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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 18.10.2024

Prinzipien der Wundbehandlung des chronischen Ulcus cruris

Verfasst von: Joachim Dissemond
Als Wegbereiter der modernen Wundtherapie gilt George D. Winter, der bereits 1962 zeigen konnte, dass Wunden durch ein feuchtes Wundmilieu beschleunigt abheilen (Winter 1962). Es wurde mittlerweile wissenschaftlich gut belegt, dass eine feuchte Wundbehandlung die Heilung chronischer Wunden fördert und dabei hilft, Komplikationen zu vermeiden (Heyer et al. 2016). Somit stellt die individuelle, an den Phasen der Wundheilung orientierte, feuchte Wundbehandlung derzeit den Goldstandard für die Wundbehandlung der meisten Betroffenen mit einem chronischen Ulcus cruris dar.

Einleitung

Als Wegbereiter der modernen Wundtherapie gilt George D. Winter, der bereits 1962 zeigen konnte, dass Wunden durch ein feuchtes Wundmilieu beschleunigt abheilen (Winter 1962). Es wurde mittlerweile wissenschaftlich gut belegt, dass eine feuchte Wundbehandlung die Heilung chronischer Wunden fördert und dabei hilft, Komplikationen zu vermeiden (Heyer et al. 2016). Somit stellt die individuelle, an den Phasen der Wundheilung orientierte, feuchte Wundbehandlung derzeit den Goldstandard für die Wundbehandlung der meisten Betroffenen mit einem chronischen Ulcus cruris dar.

Wundreinigung durch Wundspülung und Débridement

In dem ersten Schritt der Wundbehandlung erfolgt meist eine Reinigung der Wunde. Hierfür sollten Wundspülung und/oder Débridement genutzt werden.
Für die Wundspülung werden sterile Lösungen eingesetzt. Diese können entweder konserviert oder nicht konserviert sein. Die nicht konservierten Wundspüllösungen Ringer-Lösung und physiologische Kochsalzlösung sind für den einmaligen Gebrauch bestimmt. Alternativ sind auch konservierte Wundspüllösungen beispielsweise mit Polihexanid, Octenidin oder Natriumhypochlorit erhältlich, die nach Anbruch 6–10 Wochen verwendet werden können (Kramer et al. 2019). Entsprechend der aktuellen Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene- und Infektionsbekämpfung (KRINKO) darf Leitungswasser in Deutschland für die Wundspülung nur dann eingesetzt werden, wenn es mit einem endständigen Sterilfilter mit 0,2 μm Porengröße filtriert wird (Schwarzkopf et al. 2012).
Als Débridement wird in der Wundbehandlung die Entfernung von anhaftendem, abgestorbenem Gewebe, Krusten oder Fremdkörpern bezeichnet. Es sollen dadurch Gerüche, Exsudat und Infektionsgefahr vermindert und die Wundheilung gefördert werden (Dissemond et al. 2022).
Das autolytische Débridement nutzt durch die Zuführung von Feuchtigkeit körpereigene Reinigungsprozesse. Hierfür werden beispielsweise Hydrogele, Gelkompressen, Alginate, Hydrofasern oder Hydrokolloide eingesetzt. Diese Methoden sind schonend, schmerzarm und einfach, benötigen aber im Vergleich zu anderen Methoden deutlich mehr Zeit.
Bei einem osmotischen Débridement werden hyperosmolare Produkte beispielsweise mit Zucker, Dextranomeren oder Honig eingesetzt. Wundbeläge werden schonend entfernt, aber es können auch Schmerzen durch die Behandlung und bei der Entfernung der Produkte aus den Wunden auftreten.
Das proteolytische oder enzymatische Débridement nutzt beispielsweise verschreibungspflichtige Arzneimittel mit Clostridiopeptidase, Streptokinase oder Streptodornase in Form von Salben oder Gelen, die meist täglich gewechselt werden sollten, um avitales Gewebe abzubauen. Als Nebenwirkungen sind Schmerzen, Brennen und Hautreizungen möglich.
Als biochirurgisches Débridement bezeichnet man eine Methode, bei der steril gezüchtete Larven der Goldfliegen eingesetzt werden. Diese Larven können als sogenannte Freiläufer auf die Wunden aufgebracht werden. Meist erfolgt aber die Applikation in einem Polyesternetzbeutel („Biobag“). Die Larven entfernen durch extrakorporale Verdauung selektiv avitales Gewebe, Nekrosen und Bakterien.
Bei einem mechanischen Débridement werden mit Pinzetten, Schwämmen, Baumwoll- oder Vlieskompressen, Mikrofaser- oder Monofilamentfaser-Reinigungspads locker haftende Beläge aus den Wunden und ggf. der Wundumgebung entfernt.
Das chirurgische Débridement ist meist die effektivste Methode. Da es hier oft zu Schmerzen kommt, sollte mit den Patienten gemeinsam im Vorfeld eine adäquate Analgesie geplant werden. Das chirurgische Débridement soll avitales Gewebe bis in intakte Gewebestrukturen vollständig abtragen. Demgegenüber wird bei dem sogenannten scharfen Débridement die Intervention bis an den Rand des avitalen Gewebes in Wunden durchgeführt. Für diese Interventionen werden beispielsweise Ringküretten oder Skalpelle und Pinzetten eingesetzt.
Bei den technischen Débridements werden verschiedene Geräte, wie Hydrochirurgie/-Lavage, Shaver, Laser und die ultraschallassistierte Wundreinigung (UAW) eingesetzt. Diese Methoden können meist Schmerzen verursachen, sodass auch hier eine Analgesie im Vorfeld geplant werden sollte (Dissemond et al. 2022).

