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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 23.02.2024

Klinisches Bild und diagnostisches Vorgehen bei Gerinnungsstörungen

Verfasst von: Sirak Petros
Die Hämostase ist ein physiologisch streng balanciertes System mit gegenregulierenden Mechanismen zwischen Prokoagulation, Antikoagulation, Profibrinolyse und Antifibrinolyse. Abweichungen in Richtung einer Blutungs- oder Thromboembolieneigung sind somit Folgen eines Ungleichgewichtes in diesem System. Die im Routinelabor verfügbaren Gerinnungstests fokussieren auf die Untersuchung prokoagulatorischer Störungen, diese aber auch nur sehr begrenzt, ohne dass dabei die endogenen gegenregulatorischen Mechanismen mitberücksichtigt werden. Epidemiologisch sind die meisten Gerinnungsstörungen erworben, wodurch alle Teile des Gerinnungssystems betroffen sein können. Dieser Umstand erfordert von klinisch tätigen Ärzten daher den kritischen Einsatz solcher Gerinnungstests unter kritischer Betrachtung der Anamnese und der klinischen Zeichen. Der unkritische Einsatz von Gerinnungstests liefert entweder kaum nützliche Ergebnisse oder, im schlimmsten Fall, kann er zu Fehlentscheidungen beitragen.

Einleitung

Das Gerinnungssystem ist ein sehr effizient balanciertes Konstrukt, in dem die physiologische Prokoagulation, Antikoagulation, Fibrinolyse und Antifibrinolyse einen gemeinsam eng regulierten Ablauf haben. Jenseits der bloßen Gerinnung haben Gerinnungsproteine und Thrombozyten vielfältige Auswirkungen auf die Homöostase, beispielsweise in der fötalen Entwicklung, der Wirtsabwehr, Wundheilung, Angiogenese oder in der Tumorprogression. Infolge einer Inflammation jeglicher Genese oder eines Traumas kommt es regelhaft zu einem gesteigerten Verbrauch der Thrombozyten und der Gerinnungsproteine in allen Bereichen des Gerinnungssystems.
Der Begriff „Gerinnungsstörung“ kann irreführend sein, weil der Nachweis eines normabweichenden Gerinnungsparameters nicht zwangsläufig eine klinisch relevante Störung darstellt.
Gerinnungsstörungen sind meist erworben, entweder bedingt durch eine Grunderkrankung oder als Folge einer gerinnungsbeeinflussenden Therapie. Dagegen sind hereditäre Störungen selten.
Historisch bedingt sind die in der Routinelabordiagnostik verfügbaren sogenannten globalen Gerinnungstests auf den Nachweis prokoagulatorischer Störungen fokussiert, da Blutung als das klinisch relevante Ereignis im Vordergrund stand und immer noch steht. Jedoch ist die Aussagekraft dieser Tests stark begrenzt. Der Quick-Wert ist das Ergebnis der Vitamin-K-Forschung, während die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (activated partial thromboplastin time, aPTT) im Rahmen der Überwachung von Patienten mit hereditärer Hämophilie entstand. Deshalb sollten diese Gerinnungstests nicht als echte globale diagnostische Mittel „missbraucht“ werden. Jeder Gerinnungstest sollte stets im Zusammenhang mit dem klinischen Bild und der Fragestellung betrachtet werden.
Bei allen Gerinnungstests fehlt die Rolle des Endothels mangels geeigneter Nachweismethoden.
Ein intaktes Endothel ist antithrombotisch, da auf dessen Oberfläche antithrombotische und fibrinolytische Proteine verankert sind. Der physiologische Gerinnungsvorgang wird daher nur dann initiiert, wenn das Endothel beschädigt ist, z. B. durch Trauma oder Inflammation. Erst dann kann der Gewebefaktor (tissue factor, TF), der normalerweise subendothelial zu finden ist, freigesetzt werden und mit dem Gerinnungsfaktor VII einen Komplex bilden, um so die Gerinnungskaskade in Gang zu setzen. Der weitere Ablauf der Gerinnungskaskade kann dann durch eine hereditäre oder erworbene Koagulopathie amplifiziert oder herunterreguliert werden.
Jenseits dieses physiologischen Vorgangs kann die Gerinnung auch ohne primäre Endothelbeteiligung initiiert werden, wenn das TF auf der Oberfläche anderer Zellen, z. B. auf Leukozyten oder aktivierten Thrombozyten während einer Inflammation oder auf Tumorzellen exprimiert wird.

