Der Anamnese kommt im Rahmen der Abklärung einer Thrombozytopenie eine wichtige Bedeutung zu. Basierend auf den anamnestischen Angaben und unter Berücksichtigung der Klinik und der basalen Labordiagnostik kann das Spektrum der Differenzialdiagnose eingegrenzt und die Dringlichkeit der weiteren Abklärung festgelegt werden.
Im Rahmen der
Anamnese sollen folgende Informationen erhoben werden: Dauer und bisheriger Verlauf der Thrombozytenzahl, Komorbiditäten (Leber- und Nierenfunktion, Tumorerkrankung, künstliche Herzklappen, Infektionen, Erkrankungen aus dem rheumatologischen Formenkreis), Alkoholabusus, Familienanamnese in Hinblick auf Thrombozytopenie, ausführliche Medikamentenanamnese inklusive Einnahme von pflanzlichen Produkten sowie kürzlich erfolgter Änderung im Medikationsplan, vorausgegangener stationärer Aufenthalt, kürzlich erfolgte
Impfungen sowie Transfusionen, Reiseanamnese. Die Anamnese sollte um die Frage nach Vorliegen von Blutungsstigmata und/oder arterieller oder
venöser Thromboembolien sowie B-Symptomatik (
Fieber > 38,0 °C, Verlust von 10 % des Körpergewichts innerhalb der letzten sechs Monate, übermäßiges nächtliches Schwitzen mit Wechsel der Nacht-/Bettwäsche) und abdominellen Beschwerden ergänzt werden. In der
klinischen Untersuchung ist auf folgende Pathologien zu achten: Blutungsstigmata (Petechien, Hämatome, Schleimhautblutungen, postoperative Blutungen, Blutungen aus Einstichstellen), Zeichen für arterielle oder venöse
Thromboembolien, Hepato-Splenomegalie, Lymphadenopathie, Leberhautzeichen, Infektion,
Sepsis. Als erster Schritt der
laborchemischen Diagnostik sollte ein manuelles
Differenzialblutbild mit der Frage nach Zellverteilung und Zellpathologien sowie Morphologie der
Thrombozyten angefertigt werden. Zudem sollte eine Diagnostik in Hinblick auf Leber- und Nierenfunktion,
C-reaktives Protein (CRP),
Laktatdehydrogenase (LDH), Quick, aktivierte partielle
Thromboplastinzeit (aPTT) erfolgen. Die Bestimmung der unreifen, d. h. retikulierten Thrombozyten kann in der Differenzialdiagnostik der Thrombozytopenie verwendet werden, um die verminderte Bildung der Thrombozyten im
Knochenmark von einem erhöhten Verbrauch abzugrenzen (Vorliegen eines erniedrigten bzw. erhöhten Anteils an unreifen Thrombozyten) (Monteagudo et al.
2008). Eine erweiterte Labordiagnostik sollte bei schwerer Thrombozytopenie situationsbedingt angefordert werden: bei Verdacht auf das Vorliegen einer Sepsis/DIC sollte eine erweiterte
Gerinnungsdiagnostik (inklusive Antithrombin,
Fibrinogen,
D-Dimer) sowie die Bestimmung des DIC-Scores (z. B. nach der Internationalen Gesellschaft für Thrombose und
Hämostaseologie (ISTH)) erfolgen (Taylor et al.
2001). Besteht der Verdacht auf das Vorliegen einer HIT, so sollte der 4-T Score angewendet sowie ein Heparin-PF4 Antikörpertest und ggf. ein funktioneller Test in Auftrag gegeben werden in (Verweis auf Kapitel 23.7) (Greinacher
2015). Bei Verdacht auf das Vorliegen einer
thrombotischen Mikroangiopathie (in der Regel schwere Thrombozytopenie mit Coombs-negativer hämolytischer
Anämie, ischämischen Endorganschäden mit neurologischen, gastro-intestinalen, renalen und/oder kardialen Manifestationen, akutem
Nierenversagen) sollte die laborchemische Diagnostik um die Bestimmung der Hämolyseparameter (
Retikulozyten,
Haptoglobin, Coombs-Test) sowie der Frage nach Vorliegen von
Fragmentozyten im manuellen Differenzialblutbild ergänzt werden (Scully
2017) (Abb.