Materialien für die Wundbehandlung

Für die Umsetzung der aktuell propagierten Behandlungsprinzipien wurde eine große Anzahl von Wundheilungsprodukten entwickelt. Als Orientierungshilfe für deren strukturierten Einsatz wurdebeispielsweise das M.O.I.S.T.-Konzept vorgestellt (Tab. 1). Wundprodukte können so in mehrere Kategorien eingeteilt und in verschiedenen Stadien adäquat eingesetzt werden (Abb. 1).
Tab. 1
M.O.I.S.T.-Konzept für die strukturierte lokale Wundtherapie
M – Moisture balance (Exsudatmanagement): Wunden sollten weder zu feucht noch zu trocken behandelt werden
O – Oxygen balance (Sauerstoffbalance): Insbesondere wenn die Wundheilung stagniert, können Therapieoptionen eingesetzt werden, die eine Hypoxie behandeln und die Sauerstoffbalance wiederherstellen
I – Infection control (Infektionskontrolle): Antimikrobiell wirksame Wundprodukte werden zur Infektionsprophylaxe oder zur Behandlung von Wundinfektionen eingesetzt
S – Support (Unterstützung des Heilungsprozesses): Spezifische Wundtherapeutika, die z. B. durch Modulation der Metalloproteinasen (MMP) oder Wachstumsfaktoren aktiv in den gestörten Wundheilungsprozess eingreifen
T – Tissue management (Gewebemanagement): Alle Methoden der Wundkonditionierung, wie Wundspülung, Débridement, neutrale Wundauflagen oder physikalische Hilfsmittel

