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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 19.07.2023

Lymphödem

Verfasst von: Vivien Schacht
Primäre Lymphödeme beruhen auf genetischen Mutationen, die eine Insuffizienz der Transportkapazität der Lymphgefäße verursachen. Hingegen entstehen sekundäre Lymphödeme durch Malignomerkrankungen, deren operativen und radiologischen Therapien, Traumata oder Infektionen. Bei der Entstehung eines Lymphödems nimmt die interstitielle Flüssigkeit und der Gehalt an Entzündungszellen zu, sodass es zu chronischen Entzündungen, verminderter Immunabwehr und Wundheilungsstörungen kommt. Unkontrollierte Entzündungsprozesse führen zu verstärkter Fibrose und Fettgewebsansammlungen. Diese Veränderungen sind ohne adäquate Therapie permanent und progressiv. Lymphödeme sind an sich nicht lebensbedrohlich, aber die damit einhergehenden Komplikationen beeinträchtigen das Leben der Betroffenen erheblich.
Heilbar sind Lymphödeme normalerweise nicht. Mit Hilfe konservativer und ggf. operativer Therapien ist es in der Regel möglich, das Lymphödem komplett oder zumindest partiell zurückzubilden und eine stetige Progression aufzuhalten. Um eine so erzielte Rückbildung des Lymphödems dauerhaft zu halten, bedarf es zumeist einer langfristigen regelmäßigen Therapie in individuell angepassten zeitlichen Abständen.

Einführung

Das Lymphödem als chronisch entzündliche Erkrankung des Interstitiums entsteht durch Störungen im Aufbau und/oder der Funktion von Lymphgefäßen, was zu einem mangelnden Abtransport lymphpflichtiger Lasten in Lösung oder auf zellulärer Ebene führt. Die Schädigung des Lymphdrainagesystems kann angeboren (primäres Lymphödem) oder erworben (sekundäres Lymphödem) sein.
Bei jedem erstmalig in Erscheinung tretenden Lymphödem sollte die Möglichkeit eines zugrunde liegenden Malignoms (sog. malignes Lymphödem) in Betracht gezogen werden.