Epidemiologie

Die bisher bekannten hereditären Gerinnungsstörungen, sowohl die hämorrhagischen als auch die thrombophilen Diathesen, sind generell selten. Erworbene Gerinnungsstörungen kommen dagegen sehr häufig vor, wobei Störung und klinische Konsequenz nicht gleichgesetzt werden dürfen. Die Epidemiologie erworbener Gerinnungsstörungen ist schwer zu beziffern, da diese in den allermeisten Fällen infolge einer Grunderkrankung oder diverser medizinischer Maßnahmen vorkommen und demzufolge nicht zwangsläufig in jedem Falle gezielt dokumentiert werden.
In Bezug auf die hereditäre hämorrhagische Diathese ist die Von-Willebrand-Erkrankung die häufigste Störung, die autosomal vererbt mit einer Häufung von etwa 1:1000 in der Bevölkerung vorkommt (Lillicrap 2013).
Meist ist die Von-Willebrand-Erkrankung mild, sodass viele betroffene Personen dies kaum wahrnehmen oder diese erst bei Verletzungen oder invasiven Eingriffen auffällt. Die Hämophilie A als die nächsthäufige angeborene Blutungsdiathese kommt bei 1:5000 Knaben vor, während die Hämophilie B bei nur 1:30.000 Knaben auftritt (Castaman und Matino 2019). Die restlichen angeborenen plasmatischen Störungen kommen mit einer Häufung von 1:500.000 bis 1:2.000.000 in der Bevölkerung vor (Franchini et al. 2018). Auch angeborene thrombozytäre Blutungsdiathesen kommen selten vor, wobei deren Epidemiologie mangels optimaler Testmethoden oft nicht eindeutig einzuordnen ist.
In Bezug auf die hereditären thrombophilen Diathesen gilt die Faktor-V-Leiden-Mutation in Mitteleuropa als die häufigste Erscheinung, gefolgt von der Prothrombin-Mutation (siehe Kap. „Hereditäre Thrombophilie“) Die restlichen hereditären thrombophilen Störungen wie heterozygoter Mangel an Antithrombin oder Protein C oder S kommen sehr selten vor. Darüber hinaus wurden zahlreiche weitere Genmutationen beschrieben, die möglicherweise eine thrombophile Diathese darstellen, deren klinische Relevanz jedoch infolge deren Rarität oder auch fehlender großer epidemiologischer Studien nicht eindeutig belegt ist. Im Umkehrschluss bedeutet der Ausschluss der bereits bekannten thrombophilen Diathesen nicht, dass ein betroffener Patient gar keine hereditäre thrombophile Diathese hat.

Pathophysiologie

Hämorrhagische Diathese

Hereditäre Blutungsdiathese

Die hereditäre Blutungsdiathese betrifft meist einen Einzelfaktorenmangel infolge einer Genmutation.
Während die Hämophilie A und B eine x-chromosomale Vererbung haben, werden die anderen hereditären Faktormängel autosomal vererbt. Anlass zur Diagnostik ist oft eine positive Familienanamnese oder eine Blutungsneigung bei jungen Menschen. Da in diesen Fällen alle anderen Aspekte des Gerinnungssystems in der Regel unauffällig sind, ist das klinische Bild der Blutung von dem Grad des Mangels des betreffenden Faktors abhängig.

