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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 03.12.2022

Prinzipien der nicht-medikamentösen Thromboembolieprophylaxe

Verfasst von: Sylvia Haas und Birgit Linnemann
Zur nicht-medikamentösen Thromboembolieprophylaxe kommen allgemeine Basismaßnahmen und physikalische Methoden zum Einsatz. Die Basismaßnahmen zählen zu den Grundprinzipien der Prophylaxe, sie erfordern keine Hilfsmittel und sollten bei allen Patienten angewendet werden. Physikalische Maßnahmen erfordern Hilfsmittel und einen Nachweis des Nutzens unter kontrollierten Studienbedingungen. Zu den physikalischen Methoden gehören medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe und die intermittierende pneumatische Kompression. Wegen uneinheitlicher Studienlage werden medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe in der letzten Version der AWMF Leitlinie nicht mehr als alleinige Prophylaxemaßnahme empfohlen, sondern nur noch in Kombination mit medikamentösen Maßnahmen erwähnt. Mit einer sogenannten Kann-Empfehlung ist die Entscheidung für oder gegen den Einsatz dem Anwender freigestellt. Einen höheren Empfehlungsgrad hat die intermittierende pneumatische Kompression, welche die Arbeit der Wadenmuskelpumpe beim immobilen Patienten ersetzt.

Basismaßnahmen

Basismaßnahmen dienen der Verbesserung des Kreislaufs und wirken sich positiv auf den Bewegungsapparat und die Atmung aus. Sie zählen zu den Grundprinzipien der Prophylaxe venöser Thromboembolien, obwohl es für ihren alleinigen Einsatz keine evidenzbasierte Studienlage gibt (Lau et al. 2020). Allerdings konnten einige Studien zeigen, dass eine Kombination von Mobilisierung und medikamentöser VTE-Prophylaxe mit geringeren VTE-Raten einhergeht als eine alleinige medikamentöse Prophylaxe (Amin et al. 2010). In der AWMF Leitlinie wurde daher eine konsensbasierte Empfehlung für die Anwendung von Basismaßnahmen zur VTE-Prophylaxe ausgesprochen, nachdem Jahrzehnte lange klinische Erfahrung die Sinnhaftigkeit und den Nutzen dieser Maßnahmen gezeigt hat. Dies gilt insbesondere für Patienten mit niedrigem VTE-Risiko, die nicht für eine medikamentöse VTE-Prophylaxe in Frage kommen (S3 AWMF Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie)
Allgemeine Basismaßnahmen sind Frühmobilisisation, Bewegungsübungen, Anleitung zu Eigenübungen. Diese sollten regelmäßig bei allen Patienten zur Anwendung kommen.
Im Prinzip hat auch eine adäquate Hydrierung des Patienten den Stellenwert einer für alle Patienten anzuwendenden allgemeinen Basismaßnahme.

