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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 31.01.2023

Persistierende A. ischiadica

Verfasst von: Daniel Kretzschmar
Die A. ischiadica ist in der Embryonalentwicklung für die fötale Fußversorgung verantwortlich. In sehr seltenen Fällen persistiert dieses Gefäß und die A. femoralis superficialis bildet sich nicht oder lediglich unvollständig aus. Eine persistierende A. ischiadica, deren Inzidenz auf 0,01–0,06 % geschätzt wird, kann im Verlauf zu diversen Komplikationen wie Ausbildung von Aneurysmata und/oder zur akuten und chronischen Extremitätenischämie führen. Die Behandlung symptomatischer Formen ist abhängig von der vorliegenden Pathophysiologie und der Beeinträchtigung des Patienten. Neben einer konservativen Therapie sind interventionelle und chirurgische Therapieoptionen beschrieben. Wichtig ist, an das mögliche Vorliegen dieser Rarität unter den Gefäßanomalien zu denken.

Einleitung

Bei der Betrachtung von Patienten mit Durchblutungsstörungen gilt es neben den klassischen Formen der arteriosklerotisch bedingten Extremitätenischämie auch an seltenere Ursachen wie Vaskulitiden, popliteales Entrapment, zystische Adventitiadegeneration, parodoxe und Fremdkörperembolie zu denken. Als Rarität ist die persistierende A. ischiadica zu bezeichnen. Weltweit sind bisher ca. 200 Fälle einer persistierenden A. ischiadica publiziert (Deng et al. 2020), wobei die Erstbeschreibung dieser Form der Gefäßanomalie auf das Jahr 1832 zurückgeht (Green 1832).
Eine persistierende A. ischiadica kann zu verschiedenen Komplikationen wie chronischer Extremitätenischämie, aber auch bei Aneurysmabildung mit Thrombembolie zur akuten Ischämie führen. Ebenso kann es zu einer Neuropathie durch die Kompression des Nervus ischiadicus kommen (van Hooft et al. 2009).

Demografie

Die Inzidenz wird auf 0,01–0,06 % geschätzt (Ikezawa et al. 1994). Die umfangreichste Metaanalyse zur persistierenden A. ischiadica analysierte 159 dieser Gefäßanomalien in 122 Patienten, wobei 13 erst postmortal entdeckt wurden (van Hooft et al. 2009). Das mittlere Alter bei Diagnosestellung betrug 57 Jahre mit einer Spannweite von einem 32 Wochen alten Fötus bis zum 84 Jahre alten Patienten. Von den beschriebenen Fällen wurden 56 % bei Frauen und 44 % bei Männern gefunden. In 70 % der Fälle trat die persistierende A. ischiadica, bei Gleichverteilung der Seiten, einseitig auf; in 30 % der Fälle wurde ein bilaterales Vorliegen beschrieben. Anhand der beschriebenen Einteilung nach Bower (Bower et al. 1977) sind 83 % vom kompletten und 17 % der publizierten Fälle vom inkompletten Typ.

Embryologie und anatomischer Verlauf

Als Ast der Umbilikalarterie versorgt die A. ischiadica während der Embryonalentwicklung die untere Extremität mit Blut. Während sich die A. femoralis superficialis (AFS) entwickelt, bildet sich die A. ischiadica nomalerweise um den dritten Schwangerschaftsmonat zurück (Senior 1919, 1920). Bei Störungen der Ausbildung der Femoralarterie persistiert die A. ischiadica. Die Gründe für die fehlende Rückbildung in Kombination mit einer inkompletten Entwicklung bzw. Abwesenheit der Femoralgefäße sind bislang unklar. Eine persistierende A. ischiadica ist gewöhnlich dilatiert und weist einen gewundenen Gefäßverlauf auf (Lin et al. 1999).
Die A. ischiadiaca geht aus der A. iliaca interna ab, deshalb ist diese im Vergleich zur A. iliaca externa großlumiger, da sie für die arterielle Versorgung des Beines das Hauptgefäß darstellt (Papon et al. 1999). Nach dem Abgang verläuft die A. ischiadiaca durch das Formanen ischiadicum majus und ab dort parallel zum Nervus ischiadicus. In einigen Fällen liegt das Gefäß sogar in der Nervenscheide. Nach dem Verlauf um den Musculus gluteus maximus zieht das Gefäß entlang des Musculus adductor magnus und geht lateral dessen Insertionsstelle in der Fossa poplitea in die A. poplitea über (Arey 1954).