Erworbene Blutungsdiathese

Die erworbene Blutungsdiathese ist, bis auf die Folgen einer antikoagulatorischen Therapie, oft komplex, weil verschiedene Aspekte des Gerinnungssystems simultan betroffen sein können.
Daher lassen sich zwar erworbene Gerinnungsstörungen nachweisen, deren Korrelation zu einem klinischen Ereignis ist allerdings oft schlecht. Ein sehr gutes Beispiel ist die Gerinnungsstörung infolge einer Leberzirrhose. Über Jahrzehnte wurden ein niedriger Quick-Wert oder eine verlängerte aPTT bei solchen Patienten als eine Autoantikoagulation betrachtet, wodurch sehr oft eine unnötige „Gerinnungskorrektur“ vorgenommen wurde. Zahlreiche Untersuchungen haben jedoch mittlerweile gezeigt, dass die Gerinnungsstörungen bei einer Leberzirrhose das gesamte System betreffen, in dem Defekte in der Prokoagulation und Fibrinolysehemmung durch Defekte in der Antikoagulation und Fibrinolyse kompensiert werden (Lisman et al. 2021). Deshalb kann die Routinegerinnungsdiagnostik zwar zur Prognoseeinschätzung herangezogen werden, nicht jedoch um eine Blutung vorherzusagen. Allenfalls kann die Gerinnungsdiagnostik bei einem klinischen Ereignis zur Therapiesteuerung hilfreich sein.
Neben der Von-Willebrand-Erkrankung, die hereditär ist, kommt auch das erworbene Von-Willebrand-Syndrom vor. Die Pathophysiologie dieses seltenen erworbenen Syndroms ist heterogen. Häufige Ursachen hierbei sind immunologische Phänomene (z. B. lymphoproliferative Erkrankungen) und mechanische Zerstörung des Von-Willebrand-Faktors (z. B. Aortenklappenstenose oder extrakorporale Herz-Kreislauf-Unterstützungssysteme) (Tiede 2012).
Eine weitere seltene, aber lebensbedrohliche erworbene Blutungsdiathese ist die erworbene Hemmkörper-Hämophilie, die eine Autoimmunerkrankung darstellt und in den allermeisten Fällen den Gerinnungsfaktor VIII betrifft.
Antikoagulantien beeinflussen einen klar definierten Schritt des Gerinnungssystems, wodurch es zur Herabsetzung der Fähigkeit zur Gerinnselbildung kommt (Tab. 1). Während manche Medikamente ein breites Therapiefenster haben, sodass Routinegerinnungskontrollen nicht erforderlich sind (z. B. direkte orale Antikoagulantien), haben andere ein schmales Fenster (z. B. Vitamin-K-Antagonisten) mit der Notwendigkeit der regelmäßigen Gerinnungskontrolle und Dosierungsanpassung. Eine Blutungsneigung infolge einer Antikoagulation hängt nicht immer allein von der Dosierung des Medikaments ab, sondern auch von dessen metabolischen Wegen und Interaktionen mit anderen Medikamenten. Dies ist vor allem bei den oralen Antikoagulantien (Einfluss der Nieren- oder Leberfunktion, Medikamenteninteraktion) und den niedermolekularen Heparinen (Einfluss der Nierenfunktion) relevant.
Tab. 1
Wirkmechanismus von Antikoagulantien
Wirkmechanismus
Wirkstoff
ORALE ANTIKOAGULANTIEN
Indirekte orale Antikoagulantien Hemmung des Vitamin-K-Kreislaufs, folglich Hemmung der Synthese der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX, X
Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin, Phenprocoumon, Acenocoumarol)
Direkte orale Antikoagulantien
 - direkte Faktor-Xa-Hemmer
 - direkter Thrombinhemmer
Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban
Dabigatran
PARENTERALE ANTIKOAGULANTIEN
Indirekte parenterale Antikoagulantien (Wirkung über Antithrombin)
 - Thrombin und Faktor-Xa-Hemmer
 - ausschließlich Faktor-Xa-Hemmer
Unfraktioniertes Heparin (UFH) (1:1-Hemmung)
niedermolekulare Heparine (NMH)
(etwa 1:1,9 bis 1:3,5-Hemmung)
Direkte parenterale Antikoagulantien
 - direkter Thrombinhemmer
Argatroban, Bivalirudin
Bei den Thrombozytenfunktionshemmern ist das Blutungsrisiko medikamentenabhängig variabel. Generell ist die Acetylsalicylsäure (ASS) mit einem niedrigen Blutungsrisiko assoziiert (Bouget et al. 2020). Die Kombinationstherapie, duale Plättchenfunktionshemmung bzw. eine Kombinationstherapie mit einem plasmatischen Antikoagulanz, kann mit einem erhöhten Blutungsrisiko vergesellschaftet sein, wobei das Risiko je nach Patientenkollektiv unterschiedlich sein kann (Harris et al. 2023).

