Schuhversorgung und Sekundärprävention beim diabetischen Fußsyndrom
Verfasst von: K. Zink
Das diabetische Fußsyndrom ist eine chronische, nicht heilbare Erkrankung mit einer sehr hohen Rezidivrate. Das Vollbild der peripheren Neuropathie führt regelhaft zum vollständigen Verlust meist aller sensiblen Qualitäten wie Oberflächen- und Tiefensensibilität, Schmerz- und Temperaturempfinden. Hinzu kommen motorische Störungen mit muskulären Dys- und Imbalancen, die zu plantaren Druckerhöhungen an der Fußsohle und Deformitäten führen. Trockene Haut ist die Folge von Störungen des vegetativen Nervensystems mit vollständigem Verlust der Schweißsekretion. Bei der Hälfte der betroffenen Patienten liegt begleitend eine pAVK vor, dadurch wird das Gewebe weniger druckresistent und es kommt sehr rasch zu Ulzerationen, die bei fehlender Druckentlastung und nicht ausreichender Perfusion chronifizieren. Hauptursache dieser entstandenen Druckschäden ist bei ca. der Hälfte der Patienten das unsachgemäße Schuhwerk, für die Chronifizierung die nicht ausreichende Druckentlastung durch mangelnde Tragecompliance auf Patientenseite, manchmal auch unsachgemäße Hilfsmittel. In diesem Kapitel wird die Risikoklasseneinteilung und entsprechende Schuh- und Hilfsmittelversorgung für Menschen mit Diabetes dargelegt.
Bei vorhandener peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) und/oder Polyneuropathie (PNP) mit Sensibilitätsverlust droht ein DFS. Durch die PNP entstehen unbemerkte Druckschäden, die häufigste Ursache ist in ca. 50–80 % der Fälle nicht passendes Schuhwerk (Apelqvist et al. 1990). Somit erscheint es sinnvoll eine Prophylaxe zu betreiben, um Druckläsionen bei Patienten mit Sensibilitätsverlust oder pAVK vorzubeugen und natürlich noch sinnvoller eine Sekundärprävention durchzuführen, um bei den Patienten, die schon einmal eine Läsion hatten, dem Rezidiv vorzubeugen. Die Inzidenz von Läsionen ist in diesen beiden Gruppen sehr unterschiedlich. Bei Patienten mit PNP und Sensibilitätsverlust oder pAVK entwickeln ca. 6 % eine Fußläsion (Armstrong et al. 2017; Apelqvist et al. 1993), die Rezidivrate nach abgeheiltem DFS beträgt 35–40 % pro Jahr.
Für eine optimale Versorgung von Patienten mit DFS wurde von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, bestehend aus Fachärzten für Diabetologie, Orthopädie und Orthopädieschuhmachern (OSM) eine Risikoklassifizierung mit entsprechenden Richtlinien zur Schuhversorgung erarbeitet. Diese Klassifizierung wurde 2006 von der Arbeitsgemeinschaft diabetischer Fuß erstellt und ist mittlerweile in den Leitlinien (Morbach et al. 2019) fest verankert und auch von den Krankenkassen gut akzeptiert.
Zum besseren Verständnis zunächst die Erläuterung einiger technischer Begriffe:
Eine Weichpolstersohle ist eine Einlage aus weichem Material mit vorgegebenen Eigenschaften wie Dicke und Druckreduktion im Ballenbereich. Sie weist keinerlei Anmodellierung an die Kontur der Fußsohle auf. Diese Weichpolstersohlen liegen bei Abgabe schon z. B. in den Spezialschuhen bei DFS.
Im Gegensatz hierzu wird die Weichpolstereinlage an die Fußsohle anmodelliert. Als Modell dient ein bearbeitetes Ausgusspräparat eines Trittschaumes oder ein über Scannerverfahren hergestelltes Modell. Die Einlagenrohlinge werden bearbeitet und ggf. Stufen und Pelotten aufgeklebt und dann meist über ein Vakuumtiefziehverfahren an das Modell angeformt oder aus einem Kunststoffrohling gefräst.
