Allgemein
Eine individuell angepasste symptomatische Therapie ist bei jedem Patienten mit systemischer Amyloidose notwendig, um die jeweiligen Organbeschwerden zu lindern.
Die Behandlung der neuropathischen Schmerzen im Rahmen der
Polyneuropathie orientiert sich an den Empfehlungen für die
diabetische Polyneuropathie. Hierbei kommen Antikonvulsiva,
Antidepressiva und Opioidanalgetika zum Einsatz. Begleitend ist eine Physiotherapie zur Muskelkräftigung und Förderung von Motorik und Koordination zu empfehlen. Mit zunehmender Schwere der Erkrankung können
Hilfsmittel wie Orthesen, Gehstock, Unterarmgehstützen, Rollator oder Rollstuhl die Mobilität des Patienten verbessern.
Die Basis zur Linderung kardialer Symptome stellen Schleifendiuretika dar. Bei Anwendung in hoher Dosis ist die Kombination mit einem Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten zur Vermeidung einer
Hypokaliämie sinnvoll. Eine Schulung der Patienten zur eigenständigen Dosisanpassung der
Diuretika ist zu empfehlen. So können in einigen Fällen bei ausreichender
Compliance und regelmäßiger Gewichtskontrolle die Häufigkeit von stationären Aufenthalten aufgrund von kardialen Dekompensationen gegebenenfalls verringert werden. Für die klassische Herzinsuffizienzmedikation mit
ACE-Hemmer und
Betablocker ist kein prognostischer Nutzen belegt. Bei entsprechenden Begleiterkrankungen kann der Einsatz dennoch in Erwägung gezogen werden. Wenn eine isolierte
kardiale Amyloidose vorliegt, kann der Einsatz dieser Therapien jedoch auch negative Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf und/oder die Symptomatik der Patienten haben. Für die Anwendung von Sacubitril-Valsartan liegen keine Daten zur Wirksamkeit bei den klassischen kardialen Amyloidoseformen vor. Ein möglicher negativer Einfluss auf den Abbau von Beta-Amyloid, wie beim Morbus Alzheimer beschrieben, könnte auch bei den hier behandelten Amyloiderkrankungen möglich sein.
Die generelle Anwendung der klassischen Herzinsuffizienztherapie ist bei Patienten mit
kardialer Amyloidose nicht indiziert und kann sogar schädlich sein.
Alle Substanzen werden insbesondere von Patienten mit ATTRv-Amyloidose aufgrund der autonomen Störungen mit Hypotonie und orthostatischem
Schwindel nur schlecht toleriert. ein zu starkes Herabsetzen der Herzfrequenz kann negative Folgen haben, da die
diastolische Herzinsuffizienz bei Patienten mit
kardialer Amyloidose zumindest zum Teil über die Herzfrequenz kompensiert wird. Daher vermindern
Betablocker aufgrund der Frequenzsenkung das Herzzeitvolumen (wie auch Ivabradin) und erhöhen das Risiko für Reizleitungsstörungen. In niedriger Dosis können Betablocker bei Patienten mit
Vorhofflimmern zur Frequenzkontrolle eingesetzt werden. Digitalis akkumuliert an den Amyloidfasern und ist mit Vorsicht anzuwenden. Die Indikation zur oralen Antikoagulation ist bei allen Patienten mit Vorhofflimmern obligat und sollte bei Vorliegen einer schweren diastolischen und/oder atrialen Dysfunktion zur Vermeidung thrombembolischer Komplikationen (Apoplex
) auch im Sinusrhythmus großzügig gestellt werden. Studiendaten zu Ablationen von
Vorhofflattern und Vorhofflimmern bei Patienten mit Amyloidose liegen nicht vor. Die Erfolgsaussichten auf eine dauerhafte Rhythmisierung scheinen jedoch geringer zu sein als bei Patienten mit anderen Herzerkrankungen. Unabhängig von der linksventrikulären Pumpfunktion kann bei Amyloidosepatienten mit kardialer Beteiligung keine allgemeine Empfehlung zur primärprophylaktischen
ICD-Implantation ausgesprochen werden. Das Risiko für defibrillierbare
Herzrhythmusstörungen scheint im Vergleich zu anderen
Kardiomyopathien deutlich geringer zu sein. Insbesondere bei Patienten mit ATTRv-Amyloidose kann es jedoch zu bradykarden Rhythmusstörungen mit Notwendigkeit einer
Schrittmacherimplantation kommen.
