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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 25.10.2024

Thrombolytika

Verfasst von: Michael Spannagl
Die pharmakologische Thrombolysetherapie ist eine intravasale medikamentöse Behandlung des Blutes, um kurzfristig Fibringerinnsel aufzulösen. Inzwischen sind auch Gerinnsel und Verklebungen in Körperhöhlen oder bei einer am Patienten eingesetzten, extrakorporalen Zirkulation Ziel einer thrombolytischen Behandlung. Gebräuchlich sind Medikamente, die körpereigenes Plasminogen aktivieren, sog. Plasminogenaktivatoren. Historisch wurde das aus Bakterien gewonnene Enzym Streptokinase verwendet. Mit der Anwendung der körpereigenen Substanzen Urokinase und Gewebeplasminogenaktivator (Tissue Plasminogen Activator, tPA) wurde das Problem der Antigenität des bakteriellen Produktes umgangen. tPA wird rekombinant hergestellt, inzwischen sind auch Derivate des Wildtyp-Proteins mit optimierten pharmakologischen Eigenschaften entwickelt worden. Während in Deutschland bei einem Myokardinfarkt und ischämischem Schlaganfall nach aktuellen Leitlinien bevorzugt interventionell behandelt wird, sind bei schwerer Lungenembolie und speziellen lokalen Anwendungen Thrombolytika unverändert in Gebrauch. In Entwicklungs- und Schwellenländern hat die systemische Lysetherapie bei kardialen und zerebralen ischämischen Organperfusionsstörungen unverändert ihren Stellenwert.

Fibrinolytika/Thrombolytika

Zur Thrombolyse eingesetzte Medikamente sind Enzyme, die fibrinhaltiges Thrombus- bzw. Embolusmaterial spalten und abbauen können. Dabei wird Plasminogen zu Plasmin aktiviert, um durch eine nachfolgende Fibrinspaltung Gefäße zu rekanalisieren. Eine schematische Abbildung des Fibrinolysesystems stellt die Abb. 1 dar.
Das erste, breit eingesetzte Fibrinolytikum war das aus hämolysierenden Streptokokken isolierte Enzym Streptokinase. In einem weiterentwickelten therapeutischen Streptokinasemolekül wurde der bei hoch dosierter Therapie auftretende relative Plasminogenmangel in einem Kombinationsmedikament (Plasminogen-Streptokinase-Komplex, Acylated Plasminogen-Streptokinase Activator Complex [APSAC]) mit der Anwendung des Medikaments substituiert. Wegen der Antigentität und der ausgeprägten systemischen Lysewirkung werden heute streptokinasebasierte Medikamente nicht mehr verwendet (Tab. 1).
Tab. 1
Nicht mehr gebräuchliche Thrombolytika
Substanz
Molekulargewicht (D)
Plasmahalbwertszeit (min)
Fibrinspezifität
Streptokinase
47.000
20
APSAC
13.000
90
Reteplase
39.000
15
+
Lanoteplase
53.500
23
++
Urokinase (uPA) ist ein aus humanen Körperflüssigkeiten des Urogenitaltraktes gewonnenes Enzym, das Plasminogen zu Plasmin spaltet. Urokinase war viele Jahre der einzige humane (also nicht antigene) therapeutische Plasminogenaktivator. Mit der Weiterentwicklung der Herstellung rekombinanter Proteine wurden modifizierte Plasminogenaktivatoren zugelassen, die wesentlich auf dem humanen Gewebeplasminogenaktivator (tPA) basieren (Kumar und Sabu 2019).
Dabei wurden die Halbwertszeit der Medikamente, die Fibrinspezifität und die Empfindlichkeit gegen Inhibitoren (PAI und Antiplasmin) modifiziert. Daraus entstand eine neue Generation rekombinanter Plasminogenaktivatoren mit veränderten pharmakologischen Eigenschaften.
In der historischen Entwicklung sind zunächst sog. unspezifische Thrombolytika, Streptokinase oder Urokinase, und später die gentechnologisch hergestellten sog. „fibrinspezifischen Thrombolytika“ wie Alteplase (rtPA), Reteplase (r-PA) oder Tenecteplase (TNK-tPA) angewendet worden (Tab. 2, Abb. 2; Miller et al. 2023). Bei weiteren Entwicklungen modifizierter rekombinanter Plasminogenaktivatoren mit deutlich erhöhter Spezifität für Fibrin und/oder verlängerter Halbwertszeit konnte die Zulassung nicht erreicht werden, auch weil sich interventionelle Therapiekonzepte durchsetzten.
Tab. 2
Gebräuchliche Thrombolytika
Substanz
Molekulargewicht (D)
Plasmahalbwertszeit (min)
Fibrinspezifität
Alteplase
70.000
5
++
Tenecteplase
70.000
20
+++
Urokinase
54.000
9