Das Grundprinzip der diabetesadaptierten Fußbettung(DAF) besteht in der Druckreduktion gefährdeter Regionen durch kleinflächige Druckverteilung (Mikroentlastung) und großflächiger Druckumverteilung (Makroentlastung). Die Mikroentlastung wird durch weiches, möglichst dauerelastisches Polstermaterial erreicht. Die Makroentlastungswirkung wird durch die anatomische Anmodellierung der Fußbettung an noch vermehrt belastbare Regionen des Fußes erreicht. Die Druckentlastungswirkung wird zusätzlich durch ein differenziertes Materialsandwich verstärkt (Abb. 1).
Abb. 1
Explosionszeichnung eines diabetesadaptierten Fußbettes, mehrschichtiger Aufbau
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Die Daten für die Fertigung dieser diabetesadaptierten Fußbettungen werden aus den 2- und 3-dimensionalen Abdrücken der Füße, die im manuellen Verfahren mittels Blaupause und Trittschaum oder mit Hilfe spezieller Scanner erfasst werden und der elektronischen Messung der plantaren Drücke, gewonnen.
Konfektionsschuhe sind, wie der Name sagt, konfektioniert hergestellt und genügen keinen besonderen Standards.
Sogenannte Bequemschuhe sind im Vorfußbereich meist breiter angefertigt und berücksichtigen die natürliche Fußform deutlich besser.
Die „Spezialschuhe bei diabetischem Fußsyndrom“ sind immer noch konfektioniert, versuchen aber jetzt schon bei gegebener Fußlänge noch breiter zu sein als herkömmliche Bequemschuhe. Die meisten Schuhhersteller bieten diese Schuhe auch im Mehrweitensystem an.
Bei Auslieferung liegt in diesen Schuhen immer eine Weichpolstersohle. Außerdem haben alle im Hilfsmittelverzeichnis gelistete Schuhtypen eine Sohlenversteifung und Abrollsohle. Die Sohlenversteifung macht ein Einknicken des Schuhes unmöglich und sorgt über eine größere belastete Fläche der Fußsohle für eine Druckreduktion (Abb. 2). Damit der Patient damit laufen kann, braucht der Schuh eine Abrollsohle, das heißt der Sohlenabschnitt unter dem Vorfuß hat eine konvexe Form mit einem Scheitelpunkt unter den Mittelfußköpfchen (Bus et al. 2019).
Abb. 2
links: Belastete Fläche ohne Sohlenversteifung. Rechts: Belastete Fläche mit Sohlenversteifung. Durch die Flächenvergrößerung kommt es zur Druckreduktion unter den Mittelfußköpfchen
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OrthopädischeMaßschuhe(OMS) werden über einen individuellen Sonderleisten gebaut und eben nicht mehr über einen konfektionierten Leisten. Für den Leistenbau gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Nach Maß: Der Fuß wird vermessen und anhand dieser Daten wird von einem Leistenhersteller ein Leisten bestellt, der diesen Maßen nahekommt und entsprechend bearbeitet.
NachGipsabdruck: Hier baut sich der OSM sein Modell des Fußes selbst.
Der so entstandenen Gipshohlkörper (Negativabdruck) wird in der Werkstatt mit einer schnell aushärtenden Kunststoffmasse ausgegossen, nach dem Aushärten wird der Gips abgeklopft und das Modell des Fußes (Positivabdruck) ist fertig.
Dieses Modell wird dann weiterbearbeitet. Es müssen z. B. Längenzugaben gemacht werden, knöcherne Prominenzen oder Krallenzehen brauchen mehr Platz im Schuh. In diesen Regionen werden dann Korkplatten aufgeklebt, soll das Fußbett eine Erhöhung haben, muss an dem Leisten Material abgenommen werden. Die Abb. 3 zeigt einen solchen Leisten.