Spezielle Pathophysiologie

Pathophysiologisch wird zwischen fünf Formen der persistierenden A. ischiadica unterschieden. Von diesen haben Pillet und Kollegen vier beschrieben (Pillet et al. 1980, 1982); Gauffre et al. haben eine fünfte Form hinzugefügt (Gauffre et al. 1994) (Tab. 1). Eine simplifizierte Einteilung unternehmen Bower und Kollegen (Bower et al. 1977). In Abhängigkeit der Blutversorgung der unteren Extremität wird zwischen einem kompletten Typ, die A. ischiadica ist der Hauptversorger bei gleichzeitig hypoplastischer AFS, und einem inkompletten Typ, bei der die AFS das Hauptgefäß darstellt und die A. ischiadica hypoplastisch angelegt ist, unterschieden.
Tab. 1
Formen der persistierenden A. ischiadica
Type
1
2a
2b
3
4
5a
5b
Persistierende A. ischiadica
komplett
komplett
komplett
inkomplett (proximal persistierend)
inkomplett
(distal persistierend)
Ursprung Arteria sacralis mediana
AFS
normal
inkomplett
nicht vorhanden
normal
normal
entwickelt
nicht vorhanden
Die häufigste Komplikation einer persistierenden A. ischiadica ist in 48 % der Fälle die Entwicklung eines Aneurysmas, häufig zwischen dem Musculus pirifomis und Trochanter major. Über die genauen Gründe für die Aneurysmabildung kann lediglich spekuliert werden. Eine Theorie postuliert eine Gefäßüberdehnung aufgrund der anatomischen Lage, wohingegen andere Hypothesen eine Kompression der Arterie zwischen dem sakrospinalen Band, dem Musculus piriformis und der Hüfte während der Flexion des Hüftgelenks als Mechanismus ansehen (Maldini et al. 2002). Eine dritte These besteht in der reduzierten Konzentration von elastischen Fasern in der Gefäßwand (Sultan et al. 2000) bzw. der Entwicklung einer Atherosklerose (Kubota et al. 2000).
Gefäßstenosen (7 %) und -verschlüsse (9 %) sind deutlich seltener auftretende Komplikationen im Bereich einer persistierenden A. ischiadica. In 9 % waren Gefäßverschlüsse distal der persistierenden A. ischiadica zu verzeichnen.
Es gibt Fälle, in denen die persistierende A. ischiadica kombiniert mit anderen Anomalien aufritt, so zum Beispiel mit der Müllerschen Agenesie (Kurtoglu and Uluutku 2001), arteriovenösen Fisteln (Kurtoglu and Uluutku 2001), einer Hypertrophie des Beines (Wright 1964; Williams et al. 1983), Varizen mit atypischer Verteilung (Youngson et al. 1980; Wright 1964; Williams et al. 1983; Kurtoglu and Uluutku 2001) und einer A. lusoria (Sekiya et al. 1997). Als Ursache dafür werden einzelne genetische Mutationen oder Umweltereignisse in der frühen Gefäßentwicklung postuliert. Für das gemeinsame Auftreten einer persistierenden A. ischiadica und einer Extremitätenhypertrophie könnte ein Defekt des Mesoderms, aus dem sich die Gefäße und das muskuloskeletale System entwickeln, verantwortlich sein (Wright 1964).

Klinische Erscheinung und Diagnostik

In der Metaanalyse von van Hooft und Kollegen waren 20 % der Fälle mit einer persistierenden A. ischiadica asymptomatisch und 80 % wiesen Symptome auf. Bei asymptomatischen Patienten wird die Gefäßanomalie während einer Bildgebung durch Zufall gefunden. Jedoch ist zu vermuten, dass die meisten der asymptomatische Fälle nicht diagnostiziert werden.
Symptomatische Patienten klagen über eine Claudicatio intermittens, radikulären Schmerz, Nekrosen und/oder Druckschmerzen durch Aneurysmabildung. Von diesen Patienten stellten sich 53 % mit subakuten bzw. chronischen und 26 % mit akuten Beschwerden vor, in 21 % der publizierten symptomatischen Fälle wurde der zeitliche Zusammenhang zwischen Auftreten der Symptome und ärztlicher Konsultation nicht explizit erwähnt (van Hooft et al. 2009). Amputationen aufgrund einer prolongierten Ischämie und peripheren Komplikationen waren in 8 % der beschriebenen Fälle notwendig (van Hooft et al. 2009).
In der körperlichen Untersuchung wird das Zeichen nach Cowie als pathognomisch erachtet. Dabei sind die distalen Fußpulse palpabel, während ein Leistenpuls nicht ertastet werden kann. Dies wurde jedoch bei lediglich 5 Fällen beschrieben (Brancaccio et al. 2004).
Die Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (ankle brachial index, ABI) kann erste Hinweise auf eine Durchblutungsstörung geben. Tab. 2 zeigt ein typisches Beispiel einer 45 jährigen Patientin, welche sich mit einer Claudicatio intermittens der rechten Wade präsentierte.
Tab. 2
Beispiel eines ABI einer 45 jährigen Pat. mit Claudicatio der rechten Wade
 
rechts (mmHg/Index)
links (mmHg/Index)
Ruhe
post Belastung
Ruhe
post Belastung
A. brachialis
150
165
135
 
