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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 04.04.2023

Prophylaxe venöser Thromboembolien in der nicht-operativen Medizin

Verfasst von: Sylvia Haas und Birgit Linnemann
Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen haben ein erhöhtes venöses Thromboembolierisiko, dessen Ausmaß wie in der operativen Medizin von der Kombination expositioneller und dispositioneller Risikofaktoren bestimmt wird. Drei placebokontrollierte Studien führten zur Zulassung verschiedener niedermolekularer Heparine und von Fondaparinux zur Prophylaxe bei Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen. Im Unterschied zu manchen orthopädischen Patientengruppen, die keiner operativen Therapie bedürfen, werden diese Substanzen bei internistischen Patienten generell in Hochrisikoprophylaxe-Dosis verabreicht. Niedermolekulare Heparine haben auch ihren Stellenwert zur venösen Thromboembolieprophylaxe in der Neurologie, Onkologie, Intensivmedizin und im ambulanten Versorgungsbereich. Bei Blutungsneigung, Niereninsuffizienz oder unsicherer Resorption kann unfraktioniertes Heparin intravenös in laborkontrollierter Dosierung appliziert werden. Bei Kontraindikation gegen eine medikamentöse Prophylaxe sollten physikalische Maßnahmen, bevorzugt die intermittierende pneumatische Kompression, eingesetzt werden.

Akute internistische Erkrankungen

Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen haben ein erhöhtes venöses Thromboembolierisiko, dessen Ausmaß wie in der operativen Medizin von der Kombination des expositionellen und dispositionellen Risikos bestimmt wird. Ein besonderes Risiko haben hospitalisierte Patienten mit einer Herzinsuffizienz NYHA Grad III oder IV, akuter Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), schweren Infektionen (z. B. Pneumonie, Pyelonephritis, Sepsis), akuten Schüben einer rheumatischen Grunderkrankung oder chronisch entzündlichen Darmerkrankung.
VTE-Prophylaxe im stationären Setting
In den drei zulassungsrelevanten Studien für NMH (MEDENOX, PREVENT) und Fondaparinux (ARTEMIS) wurden unter Placebo VTE-Raten zwischen 10 und 15 % und proximale Thrombosen in etwa 5 % ermittelt (Samama et al. 1999; Leizorovicz et al. 2004; Cohen et al. 2006).
Bei vergleichbaren Einschlusskriterien konnten diese drei randomisiert und placebo-kontrolliert durchgeführten Studien zeigen, dass eine medikamentöse VTE-Prophylaxe bei hospitalisierten und immobilisierten Patienten mit einer akuten internistischen Erkrankung das Risiko für VTE-Ereignisse etwa halbiert (Alikhan et al. 2014).
Stationäre Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen und Bettlägerigkeit sollen eine medikamentöse VTE-Prophylaxe erhalten.
Dabei sollte vorzugsweise NMH in Hochrisikoprophylaxe-Dosierung oder Fondaparinux eingesetzt werden. Eine medikamentöse VTE-Prophylaxe wird in der Regel über einen Zeitraum von 6–14 Tagen durchgeführt (S3 AWMF). In Abhängigkeit von der Dauer der Immobilisierung bzw. des Krankenhausaufenthaltes kann dieser Zeitraum aber im Einzelfall stark variieren.
Da der unkritische Einsatz von Antithrombotika das Risiko für Blutungskomplikationen erhöht, sind verschiedene Risikoscores entwickelt worden, um das VTE-Risiko internistischer Patienten zu stratifizieren und eine medikamentöse VTE-Prophylaxe gezielter einzusetzen. Diese enthalten unterschiedliche Sets an etablierten Risikofaktoren (Tab. 1), sind in diversen Studien mit unterschiedlichen Patientenkollektiven validiert, aber für den klinischen Alltag zum Teil aufwändig anzuwenden. Auch wurde ihr Zusatznutzen für stationär behandelte internistische Patienten kürzlich in Frage gestellt (Moumneh et al. 2020). Die Scores geben dem mit dieser Thematik wenig erfahrenen Anwender aber einen guten Überblick über die klassischen zu berücksichtigenden VTE-Risikofaktoren.
Tab. 1
Scores zur Abschätzung des VTE-Risikos hospitalisierter internistischer Patienten (Choffat et al. 2022)
 