Abb. 3
Sonderleisten über Gipsabdruck angefertigt, gut erkennbar der aufgeklebte und beschliffene Kork für die Platzgewinnung im Schuh
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DurchScannerverfahren: Hier werden die benötigten Maße über einen 3D Scan abgegriffen, am PC dann die entsprechenden Veränderungen und Anpassungen des Modells über eine spezielle Software vorgenommen. Über diese gewonnenen Daten wird dann ein Leisten aus einem Holzblock oder Kunststoffblock gefräst oder mit einem 3-D-Drucker gedruckt.
Der OMS enthält auch immer ein diabetesadaptiertes Fußbett, dies kann jetzt aber deutlich dicker angefertigt werden als im Spezialschuh für Diabetes.
Über den Leisten und der Fußbettung wird dann der Schuhboden und der Schaft gebaut und diese Bauteile miteinander verbunden und zuletzt die Laufsohle angebracht.
Schuhzurichtung: hier nimmt der OSM Änderungen an einem vorhandenen Schuh vor, z. B. Anbringen einer Sohlenversteifung, Einarbeiten einer Rolle in den Schuh, Verbreiterungen eines Schuhes.
Innenschuhdruckmessung: Mit der Neutralmessung in einer Standardsandale erhält man die Druckverteilung beim Gehen unter der Fußsohle ohne jegliche Polsterung. Diese Daten können für die Konstruktion der Fußbettung benutzt werden.
Noch wichtiger ist aber, dass diese Systeme zur Qualitätssicherung benutzt werden können. Nach Fertigstellung der Fußbettung oder des OMS werden diese Folien in den Schuh eingelegt und der Patient geht eine Laufstrecke von ca. 10–15 m. Damit erhält man jetzt die Druckwerte mit der entsprechenden Versorgung und kann erkennen, ob die Druckwerte ausreichend reduziert wurden, insbesondere im Bereich der ehemaligen Ulkusregion. Ist dies nicht erreicht, muss die Fußbettung entsprechend optimiert werden oder ggf. Zurichtungen am Schuh durchgeführt werden.
Kappen: Weitere Bauelemente einesOMSsind sogenannte Kappen. Diese werden zwischen Oberleder und Futter eingearbeitet und sind mit dem Schuhboden verbunden und dienen der Stabilisierung.
DieVorderkappebefindet sich im Blattbereich des Schuhes über den Zehen und soll derZehenboxihre Form geben und diese erhalten. Sie sorgt auch dafür, dass das Leder schön glatt bleibt und sich nicht fältelt. Ist diese zu flach angefertigt, entstehen oft Läsionen an den Zehen.
Die Hinterkappe führt die Ferse, häufig wird diese im OMS seitlich nach vorne gezogen. Sie sorgt dafür, dass der Fuß auf dem Fußbett stehen bleibt und nicht seitlich abrutscht.
Knöchelkappen umfassen die Knöchel um ein seitliches Abknicken im Sprunggelenk zu vermeiden.
Arthrodesenkappen minimieren Gelenkbeweglichkeit und dienen der Ruhigstellung.
Eine Peronaeuskappe ist über die Achillessehne in einen höherschaftigen Schuh eingearbeitet, um bei einer Peronaeuslähmung die Schiene zu ersetzen.
Die Brandsohle liegt unter der Bettung und gibt dem Schuhboden letztendlich die Form.
Menschen mit Diabetes ohne Folgekomplikationen an den Füßen können „normale“ Schuhe tragen. Die Schuhe sollen eine fußgerechte Form haben, um Fußdeformierungen vorzubeugen.
RisikogruppeI
Patienten ohne PNP/pAVK, jedoch mit Fußdeformität oder Fußbeschwerden.
Schuhversorgung: Orthopädieschuhtechnische Versorgung aufgrund der orthopädischen Indikation.
Solange bei Patienten mit Diabetes noch keine PNP/pAVK eingetreten ist, kann die Versorgung nach rein orthopädischen Kriterien durchgeführt werden.
RisikogruppeII
Patienten mit Sensibilitätsverlust durch die PNP oder mit einer vorhandenen pAVK.