Auswahl moderner Wundprodukte

Aktivkohleverbände absorbieren Geruch, wirken bakterizid und nehmen Toxine auf. Sie werden daher insbesondere bei fötide riechenden Wunden und ulzerierten Neoplasien eingesetzt. Die Verbände werden in die Wunde eingelegt und mit Kompressen fixiert. Die Verbände müssen bei wenig exsudativen Wunden angefeuchtet werden. Der Verbandwechsel erfolgt alle 1–3 Tage.
Produkte mit Alginatfasern wandeln sich nach Kontakt mit Wundexsudat unter Quellung in ein feuchtes hydrophiles Gel um. Somit können Bakterien und Detritus in diese Gelstruktur eingeschlossen werden. Alginate können Flüssigkeit bis zu etwa dem 20-fachen ihres Eigengewichtes aufnehmen. An das Wundmilieu wird dabei je nach Produkt Calcium, Zink und Mangan abgegeben. Da Alginate auch hämostyptisch wirken, können sie auch nach chirurgischem Debridement verwendet werden. Je nach Art der Wunde und Menge des Exsudates wird das Alginat trocken oder angefeuchtet aufgebracht. Bei infizierten Wunden erfolgt der Verbandwechsel täglich; ansonsten wird der Verband je nach Exsudatmenge nach 2–5 Tagen erneuert.
Verbände mit Hydrofasern nehmen Exsudat ausschließlich vertikal auf. Somit kommt es im Wundrandbereich nicht zu Mazerationen. Hydrofasern können Sekret bis zu dem 40-fachen des Eigengewichtes innerhalb sehr kurzer Zeit aufnehmen. Nach Absorption von Wundsekret wandeln sich die Fasern rasch in ein formstabiles, transparentes Gel um. Hydrofaserprodukte werden insbesondere bei stark sezernierenden Wunden für die Förderung der Granulation sowie für die Wundreinigung eingesetzt. Der Hydrofaserverband wird hierfür auf die Wunde aufgebracht und darf den Wundrand überlappen. Die Wunde muss zusätzlich mit einem Sekundärverband bedeckt werden. Verbände werden nach 1–3 Tagen gewechselt.
Hydrogele bestehen zu > 90 % aus Wasser und organischen Zusätzen wie Pektin, Stärke oder Gelbildnern. Für die Wundbehandlung gibt es Gele aus Tuben oder auch Hydrogelplatten auf semipermeablen Folien. Hydrogele können sowohl Feuchtigkeit an die Wunde abgeben als auch überschüssiges Wundexsudat aufnehmen. Sie können mit vielen anderen Verbandmaterialien kombiniert werden, um diese oder auch beispielsweise freiliegenden Knochen/Knorpel feucht zu halten. Hydrogele werden bei trockenen Wunden und für ein autolytisches Debridement eingesetzt. Sie werden in einer Schichtdicke von 3–5 mm aufgetragen und beispielsweise mit imprägnierten Wundgazen abgedeckt. Der Verbandwechsel erfolgt für ein Débridement täglich, in der Granulationsphase alle 2–3 Tage.
Hydrokolloidverbände bilden unter Aufnahme von Wundexsudat ein visköses Gel. Selbsthaftende Hydrokolloidverbände können ohne Sekundärverband bei wenig sezernierenden, oberflächlichen Wunden genutzt werden. Der Verband sollte den Wundrand um circa 2–3 cm überlappen, um eine ausreichende Haftung zu gewährleisten. In Abhängigkeit von der Exsudatmenge sollten Hydrokolloidverbände nach 1–5 Tagen gewechselt werden.
Wundgazen sind mit Salbe, Fett, Hydrokolloid oder Silikon beschichtet Fasernetze, die bei oberflächlichen Wunden oder als Sekundärverband eingesetzt werden, um ein Verkleben mit dem Wundgrund zu verhindern. Die Verbandwechsel sollten je nach Wunde und Produkt nach 1–7 Tagen erfolgen.
Verbandstoffe aus Schaumstoff sind beispielsweise mit Silikon beschichtet oder thermisch geglättet. Es gibt zahlreiche Varianten, beispielsweise mit Kleberand oder zusätzlichen Superabsorbern. Die Schaumstoffverbände sollten den Wundrand mindestens 2 cm überlappen und direkten Kontakt zum Wundgrund haben. Je nach Exsudatmenge erfolgt der Verbandwechsel nach 1–7 Tagen.
Es existieren viele weitere Wundprodukte, die nicht eindeutig einer Gruppe zugeordnet werden können. Dies kann an Kombinationen von Materialien, Bezeichnungen der Hersteller oder an dem Einsatz spezieller Materialien wie beispielsweise Kollagen oder Chitosan liegen. Zudem gibt es eine sehr heterogene Gruppe von Wundtherapeutika, die aktiv das Wundmilieu beeinflussen sollen. Dabei geht es beispielsweise um die Reduktion der Matrixmetalloproteinasen (MMP), Zugabe von Wachstumsfaktoren, Sauerstofftransport durch Hämoglobin oder Modifikation des pH-Werts.
Wenn Primärverbände Wundexsudat durchleiten, müssen zusätzlich Sekundärverbände wie beispielsweise Baumwollkompressen, Vlies oder Verbandwatte aufgebracht werden. Von besonderer Bedeutung sind hierbei Superabsorber, die bis zu dem 100-fachen ihres Eigengewichtes an Exsudat aufnehmen und einlagern können. Zunehmend gibt es auch Produkte mit Superabsorbern, die als Primärverband eingesetzt werden können. Je nach Exsudatmenge erfolgt der Wechsel der Sekundärverbände mehrfach täglich oder erst nach einigen Tagen (Dissemond 2021).