Geneva
Padua
IMPROVE
Vorausgegangene VTE
2
3
3
2
3
2
Aktive Tumorerkrankung2
2
3
2
Myeloproliferative Erkrankung3
2
-
-
Akute oder chronische Herzinsuffizienz
2
1
-
2
-
Akute Infektion
2
1
-
Akute rheumatische Erkrankung4
2
-
Immobilisierung ≥ 3 Tage
1
-
1
Immobilisierung ≥ 7 Tage
-
3
-
Parese der unteren Extremitäten
-
-
2
Alter > 60 Jahre
1
-
1
Alter > 70 Jahre
-
1
-
Body-Mass-Index ≥ 30 kg/m2
1
1
-
Schlaganfall (≤3 Monate)
2
1
-
Myokardinfarkt (≤1 Monat)
2
-
2
-
-
Hormonbehandlung5
1
1
-
Lange Reise >6h
1
-
-
Chronisch venöse Insuffizienz
1
-
-
Schwangerschaft
1
-
-
Dehydratation
1
-
-
Trauma oder Operation (≤1 Monat)
-
2
-
Behandlung auf Intensivstation
-
-
1
Bewertung
   
Niedriges VTE-Risiko
0–2
0–3
0–1
Hohes VTE-Risiko
≥3
≥4
≥2
1Antithrombin-Mangel, Protein-C-Mangel, Protein-S-Mangel, Faktor-V-Leiden, Prothromin-G20210A-Mutation, Antiphospholipid-Syndrom
2Tumordiagnose <6 Monate, metastasiertes Tumorleiden oder laufende Antitumortherapie (Chemotherapie, Immuntherapie, Radiatio)
3Essenzielle Thrombozytose, Polyzythaemia vera, primäre Osteomyelofibrose, chronisch myeloische Leukämie
5Kombinierte hormonelle Kontrazeption, postmenopausale Hormonersatztherapie, östrogenhaltige Antitumortherapie
Verlängerte VTE-Prophylaxe bei poststationären Patienten
Nachdem der Nutzen einer über den Krankenhausaufenthalt hinaus verlängerten Prophylaxe mit NMH bei orthopädischen und malignomchirurgischen Hochrisikopatienten nachgewiesen wurde, stellte sich diese Frage auch für hospitalisierte Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen. In einer randomisierten kontrollierten Studie (EXCLAIM) wurden Effektivität und Sicherheit einer verlängerten Thromboseprophylaxe mit NMH überprüft (Hull et al. 2010). Die Prophylaxe mit einmal täglich 40 mg Enoxaparin über einen Zeitraum von insgesamt 6 Wochen war wirksamer als Placebo. In dieser Studie konnte auch die Rate symptomatischer thrombotischer Ereignisse signifikant reduziert werden (2,8 % vs. 4,9 %; p = 0,001). Das Blutungsrisiko war jedoch in der Enoxaparin-Gruppe signifikant höher als in der Placebogruppe (0,6 % vs. 0,15 %; p = 0,02), so dass das aus dieser Studie ableitbare Nutzen-Risiko-Profil keine allgemeine Empfehlung einer prolongierten medikamentösen Prophylaxe erlaubt. Auch in vier weiteren Studien mit DOAK-Präparaten (Apixaban, Betrixaban und Rivaroxaban) konnte für diese Indikation kein ausreichendes Nutzen-Risiko-Verhältnis nachgewiesen werden. Eine Metaanalyse der insgesamt fünf Studien zur verlängerten Prophylaxe kommt zum Schluss, dass eine Antikoagulation nach der Entlassung aus dem Krankenhaus über einen Zeitraum von 4–6 Wochen zwar symptomatische oder tödliche VTE-Ereignisse reduziert, dies aber auf Kosten eines erhöhten Risikos schwerer oder tödlicher Blutungen geschieht. Weitere Untersuchungen sind deshalb erforderlich, um Risiken und Nutzen sowie die Kosteneffektivität bei bestimmten Populationen internistischer Patienten zu untersuchen (Bajaj et al. 2019). Vermutlich ist die Entstehung venöser Thromboembolien bei internistischen Patienten komplexer als bei Patienten mit chirurgischen Eingriffen, denn im Unterschied zur operativen Medizin kann der Zeitpunkt des Auslösemechanismus für ein thromboembolisches Ereignis in der Inneren Medizin oft nicht eindeutig bestimmt werden. Somit bleibt die leitliniengestützte Empfehlung einstweilen unverändert, dass eine medikamentöse Prophylaxe in der Regel 6–14 Tage lang durchgeführt werden sollte. Dies heißt aber nicht, dass die Prophylaxe bei protrahiertem Krankheitsverlauf nach zwei Wochen zwangsläufig beendet werden muss. Im individuellen Fall gilt die Empfehlung:
Die Zeitdauer der Prophylaxe soll sich am Fortbestehen relevanter Risikofaktoren für venöse Thromboembolien orientieren.