Schuhversorgung: Spezialschuh bei DFS mit herausnehmbarer Weichpolstersohle, ggf. mit orth. Schuhzurichtung.
Der an Sensibilitätsverlust bzw. an einer peripheren Durchblutungsstörung erkrankte Fuß eines Menschen mit Diabetes sollte möglichst vor erhöhter Druckeinwirkung, sowohl plantar als auch dorsal, geschützt werden. Dafür bietet die Industrie mittlerweile spezielle Schuhmodelle an, die bestimmte Mindestanforderungen für die Versorgung eines diabetischen Fußsyndroms erfüllen müssen:
Genügend Raum für die Zehen in Länge und Höhe
ausreichende Breite
Vermeiden von drückenden Nähten
weiches Material über druckgefährdeten beweglichen Fußregionen
keine auf den Fuß einwirkende Vorderkappe
Herausnehmbare konfektionierte Polstersohle mit Druckspitzenreduktion im Ballenbereich um 30 Prozent
Möglichkeit einer orthopädieschuhtechnischen Zurichtung.
Obwohl sich ein großer Teil der in diese Risikogruppe gehörenden Füße mit den von der Industrie angebotenen Spezialschuhen für Diabetes gut versorgen lässt, entstehen bei bestimmten Fußtypen Probleme. Untersuchungen, bei denen Fußlänge und Fußbreiten von Menschen mit Diabetes vermessen und mit den Leistenmaßen der Konfektionsschuhe verglichen wurden, zeigten, dass ca. zwei Drittel der Menschen mit Diabetes keine passenden Schuhe finden können (Chantelau und Grede 2002).
Lassen sich die Ziele der Versorgung, also der Schutz der gefährdeten Füße, z. B. aufgrund lokaler plantarer Druckerhöhung, nicht mit standardisierten Weichpolstersohlen erreichen, muss eine individuelle diabetesadaptierte Fußbettung in Erwägung gezogen werden. Nur in Ausnahmefällen wird die Anfertigung eines OMS notwendig sein. Diese Ausnahmen können zum Beispiel extreme Fußbreiten durch eine ausgeprägte Adipositas oder zu schmale Füße, zu schmale Fersen oder ähnliche Dysproportionen sein. Weitere Kriterien für eine höhergradige Versorgung sind in Tab. 1 aufgeführt.
Tab. 1
Kriterien für eine höherwertige Versorgung
Kriterien für eine höhergradige Versorgung
a) Kontralaterale Major-Amputation
b) Arthropathie Hüfte/Knie/OSG oder Gelenkimplantat
Patienten, die schon einmal eine Fußwunde hatten, und zwar an der Fußsohle.
Schuhversorgung: Spezialschuh bei DFS, in der Regel mit diabetesadaptierter Fußbettung, ggf. mit orthopädischer Schuhzurichtung.
Mit der ersten unbemerkten Ulzeration ist ein entscheidendes Ereignis im Krankheitsverlauf des diabetischen Fußes eingetreten, da der Patient jetzt in die Hochrisikogruppe aufgestiegen ist, die eine entsprechende höherwertige Versorgung zur Vermeidung von Rezidiven erfordert, wenn das Ulkus an der Fußsohle lag. Das diabetesadaptierte Fußbett hat eine vorgeschriebene Materialdicke von 8 – 16 mm, für die es im Schuh entsprechenden Raum geben muss. Einige verwendete Materialien nutzen sich sehr schnell ab, d. h. sie verlieren ihre druckentlastenden Eigenschaften zu schnell, andere sind zu weich und haben eine zu geringe Rückstellfähigkeit. Dies führt dazu, dass das Material beim Gehen und Entlastung des Fußes noch nicht wieder seine Ausgangsposition erreicht hat, bevor der nächste Belastungszyklus folgt. Eine zu dünn gefertigte Fußbettung wirkt nicht, und harte Einlegesohlen werden häufig zum „Korrigieren“ funktioneller Probleme bei Patienten ohne Nervenleiden verwendet. Besonderes Augenmerk gilt der ehemaligen plantaren Ulkusregion, die zum einen durch eine sogenannte zusätzliche UIkuseinbettung entlastet, zum anderen durch orthopädische Zurichtungsmaßnahmen, wie zum Beispiel punktartige Entlastungszonen im Schuh oder zusätzliche Abrollverstärkung an der Zwischensohle mit Sohlenversteifung, ergänzt werden kann.