Physikalische Maßnahmen

Physikalische Maßnahmen haben zum Ziel, der Entstehung von Thrombosen durch Erhöhung des venösen Blutflusses entgegenzuwirken, wobei dies durch flussdynamische Untersuchungen nachgewiesen sein sollte. Im Unterschied zu den allgemeinen Basismaßnahme erfordern die physikalischen Methoden entsprechende Hilfsmittel, deren Nutzen unter kontrollierten Studienbedingungen nachgewiesen sein muss, wobei die Qualität der Studien wegen der fehlenden Möglichkeit einer Verblindung der Behandlungsgruppen naturgemäß geringer ist als bei Arzneimittelstudien. Zu den physikalischen Maßnahmen der Thromboseprophylxe gehören vor allem medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS) und die intermittierende pneumatische Kompression (IPK). Frühere Maßnahmen, wie z. B. Bettfahrrad und andere Gerätschaften haben heute keinen Stellenwert mehr.
Medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe
Seit der ersten Auflage der S3-Leitlinie im Jahr 2009 haben weitere Publikationen zum Einsatz physikalischer Maßnahmen zur venösen Thromboembolieprophylaxe den Stellenwert von MTPS relativiert.
Die sogenannten CLOTS-Studien zum Nachweis der Wirksamkeit verschiedener physikalischer Methoden zur Thromboembolieprophylaxe wurden alle bei Patienten mit Schlaganfall und Immobilisation durchgeführt (CLOTS Trials Collaboration et al. 2013; CLOTS (Clots in Legs Or sTockings after Stroke) Trials Collaboration et al. 2013). In den CLOTS 1 und -2 Studien erbrachte der Einsatz von MTPS im Vergleich zur Gruppe ohne MTPS Behandlung keine signifikante Absenkung der Rate venöser Thromboembolien und auch der Vergleich von Waden- und oberschenkellangen Strümpfen keinen Vorteil der einen oder anderen Strumpflänge (CLOTS Trials Collaboration et al. 2013).
In der letzten Version der S3-Leitlinie werden MTPS daher nicht mehr als alleinige Prophylaxemaßnahme empfohlen, sondern nur noch in Kombination mit medikamentösen Maßnahmen erwähnt. Vor dem Hintergrund der allerdings zweifelhaften Evidenz für diese Kombination (Eppsteiner et al. 2010) werden MTPS für beinahe alle Indikationsgebiete lediglich als ergänzende und fakultative Maßnahme empfohlen (S3 AWMF Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie).
Der Verzicht auf die regelmäßige Anwendung von MTPS wird auch auch durch die Ergebnisse einer prospektiven Beobachtungsstudie (XAMOS) unterstützt. Diese nicht interventionelle Phase 4 Studie umfasste 17.413 Patienten mit großen orthopädischen Eingriffen und routinemäßiger Verabreichung einer pharmakologischen Prophylaxe. Den Ärzten war freigestellt, zusätzlich physikalische Maßnahmen einzusetzen. Die Rate symptomatischer Thromboembolien war mit und ohne zusätzliche Anwendung physikalischer Maßnahmen (überwiegend MTPS) gleich, d. h. es konnte kein Zusatznutzen einer physikalischen Prophylaxe gezeigt werden. (Haas et al. 2016).
Internationale Leitlinien zur perioperativen Thromboembolieprophylaxe raten daher ebenfalls bei Patienten mit mittlerem und hohem Risiko von der routinemäßigen Anwendung von MTPS ohne zusätzliche pharmakologische Thromboseprophylaxe ab (Afshari et al. 2018).
Intermittierende pneumatische Kompression
Die IPK ersetzt die Arbeit der Wadenmuskelpumpe beim immobilen Patienten. Zur VTE-Prophylaxe werden Ein- oder Mehrkammergeräte verwendet. Nach Anlegen der Fuß- oder Beinmanschetten werden die Luftkammern mit einem Druck um 45 mmHg in definierten Zeitabständen automatisch aufgeblasen und wieder entleert.
Die Datenlage ist für IPK deutlich besser als für MTPS, wie eine Metaanalyse zeigt (Ho und Tan 2013). Die Ergebnisse dieser Metaanalyse werden bestätigt durch die darin nicht enthaltene, aktuellere CLOTS-3-Studie, in der IPK gegenüber keiner IPK bei über 2800 Patienten mit immobilisierendem Schlaganfall getestet wurde (CLOTS (Clots in Legs Or sTockings after Stroke) Trials Collaboration et al. 2013). Die IPK ist eine wirksame Methode zur Prophylaxe tiefer Venenthrombosen (TVT), hat aber in Deutschland eine weit geringere Verbreitung als z. B. in den USA. Die nach Datenlage zu rechtfertigende Bevorzugung der IPK gegenüber MTPS hat in der AWMF-Leitlinie trotzdem keinen Niederschlag gefunden, da sie nicht in die Versorgungsrealität zu übersetzen wäre. Trotzdem erscheint es sinnvoll, dass Krankenhäuser mit intensivmedizinischer Versorgung die Möglichkeit des Einsatzes von IPK haben, um das Verfahren bei Patienten mit hohem VTE-Risiko und Kontraindikation gegen eine medikamentöse Prophylaxe einsetzen zu können.
Unstrittig bleibt die Empfehlung zu Gunsten von physikalischen Maßnahmen, wenn bei mittlerem oder hohem VTE-Risiko eine eindeutige Kontraindikation gegen eine medikamentöse Prophylaxe besteht, insbesondere bei hohem Blutungsrisiko (S3 AWMF Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie).
Bei Kontraindikationen gegen eine medikamentöse VTE-Prophylaxe sollen physikalische Maßnahmen zur Anwendung kommen.
Bei Vorliegen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, offenen Wunden, Traumen und Neuropathien sollten physikalische Maßnahmen nur unter Vorsicht und engmaschigen klinischen Verlaufskontrollen zur Anwendung kommen. Als absolute Kontraindikationen gegen die IPK gelten eine dekompensierte (Rechts-)Herzinsuffizienz, ausgedehnte Entzündungsreaktionen (z. B. Phlegmone, Erysipel) und eine schwere, nicht eingestellte Hypertonie (S3 AWMF Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie; S1 AWMF Leitlinie Intermittierende pneumatische Kompression).
Literatur
Afshari A, Fenger-Eriksen C, Monreal M, Verhamme P (2018) European guidelines on perioperative venous thromboembolism prophylaxis. Eur J Anaesthesiol 35:112–115CrossRefPubMed
Amin AN et al (2010) Does ambulation modify venous thromboembolism in acutely ill medical patients? Thromb Haemost 104:955–961CrossRefPubMed
AWMF S3 Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie. https://​www.​awmf.​org/​leitlinien/​detail/​ll/​003-001.​html
CLOTS (Clots in Legs Or sTockings after Stroke) Trials Collaboration, Dennis M, Sandercock P, Reid J et al (2013a) Effectiveness of intermittent pneumatic compression in reduction of risk of deep vein thrombosis in patients who have had a stroke (CLOTS 3): a multicentre randomised controlled trial. Lancet 382:516–524CrossRef
CLOTS Trials Collaboration, Dennis M, Sandercock P, Reid J et al (2013a) The effect of graduated compression stockings on long-term outcomes after stroke: the CLOTS trials 1 and 2. Stroke 44:1075–1079CrossRef
Eppsteiner RW, Shin JJ, Johnson J et al (2010) Mechanical compression versus subcutaneous heparin therapy in postoperative and posttrauma patients: systematic review and meta-analysis. World Journal of Surgery 34(1):10–19CrossRefPubMed
Haas S, Holberg G, Kreutz R et al (2016) The effects of timing of prophylaxis, type of anesthesia, and use of mechanical methods on outcome in major orthopaedic surgery – subgroup analyses from 17,701 patients in the XAMOS study. Vasc Health Risk Manag. 12:209–218CrossRefPubMedPubMedCentral
Ho KM, Tan JA (2013) Stratified meta-analysis of intermittent pneumatic compression of the lower limbs to prevent venous thromboembolism in hospitalized patients. Circulation 128(9):1003–1020CrossRefPubMed
Lau BD et al (2020) Effectiveness of ambulation to prevent venous thromboembolism in patients admitted to hospital: a systematic review. CMAJ Open 8:E832–E843
S1 AWMF Leitlinie Intermittierende pneumatische Kompression. https://​awmf.​org/​leitlinien/​detail/​II/​037-007.​html. Zugegriffen am 18.11.2022
S3 AWMF Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie. https://​www.​awmf.​org/​leitlinien/​detail/​ll/​003-001.​html