Thrombophile Diathese

Zu diesem Thema sei auf das Kap. „Hereditäre Thrombophilie“ verwiesen. Generell sollte hierbei auf folgende Aspekte geachtet werden:
Wichtig
1.
Es gibt nur wenige angeborene thrombophile Diathesen mit einer belastbaren Korrelation zu einem Thromboserisiko.
 
2.
Mittlerweile gibt es zwar mehrere Genmutationen, die pathophysiologisch mit einem erhöhten Thromboembolierisiko einhergehen können, eine belastbare Evidenz ist jedoch noch nicht verfügbar.
 
3.
Unter den erworbenen Gerinnungsstörungen ist lediglich das Antiphospholipid-Syndrom mit belastbarer Evidenz zur Korrelation mit einem Thromboserisiko bekannt.
 

Klinik

Blutungsdiathese

Bei Blutungsdiathesen ist ein standardisierter Fragebogen sehr nützlich, um die Gerinnungsdiagnostik sinnvoll einzusetzen (Koscielny et al. 2007). Die International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) hat auch einen ausführlichen Blutungsfragebogen zwecks Optimierung der diagnostischen Schritte etabliert (Rodeghiero et al. 2010).
Bestimmte anamnestische Angaben können auf spezifische Gerinnungsstörungen hinweisend sein (Tab. 2).
Tab. 2
Klinische Hinweise auf eine Blutungsdiathese bei sonst fehlenden anatomischen Ursachen
Purpura
Petechien
prolongierte Blutung nach Schnittverletzung
Zahnfleischblutungen
Epistaxis
Hämaturie
Menorrhagie
Plasmatische Gerinnungsstörung
exzessive Blutung nach Trauma oder operativem Eingriff
Ekchymosen, Hämatome
Hämarthrose
Hämaturie oder Hämatochezie
Epistaxis
Es gibt meist kein für eine bestimmte Gerinnungsstörung spezifisches klinisches Bild. Petechien sprechen generell für eine schwere Thrombozytopenie oder Thrombozytopathie. Dennoch können Petechien auch infolge einer Vasopathie, vor allem bei sehr alten Patienten, vorkommen. Hämatome sprechen allgemein für eine plasmatische Gerinnungsstörung.

Thrombophile Diathese

Es gibt kein spezifisches klinisches Symptom oder Zeichen, das für eine bestimmte hereditäre thrombophile Gerinnungsstörung typisch ist. Bei einem Antiphospholipid-Syndrom, die relevanteste erworbene thrombophile Diathese, kann es sich um eine sekundäre Form infolge eines systemischen Lupus Erythematodes handeln. Daher sollte bei Nachweis eines Antiphospholipid-Syndroms daran gedacht werden.