Zusammenfassend soll das diabetesadaptierte Fußbett also den Druck in der ehemaligen Ulkusregion reduzieren und den Druck in Regionen des Fußes verteilen die nicht gefährdet sind, z. B. hinter die Mittelfußköpfchen oder in das Längsgewölbe.
Lag die abgeheilte Läsion nicht an der Fußsohle, sondern z. B. zwischen den Zehen, reicht nach wie vor die Weichpolstersohle wie in der Risikogruppe 2 aus. Das diabetesadaptierte Fußbett entfaltet seine Wirkung an der Fußsohle und nicht zwischen den Zehen.
Ab hier ist jetzt auch eine Qualitätssicherung vorgeschrieben, das heißt es muss über eine erneute elektronische Innenschuhdruckmessung nachgewiesen werden, dass dieses Ziel der Druckentlastung auch erreicht wird.
Auch hier gelten die Regeln der höherwertigen Versorgung mit OMS, sollte der Patientenfuß wegen Dysproportionen oder anderer Deformierungen nicht drucklos in diesen Schuh passen.
RisikogruppeIV
Wie II mit Deformitäten bzw. Dysproportionen
Patienten, die in der Risikogruppe 2 und 3 nicht zu versorgen sind.
Schuhversorgung: OMS mit DAF
Deformitäten und Dysproportionen der Füße stellen ein nicht zu unterschätzendes Risiko bei Menschen mit Diabetes mit PNP/AVK dar. Die Ursachen sind vielfältig und reichen von degenerativen Veränderungen über angeborene Erkrankungen bis hin zu typischen, der motorischen Neuropathie zuzuschreibenden Fußstellungen.
Als wichtiges Hilfsmittel zur Überprüfung der zukünftigen Passform orthopädischer Schuhe hat sich das sog. Gehprobenmodell aus Klarsichtfolie oder lederähnlichem Material erwiesen. In Verbindung mit der plantaren elektronischen Druckverteilungsmessung lässt sich so die Passform des Leistens und die Druckreduktionswirkung der DAF noch vor der endgültigen Fertigstellung des OMS auch beim Gehen prüfen, was zu einer wesentlichen Minimierung möglicher Passformrisiken führt.
Über den durch die Zwischenprobe optimierten Leisten wird nun der endgültige OMS angefertigt.
Bei der Versorgung mit OMS hat der Patient Anspruch auf eine
Erstausstattung von zwei Paar Straßenschuhen und ein Paar Hausschuhen. Die
Straßenschuhe werden nach zwei Jahren ersetzt, falls sie verschlissen sind, der
Hausschuh wird nach 4 Jahren ersetzt.
Bei der Auslieferung muss der OSM natürlich die Passform des Schuhes überprüfen, ihm obliegt es auch den Patienten in den Gebrauch des Hilfsmittels einzuweisen und v. a. das langsame Einlaufen zu erklären. Der verordnende Arzt muss das ausgelieferte Hilfsmittel abnehmen und ebenfalls die Passform überprüfen (Abb. 6) Viel Überzeugungsarbeit ist auf beiden Seiten erforderlich, um den Patienten zu einer möglichst langen täglichen Tragezeit zu motivieren. OMS, die über eine Innenschuhdruckmessung optimiert wurden und eine Tragzeit von mehr als 70 % der Gehleistung hatten, haben eine niedrige Rezidivrate, als Schuhe, die nicht optimiert wurden (Bus et al. 2013).