Grundlagen des primären Lymphödems

Ursache für die zugrunde liegenden Störungen sind entweder genetisch bedingte Fehlentwicklungen (primäre Lymphödeme), die über die Keimbahn vererbt, oder, durch sporadisch auftretende Genmutationen bedingt, sich in unterschiedlichen Altersstufen von kongenital (präsent direkt bei Geburt bis innerhalb des ersten Lebensjahres) bis ins junge Erwachsenenalter („late onset“) manifestieren können (Brouillard et al. 2014). Dabei wird zwischen isoliert auftretenden Lymphödemen, wie z. B. das Nonne-Milroy-Lymphödem (Vignes et al. 2021), und den Lymphödemen unterschieden, welche im Rahmen komplexer syndromaler Erkrankungen auftreten, wie z. B. das Lymphödem-Distichiasis-Syndrom (siehe Tab. 1). Es wird angenommen, dass 1:100.000 Kindern an einem primären Lymphödem erkranken (Kaczmarek et al. 2020), wobei eine hohe Dunkelziffer vermutet wird.
Tab. 1
Auswahl primärer Lymphödeme und deren genetische Ursachen
Erkrankung (OMIM)
Gen (Protein)
Manifestation
Erbgang
Hauptsymptome
Primäres kongenitales Lymphödem, Nonne-Milroy (#153100)
FLT4 (VEGFR-3)
Kongenital
AD, AR, de novo
Lymphödem untere Extremitäten, chylöser Aszites
Milroy-ähnlich (#615907)
VEGFC (VEGF-C)
Kongenital/frühe Kindheit
AD
Lymphödem untere Extremitäten
Hennekam – Syndrom (#235510)
CCBE1 (CCBE1), FAT4 (FAT4)
Kongenital
AR
Lymphödeme der Extremitäten, Lymphangiektasien des Darms, geistige Retardierung, Gesichtsanomalien
Lymphödem-Distichiasis-Syndrom (#153400)
FOXC2 (FOXC2)
AD, de novo
Lymphödem untere Extremitäten, Distichiasis, evt. Ptose, Varikosis
Hereditäres Lymphödem II (Meige-Lymphödem) (#153200)
GJC2 (CX47)
Späte Kindheit, Pubertät
AD
Lymphödem untere Extremitäten
ODD – Syndrom (Okulodentodigitale Dysplasie/Lymphödem) (#164200; #257850)
GJA1 (Connexin 43)
Kongenital
AD
Gesichtsanomalien, Syndaktylie meist 4/5, Lymphödem, geistige Retardierung
Lymphödem-Choanalatresie-Syndrom (#613611)
PTPN14 (PTPN14)
Frühe Kindheit
AR
Lymphödem der Unterschenkel, Blockade des Nasenganges
Hypotrichoe-Lymphödem-Teleangiektasie-Syndrom (#607823)
SOX18 (SOX18)
Hypotrichose kongenital; Lymphödem Ende der Pubertät
AD, AR, de novo
Alopezie, ektatische Blutgefäße, Lymphödem
Lymphödem-Lymphangiektasie
HGF (HGF), MET (MET)
Unbekannt
AD (?)
Lymphödem
Mikrocephalie-Chorioretinopathie-Lymphödem-Mentale Retardierung (#152950)
KIF11 (Eg5)
Kongenital
AD, de novo
Okuläre und zentralnervöse Entwicklungsstörungen, Gesichtsanomalien, Lymphödem meist des Fußrückens
Noonan-Syndrom (NS1, NS8, NSLH, NSLL)
PTPN11, RIT1, BRAF, KRAS, SOS1, RAF1, NRAS, SHOC2, CBL
Kongenital
AD
Lymphödem, kardiovaskuläre Erkrankungen, Gesichtsanomalien, Kleinwuchs
Emberger-Syndrom (#614038)
GATA2 (GATA2)
Kindheit bis Pubertät
AD
Lymphödem untere Extremitäten und Genitale, Myelodysplasie bis myeloische Leukämie, Taubheit
OL-EDA-ID-Syndrom (#300301)
IKBKG (NEMO)
Kongenital, tödlich in früher Kindheit
XR
Anhidrotische ektodermale Dyplasie mit Immunschwäche, Osteoporose, Lymphödem
Parkes-Weber-Syndrom (#608354)
RASA1 (RASA1)
Kongenital
AD
Vaskuläre Missbildungen, Lymphödem untere Extremitäten
Aagenaes-Syndrom (#214900)
Locus in 15q, CCBE1 (CCBE1)
Neonatal, frühe Kindheit
AR
Schwere Cholestase, Lymphödem untere Extremitäten
Fetaler Chylothorax
ITGA9 (Integrin α9)
Pränatal
AR, de novo
Hydrops fetalis, Chylothorax
Costello-Syndrom/chylöser Aszites (#218040)
HRAS (GTPase HRAS)
Kongenital
AD
Spezielle Handhaltung, Gesichtsanomalien, Wachstumsstörungen, Herzerkrankungen, lose Haut
Xp11,4
Kongenital
45,X; 46,X; I (Xq); 45,X, Mosaiktyp
Lymphödem, reduziertes Wachstum, Gonadendysgenesie, Herzerkrankungen
Norman-Roberts-Syndrom (#257320)
RELN (Reelin)
Kongenital
AR
Lymphödem, mentale Retardierung, zentralnervöse Entwicklungsstörungen
Yellow-Nail-Syndrom (#153300)
-
Pubertät oder später
AD
Lymphödem untere Extremitäten, Nagelveränderungen, chronische Atemwegserkrankungen
Auswahl bekannter Erkrankungen, die mit einem genetisch bedingten Lymphödem verbunden sind. OMIM, Online Mendelian Inheritance in Man; AD, autosomal dominant; AR, autosomal rezessiv; XR, X-chromosomal-rezessiv.
Im Rahmen der Diagnostik ist die genaue Bestimmung des vorliegenden Phänotyps wichtig, um ggf. in einem nächsten Schritt den zugrunde liegenden Gendefekt abzuklären. Dazu sollte das Alter des Patienten, zu dem sich das Lymphödem manifestierte, abgefragt werden sowie die genaue Lokalisation. Die Familienanamnese bzgl. Lymphödeme samt Vererbungswege sollten wenn möglich erhoben werden. Zumeist sind die Beine betroffen, seltener die Arme, das Gesicht, der Oberkörper oder die Genitalregion. Eine lymphvaskuläre Dysfunktion im Thorax oder Abdomen wird als systemische bzw. interne, viszerale oder zentrale Beteiligung bezeichnet und kann sich als Pleura- oder Pericard-Erguss, als Aszites bzw. chylösen Reflux aufgrund von Lymphangiektasien des Darmes oder der Lunge erweisen. Letztere können zu einer Protein-verlierenden Enteropathie oder einem chylösen Reflux führen (Gordon et al. 2020).
Für betroffene Patienten mit Kinderwunsch ist eine humangenetische Diagnostik und Beratung wünschenswert. Zwar können derzeit kausale Therapien noch nicht angeboten werden. Diese könnten aber in der Zukunft eine Rolle spielen, da bereits heute verschiedene Faktoren bekannt sind, die Struktur und Funktion der Lymphgefäße steuern. Außerdem kann bei bekanntem Erbgang einer Mutation eine Einschätzung erfolgen, wie hoch das Risiko für leibliche Kinder sein wird, ebenfalls diese Erkrankung zu entwickeln oder die Anlage dazu an eigene Nachkommen weiterzugeben.
Die genetische Diagnostik (z. B. durch Exon-Sequenzierung) wird diejenigen Gene umfassen, bei denen Mutationen eindeutig mit der Entstehung von Lymphödemen in Zusammenhang gebracht werden konnten (zur Übersicht siehe Tab. 1).