A. tib. post.
85/0,6
50/0,3
150/1,0
150/0,9
A. dors. ped.
85/0,6
40/0,2
150/1,0
150/0,9
Gehstrecke, Schmerzlokalisation
S1: Schmerzbeginn, S2: Belastungsabbruch
(Laufband, 12 % Steigung; 3,2 km/h Geschwindigkeit)
S1: 75 m rechte Wade, 95 m rechte Wade stärker und Gesäß rechts
S2: 181 m bei Schmerzen der rechten Wade
In der Literatur werden mehrere Verfahren der Bildgebung zur Diagnostik einer persistierenden A. ischiadica beschrieben, wobei neben der Angiografie (DSA, CTA, MRA) der Gefäßultraschall am häufigsten Verwendung fand (van Hooft et al. 2009). Der Vorteil der Schnittbilddiagnostik ist neben der Darstellung der Gefäßanomalie auch die gewonnene Information zu deren Relation zu den benachbarten Strukturen (wie zum Beispiel dem Nervus ischiadicus), was für eine ggf. notwendige (chirurgische) Therapie unerläßlich ist. Abb. 1 zeigt die initiale DSA der oben erwähnten Patientin.

Behandlung

Die Behandlungsoptionen hängen von den beklagten Symptomen, der klinischen Beeinträchtigung und der zugrundeliegenden Pathologie ab. Obwohl Studien- oder Registerdaten fehlen, besteht Konsens darüber, dass asymptomatische Patienten über potenzielle Komplikationen wie Aneurysmabildung mit Gefahr der Ruptur und peripheren Ischämie aufgeklärt und in regelmäßigen Abständen gefäßmedizinisch evaluiert werden sollten (van Hooft et al. 2009).
An chirurgischen Verfahren stehen die Ligatur, die Anlage eines Bypasses sowie die Embolektomie zur Verfügung (van Hooft et al. 2009). Im Falle einer inkompletten persistierenden A. ischiadica mit ausreichender cruraler Perfusion über die AFS kann die Gefäßanomalie ligiert werden (Thomas et al. 1987; Mandell et al. 1985).
Im Rahmen einer Exzision eines Aneurysmas ist besonders eine Verletzung des Nervus ischiadicus zu vermeiden.
Interventionell wurden bisher Coiling, Angioplastien, Stentimplantationen und kathetergestützte Lyseverfahren (van Hooft et al. 2009; Kretzschmar et al. 2022) beschrieben. Abb. 2 zeigt eine MRA der Beispielpatientin fünf Tage nach interventioneller Rekanalisation eines thrombotischen Verschlusses der persistierenden A. ischiadica.

Langzeitverlauf

Die Metaanalyse von van Hooft arbeitete heraus, dass in den analysierten Fallberichten selbst der kurze Zeitraum von 6–12 Monaten nur unvollständig berichtet wurde. Ein Fallbericht hat nach einer endovaskulären Versorgung einen Zweijahresverlauf ohne Komplikationen beschrieben (Kretzschmar et al. 2022). In Tab. 3 ist der ABI der Beispielpatientin 27 Monate nach Intervention dargestellt, Abb. 3 zeigt die duplexsonografische Kontrolle der gestenteten persisitierenden A. ischiadica.
Tab. 3
ABI der Patientin 27 Monate nach Intervention
 
rechts (mmHg/Index)
links (mmHg/Index)
Ruhe
post Belastung
Ruhe
post Belastung
A. brachialis
140
 
130
 
A. tib. post.
145/1,0
150/0,9
160/1,1
150/0,9
A. dors. ped.
155/1,1
160/0,9
155/1,1
145/0,9
Gehstrecke, Schmerzlokalisation
S1: Schmerzbeginn, S2: Belastungsabbruch
(Laufband, 12 % Steigung; 3,2 km/h Geschwindigkeit)
S1:
S2: > 300 m

Zusammenfassung

Im klinischen Alltag ist es wichtig an diese seltene Form der Gefäßanomalie zu denken, insbesondere wenn sich junge bzw. Patienten ohne die klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren mit einer Claudicatio intermittens bzw. kritischen Extremitätenischämie vorstellen.
Die Behandlung der persistierenden A. ischiadica ist abhängig von der Klinik der Patienten sowie der pathophysiologischen Erscheinungsform und den anatomischen Bedingungen.
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