Wundinfektionen

Es ist sehr wichtig, Wundinfektionen frühzeitig zu diagnostizieren und adäquat zu behandeln. Allerdings ist der Nachweis von Bakterien in Wunden grundsätzlich physiologisch. Erst wenn es zu einer übermäßigen Vermehrung von Bakterien mit Interaktion mit dem Wundgewebe kommt, droht die Gefahr von Wundinfektionen. Dieser Übergang der verschiedenen Stadien wird auch als Kontinuum der Wundinfektion bezeichnet (Swanson et al. 2022) (Abb. 2).
Klinisch wichtig ist es, eine lokale Wundinfektion anhand der klinischen und ggf. serologischen Infektionszeichen zu diagnostizieren. Unterstützend kann hier auch der TILI-Score eingesetzt werden (Dissemond et al. 2021). Die dabei genannten klinischen Symptome sind einzeln betrachtet wichtig, aber nicht beweisend für eine Wundinfektion. Daher ergibt sich im TILI-Score erst dann eine Indikation für eine antimikrobielle Wundbehandlung, wenn mindestens 5 der 6 unspezifischen Symptome (indirekte Kriterien) vorliegen. Darüber hinaus gibt es aber auch einzelne Aspekte, die eine antimikrobielle Wundtherapie rechtfertigen (direkte Kriterien) (Tab. 2). Es wird empfohlen, die Indikation einer antimikrobiellen Wundtherapie spätestens nach 10–14 Tagen kritisch zu hinterfragen. Danach sollte eine Reevaluation der Therapienotwendigkeit und ggf. ein Wechsel der Behandlungsstrategie erfolgen.
Tab. 2
Therapeutischer Index lokaler Infektionen (TILI-Score). Es ergibt sich eine Indikation für die Einleitung einer antiseptischen Wundtherapie, wenn mindestens 5 der 6 unspezifischen Kriterien oder ein direktes Kriterium vorliegen. (Dissemond et al. 2021)
Unspezifische Kriterien
 • Periläsionales Erythem
 • Überwärmung
 • Ödem, Verhärtung oder Schwellung
 • Spontaner Schmerz oder Druckschmerza
 • Stagnation der Wundheilung
 • Anstieg und/oder Änderung der Farbe oder des Geruchs des Exsudats
Direkte Kriterien
 • Nachweis potenziell pathogener Mikroorganismenb
 • Chirurgische septische Wunde
 • Freier Eiter
a Vorsicht bei Patienten mit Polyneuropathie oder bei Einnahme von Schmerzmitteln
b Beispielsweise Nachweis von multiresistenten Bakterien wie Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus (MRSA)
Wenn Symptome wie Fieber, Schüttelfrost oder allgemeine Abgeschlagenheit auftreten, können dies Hinweise auf eine systemische Infektion sein (Swanson et al. 2022). Für die weiterführende Diagnostik sollten dann auch serologische Parameter wie Differenzialblutbild, CRP oder Procalcitonin bestimmt werden. Durch die differenzierte Indikationsstellung soll die nicht indizierte Anwendung von antimikrobiellen Wundtherapien reduziert werden.

