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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 26.10.2024

Postaktinische Gefäßpathologien

Verfasst von: Christoph Thalhammer
Es ist lange bekannt, dass radioaktive Strahlung zu arteriellen Gefäßverschlüssen führen kann. Im folgenden Buchkapitel werden durch Radiotherapie bedingte Komplikationen im Bereich von Armarterien, Karotiden und abdominellen Arterien dargestellt.

Einleitung

Es ist lange bekannt, dass radioaktive Strahlung zu arteriellen Gefäßverschlüssen führen kann, z. B. in der Aorta nach Radiotherapie (RT) von Lymphomen oder an den Koronararterien nach Bestrahlung von linksseitigem Brustkrebs. Die Pathophysiologie der strahleninduzierten Arteriosklerose ist im Gegensatz zur „klassischen“ Arteriosklerose nicht vollständig geklärt, sie zeigt jedoch klinische und sonomorphologische Unterschiede. Im Folgenden werden die vaskulären Komplikationen im Bereich von Armarterien, Karotiden und abdominellen Arterien nach RT im Detail beschrieben.

Histologie

Zur Pathophysiologie der strahleninduzierten Arteriosklerose gibt es verschiedene Annahmen, die die Schädigung von mittleren und großen Gefäßen erklären sollen (Gujral et al. 2014):
  • Der frühe Strahlenschaden ist charakterisiert durch eine Schädigung der Endothelzellen, gefolgt von Nekrose und Fibrose der Media und Adventitia.
  • Die ischämische Nekrose durch Okklusion der Vasa vasorum führt zu einem Verlust von elastischem Gewebe und Muskelfasern, was dann durch fibrotisches Gewebe ersetzt wird.
  • Die Fibrose der Adventitia führt zu einer extrinsischen Kompression und mittelbar zu einer akzelerierten Atherosklerose.
Fokkema et al. verglichen histologische Untersuchungen von Plaques aus Proben nach Endarterektomien von Karotiden von 17 konsekutiven Patienten nach zervikaler RT mit 95 Kontrollpatienten (Fokkema et al. 2012). Eine Infiltration von Makrophagen in den RT-Plaques war weniger häufig (31,6 % vs. 63,8 %, p = 0,0009) in den Kontrollen. Dafür waren fibrosierte Plaques häufiger und der Lipidkern war kleiner in den RT-Plaques. Die Autoren fassten zusammen, dass Läsionen in Karotisstenosen nach RT weniger entzündlich, lipidärmer und verstärkt fibrosiert sind. Eine neuere, allerdings aktuell singuläre Studie zeigte dagegen eine höhere Kontrastintensität in Plaques nach RT mittels Kontrast-verstärktem Ultraschall (CEUS) als mögliches Zeichen einer erhöhten Neovaskularisation und damit möglicherweise einer höheren Plaquevulnerabilität (Gujral et al. 2016).

Karotiden

Lokalisation und Art der Läsionen

Nach einer zervikalen RT ist auffällig, dass sich die Lokalisationen der Stenosen oder Verschlüsse von denen der nichtstrahlenbedingten zerebrovaskulären Erkrankung unterscheidet. Eine Analyse verglich die angiografischen Befunde von 96 symptomatischen Patienten nach RT mit TIA oder Schlaganfall mit einer Kontrollgruppe von 115 Patienten ohne RT (Zou et al. 2013). Auffällig hierbei war der höhere Anteil von Pathologien in der A. carotis communis und externa in der Gruppe nach RT im Gegensatz zu einem fast ausschließlichen Befall der A. carotis interna in der Kontrollgruppe (siehe Tab. 1). Weiterhin fanden sich in der RT-Gruppe signifikant (p < 0,001) mehr Ulzerationen (69,8 % vs. 26,1 %) und Dissektionen (19,8 % vs. 2,6 %), sowie häufiger komplette Verschlüsse (30,2 % vs. 8,7 %) und langstreckige Stenosen (88,5 % vs. 49,6 %) (Kap. „Stenosen und Verschlüsse der A. carotis“).
Tab. 1
Angiografische Verteilung der Verschlüsse und Stenosen auf die verschiedenen Abschnitte der hirnversorgenden Arterien bei symptomatischen Patienten mit und ohne zervikale Radiotherapie. (Nach Zou et al. 2013)
Stenosen/Verschlüsse
A. carotis communis
A. carotis externa
A. carotis interna
A. vertebralis
A. subclavia
Nach Radiotherapie
106 (42,6 %)
22 (8,8 %)
84 (34,5 %)
27 (10,9 %)
8 (3,2 %)
Kontrolle
2 (1,2 %)
3 (1,7 %)
145 (83,8 %)
16 (9,2 %)
7 (4,0 %
Eine aktuelle Metaanalyse untersuchte insgesamt 1928 Patienten (837 nach RT, 1091 Kontrollen) aus zwölf Studien aus den Jahren 1998–2015 (Liao et al. 2019). Es bestätigte sich eine starke Assoziation zwischen RT und erhöhter Prävalenz von Karotisstenosen nach nasopharyngealen Karzinomen. In einer Subgruppenanalyse zeigte sich wiederum eine signifikant erhöhte Stenoserate der A. carotis communis („pooled risk ratio“ = 6,62) und externa („pooled risk ratio“ = 9,37). Aufgrund dieser Datenlage wird klar eine sorgfältige Nachbeobachtung mit duplexsonografischem Screening bezüglich einer Karotisstenose gefordert.