Labordiagnostik

Präanalytik

Vor jeder Gerinnungsdiagnostik ist eine optimale Präanalytik eine unverzichtbare Voraussetzung.
  • Optimale Blutentnahme:
    • Mehrere Gefäßpunktionsversuche möglichst vermeiden
    • Langen Gefäßstau vermeiden
    • Schaumbildung während der Blutentnahme vermeiden
    • Erste Blutprobe nicht für die Gerinnungsdiagnostik nutzen
    • Auf optimalen Füllstand des Entnahmeröhrchens achten, um ein korrektes Mischverhältnis zu haben
    • Zwecks optimaler Mischung das Röhrchen mit der Blutprobe nicht schütteln, sondern einige Male schwenken
  • Optimaler Probentransport:
    • Blutproben ohne starkes Schütteln ins Labor transportieren
    • Lange Liege- oder Transportzeiten von Blutproben ohne Einhaltung der erforderlichen Lagerungstemperatur vermeiden, weil diese bei einigen Gerinnungsfaktoren zu relevantem Funktionsverlust führen kann, wodurch falsche Diagnosen entstehen können

Klare Fragestellung

Vor jeder Gerinnungsdiagnostik muss stets eine klare klinische Fragestellung formuliert werden, die man damit bestätigen oder widerlegen möchte, unter Beachtung der Aussagefähigkeit der Labormethode.
Folgende Fragestellungen sind die häufigsten Gründe für eine Gerinnungsdiagnostik:
1.
Kann mein Patient bluten?
 
2.
Warum blutet mein Patient?
 
3.
Kann mein Patient eine Thromboembolie erleiden?
 
4.
Kann ich die Thromboembolie an meinem Patienten durch Gerinnungsdiagnostik erklären?
 
Im folgenden Abschnitt werden die ersten zwei Fragestellungen diskutiert. Zu den Fragen 3 und 4 sei auf das Kap. „Hereditäre Thrombophilie“ verwiesen.

Kann mein Patient bluten?

Oft wird für diese Fragestellung, z. B. vor invasiven Eingriffen, die sogenannte globale Gerinnungsdiagnostik ohne ein einziges klinisches Korrelat angefordert, womit die Thrombozytenzahl, der Quick-Wert und die aPTT gemeint sind:
  • Die Thrombozytenzahl korreliert mit der Thrombozytenfunktion nicht.
  • Der Quick-Wert wird durch die Gerinnungsfaktoren II, V, VII und X beeinflusst, allerdings sind hierbei folgende Aspekte zu berücksichtigen:
    • Ehe der Quick-Test pathologisch wird, muss mindestens einer der genannten Gerinnungsfaktoren auf etwa 25 % des Normbereichs erniedrigt sein.
    • Da der Quick-Wert von der Verfügbarkeit eines ausreichenden Fibrinogen-Spiegels abhängig ist, kann der Test allein infolge einer Hypofibrinogenämie pathologisch ausfallen.
    • In seltenen Fällen können unspezifische Inhibitoren, z. B. bei einem Antiphospholipid-Syndrom, die Bestimmung des Quick-Werts beeinflussen.
  • Die aPTT wird durch die prokoagulatorischen Gerinnungsfaktoren V, VIII, IX, X und XI beeinflusst, auch hierzu sind folgende Aspekte zu beachten:
    • Ähnlich dem Quick-Wert muss eines der oben genannten Gerinnungsproteine auf etwa 25 % des Normbereichs erniedrigt sein, bevor eine aPTT-Verlängerung erkennbar ist.
    • Auch der Gerinnungsfaktor XII und das Kininogen-System können bei einem Mangel zu einer aPTT-Verlängerung führen, was weder mit einer Blutung noch mit einem Thromboserisiko zu tun hat.
    • Die aPTT wird auch durch das Vorliegen eines Lupus-Antikoagulanz verlängert, das wiederum eine Thrombophilie darstellt.
Generell ist eine Analyse der einzelnen Gerinnungsproteine nur dann gerechtfertigt, wenn der Quick-Wert oder die aPTT pathologisch ausfallen.
Allerdings schließen infolge des dafür erforderlichen erheblichen Abfalls der Gerinnungsproteine ein normaler Quick-Wert oder eine normale aPTT eine milde Blutungsdiathese nicht aus, die in einer Stresssituation (z. B. Trauma oder operativer Eingriff) doch relevant sein kann.
Ausnahmen zu der Regel, bezogen auf die Bestimmung der einzelnen Gerinnungsproteine, stellen das Von-Willebrand-Syndrom und der Faktor-XIII-Mangel dar. Das Von-Willebrand-Syndrom führt bei milder Form nicht unbedingt zu einer aPTT-Verlängerung, bzw. kann die aPTT-Verlängerung kaum auffallen. Deshalb kann die Von-Willebrand-Diagnostik bei entsprechender klinischer Konstellation in Betracht gezogen werden.
Für den Gerinnungsfaktor XIII gibt es keinen validierten Funktionstest. Deshalb muss bei einer berechtigten Indikation die Konzentration bestimmt werden. Ein angeborener Faktor-XIII-Mangel ist allerdings sehr selten (1:2.000.000 Bevölkerung). Die allermeisten in der Literatur beschriebenen Faktor-XIII-Mangelzustände sind die Folge einer Grunderkrankung, z. B. Blutung, Trauma, chirurgischer Eingriff, Leberzirrhose, oder chronische entzündliche Darmerkrankung. Auch während einer Schwangerschaft kann es zu einem milden Faktor-XIII-Mangel kommen. Daher mag ein Faktor-XIII-Mangel mit einer Blutung korrelieren, dies bedeutet keineswegs eine Ursache-Wirkung-Beziehung.
Selbst bei Patienten mit Gerinnungsstörungen infolge einer Grunderkrankung, wie z. B. einer Leberzirrhose oder einer Thrombozytopenie infolge einer malignen Erkrankung oder Chemotherapie, lässt sich anhand eines Gerinnungstests eine Blutung nicht vorhersagen. Bei solchen Patienten mit bekannten Koagulopathien können die globalen Gerinnungstests allerdings vor einem invasiven Eingriff mit relevantem Blutungsrisiko zwecks Therapiesteuerung sinnvoll sein.
Zusammengefasst existieren keine Testmethoden, um ein Blutungsrisiko vorhersagen zu können.