Produkte für die antimikrobielle Wundtherapie

Die Auswahl der eingesetzten antimikrobiellen Wirkstoffe sollte bei der Wundbehandlung des chronischen Ulcus cruris auf der Basis individueller Kriterien erfolgen (Tab. 3).
Tab. 3
Indikationsabhängige Empfehlung antiseptischer Wirkstoffe in der Wundbehandlung. (Modifiziert nach Kramer et al. 2019)
Indikation
Antiseptischer Wirkstoff
1. Wahl
2. Wahl
Kritisch kolonisierte und infektionsgefährdete Wunden
Polihexanid
Natriumhypochlorit, hypochlorige Säure, Silber, Octenidin/Phenoxyethanol
Mit muliresistenten Erregern (MRE) kolonisierte oder infizierte Wunden
Octenidin/Phenoxyethanol
Octenidin, Polihexanid, Silber
Natriumhypochlorit, hypochlorige Säure, Polihexanid, Octenidin
Octenidin/Phenoxyethanol
Wunden mit fehlender Abflussmöglichkeit
Natriumhypochlorit, hypochlorige Säure
Polyhexanid (Polyhexamethylenbiguanid, PHMB) ist heute für die meisten Patienten mit chronischem Ulcus cruris das Antiseptikum der ersten Wahl. Bei der Verwendung von Lösungen ist es wichtig, die Mindesteinwirkzeit von 15–20 min zu beachten. Es gibt aber auch Präparationen als Gele oder Wundauflagen, die 24 h oder länger verbleiben können. PHMB tötet Mikroorganismen durch eine Bindung und Schädigung von deren Zellwänden. Durch Kombination mit Betain-Tensiden wird die antimikrobielle Wirksamkeit von PHMB aufgrund physikalischer Eigenschaften erhöht (Klasinc et al. 2018).
Octenidin ist ein kationisches Antiseptikum, das für die Wundbehandlung meist kombiniert mit Phenonxyethanol eingesetzt wird. Es ist aktuell das Mittel der ersten Wahl bei Nachweis von multiresistenten Erregern (MRE). Die Einwirkzeit von Lösungen mit Octenidin sollte mindestens 2 min betragen. Octenidin wirkt durch die Zerstörung der äußeren Membran von Mikroorganismen antimikrobiell. Präparate mit Octenidin sollten nicht mit Druck tief in Gewebe ohne Abflussmöglichkeit eingebracht werden, da es sonst zu Ödemen und Nekrosen kommen kann (Babalska et al. 2021).
Silber wird in der Wundbehandlung meist in Form antimikrobieller Wundverbände angewendet. Eine breite bakterizide Wirksamkeit erfolgt durch die Freisetzung von Silberionen (Ag+). Die große Heterogenität der Produkte und Studiendesigns erschwert trotz sehr vieler klinischer Studien die eindeutige wissenschaftliche Beurteilung von Silber in der Wundbehandlung (Dissemond et al. 2017).
Povidon(PVP)-Iod wird aufgrund der Braunfärbung, des Risikos der Schilddrüsenfunktionsstörung, einer vergleichsweise höheren Zelltoxizität und des hohen kontaktsensibilisierenden Potenzials heute für die Behandlung beim chronischen Ulcus cruris kritisch beurteilt. Es wird aber weiterhin bei akuten Wunden wie beispielsweise Schuss- oder Bissverletzungen empfohlen (Barreto et al. 2020).
Natriumhypochlorit bzw. hypochlorige Säuren sind gut verträgliche Chlorabspalter, die oxidative Reaktionen induzieren. Die Anwendung darf im Gegensatz zu PHMB und Octenidin auch bei freiliegendem Knochen oder Knorpel erfolgen (Kramer et al. 2019).
Es gibt auch wirkstofffreie Wundauflagen, die beispielsweise mit Dialkylcarbamoylchlorid (DACC) beschichtet wurden oder die eine hohe Retentionsfähigkeit haben wie Superabsorber, deren antimikrobielle Wirkung vorrangig über eine irreversible physikalische Bindung von Mikroorganismen resultiert (Rippon et al. 2018). Weitere antimikrobielle Wundbehandlungsstrategien können neben den sehr wichtigen Aspekten der Wundreinigung auch physikalische Behandlungsoptionen beispielsweise mit kaltem atmosphärischem Plasma, Laser oder Ultraschall sein (Assadian et al. 2019).