Die Behandlung der gastrointestinalen Beschwerden ist durch den Wechsel von Diarrhö und
Obstipation erschwert. Die Gastroparese kann durch Einnahme von Metoclopramid, Domperidon oder Erythromycin vor kleinen Mahlzeiten beeinflusst werden. Einer Hypermobilität wird mit Loperamid,
Opioiden oder
Somatostatin entgegengewirkt. Bei unzureichender Kontrolle der Stuhlfrequenz ist zur Verbesserung der
Lebensqualität eine Stomaanlage in Erwägung zu ziehen. Zu jedem Zeitpunkt sollte auch die ausreichende Kalorienzufuhr erfolgen. Eine supportive (parenterale) Ernährung kann notwendig sein. Aufgrund der verminderten Mobilität ist die Verabreichung von intravenösen Bisphosphonaten zur Osteoporoseprophylaxe zu berücksichtigen.
Entscheidend für den langfristigen Verlauf der Amyloidose ist jedoch die gezielte Behandlung der Erkrankungsursache. Für die verschiedenen Amyloidoseformen stehen unterschiedliche kausale Therapieansätze zur Verfügung. Für die Wahl der geeigneten Therapie ist eine präzise Diagnostik einschließlich immunhistologischer und molekulargenetischer Untersuchungen erforderlich. Die Therapieoptionen werden im Folgenden aufgeführt. Aufgrund des Systemcharakters der Erkrankung ist die Vorstellung zur Komplettierung der Diagnostik und der Therapieinitiierung in einem spezialisierten Zentrum zu empfehlen.
AL-Amyloidose
Bei
AL-Amyloidose ist das Hauptziel, durch eine Chemotherapie die
Plasmazellen zu zerstören und dadurch die Produktion amyloidogener Leichtketten zu vermindern (Gertz
2018). Ein unmittelbarer Beginn der Therapie ist bedeutsam, um einen weiteren Verlust der Organfunktion zu verhindern und das Überleben zu verlängern. Es werden vor allem Medikamente aus der Behandlung des multiplen Myeloms eingesetzt. Für die Auswahl einer bestimmten Chemotherapie werden die Patienten anhand von Risikokriterien in 3 Gruppen untergliedert (Übersicht 2).
Eine Chemotherapie, die ein Alkylierungsmittel (z. B. Melphalan, Cyclophosphamid) einsetzt, in Kombination mit
Kortikosteroiden war die erste Behandlung, die sich als nützlich erwiesen hat. Proteasom-Inhibitoren (z. B. Bortezomib) und
Immunmodulatoren (z. B. Lenalidomid) finden ebenfalls Anwendung. Ihre Kombination und sequenzielle Therapien werden gegenwärtig untersucht. Aufgrund einer hohen Rate anhaltenden hämatologischen Ansprechens ist eine Bortezomib-haltige Induktionstherapie insbesondere bei fehlenden Kontraindikationen, einem Plasmazellanteil im
Knochenmark über 10 % und bei Verzögerung einer autologen Stammzelltransplantation zu erwägen. Hochdosiertes Melphalan kombiniert mit einer autologen Stammzelltransplantation ist besonders wirksam bei Patienten mit t(11;14) Translokation (Vaxman und Gertz
2019). Jedoch sind nur Patienten mit niedrigem Risiko für therapie-assoziierte Komplikationen primär für diese Therapie geeignet. Eine Konsolidierungstherapie ist vor allem bei fehlendem Organansprechen und dem Vorliegen einer minimalen Resterkrankung zu erwägen.
Patienten in der mittleren Risikogruppe sind nicht für eine Hochdosischemotherapie und Stammzelltransplantation geeignet. Sie sollten auf das Vorliegen möglicher reversibler Kontraindikationen überprüft werden. Ansonsten führte bei diesen Patienten die subkutane Anwendung des monoklonalen CD38-Antikörpers Daratumumab (IgG1κ) in Kombination mit Cyclophosphamid, Bortezomib und Dexamethason in der Erstlinientherapie zu einer signifikant höheren Rate an kompletten hämatologischen Remissionen, einer Verzögerung einer schweren Organschädigung sowie hämatologischen Progression oder dem Tod. Falls Daratumumab nicht verfügbar ist, sollte bei Patienten mit reversiblen Kontraindikationen für eine Hochdosischemotherapie sowie eingeschränkter Nierenfunktion (glomeruläre Filtrationsrate <30 ml/min*1,73 m2) eine Behandlung mit Cyclophosphamid, Bortezomib und Dexamethason in Erwägung gezogen werden. Bei Vorliegen einer t(11;14) Translokation erscheint Cyclophosphamid weniger effektiv als die Kombination mit Melphalan, Bortezomib und Dexamethason. Im Falle von Kontraindikationen für Bortezomib sind als alternative Therapieregime Melphalan-Dexamethason, Lenalidomid-Melphalan-Dexamethason oder Cyclophosphamid-Lenalidomid-Dexamethason empfohlen.