Grundlagen des sekundären Lymphödems

Das sekundäre Lymphödem ist die häufigste Form des Lymphödems mit geschätzt über 120 Millionen an betroffenen Patienten weltweit (Jiang et al. 2018). Die wichtigsten Ursachen sekundärer Lymphödeme hierzulande sind Krebserkrankungen und deren Therapien (insb. Lymphknotenentfernungen, z. B. axilläre Lymphadenektomie bei Mamma-Karzinom, pelvine Lymphknotenentfernung im Rahmen von gynäkologischen und urologischen Tumoroperationen). Schätzungen besagen, dass die sekundären Lymphödeme im Rahmen einer Krebserkrankung häufiger sind als die Zahl der gemeldeten Fälle vermuten ließe. Als Grund wird angenommen, dass die lebensbedrohliche Grunderkrankung für die behandelnden Ärzte im Vordergrund steht und das Bewusstsein um die eingeschränkte Lebensqualität als Folge des Lymphödems hingegen weniger präsent ist (Rockson 2018).
Zu den wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung eines sekundären Lymphödems zählen ferner Weichgewebsinfektionen wie das Erysipel und die Lymphangiitis (Weitman et al. 2013). (Kap. „Lymphangiitis und Erysipel“, J. Dissemond). Die häufigsten Ursachen des sekundären Lymphödems global sind demgegenüber Infektionen mit Filarien. Auch nach gefäßchirurgischen Eingriffen kann ein Lymphödem auftreten, in einer systematischen Übersicht wurde eine Häufigkeit von 2,9 % nach femoropoplitealer Bypasschirurgie angegeben (van de Weijer et al. 2015).
Eine ausgeprägte Adipositas ist ein eigenständiger Risikofaktor für ein sekundäres Lymphödem, kann zudem jedes Lymphödem anderer Ursache erheblich aggravieren.
Per definitionem zu den sekundären Lymphödemen zu zählen ist auch das artifizielle Lymphödem (syn. Secétan-Syndrom). Dieses Lymphödem entsteht durch wiederholtes niederschwelliges stumpfes Trauma wie Klopfen oder wiederholtes Abbinden einer Extremität (Birman und Lee 2012).