Onkologie

Neben akuten internistischen Erkrankungen sind auch Tumorerkrankungen mit einem hohen Thromboserisiko assoziiert. Tumor-assoziierte VTE machen heutzutage etwa 20 % aller VTE-Ereignisse aus. Es ist davon auszugehen, dass – abhängig von Tumorentität, Tumorstadium und Antitumortherapie – etwa 4–20 % aller Tumorpatienten im Laufe ihrer Erkrankung ein thromboembolisches Ereignis entwickeln (Kap. „Malignom-assoziierte venöse Thromboembolie“).
Wegen einer Tumorerkrankung stationär behandelte Patienten sollen für die Dauer ihres Krankenhausaufenthaltes eine medikamentöse VTE-Prophylaxe erhalten (S3 AWMF).
Im ambulanten Versorgungsbereich gab es bis vor Kurzem keine besonderen evidenzbasierten Empfehlungen für onkologische Patienten. In der Literatur wurde aber immer wieder auf die Notwendigkeit der Risikoabschätzung für den Einzelfall hingewiesen. Hierzu ist der sogenannte Khorana-Score mittlerweile weit verbreitet, und die Entscheidung für eine medikamentöse Prophylaxe bei Patienten mit hohem VTE-Risiko kann mit Hilfe dieses Scores leicht getroffen werden (siehe Tab. 2). (Khorana et al. 2008). Für ambulante Patienten mit einem niedrigen (Khorana Score 0 oder 1) oder mittleren (Khorana Score 2) Risiko wird eine medikamentöse Thromboseprophlyaxe nicht empfohlen. Der Khorana-Score verwendet leicht verfügbare Parameter zur initialen Risikostratifizierung von Tumorpatienten, die unter einer ambulanten Chemotherapie stehen, berücksichtigt aber klinisch relevante Faktoren wie die Vorgeschichte für VTE-Ereignisse, Immobilisierung und Patientenalter nicht, die im Einzelfall ebenfalls in die Entscheidung für oder gegen eine Thromboembolieprophylaxe einbezogen werden sollten.
Tab. 2
Khorana-Score
Patientencharakteristika
Punkte
Tumorlokalisation
 
Magen, Pankreas
2
Lunge, Lymphom, Harnblase, Hoden, gynäkologische Tumore
1
Hämoglobin <10 g/dl oder Einsatz von Erythropoetin
1
Thrombozytenzahl vor Einleitung einer zytoreduktiven Therapie ≥350 × 109/l
1
Leukozytenzahl vor Einleitung einer zytoreduktiven Therapie >11 × 109/l
1
Körpermassenindex (BMI) ≥35 kg/m2
1
Bewertung: 0 Punkte: niedriges VTE-Risiko, 1–2 Punkte: mittleres VTE-Risiko, ≥3 Punkte: hohes VTE-Risiko
Seit dem Vorliegen neuerer Daten aus randomisierten Studien mit den beiden oralen direkten Faktor-Xa-Inhibitoren Apixaban (AVERT-Studie) und Rivaroxaban (CASSINI-Studie) gibt es nun auch eine evidenzbasierte Stellungnahme für den ambulanten Versorgungsbereich vonseiten der International Society of Thrombosis and Hemostasis (ISTH):
1.
DOAK Präparate werden zur Thromboseprophylaxe für ambulante Karzinompatienten mit Khorana-Score ≥2 empfohlen, die eine Chemotherapie beginnen, außerdem für Patienten ohne Arzneimittelwechselwirkungen und ohne hohes Blutungsrisiko (wie z. B. Patienten mit gastro-ösophagealen Karzinomen). Eine endgültige Behandlungsentscheidung sollte nach Abwägung des VTE- und Blutungsrisikos sowie der Patientenpräferenz getroffen werden.
 