Jeder Patient mit hohem therapieassoziiertem Risiko soll unter intensivem Monitoring mit reduzierter Therapiedosis und sequenzieller Erweiterung der Therapie bei gutem Vertragen behandelt werden (Gertz
2018; Palladini et al.
2020).
Der Stellenwert des zusätzlichen Einsatzes von Doxycyclin oder anderen Substanzen zur Beeinflussung der Amyloidfibrillenbildung ist aktuell noch unklar. Ansätze zum Abbau der abgelagerten Amyloidfibrillen zeigten bisher keinen klinischen Vorteil.
In seltenen Fällen mit schwerer, isolierter Herzbeteiligung kann als Einzelfallentscheidung eine
Herztransplantation erwogen werden. Die Verbesserung der kardialen Funktion erlaubt anschließend eine intensive Chemotherapie mit konsekutiv höherer Chance einer kompletten Remission der Plasmazellerkrankung und einem Organansprechen. Bei lokalisierter
AL-Amyloidose ist keine systemische Chemotherapie erforderlich; eine niedrigdosierte externe
Strahlentherapie ist ausreichend.
Übersicht 2: Patienteneinteilung bei der
AL-Amyloidose anhand des therapieassoziierten Risikos
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Niedriges Risiko (ca. 20 % der Patienten)
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Alter > 70 Jahre
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Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG) Performance Score < 2
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NT-proBNP < 5000 ng/l
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Linksventrikuläre Ejektionsfraktion > 45 %
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Systolischer Blutdruck > 100 mmHg
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Glomeruläre Filtrationsrate > 50 ml/min*1,73 m2
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Lungendiffusionskapazität > 50 %
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Intermediäres Risiko (ca. 60 % der Patienten)
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Kardiales Stadium II–IIIa nach der Europäischen Mayo-Klassifizierung: NT-proBNP zwischen 332 und 8500 ng/l (oder BNP zwischen 81 und 700 ng/l). Falls NT-proBNP unter 332 ng/l liegt, muss cTnT über 0,035 ng/ml (oder cTnI über 0,1 ng/ml) sein
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Hohes Risiko (ca. 20 % der Patienten)
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Kardiales Stadium IIIb nach der Europäischen Mayo-Klassifizierung: NT-proBNP über 8500 ng/l (oder BNP über 700 ng/l) und cTnT über 0,035 ng/ml (oder cTnI über 0,1 ng/ml)
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Herzinsuffizienz NYHA Klasse III
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ECOG Performance Score 4: vollständige Inaktivität, keine Selbstversorgung möglich, vollständige Immobilisierung
ATTR-Amyloidose
Die Therapie der
ATTR-Amyloidose machte zuletzt die größten Fortschritte. Vor 30 Jahren wurde erstmals eine orthotope
Lebertransplantation als eine Art chirurgische Gentherapie durchgeführt, die anschließend über 20 Jahre lang die einzige Behandlungsoption für die ATTRv-Amyloidose war. Durch den Ersatz der Leber wird die hepatische Synthese des mutierten Proteins durch eine normales Transthyretin produzierende Leber ersetzt. Da die Leberfunktion durch die Transthyretinmutation nicht beeinträchtigt ist, wurde der Eingriff im Sinne der Organknappheit häufig als Dominotransplantation durchgeführt. Dabei erhält der Patient mit ATTRv-Amyloidose die Kadaverleber, die „Amyloidoseleber“ wird auf einen Patienten mit verminderter Lebenserwartung übertragen. Eine Überwachung letzterer Patienten auf Amyloidosesymptome ist im Rahmen der Transplantationsnachsorge notwendig. Trotz positiver Effekte auf den Krankheitsverlauf, insbesondere bei Patienten mit leichter
Polyneuropathie ohne Herzbeteiligung, sind im langfristigen Verlauf die transplantationsassoziierten Komplikationen limitierend. Auch ist eine Lebertransplantation bei Patienten mit ATTRwt-Amyloidose nicht wirksam, da das Wildtyp-Transthyretin strukturell unauffällig ist und die bisher nicht im Detail verstandenen Mechanismen der Amyloidfibrillenbildung unbeeinflusst sind (Ruberg et al.
2019).