Pathophysiologie des Lymphödems

Durch die Fehlfunktion der Lymphgefäße kommt es zu einer Ansammlung von interstitieller Flüssigkeit und zellulären Bestandteilen in den betroffenen Geweben (Azhar et al. 2020). Im Rahmen der Ödematisierung nimmt die interstitielle Flüssigkeit zu und deren Zusammensetzung ändert sich. Im Anfangsstadium des Lymphödems wirkt sich die Zunahme und Veränderung der interstitiellen Flüssigkeit auf ortsständige Zellen wie Makrophagen, Mastzellen, Fibrozyten und Präadipozyten aus. Makrophagen produzieren dadurch ein breites Spektrum an Zytokinen und Wachstumsfaktoren, die eine Zunahme der Fettzellen und Fibroblasten bewirken (Ogata et al. 2016; Mortimer and Rockson 2014). Die Fibrose führt zu palpabler Sklerose der Haut (Kataru et al. 2019), die verstärkte Adipogenese führt per se zu einer Behinderung des Lymphabflusses und damit zur Zunahme des Lymphödems (Dayan et al. 2018). Äußerlich sind an der Haut Hyperkeratosen, Papillomatose und flächige Hyperpigmentierungen sichtbar (Abb. 1). Lymphzysten und Fisteln, die eine mögliche Eintrittspforte für Erreger darstellen, können auftreten. Hinzu kommt die erhöhte Infektanfälligkeit durch die vermehrte proteinreiche interstitielle Flüssigkeit sowie die verminderte Immunabwehr. Proinflammatorische Zytokine wie der Bindegewebswachstumsfaktor (CTGF), der transformierende Wachstumsfaktor β (TGF-β) und der Blutplättchenwachstumsfaktor (PDGF) sind im ödematösen Gewebe messbar erhöht (Saito et al. 2013).

Klinisches Erscheinungsbild

Sowohl klinisch als auch pathomorphologisch ist eine scharfe Trennung der Stadien der Lymphödeme nicht möglich (Tab. 2).
Tab. 2
Stadieneinteilung des Lymphödems
Stadium
Klinisches Bild
0
Latenzstadium, klinisch nicht apparent, evt. pathologisches Lymphszintigramm
I
Spontan reversibel, weiche Konsistenz, Hochlagerung reduziert Schwellung
II
Nicht spontan reversibel, sekundäre Gewebsveränderungen, konstante Schwellung auch bei Hochlagerung
III
Deformierende harte Schwellung, typische Hautveränderungen wie Papillomatose
Aus klinischer Sicht sind folgende Stadien einzuordnen:
  • Stadium 0/Latenzstadium/Subklinisches Stadium: Transportkapazität der Lymphgefäße ist vermindert, klinisch kann aber kein Ödem nachgewiesen werden. Nur mit apparativen Methoden wie Lymphszintigrafie oder Fluoreszenzlymphografie ist dieses Stadium des Lymphödems detektierbar.
  • Stadium I: Eine Schwellung der betroffenen Körperteile, die auf einer Vermehrung der interstitiellen Flüssigkeit beruht, ist sichtbar. Palpatorisch zeigt sich das Ödem von weicher Konsistenz, eindellbar, von der Körperlage abhängig, also regredient bei Hochlagerung und von wechselnder Intensität.
  • Stadium II: Die Intensität der Schwellung wird zunehmend unabhängig von der Körperlage, die Hautfalten sind verbreitert (Stemmer-Zeichen positiv) und das Gewebe stellt sich konsistent vermehrt dar (Abb. 1)
  • Stadium III: Gekennzeichnet durch massive Vermehrung des Bindegewebes. In der Haut sind häufig Lymphzysten zu finden (Abb. 1). Rot-livide Verfärbungen ohne Überwärmung treten in Folge einer Stauungsdermatose als Ausdruck von chronischem Ödem mit verstärktem Entzündungsinfiltrat auf. Aufgrund der Vermehrung von Binde- und Fettgewebe manifestieren sich zunehmend schmerzhafte Veränderungen des muskuloskelettalen Systems (Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen e.V. 2017).
Obwohl Lymphödeme die Mortalität allgemein nicht beeinflussen, können chronische Lymphödeme durch die Bildung maligner Tumore wie Angiosarkome im Rahmen des Stewart-Treves-Syndroms, Plattenepithelkarziome oder Melanome verschlechtert werden (Saito et al. 2013). Ein Unterschied im Auftreten von malignen Tumoren in den verschiedenen Formen des chronischen Lymphödems ist bisher nicht eindeutig belegt worden, obwohl der Begriff „Lymphödem-assoziiertes Angiosarkom“ in der Diagnostik von Sarkomen der Haut routinemäßig verwendet wird.