Farbduplexsonografische Befunde

In einer prospektiven Kohortenstudie wurden 156 asymptomatische Patienten im Mittel 65 Monate nach RT im Halsbereich nachuntersucht (Valentin et al. 2020). In 23 % der Patienten fand sich ein unauffälliger Befund, 49 % zeigten nichtstenotische Gefäßwandveränderungen und 27 % schwere Veränderungen mit relevanten Stenosen oder Verschlüssen der Karotiden. Die Autoren beschrieben typische morphologische Wandveränderungen, die sich deutlich von der „typischen“ Arteriosklerose unterscheiden (s. nachfolgende Übersicht). Die Läsionen sind sonografisch häufiger echoarm, längerstreckig, diffus und finden sich gehäuft in Abschnitten, die meist weniger von der Arteriosklerose betroffen sind, insbesondere der Arteria carotis communis (Valentin et al. 2020; Thalhammer et al. 2015). Eine weitere Studie untersuchte 71 Patienten mit nasopharyngealen Karzinomen nach RT und verglichen sie mit einer Kontrollgruppe von 142 Patienten mit zerebrovaskulären Symptomen oder Strömungsgeräusch über den Karotiden (Lam et al. 2002). Auch in dieser Untersuchung fanden sich deutlich häufiger Stenosen im Bereich der A. carotis communis, sowie eine diffusere Ausdehnung mit echoarmen und nichtkalzifizierten Plaques der Karotiden (Lam et al. 2002).
Typische sonomorphologische Befunde der Karotiden bei Strahlenschaden (nach Valentin et al. 2020)
  • Verdickung des Intima-Media-Komplexes (53.2 %) (Abb. 1a, b; Videos 1 und 2)
  • Echoarme Plaques (37,8 %) (Abb. 1c, d; Videos 3 und 4]
  • Langstreckige Läsionen (31,4 %) in atypischer Lokalisation (Abb. 1e, f; Videos 5 und 6)

Arterien der oberen Extremität

Arterielle Stenosen und Verschlüsse der Schulter-Arm-Arterien finden sich in erster Linie nach RT bei Mammakarzinom, wobei die Literatur keine Daten über Häufigkeiten im Langzeitverlauf bietet. In einer Literaturübersicht von Fallberichten zwischen 1973 und 2015 analysierte Delanian (Delanian 2021) die Daten von 127 Patienten mit radiogenen Gefäßpathologien der Armarterien (81 % davon nach Mammakarzinom). Bei den allesamt symptomatischen Patienten fanden sich Stenosen oder Verschlüsse in der A. subclavia in 83 Fällen, teils kombiniert mit Obstruktion des Truncus brachiocephalicus (n = 6) oder der A. axillaris (n = 15), dies im Mittel nach 16 Jahren (Delanian 2021). Die Diagnosen wurden in der Regel mittels Schnittbildverfahren oder Angiografien gestellt, die Wertigkeit der Duplexsonografie wurde nicht dargestellt. Häufig sieht man hier stark kalzifizierte Läsionen (Abb. 2, Video 7). In diversen Fallberichten wurden unterschiedlichste Therapieverfahren angewandt: alleinige medikamentöse Behandlung, PTA mit und ohne Stentimplantation sowie offen-chirurgische Revaskularisation (u. a. Bypassoperation) (Yamanaka et al. 2015; Benhammamia et al. 2020). Aus diesen Daten lässt sich keine generelle Empfehlung zu einem optimalen therapeutischen Management ableiten (Kap. „Klinisches Bild und diagnostisches Vorgehen bei PAVK der oberen Extremitäten“).