Tetramerstabilisierung
Tafamidis
(Vyndaqel®) bindet spezifisch an die beiden Thyroxinbindungsstellen des nativen Tetramers und verhindert die Aufspaltung in Monomere. Es hemmt so eine Fibrillenbildung. Das Fortschreiten peripherer neurologischer Symptome und die Abnahme der
Lebensqualität können effektiv gebremst werden. In der Zulassungsstudie wurde das Transthyretin bei 98 % der Patienten unter Einnahme von Tafamidis Meglumat und bei keinem Patienten unter Einnahme von Placebo nach 18 Monaten
in vitro stabilisiert. Tafamidis Meglumat war hinsichtlich der Verzögerung des Fortschreitens peripherer neurologischer Störungen wirksam. Zudem wurde unter Therapie mit Tafamidis Meglumat eine um 51–81 % geringere Verschlechterung der neurologischen Funktion, der Funktion der großen Nervenfasern und der Funktion der kleinen Nervenfasern beschrieben als bei Patienten unter Placebo. Die Therapie mit Tafamidis Meglumat führte zu einem verbesserten Ernährungszustand. Seit 2011 ist es als erstes Medikament für die Behandlung von erwachsenen ATTRv-Patienten mit leichter
Polyneuropathie (familiäre Amyloidpolyneuropathie; FAP Stadium 1) zugelassen.
Die Erweiterung der Zulassung auf Tafamidis 61 mg erfolgte im Februar 2020 als erstes Medikament für erwachsene Patienten mit ATTRwt- bzw. ATTRv-Amyloidose mit kardialer Manifestation. In der über 30 Monate laufenden ATTR-ACT Zulassungsstudie bewirkte Tafamidis eine relative Reduktion der Gesamtmortalität um 30 % und der kardiovaskulär bedingten Hospitalisierungen um 32 %. Der Unterschied in der Gesamtmortalität gegenüber Placebo wurde nach etwa 18 Behandlungsmonaten deutlich. Bei den sekundären Endpunkten zeigten die mit Tafamidis behandelten Patienten eine signifikant geringere Abnahme der Leistungsfähigkeit (gemessen durch den
6-Minuten-Gehtest) und der
Lebensqualität (gemessen durch den Kansas-City-Cardiomyopathy-Questionnaire-Overall-Summary(KCCQ-OS)-Score). Diese Effekte waren bereits 6 Monate nach Studienbeginn nachweisbar (Maurer et al.
2018).
Gene silencing
Das
Gene silencing führt selektiv durch Inhibierung der
mRNA zu einer Reduktion der Expression eines spezifischen Proteins. Dieser Mechanismus wird von Antisenseoligonukleotiden oder silencing RNA (
siRNA) für die Regulation der Transthyretinsynthese in der Leber therapeutisch angewendet. Gleich zwei Medikamente dieser neuen Stoffklasse wurden im Oktober 2018 für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit ATTRv-Amyloidose und
Polyneuropathie im Stadium 1 und 2 (Patienten, die mit oder ohne Gehstöcke gehen können) zugelassen. Sowohl das Antisenseoligonukleotid Inotersen®
(wöchentlich s.c.) als auch die siRNA Patisiran®
(alle 3 Wochen i. v.) zeigten in den jeweiligen Zulassungsstudien eine Absenkung des Transthyretins im
Serum um über 80 %. Die primären Studienziele des Aufhaltens der Polyneuropathieprogression (mNIS+7-Score) und Verschlechterung der
Lebensqualität im Vergleich zur Placebogruppe wurde von beiden Medikamenten erreicht. Ein direkter Vergleich der beiden Substanzen ist nicht möglich, da die beiden Studienpopulationen hinsichtlich der Herkunft, Häufigkeit der eingeschlossenen TTR-Mutationen und dem Schweregrad unterscheiden (Benson et al.
2018; Adams et al.
2018). Aktuell erfolgen Phase-3-Studien mit diesen Medikamenten bei Patienten mit kardialer ATTRv- und ATTRwt-Amyloidose.
AA-Amyloidose
Das Hauptziel der Therapie der
AA-Amyloidose ist die Kontrolle der zugrunde liegenden Entzündungsreaktionen. Bei dem familiären Mittelmeerfieber ist Colchicin erfolgreich. Die spezifische Hemmung von
Interleukin-1, z. B. durch Anakinra (Kineret®) oder Canakinumab (Ilaris®), verringert bei periodischen Fiebersyndromen den Entzündungsprozess und damit die Produktion von
Serum-Amyloid A (SAA) in der Leber. Eprodisate ist ein sulfoniertes Molekül, das AA-Amyloidablagerungen destabilisiert. In einer internationalen Studie mit AA-Amyloidosepatienten konnte die Nierenfunktion erhalten werden. Die Todesrate blieb jedoch unbeeinflusst.
Aufgrund sehr hoher Therapiekosten ist für alle Patienten eine präzise Klärung des abgelagerten
Amyloids für eine korrekte Behandlung im Rahmen der jeweiligen Zulassungskriterien von enormer Bedeutung.