Diagnostik

Zur Diagnose des Lymphödems selbst existieren keine spezifischen Laboruntersuchungen. Die Basis der Diagnostik ist neben der detaillierten Anamneseerhebung mit besonderer Beachtung der Familienanamnese die klinische Untersuchung samt Inspektion (z. B. Kastenzehen), Palpation (Eindrückbarkeit des Ödems, Hauttemperatur), Lymphknotenstatus, Umfangs- und ggf. Volumenmessung der betroffenen Extremität sowie Überprüfung des Stemmer-Zeichens. Dazu wird bei betroffenen Extremitäten eine Hautfalte der oberen Seite der proximalen Phalanx der zweiten oder dritten Zehe bzw. des zweiten oder dritten Fingers angehoben. Dabei wird eine Hautfaltenbreite von bis zu 1 cm als gering ausgeprägt und über 1 cm als moderat ausgeprägt gewertet (Brauer und Brauer 2016). Bei fehlender Abhebbarkeit der Hautfalte wird eine starke Ausprägung des Stemmerschen Zeichens postuliert. Allerdings kann bei negativem Stemmerschen Zeichen ein Lymphödem in Stadium 0 und z. T. auch in Stadium I nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere sekundäre Lymphödeme können Stemmer-negativ sein.
Das Lymphödem ist in der Regel eine klinische Diagnose. Zur Differenzierung multifaktorieller Ödeme oder zur Verifikation eines Lymphödems bei klinisch uneindeutigen Befunden können bildgebende diagnostische Verfahren zum Einsatz kommen. Als bildgebender diagnostischer Goldstandard ist die Funktionslymphszintigrafie anzusehen. Eine alternative funktionelle bildgebende Methode zur Objektivierung einer gestörten Lymphtransportfunktion ist die Fluoreszenzlymphografie mit Indocyanin-Grün.
Morphologische Untersuchungsmethoden sind die Sonografie, die Magnetresonanztomografie und Computertomografie sowie die direkte und indirekte Lymphangiografie. Schnittbildgebende Verfahren spielen eine entscheidende Rolle in der Ursachenabklärung von Lymphödemem mit vermuteter sekundärer Ursache (Malignomdetektion).
Die bioelektrische Impedanzmessung ist derzeit ein experimentelles diagnostisches Verfahren (Chandrappa et al. 2020).
Klinisches Bild und Diagnostik des Lymphödems werden von Wagner und Brauer noch detaillierter ausgeführt (Kap. „Klinisches Bild und Diagnostisches Vorgehen“), die Differenzialdiagnose von Extremitätenschwellungen im Kapitel von Gressenberger und Gary beleuchtet (Kap. „Differentialdiagnose akuter und chronischer Extremitätenschwellungen“).

Therapie

Lymphödeme sind behandelbar, aber nicht heilbar. Zur Therapie des Lymphödems stehen derzeit keine Medikamente zur Verfügung. Mit einer adäquaten Therapie, welche konservative und ggf. zu ergänzende chirurgische Maßnahmen umfasst, kann einer Progression vorgebeugt werden. Beginnt die Therapie im fortgeschrittenen Stadium, so ist das Ziel der Behandlung, das Lymphödem in einen ödemfreien Zustand oder zumindest in ein niedrigeres Lymphödem-Stadium zu überführen. Darüber sollen eine Verbesserung der Lebensqualität und die Teilhabe an gesellschaftlichen und beruflichen Lebensbereichen ermöglicht werden, ferner Komplikationen wie wiederholten Erysipelen vorzubeugen. Insbesondere bei älteren Patienten soll zudem die Pflegebedürftigkeit verhindert werden.

Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE)

Die Standardtherapie der Lymphödeme ist die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE). Diese besteht aus den folgenden aufeinander abgestimmten Komponenten (Kap. „Physikalische Therapie von Ödemen“, Ure C):
  • Hautpflege/-sanierung
  • Manuelle Lymphdrainage, bei Bedarf ergänzt mit additiven manuellen Techniken
  • Kompressionstherapie mit speziellen mehrlagigen, komprimierenden Wechselverbänden und/oder lymphologischer Kompressionsstrumpfversorgung
  • Entstauungsfördernde Sport-/Bewegungstherapie
Die KPE ist eine 2-Phasen-Therapie: Phase 1 bezweckt die Mobilisierung der erhöhten interstitiellen Flüssigkeit mit dem Ziel der Normalisierung der Gewebshomöostase. In dieser Phase der Therapie im Stadium II des Lymphödems werden manuelle Lymphdrainagen hochfrequent (i. d. R. zweimal täglich) angewandt in Kombination mit mehrlagigen Kompressionsbandagen und entstauender Bewegung. In Phase 2 wird der Therapieerfolg konserviert und optimiert. Die Kombination der KPE mit Aufklärung und Schulung sichert die Langzeit-Therapieerfolge.
Manuelle Lymphdrainage allein ohne anschließende Kompressionstherapie – sei es durch Bandagen oder in fortgeschrittenen Therapiesitzungen mit Kompressionsstrümpfen – ist nicht zielführend (Zasadzka et al. 2018).
Zu achten ist auf eine geeignete Hautpflege und Schulung in Selbstbehandlungsmaßnahmen. Unter diesen Maßnahmen konnte für Stadium II des Lymphödems eine Reduktion der lymphostatischen Fibrose bzw. Fibrosklerose sonografisch nachgewiesen werden. Zusätzlich kann regelmäßig eine Reduktion der stauungsbedingten chronischen Entzündung beobachtet werden.
Im Falle rezidivierender Erysipele können ergänzend prophylaktisch Antibiotika eingesetzt werden (Kap. „Lymphangiitis und Erysipel“), wobei im Rahmen einer erfolgreich durchgeführten KPE mit einer Reduktion der Anzahl der Erysipele zu rechnen ist.