Experimentelle Thrombolytika

Immer wieder wurden in experimentellen Ansätzen auch direkt (also plasminunabhängig) fibrinspaltende Enzyme (z. B. das aus Schlangengift abgeleitete rekombinante Enzym Alfimeprase oder ein Plasminogenaktivator aus der Vampirfledermaus) vorgestellt und gentechnologisch hergestellt, die allerdings den Weg zur Zulassung nicht vollenden konnten. Aktuell werden bispezifische therapeutische Moleküle, die auch an den von-Willebrand-Faktor (vWF) binden, untersucht. Hier wird der Plasminogenaktivator in einem komplexen Molekül, das eine spezifische Bindungsstelle für den vWF enthält, an thrombozytenreiche arterielle Thromben angedockt, um eine lokalisierte Fibrinolyse plättchenreicher Thromben im arteriellen Gefäßsystem zu erreichen (van Moorsel et al. 2022).

Zulassungsstudien

Im Wesentlichen wurden Thrombolytika in großen kontrollierten Studien für die Indikationen Herzinfarkt, ischämischer Schlaganfall und Lungenembolie geprüft. Diese Erfahrungen wurden bei der Anwendung von Thrombolytika dann auf seltenere Indikationen übertragen (z. B. intravasale lokale Anwendung). Diese Anwendungen, aber auch die Verwendung in Körperhöhlen bzw. in der extrakorporalen Zirkulation, beruhen auf Fallberichten und Konsensusdokumenten. Der akute ischämische Schlaganfall, ein akuter Myokardinfarkt und die Lungenembolie waren und sind wichtige Indikationsgebiete bei der Zulassung der modernen rekombinanten Fibrinolytika. In der Zwischenzeit sind rasch zur Anwendung kommende interventionelle Techniken zumindest in den höher entwickelten Ländern bei diesen Indikationen breit im Einsatz. Trotzdem spielen Fibrinolytika in Entwicklungs- und Schwellenländern im Versorgungsalltag unverändert eine wichtige Rolle (z. B. in China). In diesen Ländern werden weiterhin kontrollierte Studien zur Lysetherapie durchgeführt. Aktuell hat die TRACE-2-Studie den Stellenwert von Tenecteplase und der damit verbundenen Bolusgabe beim ischämischen Schlaganfall weiter gefestigt (Wang et al. 2023).

Vielfältige Anwendung thrombolytischer Medikamente

Thrombolysetherapien werden systemisch oder lokal im arteriellen und venösen Kreislauf, aber auch lokal in Körperhöhlen angewendet. Obwohl die Häufigkeit der Anwendung von Thrombolytika über die vergangenen Jahre zurückging, bleibt die Therapie mit fibrinolytischen Medikamenten Standard in der kardiovaskulären Medizin. Bei Koronarverschlüssen, inzwischen auch bei der Okklusion hirnversorgender Arterien, wird zwar die mechanische Wiedereröffnung der Arterien bevorzugt. Thrombolytika werden hier aber weiterhin in Notfallsituationen bzw. überbrückend oder in besonderen Fällen eingesetzt. Bei der Lungenembolie ist die Lysetherapie weiterhin das primäre Therapieverfahren. Studien zur frühen Lysetherapie bei Reanimationspatienten wurden auch im präklinischen Setting durchgeführt, waren aber nicht zielführend. Thromboembolische Ereignisse bei schwangeren Patientinnen können ebenfalls in Sonderfällen mit Thrombolytika behandelt werden (Sousa Gomes et al. 2019).
Zu speziellen Anwendungen in anderen klinisch-interventionellen Disziplinen gehören lokalisierte Applikationen von Thrombolytika, insbesondere bei angiologischen/gefäßchirurgischen bzw. neurovaskulären Interventionen.
Eine weitere Besonderheit stellt die lokale, meist kathetergestützte Anwendung von Plasminogenaktivatoren in Körperhöhlen dar. Dabei wird oft der Pleuraraum behandelt (Hendriksen et al. 2019). Bei weiteren Sonderfällen von Erkrankungen, die in Einzelfällen mit Thrombolytika behandelt werden (z. B. Transplantate in der plastischen Chirurgie oder umschriebene Erfrierungen), wird der Einsatz kritisch diskutiert, auch wenn in Einzelfällen Reperfusionen erreicht werden. Häufiger werden Thrombolytika lokal zur Wiedereröffnung von Shunts oder bei der Okklusion von extrakorporalen Zirkulationen angewendet.
Auch bei Mikrozirkulationsstörungen thrombotischer Genese (z. B. bei der COVID-Koagulopathie) werden in wissenschaftlichen Untersuchungen Plasminogenaktivatoren eingesetzt. Sogar ein inhalativer Ansatz zur lokalen Anwendung von tPA wurde beschrieben (McFadyen et al. 2020).
Noch in experimenteller Erprobung ist die Verstärkung der pharmakologischen Wirkung von Thrombolytika durch zusätzliche physikalische Maßnahmen wie lokal applizierten Ultraschall oder Stoßwellen. Dazu werden in den aktuellen Leitlinien der kardiovaskulären Medizin derzeit jedoch keine Empfehlungen ausgesprochen.