2.
Es wird vorgeschlagen, dass eine Prophylaxe mit DOAK bis zu 6 Monate nach Beginn der Chemotherapie durchgeführt wird. Außerdem wird auf die Notwendigkeit der Überwachung der Thrombozytenzahl und des Blutungsrisikos hingewiesen.
 
3.
Für ambulante Karzinompatienten mit hohem VTE Risiko, bei denen Bedenken hinsichtlich der Sicherheit einer DOAK Prophylaxe bestehen (wie z. B. bei Arzneimittelinteraktionen oder hohem Risiko von Magen-Darm-Blutungen), wird die Gabe von NMH empfohlen. (Wang et al. 2019).
 

Neurologie

Das Thromboserisiko ist bei Patienten mit Schlaganfall, insbesondere bei Vorliegen von Paresen, besonders hoch. In einer Studie von Kelly et al. erlitten etwa ein Drittel aller Patienten mit schwerer Parese im Bein nach Schlaganfall eine tiefe Beinvenenthrombose (Kelly et al. 2001). Zahlreiche randomisierte klinische Studien haben die Wirksamkeit und Verträglichkeit verschiedener antithrombotischer Strategien untersucht und die Ergebnisse haben zu folgenden Empfehlungen einer medikamentösen VTE-Prophylaxe geführt: Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall und paretischem Bein sollen eine medikamentöse Prophylaxe erhalten. Diese soll vorzugsweise mit NMH oder UFH in Hochrisikodosierung erfolgen und sollte abhängig von der Geschwindigkeit der Mobilisierung 6–14 Tage lang durchgeführt werden. Patienten mit akutem hämorrhagischen Schlaganfall und paretischem Bein sollten eine medikamentöse Prophylaxe erhalten, sobald kein akutes Blutungsrisiko mehr besteht.
Patienten mit Vorhofflimmen und ischämischem Schlaganfall, die zur Sekundärprophylaxe ein orales Antikoagulanz bekommen, sollen keine gleichzeitige parenterale VTE-Prophylaxe erhalten.
Bei Kontraindikationen gegen eine medikamentöse Prophylaxe sollte eine physikalische Prophylaxe, vorzugsweise mit IPK erfolgen (S3 AWMF).

Intensivmedizin

Auf Intensivstationen werden Patienten unterschiedlichster Fachrichtungen behandelt. Das VTE-Risiko dieser Patienten hängt zum einen von der zugrundeliegenden Erkrankung und zum anderen von vorbestehdenden Risikofaktoren ab. Faktoren, die das VTE-Risiko erhöhen. Dies sind die oft unvermeidliche Immobilisation, Analgosedierung und mechanische Beatmung, das Vorhandensein zentralvenöser Katheter sowie die Entwicklung schwerer Infektionen. Intensivpatienten sind fast ausnahmslos der Hochrisikogruppe zuzuordnen.
Die Studienlage ist limitiert. Einer Metaanalyse (7 Studien, 7226 Patienten) zufolge, die bei internistischen und chirurgischen Intensivpatienten den Einsatz von NMH bzw. UFH versus keine medikamentöse VTE-Prophylaxe verglich, konnte für Patienten mit Heparinprophylaxe eine Halbierung der Thromboserate (7,5 % vs. 14,7 %; RR 0,51, 95 %-KI 0,41–0,63) nachgewiesen werden (Alhazzani et al. 2013) Daher soll eine medikamentöse VTE – Prophylaxe mit Heparin, bevorzugt mit NMH, durchgeführt werden. Bei Blutungsneigung, Niereninsuffizienz oder unsicherer Resorption kann UFH intravenös in niedriger Dosierung appliziert werden. Bei Kontraindikation gegen eine medikamentöse Prophylaxe sollten physikalische Maßnahmen, bevorzugt die intermittierende pneumatische Kompression, eingesetzt werden (Tab. 3).
Tab. 3
Leitliniengestützte Empfehlungen der VTE-Prophylaxe in der Inneren Medizin, Onkologie, Neurologie und Intensivmedzin*
 