RisikogruppeV
Patienten mit diabetischer neurogener Osteoarthropathie (DNOAP, Levin III = chronischer Charcotfuß)
Schuhversorgung: überknöchelhoher OMS
Lässt die vorher beschriebene Risikogruppe mitunter auch eine Versorgung mit Halbschuhen zu, so benötigen Füße nach DNOAP in der Regel zwingend eine knöchelübergreifende Versorgung. Die Stabilisierung des nun in seiner knöchernen Struktur hochgradig gefährdeten Fußes steht absolut im Vordergrund. Gelingt es z. B. nicht, mit entsprechenden orthopädische Einbauelementen wie Fersenführung, Abrollmaßnahmen und exakter Anmodellierung der DAF an die Fußwölbungen, die starken deformierenden Kräfte zu mindern, droht ein erneuter Kollaps des Fußes. Lokalisationen im Sinne von Sanders II und III (Erkrankungsprozess liegt im Fußwurzelbereich) erfordern meist eine Stabilisierung des unteren Sprunggelenks durch knöchelfixierende Hinterkappen. Spätestens ab einer Deformierung mit Lokalisation nach Sanders IV oder V (Erkrankungsprozess liegt im Rückfußbereich des Sprungbeines oder Fersenbeines) mit entsprechender Lotabweichung bleibt in der Regel meist nur die Möglichkeit einer Versorgung mittels sog. Feststellabrollschuh oder mittels einer Unterschenkelinnenschuhorthese in Ergänzung zum OMS.
RisikogruppeVI
Patienten mit Z. n. Fußteilamputation
Schuhversorgung: hochschaftige OMS ggf. mit Orthesen
Durch Fußteilamputationen kommt es einerseits zu einem Funktionsverlust mit einhergehender Störung der Schrittabwicklung, andererseits zu einer Verringerung der Belastungsfläche des Fußes und dadurch zu einer Druckerhöhung unter den verbleibenden Fußarealen. Bei Menschen mit Diabetes und PNP/AVK spielt die Störung der Schrittabwicklung, die meist zu einer Verringerung der Schrittlänge führt, eine eher untergeordnete Rolle. Therapieentscheidend ist dagegen der Erhalt des nun in der Regel wesentlich geringer belastbaren Fußteilstumpfes. Relativ unproblematisch lassen sich Amputationen einzelner oder auch mehrerer Zehen meist mit den Hilfsmitteln, wie sie in der Risikogruppe III beschrieben wurden, versorgen. Ab transmetatarsalen Amputationen wird meist eine Versorgung mit OMS notwendig. Die entscheidende Frage, die hier auch sehr intensiv mit dem Patienten besprochen werden muss, ist, wie lang der Fußteilersatz gearbeitet werden soll. Grundsätzlich erfüllt ein Fußteilersatz in erster Linie kosmetische Ansprüche und kann allenfalls in der Statik zur vermehrten Standsicherheit beitragen. Beim Gehen wirkt sich der Fußteilersatz dagegen aufgrund der Verlängerung des Hebelarms in der Abstoßphase negativ aus. Durch die Hebelarmverlängerung kommt es zur vermehrten Krafteinwirkung auf den Fußstumpf was sowohl zu Druckstellen an der Stumpfkuppe und Fußsohlenfläche, als auch zu Scheuerstellen am Rückfuß führen kann. Aus diesem Grund ist die Verwendung von Vorfußersatzprothesen mit hervorragendem kosmetischem Effekt z. B. nach Bellmann oder in sehr aufwendiger Silicontechnik nur in Ausnahmefällen bei besonders gut belastbaren Fußstümpfen oder bei erhaltener Sensibilität angeraten. In allen anderen Fällen sollte die Versorgung nach den Richtlinien optimaler Druckreduktionswirkung und Scherkraftreduktion erfolgen. Dies bedeutet in der Praxis eine hervorragend anmodellierte diabetesadaptierte Fußbettung, eine wirkungsvolle Abrollsohle mit weit zurückliegender Scheitellinie, sowie ggf. zusätzliche fußfixierend Schaftversteifungen wie Stützlasche und kurze Peronaeuskappe. Handelt es sich um eine sehr kurzen Fußwurzelstumpf oder ist die Belastbarkeit des Fußstumpfes schlecht, sollte eine Versorgung bis zum Knie durchgeführt werden.