Pharmakologie/Dosierung

Thrombolytika werden intravenös, seltener intraarteriell oder in die extrakorporale Zirkulation bzw. in Körperhöhlen verabreicht. Die Halbwertszeiten dieser Substanzen sind kurz, die Wirkung setzt, entsprechend den grundsätzlichen Anforderungen einer derartigen Notfallbehandlung an Zeitfenster und Sicherheit, sofort ein.
Die bei einem Myokardinfarkt früher gebräuchliche Gabe von Standarddosen (Streptokinase, Urokinase) wurde inzwischen für alle derzeit empfohlenen Substanzen in eine körpergewichtsadaptierte Anwendung umgewandelt. Die Leitlinienempfehlungen bei der zerebralen Ischämie sind seit den ersten Zulassungen vollumfänglich körpergewichts- und altersadaptiert.
Bei individuell hohem Blutungsrisiko werden im Einzelfall für manche Präparate Dosisreduktionen (z. B. Halbierung) sowie eine fraktionierte Gabe vorgeschlagen (repetitive Gabe innerhalb von 0,5–1 h), um bei sich rasch entwickelnden Blutungskomplikationen einen relevanten Anteil der Gesamtdosis einzusparen.
Deutlich reduzierte Dosierungen kommen bei lokaler, oft intraarterieller Anwendung bzw. in Körperhöhlen zur Anwendung. Hier wird aber in Einzelfällen eine repetitive Gabe niedriger Dosen auch über mehrere Tage angewendet.
Alle verwendeten Substanzen sind Aktivatoren der physiologischen Serinprotease Plasminogen, die in einer Konzentration von etwa 0,2 g/l im Blut vorhanden ist. Der relevante Verbrauch des körpereigenen Plasminogens war früher bei hoch dosierter Therapie ein klinisch relevanter Befund. Durch die vorwiegend systemische Wirkung der Plasminogenaktivatoren der 1. Generation (vor allem durch Streptokinase) wurde rasch Plasminogen verbraucht. Dadurch stand weniger Plasminogen für die Plasminbildung zur Verfügung und die Lysewirkung nahm innerhalb von Minuten ab. Dieser Mechanismus spielt inzwischen durch die Anwendung fibrinspezifischer Substanzen nur mehr eine untergeordnete Rolle.
Bei hoch dosierten Lysetherapien besteht ein hohes Blutungsrisiko. Aus diesem Grunde sind orale Antikoagulantien bzw. Thrombozytenhemmer kontraindiziert oder werden kurzfristig pausiert. Unmittelbar nach Ende einer Lysetherapie oder bei niedrig dosierter Anwendung kann ein erhöhtes Risiko für eine überschießende Thrombinbildung entstehen. Die Fortführung der gerinnungs- bzw. thrombozytenhemmenden Therapie muss in diesen Fällen sehr sorgfältig individuell angepasst werden.