Physikalische Wundtherapie

Es gibt verschiedene physikalische Behandlungsoptionen, die aktuell bei der Wundbehandlung eingesetzt werden können. Diese nutzen beispielsweise Strom, extrakorporale Stoßwellen, Hyperthermie, Laser, kaltes atmosphärisches Plasma, Ultraschall oder wassergefiltertes Infrarot-A-Licht. Auch wenn es zunehmend neue und interessante klinische Studien zu den verschiedenen Methoden gibt, ist die Evidenz dieser physikalischen Wundtherapie noch unzureichend (Dissemond 2010).
Eine Ausnahme stellt dabei die Vakuumtherapie dar, für deren gute Wirksamkeit es mittlerweile überzeugende Daten für die Behandlung des chronischen Ulcus cruris gibt (Zens et al. 2020). Als Vakuumtherapien bezeichnet man Verbandsysteme, bei denen durch eine Steuereinheit ein definierter Sog auf Gewebe ausgeübt wird. Meist wird hierfür ein Schwamm auf die Wunden aufgebracht, der luftdicht mit einer Folie bedeckt wird. Über die Steuereinheit kann dann ein Unterdruck von 75–125 mmHg auf der Wundoberfläche erzeugt werden. Neben der Förderung der Granulation (Wundgrundkonditionierung) können diese Systeme heute auch beispielsweise die Ödemreduktion, Wundreinigung oder Transplantateinheilung unterstützen. Die Variante der Instillation ermöglicht es zudem, Wundspülungen beispielsweise mit Antiseptika durchzuführen, ohne den Verband zu lösen, sodass die Vakuumtherapie ggf. auch bei klinisch infizierten Wunden eingesetzt werden kann.

Schmerzvermeidung und -therapie

Schmerzen verschlechtern die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, wirken sich ungünstig auf die Adhärenz/Compliance aus und verzögern als eigenständiger Risikofaktor die Wundheilung. Die Schmerzintensität kann schnell und unkompliziert über Skalen wie beispielsweise die visuelle Analogskala (VAS) erfasst werden. Die meisten Patienten mit chronischem Ulcus cruris haben zumindest temporär Schmerzen, die durch die Wunden und/oder Therapie verursacht werden (Briggs et al. 2012). Es sollte daher immer versucht werden, das Auftreten von Schmerzen zu vermeiden. Für die schmerzfreie Entfernung von klebenden Verbänden gibt es Pflasterlöser. Festhaftende Verbände können weitestgehend schmerzfrei abgenommen werden, wenn sie zuvor für mindestens 30 min beispielsweise mit Ringer-Lösung eingeweicht wurden. Lokalanästhetika in Form von beispielsweise Lidocain- und Prilocain-Creme eignen sich sehr gut vor einem Debridement. Die Creme sollte dafür mindestens 60 min vor der Intervention aufgetragen und möglichst mit einer Wundfolie abgedeckt werden (Leren et al. 2020). Ein Morphin-Hydrogel kann als effektives Schmerztherapeutikum direkt auf Wunden aufgetragen und für 24 h als kombinierte Wund- und Schmerztherapie belassen werden (Tab. 4). Bei ausgeprägten Schmerzen ist zudem meist eine systemische Therapie entsprechend dem WHO-Stufenschema sinnvoll.
Tab. 4
Rezeptur eines Morphin-Gels für die analgetische Wundbehandlung (Dissemond 2021). Bitte beachten: Die Verschreibung muss auf einem Betäubungsmittel(BtM)-Rezept erfolgen
Morphinhydrochlorid-Trihydrat
0,1 g
Ethylendiamintetraessigsäure-Natriumsalz
0,1 g
Hydroxyethylcellulose 400
4,5 g
Lavasept-Konzentrat 20 %
0,2 ml
Gereinigtes Wasser EuAB
ad 100,0 g

Fazit für die Praxis

Für einen dauerhaften Therapieerfolg von Patienten mit chronischem Ulcus cruris ist die Behandlung der zugrunde liegenden Ursachen auf der Basis einer adäquaten Diagnostik essenziell. Zudem sollte eine feuchte, an den Phasen der Wundheilung orientierte lokale Wundbehandlung durchgeführt werden. Diese trägt dazu bei, Komplikationen zu vermeiden, die Wundheilung zu fördern und somit die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
Literatur
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