, Rutschmann OT, Poletti PA, Le Gal G, C. T.-P.-P. Group (2018) Diagnosis of pulmonary embolism during pregnancy: a multicenter prospective management outcome study. Ann Intern Med 169(11):766–773CrossRefPubMed
Torbicki A, Galie N, Covezzoli A, Rossi E, De Rosa M, Goldhaber SZ, I. S. Group (2003) Right heart thrombi in pulmonary embolism: results from the International Cooperative Pulmonary Embolism Registry. J Am Coll Cardiol 41(12):2245–2251CrossRefPubMed
White RH (2003) The epidemiology of venous thromboembolism. Circulation 107(23 Suppl 1):I4–I8PubMed
Wood KE (2002) Major pulmonary embolism: review of a pathophysiologic approach to the golden hour of hemodynamically significant pulmonary embolism. Chest 121(3):877–905CrossRefPubMed