Spezifische Anwendungsgebiete

Eine breite Erfahrung mit Fibrinolytika und explizite Zulassungen mit standardisierten Dosis- und Zeit-Schemata gibt es für die früher häufig benutzten Indikationen Myokardinfarkt und ischämischer Hirninfarkt (Berge et al. 2021; Byrne et al. 2023). In den letzten Jahren wurden vor allem die Indikationen ischämischer Hirninfarkt und Lungenembolie wissenschaftlich und in Leitlinien bearbeitet (Kap. „TIA und ischämischer Schlaganfall“ und „Therapie der Lungenembolie“). Orientierung gaben die für die Myokardinfarktbehandlung eingeführten Standarddosierungen (Tab. 3). Dabei wurden zunächst die unspezifischen Plasminogenaktivatoren Streptokinase und Urokinase als Vergleichssubstanzen verwendet, im Verlauf dann Wildtyp-tPA (Alteplase). Aus diesem Grund sind die unspezifischen historischen Thrombolytika in den Leitlinien noch erwähnt, werden aber praktisch nicht mehr verwendet.
Tab. 3
Empfohlene Dosierungsschemata der gängigen Thrombolytika bei ischämischem Myokardinfarkt, Schlaganfall und lokaler arterieller Thrombolyse
Ischämischer Myokardinfarkt
rtPA (Alteplase)
15 mg Bolus i. v.
 
0,75 mg/kg KG über 30 Min. (max. 50 mg)
 
0,5 mg/kg KG über 60 Min. (max. 35 mg) reduzierte Dosis bei Blutungsrisiko
Tenecteplase
Einzelbolus i.v.
30 mg (6000 IE) bei < 60 kg KG
35 mg (7000 IE) bei 60 bis < 70 kg KG
40 mg (8000 IE) bei 70 bis < 80 kg KG
45 mg (9000 IE) bei 80 bis < 90 kg KG
50 mg (10.000 IE) bei > 90 kg KG
Es wird empfohlen, die Dosis bei Patienten > 75 Jahre zu halbieren
Ischämischer Schlaganfall
rtPA
0,9 mg/kg KG (max. 90 mg)
Low dose 0,6 mg/kg KG (wird nicht mehr in Leitlinien empfohlen)
Tenecteplase
0,25 mg/kg KG (max. 25 mg)
Es wird empfohlen, die Dosis bei Patienten > 75 Jahre zu halbieren
Lokale arterielle Thrombolyse
Urokinase*
240.000 U/h über 4 h, dann 120.000 U/h über max. 48 h
Alteplase*
0,001–0,02 mg/kg/h oder 0,12–2,0 mg/h (max. 40 mg)
*Ggf. niedrigere Dosierungen in Kombination mit perkutaner Thrombektomie
Die systemische Thrombolysetherapie (i.v.-Thrombolyse, IVT) bei akutem Schlaganfall, also die intravenöse Gabe fibrinolytischer Medikamente, wurde Mitte der 1990er-Jahre etabliert. In der Folge wurde die systemische Thrombolyse parallel mit der Einführung des Stroke-Unit-Systems in Deutschland wesentlicher Teil der Versorgungsroutine von Schlaganfallpatienten als kausale Schlaganfalltherapie. Das Zeitfenster wurde inzwischen bei definierten klinischen Bedingungen bzw. in Abhängigkeit von den aktuellen Befunden der Bildgebung über die 4,5 h ausgedehnt.
Streptokinase und Urokinase werden als historische Substanzen noch in Leitlinien erwähnt. Aufgrund mehrerer kontrollierten Studien, die eine Nichtüberlegenheit dokumentierten, wurde die europäische Schlaganfall-Leitlinie revidiert, mit dem Hinweis auf gleiche Wirksamkeit von Alteplase und Tenecteplase. Wegen des Vorteils der Bolusapplikation wurde bei Lysebeginn mehr als 4,5 h nach dem Ereignis Tenecteplase der Vorzug gegeben. Generell werden beim ischämischen Hirninfarkt niedrigere Dosierungen als beim Myokardinfarkt verwendet. In gut versorgten Regionen der Industrieländer wird inzwischen auch beim ischämischen Schlaganfall primär eine interventionelle Behandlung angestrebt und so auch in den Leitlinien empfohlen.
Im Rahmen einer lokalen intraarteriellen Thrombolyse (z. B. bei akutem thrombotischem Verschluss einer Extremitätenarterie oder eines Dialyseshunts) werden niedrige Konzentrationen meist von Alteplase oder Urokinase angewendet (Patel et al. 2013) (Kap. „Periinterventionelle antithrombotische und thrombolytische Therapie“ und „Dialyseshunt: Management von Komplikationen“). Für diese lokalen Anwendungen werden auch Packungen mit niedrigeren Dosierungen von manchen Herstellern zur Verfügung gestellt (z. B. 20 mg Alteplase, 100.000 Units Urokinase).