Abdominelle Arterien

In einer retrospektiven Analyse von 42 Patienten nach radikaler Orchiektomie bei Seminom untersuchten Cella et al. die Aorta abdominalis sowie die mesenterialen und renalen Arterien (Cella et al. 2017) mittels Duplexsonografie. Verglichen wurden 26 Patienten mit zusätzlich durchgeführter abdomineller Radiotherapie mit 16 Patienten als Kontrolle nach einer Beobachtungszeit von knapp 80 Monaten. Bei 31 % der Patienten nach RT zeigte sich eine relevante Stenosierung der mesenterialen oder renalen Arterien, im Vergleich dazu bei keinem Patienten aus der Kontrollgruppe. Weiterhin fand sich in der RT-Gruppe ein signifikant höherer intrarenaler Resistive Index (0,63 vs. 0,60; p = 0,032) als Zeichen eines späten renalen vaskulären Schadens nach RT (Kap. „Arterielle Verschlusskrankheit der Nierenarterien“, Kap. „Mesenteriale arterielle Verschlusskrankheit“).
Tipp
Es wird einhellig empfohlen, zumindest bei Patienten nach zervikaler RT Überwachungsprogramme im Langzeitverlauf durchzuführen. An unserer Klinik wird bei allen Patienten direkt nach Abschluss der RT eine Duplexsonografie der hirnversorgenden Arterien durchgeführt. Hier dokumentieren wir bereits vorbestehende arteriosklerotischen Veränderungen mit einem standardisierten Protokoll. Es folgen jährliche Verlaufskontrollen mit ausführlicher Bilddokumentation. Unter Berücksichtigung des kardiovaskulären Risikos und des Lokalbefundes empfehlen wir eine Statintherapie sowie eine Thrombozytenaggregationshemmung.

Elektronisches Zusatzmaterial

Video 1 B-Mode der A. carotis communis: Wandhypertrophie und flache echoarme Plaque (AVI 1284 kb)
Video 2 Farbduplexsonografie der A. carotis communis: Wandhypertrophie und flache echoarme Plaque (AVI 2075 kb)
Video 3 B-Mode der A. carotis communis: deutliche echoarme, scharf begrenzte Plaque der ventralen Gefäßwand (AVI 2395 kb)
Video 4 Farbduplexsonografie der A. carotis communis: deutliche echoarme, scharf begrenzte Plaque der ventralen Gefäßwand (AVI 1741 kb)
Video 5 B-Mode der A. carotis communis im Längsschnitt mit ventraler und dorsaler Plaque mit höhergradiger Stenose (AVI 1458 kb)
Video 6 Farbduplexsonografie der A. carotis communis im Längsschnitt mit ventraler und dorsaler Plaque mit höhergradiger Stenose (AVI 1246 kb)
Video 7 B-Flow der A. axillaris rechts bei kurzstreckigem Verschluss und Kollateralen (WMV 2039 kb)
Literatur
Benhammamia M, Mazzaccaro D, Mrad MB, Denguir R, Nano G (2020) Endovascular and surgical management of subclavian artery occlusive disease: early and long-term outcomes. Ann Vasc Surg 66:462–469CrossRefPubMed
Cella L, Liuzzi R, Romanelli P, Conson M, D’Avino V, Ottaviano M, Damiano V, Palmieri G, Pacelli R, Machcini M (2017) Predictors of asymptomatic radiation-induced abdominal atherosclerosis. Clin Oncol 29:186–194CrossRef
Delanian S (2021) Is radiation-induced arteriopathy in long-term breast cancer survivors an underdiagnosed situation? Critical and pragmatic review of available literature. Radiother Oncol 157:163–174CrossRefPubMed
Fokkema M, den Hartog AG, van Lammeren GW, Bots ML, Pasterkamp G, Vink A, Moll FL, de Borst GJ (2012) Radiation induced carotic stenotic lesions have more stable phenotype than de novo atherosclerotic plaques. Eur J Vasc Endovasc Surg 43:643–648CrossRefPubMed
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Gujral DM, Cheung WK, Shah BN, Chahal NS, Bhattacharyya S, Hooper J, Senior R, Tang MX, Harrington KJ, Nutting CM (2016) Contrast enhancement of carotid adventitial vasa vasorum as a biomarker of radiation-induced atherosclerosis. Radiother Oncol 120:63–68CrossRefPubMed
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Valentin M-L, Barco S, Studer G, Clemens R, Kreuzpointner R, Sebastian T, Thalhammer C, Kucher N (2020) Prevalence of carotid plaque stenosis after head and neck radiotherapy – an observational study of 156 survivors. Vasa 49:467–473CrossRefPubMed
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Zou WXY, Leung TW, Yu SCH, Wong EHC, Leung SF, Soo YOY, Ip VHL, Chan AYY, Lam WWM, Siu DYW, Abrigo J, Lee KT, Liebeskind DS, Wong KS (2013) Angiographic features, collaterals, and infarct topography of symptomatic occlusive radiation vasculopathy – a case-referent study. Stroke 44:401–406CrossRefPubMedPubMedCentral