RisikogruppeVII
Patienten mit bestehender Fußläsion oder florider DNOAP.
Schuhversorgung: Entlastungsschuhe, Verbandsschuhe, Interimsschuhe, Orthesen, Vollkontakt-Gips (Total-Contact-Cast (TCC)) ggf. mit DAF und orth. Zurichtungen
Bei nicht-plantaren Fußwunden werden in der Regel Verbandsschuhe mit leichter Abrollsohle eingesetzt. Diese ermöglichen es dem Patienten kleinere Gehstrecken zurückzulegen, ohne dass der Verband beschädigt wird. Gleichzeitig wird der Fuß vor äußeren Einflüssen geschützt.
Bei plantaren Wunden muss in erster Linie der Druck aus der Ulkusregion weggenommen werden oder zumindest so weit reduziert werden, dass eine Heilung möglich ist. Das können viele Hilfsmittel in unterschiedlichem Ausmaß leisten, das größte Problem ist allerdings die Tragezeit dieser Hilfsmittel. Die Wunde ist oftmals nicht chronisch, weil der Patient Diabetes hat und der Blutzucker schlecht eingestellt ist, sondern einfach, weil das Hilfsmittel nicht konsequent getragen wird. Auf keinen Fall sollten die Hilfsmittel der anderen Risikogruppen getragen werden, ebenso sind die sog. Vorfußentlastungsschuhe nicht zu benutzen, die Kante dieser Schuhe kann zu Knochenbrüchen und Entwicklung eines Charcotfußes auslösen, bei bestehender PNP kommen Gangunsicherheit und Sturzgefahr hinzu.
Die im März 2019 verabschiedete Leitlinie der IWGDF (International Working Group on the Diabetic Foot) zur Druckentlastung legt daher großen Wert auf die Nicht- Abnehmbarkeit des Hilfsmittels (Bus et al. 2016).
Bei nicht relevanter pAVK soll bei plantaren Läsionen entweder ein TCC oder eine nicht abnehmbare kniehohe Fertigorthese benutzt werden (Abb. 4).
Abb. 4
Fertigorthese links und TCC rechts, mit Paketband verschlossen
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Die Auswahl zwischen diesen beiden Hilfsmitteln soll je nach Fertigkeiten, vorhandenen Ressourcen (das Anlegen des TCC’s erfordert Erfahrung und kostet Zeit) getroffen werden. In der Fertigorthese sollte ein vorgefertigtes oder individuelles Fußbett vorhanden sein welches die Ulkusregion ausreichend entlastet. Die nicht Abnehmbarkeit der Fertigorthese muss z. B. durch ein entsprechendes Klebeband mit Signatur oder Castbinde bewerkstelligt werden.
Bei Deformierungen, die nicht mit Fertigorthesen versorgt werden können, müssen individuell Orthesen angefertigt werden, dies trifft v. a. für Patienten mit einer floriden DNOAP zu.
Wird die nicht Abnehmbarkeit vom Patienten nicht toleriert oder ist kontraindiziert, soll eine abnehmbare kniehohe Fertigorthese mit Fußbettung benutzt werden und der Patient zu möglichst langen Tragezeit motiviert werden.
Die Abpolsterung der Fußsohle unter Aussparung der Ulkusregion mit Polsterplatten aus verdichteter Watte kann versucht werden, wenn obige Maßnahmen nicht angewendet werden können bzw. kontraindiziert sind (Raspovic und Landorf 2014), (Abb. 5).
Abb. 5
„Abfilzen“ der Fußsohle mit verdichteten Wattepolsterplatten
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Nicht vergessen werden sollten auch immer operative Methoden zur Druckreduktion, wie zum Beispiel Sehnendurchtrennungen oder -verlagerungen oder die Resektion knöcherner Prominenzen (Lazzarini et al. 2020).