Überbrückende Therapie mit Thrombolytika

Ein wichtiges Thema – abhängig von der lokalen Versorgungssituation – ist die Kombination einer sehr raschen Lysetherapie mit nachfolgender Intervention. Dieses Vorgehen wird meist dann empfohlen, wenn der Patient zur interventionellen Behandlung in ein anderes Zentrum verlegt werden muss, klinische Zeichen und Biomarker der ischämischen Akuterkrankung aber ein rasches Handeln erfordern (Checkouri et al. 2023). Sowohl beim Myokardinfarkt als auch beim ischämischen Schlaganfall wird hier ein Vorteil für die Bolusverabreichung von Tenecteplase in den Leitlinien formuliert. Dabei wurden für Myokardinfarkt und zerebrale Ischämie optimale Zeitfenster der Anwendung und körpergewichtsabhängige Dosierungen festgelegt. In der Akutbehandlung des Myokardinfarkts sind die Thrombolytika seit Jahren ganz überwiegend durch die interventionelle Behandlung ersetzt. Hier wurde ein Versorgungsnetz mit Chest-Pain-Units und 24/7-Bereitschaft etabliert.

Dosierungsempfehlungen für Thrombolytika

Die in Tab. 3 gelisteten Dosierungsschemata werden abhängig von Indikation und Körpergewicht nach den aktuellen Leitlinien empfohlen (Berge et al. 2021; Byrne et al. 2023; Patel et al. 2013).

Labormonitoring

Wegen der in hohen Konzentrationen während der Lysetherapie anfallenden Fibrin- und Fibrinogenspaltprodukte ist das Labormonitoring mit gerinnungsphysiologischen Globaltests eine Herausforderung. Eine sorgfältige Verlaufsmessung der Gerinnungskapazität ist insbesondere nach Anwendung hoher Dosen oder kontinuierlicher Anwendung von Plasminogenaktivatoren über längere Zeiträume erforderlich. Gerinnungsphysiologische Testmethoden (Globaltests, Thrombinzeit, Fibrinogenbestimmung) werden von den passager massenhaft auftretenden Spaltprodukten stark beeinflusst. Dies gilt insbesondere für die Fibrinogenbestimmung nach Clauss. Hier ist auf eine Besonderheit der Gerinnungstests hinzuweisen: Als Substrat für die Auslösung des Messsignals im Labor wird genau das Fibrinogen aus dem Plasma des Patienten verwendet, das Zielprotein der fibrinolytischen Therapie ist. Daher sind während einer hoch dosierten Lysetherapie Gerinnungsglobaltests und Fibrinogenmessungen oft nicht aussagekräftig oder die Messwerte schwer zu interpretieren. Zu beachten sind ebenso starke Abweichungen der Messwerte zwischen „derived Fibrinogen“ (fotometrische Trübungsmessung) und der funktionellen Messung (Fibrinogenmessung nach Clauss).
Die aktuelle Intensität der Lysetherapie kann bei manchen Patienten direkt über die Menge der entstehenden Fibrinspaltprodukte im Labor abgeschätzt werden. Dafür werden v. a. die Thrombinzeit oder schlangenenzyminduzierte Gerinnungszeiten (z. B. Reptilasezeit, Thrombinkoagulasezeit) verwendet.
Um die schnelle Dynamik der Fibrin- und Fibrinogenolyse bzw. des Abbaus weiterer Gerinnungsfaktoren zu erfassen, sind in Einzelfällen Verlaufsmessungen von Fibrinogen- und Gerinnungsglobaltests alle 2–4 h erforderlich. Bei den unspezifischen Thrombolytika (Streptokinase, Urokinase) zeigte sich bei hoch dosierter Anwendung ein deutlicher Verbrauch von Fibrogen und weiteren Gerinnungsfaktoren in der systemischen Zirkulation. Bei den modernen fibrinspezifischen Thrombolytika findet eine weniger systemische Plasminbildung statt, sodass weniger Gerinnungspotenzial verbraucht wird und damit weniger starke Abweichungen der gerinnungsphysiologischen Testmethoden auftreten.
Folgende gerinnungsphysiologischen Testmethoden können bei hoch dosierter systemischer Thrombolysetherapie durch Fibrin- und Fibrinogenspaltprodukte gestört werden:
  • Quickwert
  • PTT
  • funktionelle Fibrinogenbestimmung (nach Clauss)
Folgende Gerinnungstests können bei Verlängerung der Messzeiten durch Fibrinspaltprodukte zur Abschätzung der Intensität einer systemischen Lyse verwendet werden (Thomas 2005):
Vor Beginn einer thrombolytischen Therapie sollten die Ausgangswerte für Fibrinogen, Globaltests und Thrombinzeit sowie Blutbild und -gruppe dokumentiert werden.
Die während einer Thrombolyse anfallenden Fibrinogen- und Fibrinspaltprodukte verlängern sowohl die Thrombinzeit als auch die Gerinnungszeiten der thrombinähnlichen Enzyme (Reptilase, Thrombinkoagulase). Bei länger dauernder Thrombolysetherapie mit kombinierter i.v.-Antikoagulation kann die Differenzierung zwischen spaltproduktbedingter Wirkung auf die Thrombinzeit und dem Effekt intravenöser Thrombinhemmstoffe (z. B. Heparin) mit thrombinähnlichen Schlangenenzymen (Reptilasezeit, Thrombinkoagulasezeit) gelingen, da letztere thrombinhemmende Medikamente nicht erkennen.