2). Eine Sonografie ist sinnvoll mit der Frage nach
Splenomegalie, Hepatomegalie, Zirrhosezeichen bzw. Lymphadenopathie. Eine weiterführende
hämatologische Diagnostik inklusive
Knochenmarkpunktion ist bei unklaren Befunden sowie dem Verdacht auf das Vorliegen einer hämatologischen Neoplasie indiziert. Tab.
2 gibt einen Überblick über verschiedene Ursachen der Thrombozytopenie mit typischen anamnestischen Angaben, klinischem Erscheinungsbild sowie laborchemischer Diagnostik.
Tab. 2
Gegenüberstellung von verschiedenen Ursachen einer Thrombozytopenie unter Berücksichtigung einer ggf. vorliegenden typischen Anamnese und dem klinischen Erscheinungsbild der Thrombozytopenie
EDTA-induzierte Pseudothrombo-zytopenie** | - | - | - | Bestimmung der Thrombozytenzahl mit einem alternativen Reagenz (z. B. S-Monovette®ThromboExact) |
Immunthrombo- zytopenie** | beides möglich | Kürzlich zurückliegender Infekt; | asymptomatisch oder | Ausschlussdiagnose |
Medikamenten-induziert** | akut | kürzlich erfolgte Änderung der Medikation; systemische Tumortherapie | asymptomatisch oder Blutungsneigung | Anamnestisch-klinische Diagnose (spezifische laborchemische Spezialdiagnostik nur in wenigen Zentren verfügbar) |
| chronisch | Ernährungsgewohnheiten; neurologische Auffälligkeit, gastrointestinale Beschwerden | oft asymptomatisch | Manuelles Differenzialblutbild, MCV, MCH, Testung auf Vitamin-Mangel; ggf. weiterführende gastrointestinale Diagnostik |
Virusinfekt | akut | Fieber | oft asymptomatisch | |
Bakterielle Infekte/Protozoen | akut | Reiseanamnese | oft asymptomatisch | |
Lebererkrankung | chronisch | Alkoholabusus, Hepatitis B/C-Infektion, Autoimmunerkrankungen der Leber, usw. | asymptomatisch oder Blutungsneigung | Transaminasen, Cholestaseparameter; Hepato-Splenomegalie, ggf. Zirrhosezeichen der Leber |
Akute hämatologische Neoplasie (z. B. akute Leukämie) | akut | B-Symptomatik Lymphadenopathie | asymptomatisch oder Blutungsneigung | Manuelles Differenzialblutbild, LDH; Hepato-Splenomegalie; Knochenmarkpunktion |
| chronisch | B-Symptomatik Lymphadenopathie Infektneigung | asymptomatisch oder Blutungsneigung | Manuelles Differenzialblutbild, LDH, Hepato-Splenomegalie; ggf. Knochenmarkpunktion |
Heparin-induzierte** Thrombozytopenie** | akut | Heparinexposition, allergische Reaktion an s.c. Heparin-Einstichstelle | Thromboembolie, selten Blutungsneigung | 4-T Score, Heparin-PF4 Antikörper Test, funktioneller Test (HIPA) |
| akut | Sepsis, Krebserkrankung, akute Leukämie, Trauma, usw. | asymptomatisch Blutungsneigung +/− Thromboembolie | Antithrombin, Fibrinogen D-Dimer DIC Score (z. B. der ISTH) |
Thrombotische Mikroangiopathie (TTP/HUS) | akut | | Thromboembolie +/−Blutungsneigung | Hämolyseparameter: LDH, Haptoglobin, Coombs-Test; manuelles Differenzialblutbild (Fragmentozyten), Kreatinin; weiterführende Diagnostik: ADAMTS-13 Aktivität und Antikörper |
Antiphospholipid-Syndrom** | chronisch, selten akut | | Thromboembolie | Lupusantikoagulans, Antikörper gegen Cardiolipin sowie ß2-Glykoprotein (IgG und IgM) |
| chronisch | Fatigue, abdominelle Schmerzkrisen, Verfärbung des Morgenurins (dunkelbraun) | Thromboembolie | |
Eine hämatologische Mitbeurteilung sollte ebenfalls zeitnah bei einer isolierten Thrombozytenzahl von <50 × 109/L erfolgen sowie elektiv nach wiederholter Bestätigung einer milden/mittelschweren Thrombozytopenie.