Abb. 6
Überprüfung der Passform des Schuhes, so wie auf diesem Bild sollte es nicht aussehen, Fuß steht medial und lateral weit über die Einlage hinaus, d. h. dieser OMS ist deutlich zu schmal gebaut
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Schulung:
Spätestens bei der Auslieferung der Schuhe muss eine Schulung und Aufklärung des Patienten stattfinden. Schon beim ersten Anziehen der Schuhe kommt allzu oft die Anmerkung des Patienten, die Schuhe seien viel zu groß und er würde darin herumschwimmen. Hier muss dem Patienten nochmals der Zusammenhang Sensibilitätsverlust und die fehlende korrekte Wahrnehmung der Füße und der Schuhe erklärt werden. Das sorgfältige langsame Einlaufen der Schuhe und vor allem über das Trageverhalten muss gesprochen werden. Sonst besteht die Gefahr, dass der optimierte und überprüfte Schuh wirkungslos bleibt, weil er nicht getragen wird. Je ausgeprägter die Deformierung und damit die plantare Drucküberhöhung ist, wird darüber entscheiden, wie lange und auf welchem Untergrund der Patient mit diesem Schuh gehen kann. Der klinische Alltag zeigt, dass das nächste Rezidiv oftmals durch eine einmalige Überlastung oder in Situationen auftritt, wenn der Patient Dinge tut, die er sonst üblicherweise nicht tut, zum Beispiel die Obsternte in einer Hanglage.
Selbstmanagement:
Weitere Schulungsinhalte sind die tägliche Selbstinspektion der Füße, wenn dies die Beweglichkeit und das Sehvermögen noch zulassen, ansonsten wäre zu klären ob jemand im persönlichen Umfeld des Patienten diese Aufgabe übernehmen kann. Weiter das Austasten der Schuhe vor dem Anziehen auf innenliegende Gegenstände und das regelmäßige Inspizieren der Schuhe auf Beschädigungen.
Der Patient muss wissen, dass er seinen Fuß keiner Wärmequelle aussetzt oder barfuß läuft und dass er sofort sein Behandlungsteam aufsucht, wenn er eine neue Läsion entdeckt. Ansonsten sollten die Patienten mindestens alle 1–3 Monate bei ihrem Behandlungsteam zur Kontrolle vorstellig werden.
Trotz all dieser Schulung bleibt die Auswirkung auf die Rezidiv- und Amputationsrate unklar (Lincoln et al. 2008; Malone et al. 1989). Einige Studien konnten eine geringere Rezidivrate nachweisen, wenn die Patienten eine Selbstmessung der Temperatur ihrer Fußsohle an den ehemaligen Ulzerationsstellen durchführten (Lavery et al. 2004; Armstrong et al. 2007). Ob „smart-socks“ mit der Möglichkeit der Temperaturmessung im Alltag in der Rezidivprophylaxe einen Stellenwert erreichen, müssen klinische Studien noch nachweisen (Najafi et al. 2017).
Podologische Behandlung:
Ein wesentlicher Baustein in der Prävention und Rezidivprophylaxe ist die regelmäßige podologische Behandlung. Diese kann den Patienten bei vorhandener Polyneuropathie mit Sensibilitätsverlust und/oder vorliegender pAVK als „Schwielenpflege“, „Nagelpflege“ oder beides als „podologische Komplexbehandlung“ verordnet werden und dann von Podologen mit Kassenzulassung gegenüber den Kostenträgern abgerechnet werden. Hier wird der Fuß alle 3–6 Wochen von Fachkräften gesehen und prä-ulzerative Veränderungen wie prominente Schwielenbildungen, Einblutungen, Druckstellen oder unter Umständen auch Blasen und Ulzeration entdeckt und die suffiziente Behandlung eingeleitet. Das rechtzeitige und richtige Kürzen der Fußnägel vermeidet Verletzungen der Nachbarzehen und ein Einwachsen der Zehennägel mit entsprechenden Entzündungen (Crawford et al. 2015).
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