Nebenwirkungen von Thrombolytika

Für mit einer Lyse behandelte Patienten besteht stets die Gefahr von ernsten Komplikationen durch Blutungen. Als schwerste Nebenwirkung können mit einer Häufigkeit im einstelligen Prozentbereich lebensgefährliche Hirnblutungen im Rahmen systemischer Lysen auftreten. Aber auch bei Anwendungen in Körperhöhlen können lebensgefährliche Einblutungen stattfinden. Daher wird in den Leitlinien eine individuelle Risikoeinschätzung gefordert (Berge et al. 2021; Byrne et al. 2023; Tab. 4).
Tab. 4
Absolute und relative Kontraindikationen für eine Thrombolyse
Absolute
Kontraindikationen
• Akute Blutungen
• Intrazerebrale Blutungen (ICB)
• Subarachnoidalblutung (SAB)
• Andere aktive, nicht zu kontrollierende/stillende Blutungen
Relative
Kontraindikationen
• Gehirn
• Intrakranielles Neoplasma
• Aneurysmen
• Gastrointestinaltrakt
• Schwere Lebererkrankung
• Ulzerierende Gastritis < 3 Monate
• Ösophagusvarizen
• Schwerer Stroke (National Institutes of Health Stroke Scale [NIHSS] > 25) bzw. großer Stroke (> 1/3 Middle Cerebral Artery [MCA])
• Schwangerschaft
Hämorrhagische Diathese, Thrombozytenzahl < 100.000 μl
• Antikoagulation, Thrombozytenhemmung, erhöhte aPTT (aktivierte partielle Thromboplastinzeit), erhöhter INR (International Normalized Ratio)
• Hypertonie > 185 mmHg systolisch bzw. > 110 mmHg diastolisch
• Vorangegangene tiefe intramuskuläre Injektionen
• Aktive Tumorerkrankung mit erhöhter Blutungsgefahr
• Herz-Lungen-Wiederbelebung (HLW) vor weniger als 10 Tagen
Bei der 1. Generation der Substanzen (Streptokinase, APSAC) hat die Bildung von Allo-Antikörpern eine wichtige Rolle gespielt. Eine wiederholte Anwendung von Streptokinase wurde deswegen nicht zugelassen. Bei der neuen Generation von Plasminogenaktivatoren körpereigenen Ursprungs spielt eine potenzielle Antigenität keine Rolle.
Mit der Rücknahme der Zulassung von Aprotinin steht kein direkter Plasmininhibitor als „Antidot“ für Blutungskomplikation der thrombolytischen Behandlung mehr zur Verfügung. Eine indirekte Hemmung von Plasmin ist durch Tranexamsäure möglich. FFP (Fresh Frozen Plasma) enthält die physiologische Mischung von Gerinnungs- und Fibrinolyseproteinen und damit auch das körpereigene Antiplasmin. Für Tranexamsäure wird die Gabe von maximal 3–4 g/24 h empfohlen, für FFP die Gabe von mindestens 3–4 Einheiten pro Anwendung.
Im unmittelbaren Zeitfenster nach der hoch dosierten Lysetherapie besteht zunächst noch ein hohes Blutungsrisiko, welches innerhalb von 6–12 h in ein Thromboembolierisiko übergeht. Solche Reboundphänomene sind gefürchtet und bedürfen einer sorgfältigen Initiierung und Kontrolle der nachfolgenden langfristigen Antikoagulation und Thrombozytenhemmung.
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