Kontraindikationen der KPE

Als absolute Kontraindikationen werden die dekompensierte Herzinsuffizienz, akute tiefe Beinvenenthrombose, periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK Stadium III/IV), offene Wunden und das akute Erysipel gewertet
Bei Vorliegen dieser Erkrankungen sollte keine KPE durchgeführt werden.
Hingegen werden als relative Kontraindikationen für die KPE das maligne Lymphödem, oberflächliche Hautinfektionen, floride Hauterkrankungen wie z. B. bullöse Autoimmundermatosen und die pAVK Stadium I/II benannt. In diesen speziellen Situationen sollte mit dem Patienten und ggf. mit Kollegen aus den entsprechend unterschiedlichen Fachrichtungen Nutzen und Risiken einer KPE ausführlich besprochen und abgewogen werden.

Entstauende Bewegungs- und Atemtherapie

Bewegungstherapie und sportliche Aktivität sind weitere wirksame Komponenten der KPE.
Durch gezielte Bewegung wird die Muskel- und Gelenkpumpe aktiviert: Die Kontraktion der Skelettmuskulatur führt zu einem interstitiellen Druckanstieg und damit zu einer Steigerung der Lymphangiomotorik. Dieser Effekt wird bei gleichzeitiger Komprimierung von außen verstärkt. Intensive Atemtherapie bewirkt eine Erhöhung des venösen Blutflusses und eine Steigerung des Lymphflusses, sodass das Ödem in der betroffenen Körperregion abnimmt.

Hautsanierung

Impetiginisierte Hautverletzungen führen zur Ödemprogredienz. Wunden sind deshalb mit desinfizierenden Externa zu behandeln (z. B. Octenidin, Polyvidon). Gleiches gilt für rupturierte Zysten und Fisteln, welche eine Eintrittspforte für Erreger darstellen. Interdigitale Mazerationen durch Tinea pedis und manum sowie bakterielle Superinfektionen sind entsprechend der Auslöser zu behandeln.

Ernährung

Eine spezielle Diät aus lymphologischer Sicht ist nur in sehr seltenen Formen der Lymphgefäßanomalien mit chylösen Ergüssen oder beim lymphostatischen enteralen Eiweißverlust indiziert. Im Falle von chylösen Refluxsyndromen ist eine Diät mit reduzierten langkettigen Triglyceriden angezeigt, die MCT-Diät (Li et al. 2017).

Ausblick

Die molekularen Mechanismen, die zur Lymphödementstehung und -progression führen, sind nicht vollständig geklärt. Ziel ist es, die Kaskade chronischer Entzündungsprozesse, zunehmende Fibrose und weiterer Ödemprogression zu unterbrechen und die Lymphtransportkapazität zu steigern. Beispielsweise wird bereits in Versuchen mit Hilfe der Gentherapie geklärt, ob die Steigerung einer dieser Faktoren, der Hepatocytic growth factor (HGF), innerhalb der Lymphendothelzellen zu einem erhöhten Lymphfluss und damit zu einer Reduktion von Lymphödemen auch beim Menschen führen kann (Saito et al. 2013). Somit wird die Forschung auf den unterschiedlichen Gebieten der Lymphangiogenese, der chronischen Entzündungsprozesse sowie der Reduktion von Fibrose und Adipogenese in Zukunft für vielversprechende Therapieansätze zur Behandlung des Lymphödems führen.
Literatur
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