Medikamentöse Prophylaxe
Physikalische Prophylaxe
Besonderheiten
Akut internistische Erkrankung mit Bettlägerigkeit
NMH/Fondaparinux ⇑⇑
Dauer 6–14 Tage
Maligne Erkrankungen (stationär)
NMH/Fondaparinux ⇑⇑
Dauer gesamte stationäre Phase
Ischämischer Schlaganfall mit Beinparese
NMH/UFH ⇑⇑
IPK > MTPS ⇑
IPK > MTPS: bei Kontraindikation gegen medikamentöse Prophylaxe
Hämorrhagischer Schlaganfall mit Beinparese
UFH/NMH ⇑
IPK > MTPS ⇑
IPK > MTPS: bei Kontraindikation gegen medikamentöse Prophylaxe
UFH, NMH: nach Abklingen des akuten Blutungsrisikos
NMH > UFH s.c.
IPK > MTPS ⇑
IPK > MTPS: bei Kontraindikation gegen medikamentöse Prophylaxe
NMH > UFH s.c.: Cave: Blutung, Niereninsuffizienz, unsichere Resorption
*Basismaßnahmen, wenn möglich bei allen Patienten
⇑⇑ = starke Empfehlung; ⇑ = weniger starke Empfehlung; ⇔ = Empfehlung offen; NMH = niedermolekulares Heparin; UFH = unfraktioniertes Heparin; IPK = intermittierende pneumatische Kompression; MTPS = medizinische Thromboseprophylaxe-Strümpfe; s.c. = sucutan; VTE = venöse Thromboembolie; > = ist überlegen

Besonderheiten in der ambulanten Medizin

Die AWMF S3 Leitlinie empfiehlt, dass eine VTE – Prophylaxe nach den im Krankenhaus anzuwendenden Kriterien erfolgen soll. Wird ein Patient aus stationärer Behandlung entlassen, ist zu entscheiden, ob eine dort begonnene Prophylaxe fortgesetzt wird. Ist die Fortführung der Prophylaxe nach einem Eingriff notwendig, soll der weiterbehandelnde Arzt darüber informiert und der Patient angehalten werden, sich zeitnah bei diesem vorzustellen, um eine lückenlose VTE-Prophylaxe sicherzustellen. Die Kommunikation an der Schnittstelle Krankenhaus und nachbehandelnder Hausarzt ist besonders wichtig. Immobilität ohne akute Erkrankung ist keine Indikation für eine über die allgemeinen Basismaßnahmen hinausgehende VTE-Prophylaxe.