Warum blutet mein Patient?

Eine gute Grundlage zur Einordnung der Gerinnungsdiagnostik stellt der bereits erwähnte Blutungsfragebogen dar.
Bei einer angeborenen Blutungsdiathese besitzen Betroffene in Deutschland in der Regel einen Nothilfeausweis mit Angabe der Gerinnungsstörung, des Störungsgrads, der Behandlungsempfehlung im Notfall und des behandelnden Zentrums, sodass wiederholte Tests vermieden werden können und Maßnahmen bei einer Blutung bereits festgelegt sind.
Bei einer positiven Eigenanamnese und familiär bereits bekannter Gerinnungsstörung kann die Gerinnungsdiagnostik vorerst auf die bekannte Gerinnungsstörung beschränkt werden.
Bei einer positiven Eigenanamnese, und möglicherweise auch familiärer Blutungsdiathese, jedoch noch nicht diagnostizierter Gerinnungsstörung, kann ein pathologischer Quick-Wert oder eine aPTT-Verlängerung hilfreich sein, um die Suche besser zu spezifizieren:
  • Bei alleinigem pathologischen Quick-Wert kommt in der Regel ein FVII-Mangel als Ursache in Frage. Sonst kann ein isoliert pathologischer Quick-Test auch bei einem Fibrinogen-Mangel oder einer Dysfibrinogenämie vorkommen.
  • Bei einer alleinigen aPTT-Verlängerung kommt ein Mangel an FVIII, FIX oder FXI in Betracht.
  • Sind sowohl der Quick-Wert als auch die aPTT pathologisch, dann kommt ein Mangel an Prothrombin, Faktor V, Faktor X oder Fibrinogen bzw. eine Dysfibrinogenämie in Frage.
Falls die globalen Gerinnungstests unauffällig ausfallen, dann erfolgt die Diagnostik nach epidemiologischen Gesichtspunkten („Häufig ist häufig, selten ist selten“). Folglich erfolgt zuerst die Suche nach einer Von-Willebrand-Erkrankung. Da bei dieser Diagnostik der Faktor VIII mitbestimmt wird, kann die nächsthäufige angeborene Blutungsdiathese, nämlich der Faktor-VIII-Mangel, mit ausgeschlossen werden. Falls dies negativ ausfallen sollte, erfolgt die weitere Suche nach den sehr seltenen plasmatischen Gerinnungsstörungen. In solchen Fällen ist die Vorstellung bei einem Hämostaseologen sinnvoll.
Hereditäre Thrombozytopathien sind selten. Allerdings liegt hier auch das Problem in dem Mangel an Gerinnungstests, die sensitiv und spezifisch genug sind.
Oft müssen die Plättchenfunktionstests unter standardisierten Bedingungen mehrfach wiederholt werden, bevor man einen pathologischen Befund als sicher annimmt und mögliche Konsequenzen ableitet. Darüber hinaus ist in einigen Zentren die Durchflusszytometrie oder Untersuchung der Thrombozytengranula oder deren Oberfläche möglich, wobei die Korrelation zwischen solchen Laborergebnissen und dem klinischen Syndrom nicht einfach ist.
Bei erworbenen Blutungsdiathesen richtet sich die Gerinnungsdiagnostik meist nach der zugrunde liegenden Erkrankung oder der medikamentösen Therapie.
Die Leberzirrhose gilt als eine der häufigsten Erkrankungen mit einer Koagulopathie. Bis auf Hämatome an Druckstellen kommen relevante spontane Blutungen bei diesen Patienten sonst selten vor. Die häufigste Blutung in dieser Population ist die obere Gastrointestinalblutung, die jedoch Folge der portalen Hypertonie ist. Die ohnehin eingeschränkte Gerinnung wird dann durch die Blutung in ein Ungleichgewicht gebracht, wodurch eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Dies bedeutet, dass die Gerinnungsdiagnostik nicht dazu dient, die Frage nach der Blutungsursache zu definieren, sondern eher die Blutungstherapie zu steuern. Hier kann mit gewisser logischer Vorgehensweise die erforderliche Gerinnungsdiagnostik zusammengefasst werden, wobei deren Limitationen stets in Erinnerung bleiben sollten:
  • Fibrinogen als das Endsubstrat der Gerinnselbildung wird in der Leber synthetisiert; daher soll man den Fibrinogen-Spiegel ermitteln, zumal der Fibrinogen-Spiegel sowohl den Quick-Wert als auch die aPTT direkt beeinflusst.
  • Der Quick-Wert und die aPTT können, unter Berücksichtigung des Fibrinogen-Spiegels, zur Therapiesteuerung herangezogen werden.
  • Die Thrombozytenzahl ist relevant, wobei die Thrombozytenfunktion infolge der Leberzirrhose herabgesetzt sein kann. Außerdem ist die Thrombozytenaggregation von Fibrinogen abhängig.
Bei Patienten mit sekundärer Thrombozytopenie, infolge einer Knochenmarkerkrankung (z. B. Leukämie) oder Chemotherapie, kommt eine spontane Blutung meist bei einer Thrombozytenzahl unter 5–10×109/l vor (Slichter 2004, 2007).
Patienten mit einer schweren Thrombozytopenie können einem Blutungsrisiko ausgesetzt sein, wenn der Verbrauch an Thrombozyten stark gesteigert ist, z. B. durch eine systemische Inflammation.
Die Suche nach den seltenen erworbenen Blutungsdiathesen sollte stets aus der klinischen Konstellation abgeleitet werden. Das erworbene Von-Willebrand-Syndrom sollte bei entsprechender Grunderkrankung oder medizinischen Maßnahmen in Betracht gezogen werden und die Von-Willebrand-Diagnostik angefordert werden. Die erworbene Hemmkörper-Hämophilie kann bei einer normalen aPTT schnell ausgeschlossen werden.
Blutungsereignisse infolge einer Antikoagulation können direkte Folgen des Medikamentes (Überdosierung bei falscher Einnahme oder infolge eingeschränkter Abbauwege) oder aber auch Potenzierung einer bereits vorliegenden Störung bei regelrechter Dosierung sein. Eine Blutung kann auch unter therapeutischer Dosierung vorkommen, wobei die Ursache für den Beginn einer Blutung nicht unbedingt die Antikoagulation sein muss, sondern diese lediglich die weitere Blutung propagiert.
Orale Antikoagulantien
Eine Blutung unter oraler Antikoagulation ist nicht immer die Folge einer fehlerhaften Einnahme, sondern kann auch durch Leber- oder Nierenfunktionseinschränkung oder Medikamenteninteraktion eintreten.
Vitamin-K-Antagonisten: Die Quick/INR-Bestimmung reicht bei einem Blutungsereignis aus, sowohl als Diagnostik als auch zwecks Therapiesteuerung.
Direkte orale Antikoagulantien (DOAC): Bei einer vermuteten Blutung unter diesen Medikamenten kann ein strukturiertes diagnostisches Vorgehen je nach methodischer Verfügbarkeit hilfreich sein. Obwohl deren Zuverlässigkeit begrenzt ist, können der Quick-Wert und die aPTT erste Hinweise auf eine mögliche Überdosierung liefern. Ein pathologischer Quick-Wert könnte auf eine Dabigatran-Überdosierung hinweisen, während eine aPTT-Verlängerung auf eine Überdosierung der direkten Faktor-Xa-Hemmer hindeuten könnte (Burnett et al. 2016). Eine Überdosierung der DOAC lässt sich mit der Bestimmung des Medikamentenspiegels bestätigen.
Thrombozytenfunktionshemmer
Gastrointestinale Blutungen sind die häufigsten mit dieser Medikamentengruppe assoziierten Blutungen. Es gibt auf dem Markt mehrere Plättchenfunktionstests. Diese erlauben allerdings keine Graduierung der Plättchenhemmung, sondern weisen lediglich die Medikamenteneinnahme nach. Daher hat eine Labordiagnostik der Thrombozytenfunktion im Falle einer Blutung keinen Sinn.
Parenterale Antikoagulantien
Das unfraktionierte Heparin in therapeutischer Dosierung wird in aller Regel im stationären Bereich kontinuierlich intravenös eingesetzt. Eine Blutung infolge dieser Therapie kommt meist durch eine übersteuerte aPTT zustande. Bei einer aPTT-Verlängerung aus anderen Gründen, z. B. einem Antiphospholipid-Syndrom oder einem hereditären Faktor-XII-Mangel, sollte die Anti-Faktor-Xa-Aktivität anstelle der aPTT zur Therapiesteuerung herangezogen werden.
Eine Blutung durch niedermolekulare Heparine in therapeutischer Dosis ist in der Regel eine Folge der Kumulation aufgrund einer deutlich eingeschränkten Nierenfunktion. Zur Gerinnungsdiagnostik steht die Bestimmung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität breit zur Verfügung.
Der Einsatz der direkten parenteralen Antikoagulantien kommt in aller Regel im Rahmen der Therapie einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie (Argartroban) bzw. in der Kardiologie (Bivalirudin) vor. Diese Medikamente zeichnen sich zwar durch ihre kurze Halbwertszeit aus, es kann allerdings durch Leberdysfunktion (Argatroban) bzw. Nierendysfunktion (Bivalirudin) zur Kumulation und folglich zu erhöhtem Blutungsrisiko kommen. Obwohl die aPTT häufig zur Therapieüberwachung bei beiden Medikamenten angewandt wird, kann bei Blutungen oder einem erhöhten Blutungsrisiko die Kontrolle mit besseren Labormethoden, z. B. dilute thrombin time oder ecarin clotting time, erforderlich werden.
Literatur
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