Reisethrombose

Der Begriff „Reisethrombose“ beschreibt das Phänomen des Auftretens einer venösen Thromboembolie, die während oder bis zu mehreren Wochen nach einer langen Reise auftritt, welche passager mit einer gewissen Mobilitätseinschränkung einherging. Die Zeitspanne des Auftretens einer solchen Reise-assoziierten Thromboembolie wird unterschiedlich bewertet. Wegen der oft langsamen und asymptomatischen Entwicklung venöser Thrombosen ist durchaus nachvollziehbar, für einen Zeitraum von 4 Wochen oder im Einzelfall auch länger von einem kausalen Zusammenhang auszugehen.
Auch wenn in der Literatur immer wieder ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von venösen Thromboembolien und einer Reisedauer von mehr als 6 Stunden angegeben wird, ist das Risiko einer langdauernden Flug-, Bus- oder Autoreise für das einzelne Individuum kaum zu quantifizieren. Spezielle Prophylaxemaßnahmen sind daher in der Regel nicht erforderlich. Es ist jedoch sinnvoll, den Reisenden zu allgemeinen Basismaßnahmen zu raten (ausreichende Flüssigkeitszufuhr, einfache Übungen zur Aktivierung der „Muskelpumpe“ wie Fußwippen, Vermeidung von Alkoholkonsum und zu enger Kleidung während der Reise). In Einzelfällen können zusätzliche Risikofaktoren, wie z. B. hohes Lebensalter, frühere VTE, aktive Krebserkrankung, chronische venöse Erkrankung oder starkes Übergewicht zu einer abweichenden Einschätzung mit dem Rat zu speziellen Prophylaxemaßnahmen führen (S3 AWMF).
Auch wenn das expositionelle Risiko von langen Reisen als „gering“ eingestuft wird, heißt das nicht, dass sich das Risiko nicht verwirklichen kann, insbesondere im Falle zusätzlicher dispositioneller Risikofaktoren. Dies wurde in der bisher umfangreichsten prospektiven kontrollierten Studie der Dresdner Arbeitsgruppe von Schwarz und Schellong et al. gefunden. Die Autoren untersuchten 964 Flugpassagiere, die auf einem Langstreckenflug von mindestens acht Stunden Dauer unterwegs waren und die Ergebnisse wurden mit denen von 1390 Nichtfliegern verglichen. Die Passagiere wurden innerhalb einer Woche vor dem Abflug und erneut innerhalb von zwei Tagen nach der Heimkehr mittels komplettem Kompressionsultraschall beider Beine untersucht. Es wurde gezeigt, dass nach Langstreckenflügen mit einer relativen Risikoerhöhung von 2,83 hinsichtlich Thrombosen im Vergleich zur Normalbevölkerung gerechnet werden muss, diese Thrombosen aber weitestgehend auf den Bereich der Muskelvenen beschränkt waren, zumindest wenn das Thrombosescreening innerhalb von 48 Stunden nach der Rückkehr erfolgte. Durch äußerst umfangreiche klinische und laborchemische Untersuchungen zum Risikoprofil der Reisenden und Nichtreisenden konnte außerdem gezeigt werden, dass die venösen Thrombosen bei entsprechender Prädisposition signifikant häufiger auftraten (Schwarz et al. 2003).
Auch die Arbeitsgruppe von Schobersberger et al. hat in einer Konsensuspublikation darauf hingewiesen, dass Langstreckenreisen zwar ein relativ geringes expositionelles Risiko zugemessen werden kann, aber im Falle des Vorliegens von zusätzlichen dispositionellen Risikofaktoren angenommen werden muss, dass sich die Effekte der einzelnen Risikofaktoren nicht nur einfach additiv, sondern überadditiv summieren (Schobersberger et al. 2008). Sehr ausführlich und auf breiter wissenschaftlicher Basis hat sich auch Frits Rosendaal mit der Überaddition von Risiken befasst. Er betont, dass neben der Einschätzung der Stärke eines individuellen Risikofaktors große Sorgfalt und weitere Überlegungen notwendig sind, um das Gesamtrisiko beim Vorliegen mehrerer Risikofaktoren besser abschätzen zu können (Rosendaal 1999).
Es stellt sich aber oft die Frage, welcher Risikofaktor letztendlich dafür verantwortlich war, dass sich eine Thrombose entwickelt hat. Dies ist nicht nur von rein akademischem Interesse, sondern hat auch Konsequenzen, wenn es darum geht, das Gesamt-VTE-Risiko bei Vorliegen von mehreren Risikofaktoren besser einschätzen zu können. Die Frage nach dem Risikofaktor, der schließlich als „tipping-point“ infolge einer „Überaddition“ der Risikofaktoren entscheidend für die Manifestation einer VTE ist, kann wegen der Vielfalt von Teilmengen, die die Kombinationen von mehr als zwei Risikofaktoren in größeren Studien abbilden, in der Praxis kaum beantwortet werden. Es gibt bisher noch keine exakte Formel, wie die Wertigkeit jedes einzelnen Faktors genau berechnet werden kann. Konsens ist aber, dass man sich bei der Abschätzung des kombinierten Risikos nicht einfach auf die Addition der Einzelrisiken stützen sollte, sondern, insbesondere beim Vorliegen mehrerer Faktoren, die jeweiligen Einflüsse auf die einzelnen Komponenten der sogenannten Virchow’schen Trias in Betracht ziehen sollte.
Auch wenn es keine evidenzbasierten Empfehlungen gibt, hat die individuelle Risikoabschätzung bei der Patientenberatung vor Langstreckenreisen einen hohen Stellenwert. Bei Vorliegen einer chronisch-venösen Insuffizienz würde man eher das Anlegen von wadenlangen Kompressionsstrümpfen empfehlen und bei bekannter Aktivierung der Blutgerinnung, wie z. B. Thrombophilie, Schwangerschaft, orale Kontrazeption, maligne Erkrankungen oder entzündliche Prozesse eine pharmakologische Prophylaxe an den Reisetagen in Erwägung ziehen. In Analogie zu den Empfehlungen für die nichtoperative Medizin sollte dann jedoch eine Hochrisikodosierung verordnet werden, d. h. eine Dosierung, die sich zur VTE-Prophylaxe bei großen orthopädischen Eingriffen oder internistischen Patienten bewährt hat. Prinzipiell handelt es sich hierbei aber immer um einen aufklärungspflichtigen off-lable use.
Literatur
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